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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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15.08.2016, 22:50 | #1 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Nänie
anlässlich der Resolution des Deutschen Bundestages imJahre 2016 zum Völkermord an den Armenienern vor 101 Jahren - überarbeitete Fassung
Nänie Fruchtverkündend schmücken Bäume sich mit Blütenschleiern ganz, Aphrodite gibt den Namen, leiht dem Monat Götterglanz. Tochter links, den Sohn zur Rechten, hoch in Hoffnung, hin zum Born klaren Wassers eilt die Mutter - düstre Wolken ziehn herauf. Fernes Grollen, fahle Blitze drängen sie zu schnellem Lauf. Ängstlich blökend flüchten Schafe vor des Himmels Zorn, Bäume biegen sich zum Boden, Regen peitscht die Kirschbaumblüten. Satans Flüche fernher gellen, übertönen Sturmes Wüten: Hekatomben schwarzer Stiere - spart sie euch, die Opferrinder! Höllenhunde werden hetzen Mann und Frau und Kinder! Bajonette schneiden fühllos Leben aus der Mutter Leib, Kolbenhiebe löschen grausam dunkler Kinderaugen Glut: Waren nur Armenierschweine und ein Christenweib! Grause Mordlust aufgepeitschter Türkenwut - rot Fontänen sprudeln - tausendfach Armenierblut. Nichts Weißes mehr - dunkle Schatten hindern des Mondes vollen Silberglanz, Khatchkare oben in den Bergen- blutbesudelt - ganz. Tränen der Steine gerinnen zu hartem Obsidian, ein schwarzes Leichentuch bedeckt mein Hayastan. Stumme Trauer lähmt das Land - nicht genügen vierzig Tage, Leid aus tief betrübten Augen zu verdrängen. Aprikosenhölzern weint die Duduk Wehmutsklage, ein Strom von Tränen quillt aus Komitas Gesängen. Der Masis hüllt sein Haupt in dichte Wolken. Nänie - Totenklage Aphrodite - Aprilis - = April (am 24. April 1915 begann der Genozid an den Armeniern, dem ca. 1,5 Mio Menschen zum Opfer fielen) Hekatomben= 100 Opfertiere Im April fehlte 1/5 des Mondes zur voll sichtbaren Scheibe Khatchkare- Kreuzsteine in Armenien Duduk- Holzblasinstrument mit dunklen Oboenton, aus Aprikosenholz gefertigt ("armenische Flöte") Komitas - berühmter armenischer Komponist Masis - der große Ararat (daneben ist der "Sis" - der kleine Ararat) hier landete der Bibel nach Noah mit seiner Arche |
16.08.2016, 12:12 | #2 |
R.I.P.
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Hallo, Festival -
Daß die Nänie eine Totenklage ist, wußte ich zur Not noch.
Schreibst Du ebenfalls in Distichen? Deine Totenklage geht sehr zu Herzen und ich finde diesen Text sehr intensiv, anklagend, mit schönen Wendungen Schreckliches schildernd geschrieben. Das hallt nach. (Lockt mich aber nicht, mich ebenfalls an Distichen zu versuchen). Bekümmerten Gruß von Thing |
16.08.2016, 15:11 | #3 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Nänie
Liebe Thing,
nein, keine Hexa-, keine Pentameter, sondern viele Trochäen und paar Daktylen. Die Strophenendung "ganz" kommt (absichtlich) zweimal vor und soll ganz vorsichtig an Goethes "Alles geben die Götter ihren Lieblingen ganz/alle Freuden, die unendlichen/alle Leiden die unendlichen - ganz". Der kürzeste Vers "Nichts Weißes mehr" (der nach meiner Theorie im Goldenen Schnitt liegt), soll die Sprachlosigkeit markieren, die angesichts des Grauens herrscht (und den Verlust der "Unschuld" ausdrücken). "...werden hetzen Mann und Frau und Kinder" ist ein Teilzitat aus einer Hitleransprache, in der er den gnadenlosen Einsatz auch von SS-Verbänden fordert, in dem auf Mann, Frau und Kinder keine Rücksicht genommen werden soll. Die Rede endet mit dem Satz (sinngemäß) "Wer spricht heute noch von den Mord an den Armeniern?" Des Satans Sprüche, die von fernher grollen - das sind sie (en passant soll auch in die Mitverantwortung des Deutschen Reiches in der Zeit des I. WK erinnert werden). Die "schönen Wendungen" bemerkst Du hoffentlich nur anfangs bei der Schilderung der Frühlingsidylle. Die Textteile über das Morden sind alle belegbar. Liebe Grüße, Heinz |