Nur ein Hund

[Ilka-Maria]

Jemand hatte den Hund vor dem Getränkeladen angebunden. Das Tier saß aufrecht, etwa eine Stunde lang, und beobachtete jeden Kunden, der dort ein und aus ging. Seinen Herrn oder seine Herrin musste der Hund verpasst haben, denn irgendwann wurde er müde, legte sich hin und bettete seine Schnauze auf die Läufe. So lag er noch, als Boris die Paletten einfuhr, bevor sein Marktleiter den Laden zu schließen gedachte.

"Da liegt seit drei Stunden ein Hund", meldete er ihm, der hinausging und ihn sich ansah. "Ein Rottweiler", stellte er fest und versuchte, sich dem Tier zu nähern. Doch der Hund setzte sich abrupt auf, fletschte die Zähne und knurrte ihn an. "Der steht auf der Liste der Kampfhunde. Ich rufe die Polizei."

Doch die Polizisten wussten auch keinen Rat, und als einer von ihnen die Pistole aus dem Halfter zog, stellte sich Boris dazwischen. "Ich kümmere mich um ihn."

Es war ein Wochenende, und an beiden Tagen, Samstag und Sonntag, regnete es Bindfäden. Boris stellte dem Hund jeden Mittag einen Napf mit Fressen vor die Schnauze, den dieser mit nässetriefendem Fell gierig leerte. Er warf ihm eine Kolter über, die auch seine Augen bedeckte, und rubbelte ihn trocken, was er sich, da er nichts sehen konnte, gefallen ließ.

Fressen schafft Vertrauen. Am Montag, als der Getränkemarkt um neun Uhr dreißig öffnete, band Boris den Rottweiler los und nahm ihn mit in den Laden. "Sitz!" Der Hund setzte sich gehorsam auf die Hinterläufe, offenbar hatte er eine Erziehung genossen. "Und was weiter?", fragte der Marktleiter. Boris zuckte die Schultern und nahm den Rottweiler nach Ladenschluss mit nach Hause. Dort sahen sich beide tief in die Augen, dunkelbraun und wasserblau. "Wie soll ich dich denn nennen? Welchen Namen hättest du gerne?" Sie gingen die Palette aller Namen durch, die einem Hund seines Kalibers würdig gewesen wären, und einigten sich auf Cäsar.

So kam Boris auf den Hund, und zwanzig Jahre später, nachdem er Cäsar im Schrebergarten eines Freundes begraben hatte, schwärmte er am Stammtisch noch immer: "Cäsar war das Beste in meinem Leben. Einmal hatte er mir sogar das Leben gerettet. Es war nachts, als er mich mit wildem Gekläff weckte und mir, als ich die Augen aufschlug, die Bettdecke wegzog. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, was ihn aufregte. Vage nahm ich Brandgeruch war, stürzte aus dem Bett und riss die Wohnungstür auf. Von unten stieg Qualm hoch, der mir beizend in die Nase zog. Ein Kabelbrand, wie sich später herausstellte."

Seine Kampfgefährten hingen an seinen Lippen. "Und weiter?"

"Noch eine Runde!", rief Boris dem Gastwirt zu, der sofort den Zapfhahn bediente. Was Boris Zeit gab, die Tränen zurückzuhalten, die ihm in die Augen zu schießen drohten. Er fasste sich schnell. "Die Feuerwehr kam, weiß der Teufel, wer sie mitten in der Nacht gerufen hatte. Mein Nachbar, ein Witwer, kam ins Krankenhaus, aber eine Woche später war er putzmunter wieder da."

"Da hatte er aber Glück."

"Das kann man wohl sagen, und er bedankte sich bei jedem im Haus für die Wachsamkeit. Für Cäsar brachte er jeden Dienstag eine Ration Tatar vorbei, das spielte sich seitdem so ein." Boris machte eine Pause. Sein Glas war wieder leer, als hätte er mit dem Bier seine Trauer weggetrunken. Er hob es dem Gastwirt hin, und der verstand und zapfte ein neues. "Cäsar war ein guter Hund", sagte Boris und ließ jetzt seinen Tränen freien Lauf. "Wer, um des Himmels Willen, bindet ein unschuldiges Tier auf einem Parkplatz fest?"