Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 21.07.2016, 19:22   #1
männlich andaristan
 
Dabei seit: 07/2015
Ort: Aschbach-Markt, wo alle Säufer der Welt einst geboren wurden und wohin sie auch wieder zurückkehren.
Alter: 28
Beiträge: 351


Standard Das Tagebuch von Kveldulf Sturmbrüller

21.07.16
Tagebuch von Kveldulf Sturmbrüller
Prolog

Kveldulf Sturmbrüller war von Kindheit an hinsichtlich seines Auftretens und Verhaltens sonderbar. Nur wenige Leute haben ihn je bemerkt, wenige Leute kennen die Eigenheiten seines vielschichtigen Wesens und selbst jene, die sich viele Jahre mit Kveldulf auseinandergesetzt haben, halten ihn immer wieder für eine Überraschung gut. Nicht einmal Kveldulf selbst ist es jemals gelungen, sich vollends zu durchschauen und nichts hat ihn je inniger beschäftigt, als seine eigene Natur. In letzter Zeit ist er sogar noch seltsamer geworden, er werde verrückt, sagt man. Ruhelos sei er und immer von zwielichtigen Gestalten umgeben, getrieben von Geistern und Traumbildern. Dabei sind es nur Gefühle und Ängste, die Kveldulf seinen Frieden verwehren. Des Nachts, wenn die Sonne schon untergegangen ist, verspürt er so viele Kräfte in sich, Kräfte, die in ihm beben und brodeln, Kräfte, die ihm eine unaussprechliche Macht verleihen, die ihn heulen und zittern machen. Ist es der Segen einer dunklen Gottheit? Oder hat ein böses Hexenweib seinen armen Verstand mit einem Bannspruch belegt? Was es auch sei, es weckt in unserem Kveldulf die Sehnsucht nach Zerstörung, Zerstörung und Erneuerung. Schon die Sagas unserer Vorväter berichten von Männern, die sich des Nachts bewegen, verhalten und gebärden, als seien sie mehr Tier als Mensch. Man nannte sie „die Berserker“. Gewaltige Krieger sollen sie gewesen sein, die sich, von Pilzen und vergorenen Getränken berauscht, in den Kampf stürzten. Odins Lieblinge sollen sie gewesen sein und Odin selbst war es, der sie in Raserei versetzte. Aus diesen und weiteren Gründen gab Kveldulf sich seinen Namen, der so viel wie „Abendwolf“ bedeutet.
Doch warum hören wir erst jetzt von Kveldulf, warum tritt er erst jetzt auf, wo er bereits das Mannesalter erreicht hat? Warum kennen wir keine Geschichten über Kveldulf? Nun ja, es verhält sich nun einmal so, dass Kveldulf seine Geschichten selbst schreibt, er hat keine Skalden, die seinen Ruf in weite Länder tragen, denn schließlich ist er ja selbst ein Skalde. Schon einmal bezeichnete ihn so eine zwielichtige Gestalt, mit der er sich des Öfteren umgibt, als „Mousagetes“, den Musenführer, denn ihr müsst wissen, unser Kveldulf ist auch ein großer Künstler. Er kann zwar weder singen, noch versteht er etwas von Lauten oder Trommeln, nein, er ist auch kein Schmied, wie der große Wieland. Kveldulf ist ein Zauberer, möchte man meinen. In gewisser Hinsicht ist er das wirklich, er versteht sich nämlich darauf, den Menschen ins Herz zu blicken und ihren Sinn zu verzaubern, mit der Kraft von Worten. Und diese Kraft kann ebenso zerstörerisch sein, wie der Arm eines Riesen, doch nutzt Kveldulf jene Kraft zumeist um, wie sagt man, die Mädchen zu umwerben.



Wisst ihr was? Ich erzähle euch jetzt eine Geschichte über Kveldulf. Ihr müsst wissen, Kveldulf ist gewissermaßen ein leidenschaftlicher Trinker und als solcher ist er bekannt. Damals hatte er kaum seinen achtzehnten Winter durchlebt, wurde ihm dies zum Verhängnis. Denn eines Tages, als er sich in der Taverne „Zum buckligen Mundschenk“ am Herdfeuer wärmte und würzigen Wintermet schlürfte, kam ein seltsamer Greis auf ihn zu. Dieser Greis erschien Kveldulf äußerst unterhaltsam und bald erfreute er sich an seiner Gesellschaft. Neben zahlreichen spöttischen Bemerkungen erwähnte der Greis bald, dass er auch seine liebreizende Tochter mitgebracht habe. Doch als Kveldulf ein Auge auf sie warf, musste er feststellen, dass es sich hier weniger um eine „minnigliche Maid“ handelte, sondern vielmehr um ein „Walross“, ein „ nettes Walross“. Und es war äußerst nett zu Kveldulf, offenbar zu nett. Und was für einen Grund sollte ein Walross schon haben, zu später Stunde so unerträglich nett zu einem Mann wie Kveldulf zu sein? „Mir ist so kalt“, sprach das Walross. „Warum ist mir nur so kalt? Weißt Du was? Du könntest mich heute in meiner Höhle besuchen, bis mir wieder warm ist.“ Der Gedanke war Kveldulf zuwider, denn der Greis und sein Walross rochen so fürchterlich nach Fisch. Doch er war zu betrunken, um noch einen freien Willen zu haben, wie das so oft der Fall war, also gingen Kveldulf und das Walross zu jener Höhle. Und das ist die Geschichte, wie Kveldulf neben einem Walross aufwachte.
Dabei hat Kveldulfs Leben so viel mehr an reizvollen Geschichten zu bieten. Wer kann sich nicht daran erinnern, wie Kveldulf des Morgens auf einem Heuhaufen jenseits der Grenzen von Midgard erwachte und von dem Buhlen des Stallmädchens in heimische Gefilde begleitet wurde? Wer sprach nicht darüber, als Kveldulf Sturmbrüller vor Trunkenheit sein Stiefelwerk in den Bach geworfen hat, wer lacht nicht über den Kveldulf, der nach einer durchzechten Nacht auf die Fresse gefallen ist? Wer kennt nicht den Kveldulf, der seine große Liebe unter Tränen angefleht hat, ihr nachgelaufen ist wie ein winselnder Hund, den Kveldulf, der sich mit seinem eigenen Vater geprügelt hat, der immer die alten Zeiten beweint, wenn er sich selbst auf dem Grund eines Methumpens wieder gefunden hat?
Wisst ihr, die Kinder mögen Kveldulf, weil er so viele lustige Geschichten über sich selbst zu erzählen weiß, denn er kann ja durchaus unterhaltsam sein, wenn man mit ihm auf Wanderschaft ist, und er ist ein leidenschaftlicher Wanderer, ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler.
Doch all dies Gerede trübt mir den Sinn. Kveldulf ist kein schlechter Mensch. Um ehrlich zu sein, ich habe auf meinen weiten Fahrten nie jemanden getroffen, der so ein reines Herz hat wie Kveldulf. Er ist ein treuer Bursche, nicht nur seinen Freunden und Verwandten gegenüber, sondern auch seiner Heimat und den Leuten darin. Er hat Mut und scheut sich nicht vor den Meinungen seiner Spötter. Er kennt Barmherzigkeit und Liebe und trägt in seiner Brust eine Leidenschaft, dass er die Menschen davon überzeugt, ihm zu folgen, an seiner Seite zu kämpfen, aus freiem Willen. Ich möchte sagen, er hat den Sinn und das Antlitz eines Helden.


Nun, ich hoffe, ihr könnt jetzt verstehen, weshalb von Kveldulf noch keine Taten zu uns gedrungen sind, die einer Ode wert sind, denn er hat wenig getan, worauf man stolz sein könnte, wie diese Anekdoten vor Augen führen. Weshalb Kveldulf gerade jetzt in unseren Erzählungen auftaucht, gerade jetzt, am Wendepunkt des Geschehens? Weil er zu oft in seinem Leben mit seinem Schicksal gehadert hat, zu oft haben seine vielen Kräfte ihm die falsche Richtung gewiesen, zu oft musste er umkehren, zu oft musste er zögern. Er hat beschlossen, sich zu ändern, wie doch alles sich ändern muss, er will nun seinen ureigenen Weg finden und wer will´s ihm verübeln?
andaristan ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Das Tagebuch von Kveldulf Sturmbrüller



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Das Tagebuch des S. Schmuddelkind Kolumnen, Briefe und Tageseinträge 19 06.11.2018 12:24
Tagebuch Gylon Sonstiges Gedichte und Experimentelles 8 31.12.2015 12:27
Tagebuch anna amalia Gefühlte Momente und Emotionen 2 30.03.2014 10:17
Aus dem Tagebuch AndereDimension Gefühlte Momente und Emotionen 6 29.08.2013 14:11
Tagebuch Lady Chaos Düstere Welten und Abgründiges 0 18.07.2008 13:23


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.