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Alt 14.09.2006, 22:08   #1
Coldeyes
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 16


Standard Das letzte Bild

Als ich das Zimmer betrat, war sie schon fort.
Dieser Abend war kälter als sonst, und die Lichter der Stadt legten das Atelier in ein verhängnisvolles Halbdunkel.
Durch die großen Fenster konnte man dem Schnee zuschauen, wie er leise auf die Dächer der Großstadt fiel. Ich hatte nie etwas für Menschenmassen übrig. Nur für sie zog ich damals hierin.
Sie mochte es, stundenlang durch diese Fenster zu blicken und den Menschenpuppen mehrere Stockwerke tiefer zu zuschauen. Ihre Augen glänzten dann immer auf so wundersame Weise. Ich habe es gemocht.
Doch diesmal saß sie nicht am Fenster. In meinem Herzen begriff ich, daß sie es nie wieder tun würde. Damals liebte sie es in diesen Räumen zu tanzen und sie mit Leben zu erfüllen, doch nun blieben nur noch Schatten an der Wand. Das Atelier war leer geräumt worden. Ich fühlte mich bei dem Anblick der kargen Mauern kalt und verlassen. Mehr noch, ich fühlte, daß mit ihr auch ein Teil von mir im Dunkeln verschwand. Nur ein Bild war mir geblieben. Vergessen in einer Ecke lag es da, ihr letztes Werk bevor sie ging. Unvollkommen ließ sie es zurück, genauso wie mich. Mit den Fingern fuhr ich die Linien nach, Strich für Strich, wollte ihr wieder näher kommen. Mit jeder Linie, jedem Strich, schlichen sich Fetzen vergangener Tage zurück, füllten meine Seele mit bittersüßem Schmerz. Erinnerungen an herbstliche Nachmittage am See, Spaziergänge im Park, Mondnächte mit ihr, und unseren ersten Kuß.
Es war zu jener Zeit so unbeschreiblich gewesen. Feuer brannten zwischen uns, und die Welt schien still zu stehen. Ich konnte damals nicht begreifen was geschah, war zu gebannt auf dieses Gefühl, ließ mich fallen in ein Meer aus Verlangen und Sehnsucht, kaum daß der erste Kuß verging.
In meinem Kopf traten nun im Zwielicht der Großstadt auch diese Gedanken wieder zum Vorschein. Sie umrankten mein Herz und zerdrückten es still und heimlich.
Ich fühlte ihre Rosenlippen auf meinen, schmeckte das Salz ihrer Haut und blickte im Geiste noch einmal in ihre Augen. Blaugrüne Saphire blickten mich an, trugen mich in Höhen, die keine Schwingen erreichten. Sie gaben mir Trost, als kein Wort mehr half und nur ihre Tränen vermochten meinen Schmerz zu heilen. Doch hier im Schatten der Nacht war ich nun alleine ohne sie.
Was mir blieb war die vage Erinnerung, mehr nicht. Wie schnell erlosch ihr Gesicht in meinen Gedanken, wie schnell doch vergaß ich, was ich immer halten wollte.
Die Linien auf der Leinwand setzten sich zusammen und in Gedanken vollendete ich, was sie begann.
Vor mir offenbarte sich ihr Antlitz.
Sie hatte sich selbst gemalt, eingebettet in ein Rosenmeer, als hätte sie gewußt, daß sie bald fort wäre. Ich streichelte ihre Wangen, fuhr über ihre Stirn und küßte sie auf ihren kalten leblosen Mund. Ich flüsterte leise die Worte der Reue an ihr gemaltes Ohr und wartete schweigend und gebannt auf ihre Antwort. Doch ihr Mund blieb stumm, öffnete sich nicht. So blieb mir nur ein Bild, als letztes Zeugnis meiner Liebe.
Weinend brach ich zusammen und schlief an ihrem Gemälde ein.
Am nächsten Tag kaufte ich Rosen, ihre liebsten Blumen.

Ich legte sie zu Füßen des Engels, der über meiner Liebsten Grab wachte.

Der Abschied fiel schwer.
Coldeyes ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.09.2006, 12:53   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Sorry, versehentlicher Doppelpost!
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.09.2006, 12:53   #3
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Eine sehr schöne Sprache, sehr elegant ausgedrückt. Das gefällt mir besonders an dieser Geschichte.
Das hält sie interessant, obwohl sie inhaltlich vorhersehbar ist. Ich wusste schon recht schnell, dass diese Frau nicht mehr lebt. Darum sind auch die letzten Sätze keine Überraschung, sondern nur - wie ich meine - sinnfreie Ergänzung. Ebenso die Bemerkung, dass der Abschied schwerfiel - das merkt man auch so, an der sehr schönen Beschreibung des Moments im Atelier.

Ich würde die letzten drei Sätze weglassen, denn ab hier gibt es plötzlich einen Zeitsprung und Zeitraffer, der nicht in eine Kurzgeschichte passt.
Zitat:
Weinend brach ich zusammen und schlief an ihrem Gemälde ein.
Am nächsten Tag kaufte ich Rosen, ihre liebsten Blumen.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
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