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Alt 31.08.2023, 15:15   #1
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Standard Ein Kampf zwischen Feuer und Eis

Ein Kampf zwischen Feuer und Eis

Auch nachdem ich das Auktionshaus an der Wiener Ringstraße betreten hatte, musste ich meine kalten Hände noch eine ganze Zeit lang in den Taschen meines warmen Wintermantels vergraben. Jetzt, in der letzten Novemberwoche, war doch tatsächlich Schnee vom Semmering herübergezogen und hatte sich in den Straßen der Metropole mit den braunen, vom eiskalten Wind umhergewirbelten Blättern zu einem unansehnlichen Matsch verbunden.

Dass ich nun im Foyer des hochherrschaftlichen Patrizierhauses meine Hände weiterhin versteckt hielt, hatte aber auch noch einen anderen Grund: In jeder meiner beiden Manteltaschen befanden sich die bemerkenswerten und wahrscheinlich wertvollen Pretiosen, derentwegen ich mich überhaupt erst auf den Weg hierher gemacht hatte. Es war ein seltsames Gefühl, die klammen Finger über die glatte Oberfläche der gläsernen Kugeln gleiten zu lassen, die ich vor ein paar Tagen beim Ausräumen der höchst verwunschenen Villa meiner Erbtante Luise im Waldviertel zufällig gefunden hatte. Ich meinte – und das konnte keine Täuschung sein – ihre so völlig unterschiedliche Ausstrahlung allein nur durch diese Berührung zu verspüren.

Nach einigen Minuten hielt ich es nicht länger aus – wahrscheinlich auch, weil meine linke Hand durch das Betasten des Ovals deutlich wärmer geworden war als meine rechte. Ich musste die knapp apfelgroßen Rundformen einfach hervorholen, um ihre wundersame Wirkung auch bei Licht betrachten zu können. Die Kugel aus der rechten Tasche hätte ich bei oberflächlicher Anschauung als konventionelle Schneekugel bezeichnet, wie man sie dutzendfach als Mitbringsel aus den verschiedensten Wintersportorten oder anderen Ausflugszielen mit nach Hause gebracht hatte. Sie beherbergte in ihrem Inneren eine winzige Winterlandschaft, die sich in ein Gestöber wirbelnder Schneeflocken verwandelte, wenn man sie mehrmals kräftig schüttelte. Doch haben Sie jemals eine Schneekugel in Händen gehalten, die tatsächlich Eiseskälte abzustrahlen schien? Meine rechte Hand war in der Manteltasche jedenfalls eher noch kälter geworden.

Ganz anders die linke: Fasziniert betrachtete ich das scheinbar einem Holzstoß nachempfundene Objekt, das von der glatt gerundeten und durchsichtigen Form umschlossen wurde. Ich schwenkte sie lediglich sanft ein wenig hin und her, doch schon verbreitete sich das kaum mit Worten zu beschreibende Farbenspiel eines Kaminfeuers aus Rot, Orange und Gelb sowie unzähligen Zwischentönen darin – und auf der Oberfläche die dazugehörige Temperatur. Gerade als die Wärme dieser Kugel fast schon unangenehm zu werden drohte, trat der Auktionator durch eine in der Seitenwand der Eingangshalle befindlichen Tür an mich heran. Besser konnte es nicht sein – mit ihm hatte ich mich schließlich wegen dieser Wunderkugeln verabredet.

„Gehn’s, des sind doch net etwa die Stücke, für die man sie im ersten Anschaun halten könnte?“ fragte er gleich, ohne mich förmlich zu begrüßen. Ich sagte wahrheitsgemäß nur, dass ich nicht wirklich etwas über ihre Herkunft wusste. „Kenn‘ Sie net die wundersamen Eis- und Feuerkugeln, die vor Jahrzehnten aus dem Kunsthistorischen Museum verschwunden sind?“ fragte er nun – und diesmal schüttelte ich nicht die Kugeln, sondern durchaus etwas beunruhigt meinen Kopf. „Großfürstin Olga soll sie 1917 nach Wien gebracht haben, als sie als eine der ganz wenigen Verbliebenen der Zarenfamilie den Wirren der Oktoberrevolution entkommen war“, berichtete er weiter. „Jetzt sagen Sie bloß noch, dass sie Fabergé für die Romanows entworfen und gefertigt hat“, wagte ich mit angedeutetem Spott einzuwerfen.

„Das nicht“, sagte der Auktionator mit plötzlich deutlich leiserer Stimme. „Stattdessen liest man aber immer wieder mal, dass ein gewisser Rasputin sie aus Sibirien nach St. Petersburg mitgebracht mitgebracht hätte – aber das sind halt diese alten Gschichten, die heute keiner mehr nachprüfen kann.“
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