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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 06.03.2012, 09:47   #1
männlich Ex-DrKarg
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Beiträge: 3.139

Standard Déjà vu

Déjà vu

©Hans Hartmut Karg
2012

Wenn Du alt geworden bist,
Wiederholen sich die Bilder.
Wenn Dich der Gevatter küsst,
Gibt es keine Namensschilder.

Alles war schon einmal da,
Was der Jugend so einmalig.
Alles, was ich einmal sah,
Wird jetzt trüber, fad und schalig.

Da sich alles wiederholt,
Habe ich mein Ziel gelebt;
Nichts mehr, das mich überrollt,
Nichts, wonach die Neugier strebt.

Viele Jahre sind vergangen,
Haben Bilder mir gebracht.
Ja, wenn ich dann fort gegangen,
Ist´s der Sensenmann, der lacht.

*
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Alt 06.03.2012, 10:07   #2
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.082

Liest sich flüssig wie Öl. Schöner Nachweis, wie sich gleiche Gedanken immer wieder in andere Worte fassen lassen.

LG
Ilka
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Alt 06.03.2012, 10:16   #3
Thing
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Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Halli Hallo, Dr. Karg -

außer "schalig", das mich stutzen läßt, stimme ich Ilka-Maria zu.
Prima gemacht, als wärs ein Stück von mir:
Nichts Neues unter der Sonne.
Aber unter déjà vu stelle ich mir im Grunde etwas andres vor.

LG
Thing
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Alt 06.03.2012, 13:47   #4
weiblich Ex-Encki
abgemeldet
 
Dabei seit: 06/2011
Beiträge: 424

Hallo DrKarg,

mir gefällt Einiges an Deinem Gedicht, aber da sind ein paar formale Unstimmigkeiten und mit der Botschaft des LIs habe ich auch so meine Probleme.

Erst einmal zur Kritik:
"Namenschilder" auf "Bilder" wirkt auf mich zu konstruiert. Wenn Du es inhaltlich und in der Form schafftest, die Reimwörter chronologisch zu vertauschen, gingest Du dem Problem aus dem Weg, weil Du die Wichtigkeit anders betontest.

Zitat:
Alles war schon einmal da,
Zitat:
Alles, was ich einmal sah,
Zitat:
Ja, wenn ich dann fort gegangen,
Auch hier wieder die Kritik an der Konstruktion - nur diesmal bezogen auf das Weglassen des "war" bzw. "bin".

Inhaltliche Kritik:
Mir gefällt die Botschaft des Lyrischen Ichs nicht. Erst einmal ist das Alt-sein relativ und kommt auf die Perspektive an, zudem missfällt mir die innere Einstellung.
Z.B.: Mein Großvater, 90 Jahre, seine Frau seit Jahren tot, dement, im Rollstuhl, ... kann sein Leben nur noch eingeschränkt selbstbestimmen... Auf diesen Fall kann ich Deinem Gedicht einigermaßen zustimmen. Aber mein Großvater ist z.B. ein neugieriger Mensch und interessiert sich für andere Menschen und anderes -zugegeben nicht mehr für alles.
Aber wann fängt Alt-sein an?
Wenn ich auf Dein Alter gucke, sehe ich, dass Du 64 Jahre alt bist. Empfindest Du Dich als alt? Kannst Du Dich mit Deinem LI identifizieren?
Wenn ja, würde ich das schade finden.
Zitat:
Da sich alles wiederholt,
Habe ich mein Ziel gelebt;
Das Wiederholen kommt doch meist, weil man sich selbst nicht auf den Weg begibt, etwas zu verändern, neue Wege zu gehen, etc. Es liegt doch im Großen und Ganzen an einem selbst, was man aus seinem Leben macht. (Schwere Krankheit u.a. stellst selbstredend eine Ausnahme dar. Doch das thematisiert das Gedicht aus meiner Sicht ja nicht.)
Und dann gefällt mir in diesem Zusammenhang die Anrede an das Lyrische Du nicht: Hier wird der Jugend eine Haltung vermittelt, die aussichtslos und depremierend ist...

Ich mag die zweite Strophe mal abgesehen von der depressiven Haltung, die ja sicherlich auch ihren Grund hat:
Zitat:
Alles war schon einmal da,
Was der Jugend so einmalig.
Alles, was ich einmal sah,
Wird jetzt trüber, fad und schalig.
Das Wort "schalig" gefällt mir z.B. ausgesprochen gut: "trüber, fad und schalig" ist eine tolle Aufzählung, die viele Bilder in mir entstehen lässt: Das Essen schmeckt nicht mehr so gut, der Körper baut ab,...
Ich sehe die Augen einer 80-jährigen, die diesen Schleier über den Augen hat,...

Und auch die Überschrift gefällt mir, drückt sie doch genau das aus, was das Gedicht transportiert.

Liebe Grüße
Encki
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Alt 09.03.2012, 11:46   #5
männlich Ex-DrKarg
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Dabei seit: 01/2012
Alter: 76
Beiträge: 3.139

Standard Re: Déjà vu

Liebe Encki,
vielen Dank für die ausführliche und recht nachdenkliche Kommentierung zu meinem Gedicht. Bei den Namensschildern ist nur gemeint, dass es dabei nicht um Titel und/oder Namen geht, wenn man nur bedenkt, wie viele Menschen jeden Tag sterben und so einfach "verschwunden" sind. Mir ging es bei diesem Gedicht vor allem um die Darstellung des unbedingten Fatalismus, welchen die unumkerhbare Zeit mit uns anstellt.
Herzliche Grüße R. R. Karg
Ex-DrKarg ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.03.2012, 14:44   #6
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.082

Zitat:
Bei den Namensschildern ist nur gemeint, dass es dabei nicht um Titel und/oder Namen geht, wenn man nur bedenkt, wie viele Menschen jeden Tag sterben und so einfach "verschwunden" sind.
Das kann ich nicht widersprochen lassen. Die Namensschilder verschwinden nicht, sondern man zahlt horrende Rechnungen dafür, daß ein Name in Erinnerung bleibt: auf dem Grabstein, in den Todesanzeigen der Presse, in den persönlichen Benachrichtigungen und später Danksagungen, in den "in memoriam"-Anzeigen, die erst jährlich, dann zwei-, fünf- und zehnjährlich erscheinen - ein Riesengeschäft. Eine "Memoriam"-Industrie (früher als "Personenkult" bezeichnet), die darauf angelegt ist, Menschen mit Minimalaufwand, aber unter hohen Kosten, unter die Erde bzw. ins Krematorium und dann unter die Erde zu befördern und auch später noch, wenn die Trauerarbeit eigentlich hätte geleistet sein müssen, Kapital mit "Memories" daraus zu schlagen. Als ob mir mein Hirn nicht ein besseres Erinnerungsalbum wäre als die örtliche Tageszeitung. Dieser "Industriezweig" ist inzwischen dermaßen aufgeblüht, daß der Beruf des Bestatters zum Lehrberuf gemacht wurde.

Und mit diesem Berufsbild wurden auch feste Regeln geschaffen. Mein Vater durfte nicht in seinem Lieblings-T-Shirt bestattet werden. Was sein durfte, konnten meine Mutter und ich als Hinterbliebene nicht bestimmen. Wir haben auch nie erfahren, was aus seinem Herzschrittmacher wurde, der ihm vor der Verbrennung abgenommen wurde. Vielleicht ist ein ander Patient jetzt damit selig.

Wir gaben meinen Vater ab wie einen ausgedienten Hund. Weil die Regeln so waren.

Brave New World. Die alte war mir lieber, die hatte noch Herz.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.03.2012, 10:49   #7
männlich Ex-DrKarg
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Dabei seit: 01/2012
Alter: 76
Beiträge: 3.139

Standard Re: Déjà vu

Liebe Ilka-Maria,
das ist es ja gerade, was ich mit meinem Gedicht ausdrücken wollte und das möglicherweise ein wenig untergegangen ist. Wenn man es mit den Toten wirklich ernst meint und sie ehren will, muss man die Regeln ändern - selbstverständlich! Ein Toter kann sich nicht mehr wehren - auch nicht gegen Vorschriften. Das können die Hinterbliebenen schon.
Gleichwohl möchte ich auch die zweite Dimension meines Gedichtes noch einmal betonten: Die Zeit bleibt der absolute Grenzpunkt, den niemand mehr wenden kann.
Herzliche Grüße R. R. Karg
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