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Alt 25.08.2010, 18:34   #1
weiblich FeelLetter
 
Dabei seit: 08/2010
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Beiträge: 278

Standard Die Frage nach dem Sinn des Lebens

Die Frage nach dem Sinn des Lebens

Es gibt Menschen, die sterben an Krankheiten, wie Krebs oder an harmlosen Erkältungen. Oder sie sterben in Verkehrsunfällen oder beim Benutzen einfacher, alltäglicher Gegenstände. Manche werden ermordet oder sterben aus Fahrlässigkeit. Manche Menschen fallen einfach um. Der Tod kommt plötzlich, er kommt unaufhaltsam, er kommt in einer gewissen Sekunde. Es gibt unendlich viele Arten zu sterben, doch eines ist gewiss, es trifft uns alle eines Tages.
Doch es gibt auch Menschen, die nicht eines Tages sterben, sondern jetzt. Es gibt Menschen, die nehmen sich selbst das Leben. Ja, es gibt unheilbar Kranke, die sich Leiden ersparen und sich erhängen. Es gibt Menschen, die an Schuld zerbrechen und sich erschießen. Es gibt sogar Kinder, die sich aus Gründen, die ich mir nicht zu erfragen traue, die Pulsadern aufschneiden.
Ich traue mich nicht zu urteilen, was diese Menschen in den Selbstmord treibt.

Manchmal erlebe ich Momente, in denen ich dann selbst vor mir erschrecke. Jedes Mal, wenn ich am Bahnhof stehe und ein Zug an mir vorbeirast, weiß ich, dass ich nur einen Schritt machen müsste und es wäre vorbei. Ein Schritt in einer Sekunde meines Lebens - und Ende. In dem Moment, in dem mir das bewusst wird, schlägt mein Herz wie wild und ich glaube, ich habe Angst. Doch jedes Mal, wenn dieser Augenblick mitsamt dem Zug vorüber ist und ich noch da bin, da fühle ich mich doch in gewisser Weise stark. Mein ganzer Körper, mein Gehirn, meine Seele, mein Herz haben erfahren, dass ich nur einen Schritt vom Tod entfernt bin, doch ich habe den Schritt nicht getan. Ich bin noch hier.

Wir alle kennen die Momente, in denen wir spontan irgendetwas tun, ohne es zu realisieren, als ob für einen kurzen Augenblick ein Schalter in uns umgelegt worden wäre. Nur ein Klick und das Geheimnis ist ausgeplaudert oder die doofe Bemerkung springt über die Lippen oder die Hand lässt das Glas los und lässt es fallen. Solche Momente, die irgendwie ganz unserer Kontrolle entwichen sind, verstören uns. Wie gerne würden wir sie rückgängig machen und wir verstehen nicht, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Doch es gibt kein Zurück mehr. Es ist, als ob diese Momente einfach zu unserem Leben gehören würden. Es geschieht einfach. Es ist passiert und nur ein einziger dieser Momente hat womöglich unser Leben verändert.

Ich stehe oft am Bahnhof und die verschiedensten Züge rasen an mir vorbei. Jedes Mal wieder erfasst mich die Erkenntnis, dass nur ein Schritt mich vom Ende trennt. Doch so viele Klick-Momente ich in meinem Leben auch schon gehabt habe, mein Fuß hat nie diesen einen Schritt gewagt, weder bewusst noch unbewusst. Und das macht mich stark. Leicht verliere ich mich ganz in dem Gedanken an den einen Schritt und mein Herz droht dabei zu platzen, doch ich mache den Schritt nicht. Die Gewissheit, dass mich immer etwas davon abhalten wird, dass einer dieser Klick-Momente nie in diesem Moment eintreten wird, diese Gewissheit gibt mir Kraft.
Es gibt so viele Arten zu sterben, nur der kleinste Handgriff kann den Tod bedeuten, doch immer dann, wenn ich ihm genau gegenübertrete, ihm nur einen Schritt entfernt bin und ich die Wahl habe, dann entscheide ich mich gegen ihn. Nein, nicht ich entscheide mich gegen ihn. Es ist, als ob es genau das wäre, was leben bedeutet: Den Schritt nicht zu tun. Weder bewusst noch unbewusst, sondern ihn einfach nicht zu tun.

Seit ich in meiner Umgebung, die ich liebe und schätze, so nah gespürt habe, dass es Menschen gibt, die dazu in der Lage sind, sich selbst zu töten, Selbstmord zu begehen, seitdem ist auch mein Gefühl am Bahnhof anders. Immer, wenn ein Zug an mir vorbeirast, wird mir bewusst, dass neben mir einer stehen und den Schritt wagen könnte. Und egal wie schnell meine Reaktion sein könnte, ich könnte ihn doch nicht aufhalten. Der Mensch neben mir würde den Schritt machen und ich kann nichts dagegen tun. Diese Erkenntnis macht mich plötzlich schwach. Je stärker die Kraft ist, die mich von dem Schritt abhält, desto stärker wird auch meine Schwäche bei dem Gedanken, wie diese Kraft bei anderen schwinden kann. Es ist, als ob genau in diesem einen Schritt der Sinn des Lebens verloren ginge.

Manchmal, wenn ich wieder am Bahnhof stehe und den Moment erlebe, steigert sich meine Angst, wenn ich daran denke, wie mächtig wir Menschen sein können. Es besteht die Möglichkeit, den einen Schritt zu tun und das ist schon Macht genug für mich. Wenn ich dann an die Menschen denke, die diese Möglichkeit nutzen, dann macht mir deren Macht Angst. Wenn Menschen anfangen, über Leben und Tod zu entscheiden, dann ist das eine Macht, die in mir Panik auslöst.
Ich weiß nicht, ob das jetzt gerecht und moralisch vertretbar ist, wenn ich Mord und Selbstmord vergleiche. Ich möchte nur einen Gedanken loswerden, der mich gerade bewegt. Es gibt Mörder, die alles dafür tun, nicht erwischt zu werden, die flüchten, die um jeden Preis verhindern wollen, von der Polizei erschossen zu werden, ja, die vor dem Tod flüchten. Einerseits haben sie durch ihren Mord den Tod an ihrer Hand kleben, sie respektieren das Leben nicht genug, da sie eines genommen haben. Dennoch gibt es welche unter ihnen, die (wenn ich wieder auf meinen beliebten Vergleich zurückkommen darf) trotzdem im entscheidenden Moment nicht den Schritt machen würden. Ich traue mich nicht, darüber nachzudenken, warum das so ist. Und doch habe ich den erschreckenden Eindruck, dass jemand, der dazu in der Lage ist, sein Leben zu beenden eine noch unheimlichere Macht hat, eine erschreckend große, furchtbare Macht.

Es ist für mich, als ob, solange diese Kraft da ist, die mich trotz des Herzschlags beim bloßen Gedanke von dem einen Schritt abhält, dass nur dann die Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt existiert. Das Bewusstsein über die Existenz des einen trennenden Schrittes zum Tod gibt uns zwar keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn. Doch sobald wir den Schritt tun, sobald der Mensch zu dieser Macht gelangt, gibt es eine Antwort: Es gibt keinen Sinn des Lebens.
Und so sehr der Mensch auch nach Macht streben mag, so sehr mich auch andere von ihrer Theorie überzeugen möchten, so ist das gewiss nicht die Antwort, die ich hören will. Denn dann würde ich aufhören zu leben.

So sehr mich meine Momente am Bahnhof auch erschrecken mögen, so sehr stärken sie mich ich auch, immer dann, wenn ich erfahre, dass für mich die Frage nach dem Sinn des Lebens noch existiert. Denn solange lebe ich.
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Alt 25.08.2010, 18:57   #2
Thing
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Beiträge: 34.998

Halli Hallo,

der "Sinn des Lebens" ist objektiv nicht zu erfassen, denn es gibt keinen allgemeingültigen Sinn des Lebens.

Jeder gibt seinem Leben, so er denn kann, einen Sinn oder er versucht das zumindest.
Je älter und ruhiger man wird (ich spreche von mir), desto gelassener kann man behaupten:
Der Sinn des Lebens liegt im Werden und Vergehen.
Mehr ist nicht dahinter.


Für mich ist es ein großer Trost, daß ich noch lesen und schreiben kann - das macht mein Leben einigermaßen sinnvoll und gehaltvoll. Subjektiv.

Man frage unsere jungen Soldaten in Afghanistan, was sie für den Sinn des Lebens halten...


Thing
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Alt 25.08.2010, 19:06   #3
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Beiträge: 278

Was ist der Sinn des Lebens?
Ja, Thing, das schreit nur so nach subjektiven Antworten.

Die Frage, die mich jedoch beschäftigt, ist:
Gibt es einen Sinn des Lebens?
Oder bringt das alles doch gar nichts?

Und ein "Nein" würde für mich das Ende bedeuten.
Es gibt keinen Sinn des Lebens.
Wow, dann bringt das alles ja gar nichts.

Also, warum bringen sich Menschen um? Hat ihr Leben keinen Sinn (ihrer Meinung nach)?

Dieser Text ist meine Meinung, meine Erfahrung. Eventuell weit hergeholt, eventuellen denken andere genauso.

Eventuell sollte die Frage nicht gestellt werden.
Ach, ich werd verrückt, wenn ich sie mir noch öfter stelle
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Alt 25.08.2010, 19:17   #4
Thing
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Halli Hallo -

Du wirst bestimmt nicht verrückt, wenn Du Dir die Frage noch und wieder und wieder stellst, denn dann erweitern sich die Antworten, die Du akzeptierst oder verwirfst. Du lernst neue gedankliche Horizonte kennen.

Zu dieser großen Frage haben sich Genertionen von Philosophen ihre Gedanken gemacht; trotzdem g i b t es keine allgemeingültige Antwort.
Die letzte Anwort hält der Tod bereit. Oder auch nicht.

Noch einmal:
Respekt und Kompliment.

Thing
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