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Alt 26.02.2008, 21:06   #1
Syrus
 
Dabei seit: 02/2008
Beiträge: 6


Standard Tagträumer

Tagträumer



Mein Blick war auf die Fensterscheibe gerichtet. Draußen regnete es und die Tropfen liefen die Scheibe wie tausend kleine Wasserfälle hinab. Auf der gegenüberliegenden Seite konnte ich sehen, wie Alle fleißig ihrer Arbeit nachgingen. Montage der Teile, verpacken oder umsortieren. Wie Ameisen wuselten sie hin und her, gelenkt von einem Gruppenleiter der wie ein Hirte seine Schafe beäugt. Mein verträumter Blick schweifte durch das Zimmer. Mir war als wäre die Zeit stehen geblieben. Das sonst schon leise Ticken der Wanduhr konnte durch diverse Nebengeräusche aus den anderen Gruppenräumen nicht mehr wahrgenommen werden. Da fiel Metall zu Boden und das Klirren war wie ein dumpfer Schlag in meinem Kopf. Da waren Menschen die sich unterhielten, sich neckten wie kleine Schulkinder, und doch waren es Erwachsene. Das Zimmer in all seiner Freundlichkeit stand im totalen Gegensatz zur grauen Realität, welche sich mir an diesem Tag aufzeigte. Wo sich die Bäume wie Geister im Wind bewegten und kein Vöglein mit seiner Melodie meine Ohren verwöhnte um mir mein Dasein zu versüßen. Diese Trübseeligkeit, jene die sich wie ein dunkler Vorhang über meine von Schmerzen zerfressene Seele warf. Meine Gedanken kreisten frei um Alles was mich beschäftigte. Frei als wären sie Ballons die mit Helium gefüllt immer weiter gen Himmel schwebten. Je tiefer ich in meinen Gedanken versank, desto mehr entglitt ich der Realität. Kaum in der Lage mich aus dieser Welt wieder zu befreien. Schöne Gedanken über Freundschaft und Liebe wechselten mit Angstvorstellungen vor erneuten Verlusten. In diesem Spiel aus Licht und Schatten war ich ein Gefangener meines eigenen Körpers.
Ich nahm eine Stimme wahr, jedoch schien sie unwirklich und weit entfernt. Eine Stimme aus dem Unterbewusstsein, die beim genaueren hin hören meine Arbeitskollegin war. Sie hatte bemerkt das ich wieder einmal tag träumte und wollte mich scheinbar sanft wecken, denn sie hätte mich genauso gut einfach anrempeln können. Ich schrak dennoch auf und bewegte meine Augen in ihre Richtung. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mich wie so oft in meinen Gedanken verloren hatte. In der letzten Zeit war ich mindestens einmal am Tag am träumen, ich erwischte mich regelmäßig dabei. Egal ob auf Arbeit, auf dem Heimweg, ja sogar beim abendlichen Smalltalk am Esstisch verleitete mich mein Geist immer wieder, ins Reich fernab von Wahrheit und Unwahrheit ein zu tauchen.
Welche Umweltfaktoren auf mich einwirkten und inwiefern sie eine Rolle beim Verlauf meiner Tag-träume hatten, konnte ich nicht sagen. Nur jeder meiner Träume handelte in irgendeiner Form von seelischem Schmerz, den ich irgendwann zuvor erlitten hatte. Langsam kam in mir ein Verdacht hervor. Möglicherweise waren sie Vorboten einer Krankheit, ein psychisches Leiden was mich von Innen heraus auf fraß, wie ein Parasit in mir hauste und mich ohne mein Wissen immer kränker machte. Schon der Philosoph Immanuel Kant beschrieb Wachträume als Gemütskrankheit, die nach einer Flucht aus der Wirklichkeit süchtig machen können. Und tatsächlich, wie bei einer Sucht versuchte ich immer wieder davon los zu kommen. Für kurze Zeit gelang es mir, doch nur um erneut in einem tiefem Traum zu versinken. Diese Flucht aus der Realität sollte eigentlich etwas Schönes sein, doch bei mir war es anders. Wie Alpträume suchten sie mich heim, ein unwirkliches Leben in tiefer Depression, die nur durch das Erwachen aus jenen Träumen wieder verschwand.
Heute weiß ich, dass es meine Art war, die Probleme welche mein Leben bis dato beherrschten, zu verarbeiten. Teilweise verfolgen mich diese Tagträume noch heute, doch sie konnten mich noch nie wieder so aus der Realität reißen, wie zu der Zeit, in der mein Leben an einem Abgrund stand. Tief und unüberwindbar hatte er sich mir aufgetan und drohte mich wie ein weit aufgerissener Schlund zu verschlingen. Der Moment, in dem ich Nichts mehr fühlte, als mein Herz in viele kleine Teile zerbrauch, die sich nie wieder zusammensetzen lassen werden. Jedes mal wenn ich etwas sehr wichtiges in meinem Leben verliere, habe ich Tagträume, die stummen Hilferufe meiner Seele.
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