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Alt 09.01.2007, 23:35   #1
Inti
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 17


Standard Wie ich mir fast mein Leben versaut habe...

Wie ich mir fast mein Leben versaut habe, es mir jedoch anders überlegte, was dann aber auch egal war...

„Ai lof you bäiibe, lalalalalalalaa, dudududu…äh…bäiibe lalalalalalalaa pröddy bäiibe“… Seit geraumer Zeit versuche ich Phillip zu erklären, welcher Song mir vor gefühlten zwei Stunden so elendig auf die Eier ging, doch er will es nicht kapieren. Stattdessen lässt er den goldgelben Inhalt seines Glases erneut schnurstracks Richtung Peristaltik rauschen, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich frage mich immer wie der Junge das schafft. Zwölf mal hintereinander. Ohne zu schlucken, zu rülpsen, zu kleckern und vor allem ohne zu pissen! Mir drückt mittlerweile nach jedem Absetzen die Blase und ich verziehe mich wortlos in den Keller des ehrenwerten Etablissements, welches mir jeden zu Ende gehenden Tag in der Woche Trost spendet bis zum Morgengrauen.
Beim Pinkeln sinniere ich über ein Erlebnis vor zwei Wochen. Die Kellnerin und ihr Rausschmeißer oder Chef oder was weiß ich, jedenfalls ein ziemlich stämmiger Jungbulle, sahen sich gezwungen, mich an den Füßen hinauszuschleifen. Und ich lag auf dem Bauch! Danke schön, so bin ich wohl wenigstens nicht an meiner eigenen Kotze erstickt, dafür sieht meine Fresse immer noch aus, wie frisch vom Rasenmäher gefickt. Phillip interessierte das alles gar nicht, der stieg wortlos auf sein Fahrrad und radelte dem Sonnenaufgang entgegen, während ich mich mühsam auf die Beine stellte. Ich muss dann irgendwie die Nürnberger runter, hab' dabei sicherlich 'n paar von den Struller-Studenten erschreckt, die sich um sechs Uhr morgens grade ihr Hirsemüsli mit Dickmilch angerührt am Fenster stehend oral eingeführt haben, traf dann auf den Johannisplatz und hab' dann mehr oder weniger straight den Augustusplatz angepeilt. Zumindest erwachte ich dort im Getöse und Getümmel der Termingeplagten. Erstmal erbrach ich meinen durch Bier, Pfeffi und Magensaft angedauten Vortags-Döner vor die Füße einer milde dreinblickenden Trudel-Oma und ließ es mir nicht nehmen, der Lache anschließend mit Urin noch eine freundlichere Farbe zu geben, machte dann aber, dass ich schnell der allgemeinen Aufmerksamkeit entkam, die wohl nicht zuletzt mein zerschrotetes Gesicht erregte und flüchtete quer über den Platz Richtung Campus, unterbrochen nur von einem erneuten Brechreiz, der sich an einem der komischen klohäuschenhaften Parkhausausgänge ungehemmt Erleichterung verschaffte. Puh, jetzt reicht's aber auch mal langsam, meldete sich mein rudimentäres Über-Ich und ich betrat gemessenen Schrittes das Seminargebäude. Vorm Klo lungerten schon wieder Tippelbrüder rum und tauschten sich über die Nichtigkeiten ihres ereignislosen Lebens aus bzw. schimpften über die Frau, die sie schon vor zwanzig Jahren verlassen hatte und am Suff schuld ist…blablablabla. Mein Eintreten musste sie wohl sehr erschreckt haben, denn sie senkten Blicke und Stimme. Während ich die Spuren der Odyssee von meinem Gesicht beseitigte, flammten in meinem Kopf wieder seltsame Reflexionen darüber auf, dass man zu Hause immer „Badezimmer“ sagt, obwohl man dort ständig pisst und scheißt und was weiß ich immer treibt und öffentliche Einrichtungen solcherart, die heißen „Klo“, obwohl man sich dort auch nur mal schnell erfrischen und waschen kann, so wie ich das jetzt tat, denn entleert war ich ja schon. Die Reinigung ließ sich natürlich nicht ohne Schmerzen durchführen und vor Frustration und sich daraus bekanntlicherweise ergebender Aggression riss ich den beschmierten Ille-Papiertuchspender von der Wand. Oh, das war jetzt bestimmt doch 'n bissel laut und so tupfte ich weiter mit der gebotenen Vorsicht meine halbwegs gesäuberten Hautabschürfungen ab und stellte fest, dass ich nun wieder aussah, wie ein ganz normaler Student, der vielleicht mit dem Fahrrad vor die Tram gekommen ist, aber dem es sonst gut geht, der Erfolg, Freunde, ne coole Ikea-Bude, regelmäßigen Sex mit intellektuell angemessenen Partnerinnen, Prüfungsängste, kulturelles Kapital, 'nen Bibliotheksausweis, fehlende Scheine, Lieblingsdozenten, Schimmel in der Wohnung, eine ausgesuchte Indie-CD- oder besser Plattensammlung hat, gern Hesse und Schätzing liest, GEZ bezahlt, obwohl er doch nur 3Sat und Arte guckt, gut vielleicht mal ne Folge Marienhof oder Lotta in Love, aber nur so, zum Abschalten nach dem Lernen, im Sommer den Clara-Park überschwemmt, coole Gruppensportarten, wie Frisbee oder Bolzen spielt, den letzten Almodóvar total klasse fand und „Der Untergang“ gar nicht soo schlecht, schon mehrmals im Bildermuseum war, mit zwei kaputten aber irgendwie lieben Typen in der 90m2 Bude in der Südvorstadt wohnt, oder in Lindenau, Reudnitz, Gohlis, jedenfalls mit kultigen Kneipen um die Ecke, wo er abends noch 'nen Caipi oder 'n frisch Gezapftes schlürft, aber nicht zuviel, denn morgen ist Latein, oder Spanisch, oder Pädagogik oder Methodik oder Kotzologik oder Fickologik… Ach scheiße! „Fickt euch doch alle, ihr softigen Pissnelken“, grimmte ich in die nach Urinstein und Kot müffelnde Luft und verließ die Toilette.
„Ey mein Süßer, hältst du deinen Lümmel gern in die Luft, oder bist du schüchtern?“ dringt eine Stimme, unterlegt mit penetrantem Fäulnis-Geruch an mein Ohr. Ich muss ein bisschen lange mit runtergelassener Hose vorm Pissbecken gestanden haben, der Suff macht auch Gedanken langsam und träge. Einer von den Stammgästen dieser schönen Schenke sucht wohl noch was Passendes für die Nacht. Ich empfehle ihm seine dreckige Hand, was der Typ erst nach Sekunden begreift und mit alkohol- und nikotingetränkten Lauten gurgelnd lachend quittiert und sich schwankend, die eine Hand erhoben, die andere am Reisverschluss nestelnd, nähert, doch glücklicherweise bin ich noch zu einem Ausweichmanöver in der Lage und flüchte, ohne mir die Hände gewaschen zu haben, nach oben. War das jetzt ein Blick in die Zukunft? Werde auch ich eines Tages schnuckeligen Studenten mit meiner Alkoholikervisage schöne Augen machen? Ich taumele unwillkürlich und komme auf einem abgewetzten Stuhl neben dem Billardtisch, der so verranzt ist, dass nicht einmal das Klientel hier ihn benutzt, zum sitzen. Eine Drehung nach links verrät mir, dass Philipp wieder mal verschwunden ist. Offensichtlich erträgt nicht einmal er mehr meine trostlose Gestalt, die nur allzu offensichtlich von mangelndem Selbstbewusstsein und fehlendem Esprit, ja so hat er mir das mal gesagt, aber ich hab es wohl nicht richtig wahrgenommen oder verdrängt, so wie meinen ganzen Abstieg, gezeichnet ist. Meine Fresse, ich hatte das drittbeste Abi im Jahrgang, war für ein Stipendium vorgeschlagen und hab' mit Elan mein Studium an der ehrwürdigen Alma Mater Lipsiensis begonnen, eine Wohnung mit Julia, meiner großen Liebe, der ersten, wir haben unser ganzes Leben aufeinander ausgerichtet, studieren, leben, lieben, Stunden in der Bibliothek, bis ich das bekackte Regensburger System begriffen hatte, das erste Referat, guter Start Herr Malten, ich sehe da viel in ihnen, mein erster Schein, neue Freunde, Grillen im Park, Austauschen von Musik, angeregte Diskussionen in der Cafeteria, Wut über diesen und jenen Dozenten oder Kommilitonen, der prinzipiell nur Scheiße labert, gute Partys im Studentenclub, Bier 1,20€, danach 'nen Pfeffi, bäh Teufelszeug, na’ komm schon, noch einen, Anmeldung zur Zwischenprüfung, Geschichte und KuWi auf einmal, ja das pack’ ich schon, nebenbei noch Spanisch und Polnisch, man kann ja nie genug wissen, den fehlenden Journalistik-Schein, den mache ich jetzt auch schon, dann hab' ich nächstes Semester genug Zeit mich für die letzte Prüfung vorzubereiten, das wird viel zu lesen, schon 25 Bücher auf dem Tisch, genuesischer Seehandel, Siebenjähriger Krieg, deutsche Reichsgründung 1871, Kant'sche Erkenntnisphilosophie und polnischer Nationalismus nach dem Wiener Kongress, ich saß stundenlang, versuchte zu ordnen, zu konkretisieren und einzuprägen, Julia maulte, ich würde sie vernachlässigen, aber komm Schatz, ich will doch 'ne gute Note bekommen, was sagen denn sonst die Eltern und außerdem erwartet Prof. Krahlhoff von mir gute Leistungen, was meinste, wie der mich sonst anguckt und die Frau Priesmann in Kulturphilosophie, außerdem sind Verständnis und Toleranz die Atemluft einer Partnerschaft, ich forderte viel von Julia, sie kochte, putzte, kaufte ein und musste ja nebenbei auch noch studieren, wir stritten uns immer häufiger, ich konnte mich beim Lernen kaum noch konzentrieren, verfluchte sie, dass sie mir mit den Vorwürfen den Kopf belastete und ich mir den ganzen anderen Scheiß nicht merken konnte, ich meine, es geht doch nicht anders, geht das nicht in deine Birne, ich tu das doch auch für dich, ich meine, heutzutage werden nur die Besten genommen, ich steigerte mich in einen Leistungswahn, der es Julia schließlich immer schwerer machte, zu mir zu halten, wir redeten kaum noch, Sex passiert höchstens im Handbetrieb auf dem Klo, was sie machte wurde mir egal, kompensatorisch wurde gesoffen, bei jeder Gelegenheit, es gab mich nur noch lallend oder brütend, ich schnauzte Julia an, wenn sie mir das Essen brachte, wenn sie mich ans Telefon holte, weil meine Mutter dran war, wenn ihr die Einkaufstasche riss. Dann vor drei Monaten der Ausbruch, Julia saß von Weinkrämpfen geschüttelt in der Küche, das Essen war ihr angebrannt, ich schrie und tobte, ob sie mich fertigmachen will, ich dachte ich kann mich auf dich verlassen, du kannst nichts, du bist nichts, sie sprang auf und trommelte mit ihren Fäusten auf mich ein, ich war wie gelähmt, so kannte ich sie nicht, alles brach aus ihr heraus, ich riss sie von mir und stieß sie auf die Couch, nahm Schlüssel und Schuhe und war aus der Tür. Im Vollsuff lernte ich dann Phillip kennen, vielleicht tat ich ihm leid, weil ich heulte und ganz allein war, er gab mir noch was aus, ich erzählte, er hörte zu, beschimpfte mich, wieso ich solche Scheiße gemacht habe, doch das kam alles nicht mehr bei mir an, es rauschte durch die Gehörgänge und prallte an meinem festgefahrenen Gehirn ab, ich soff jeden Abend, ob mit oder ohne Philipp. Julia war fort, vielleicht zu ihren Eltern oder die Schlampe hatte die ganze Zeit einen anderen, redete ich mir ein und begriff ihre Flucht als großes Glück für mich, Freiheit, Unabhängigkeit, Sorglosigkeit, ich ging immer seltener nach Hause, ach genug gelernt, die Mahn-Mails der Bibliothek müssen mein Postfach völlig verstopft haben, ich pennte meistens irgendwo auf 'ner Bank oder im Park meinen Rausch aus, bis mich jemand entdeckte und ich aufgeschreckt davonstackste. Die Prüfung hab' ich natürlich gründlich versaut, ich war nicht mehr in der Lage einen vernünftigen Satz zu formulieren und stank wie zwölf abgefüllte Russen, Prof. Krahlhoff schaute mich entgeistert an und faselte was von einer zweiten Chance in einer Woche, die war wohl längst vorbei, die zweite Chance, die nur einmal kommt, hatte Philipp gesagt und ich verstand ihn nicht, ich verstehe ihn sowieso nicht, er hat sich unter Kontrolle, kein perfekter Student, aber er weiß, was wichtig ist, vielmehr weiß ich auch nicht über ihn, wir trinken meist nur Bier und ich labere ihn zu, so wie vorhin, das Scheiß-Lied fällt mir immer noch nicht ein, dududududuuu...lalaaaalaa, kacke, egal, ich rufe noch einmal das Bild von dem stinkenden Typen auf dem Klo in meine Erinnerung, das kann es nicht sein, das wird es nicht sein, tschaka, du schaffst es, ich erhebe mich langsam und bewusst, das Blut rauscht in meinen Ohren wie die kaputte Klospülung unten, aber ich habe ein Ziel: Die Tür.
Leise höre ich Filmmusik, zarte Streicher, die sich steigern und meinen Ausgang aus der schlechten Welt untermalen, in ein Crescendo münden, das signalisiert: ja, er war abgekommen, doch nun hat er Einsicht gewonnen, weiß was er tun muss, er wird Julia anrufen, oder nein, erst die Bude putzen, duschen, kämmen, dann Julia anrufen, am besten zu ihr fahren, scheiße, gibt's jetzt keine Bahnkarten, gut, das wird morgen gemacht, um halb acht stehe ich auf der Matte, mit Prof. Krahlhoff kann ich ja noch mal reden, vielleicht auch mit Frau Priesmann, vielleicht gibt's da ein Attest, Überarbeitung oder psychischer Kollaps, ja, das wird es schon geben, ich finde es raus, das Crescendo wird bombastisch, die Sonne steigt aus dem Dunst der Nacht heraus, die Stadt liegt still, wie verlassen, nur ich und die Vögel, eine Pauke, Chöre singen, sie singen so laut, dass ich das Splittern meiner Knochen nicht höre, als die Tram meinen Körper überrollt.
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Alt 10.01.2007, 00:13   #2
Sateb Deis Rhi
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Dabei seit: 12/2006
Beiträge: 327


Ist wohl keine Fortsetzungsgeschichte?

Gut zu lesen, einige Sätze wirken aber leider den einen oder anderen Einschub zu lang, dass die Pointe versackt. Ich kenne das Problem...

Abgesehen davon verurteile ich dich dazu, in Zukunft Absätze nicht mehr zu diskriminieren!

Ach, und noch etwas, das charakterisierte (autobiographisch angefärbte?) Klischee, das das lyr. Ich zur Schau stellt, ist für meinen Geschmack ein klein Bisschen zu überzeichnet; ich weiß der angestrebte Humorfaktor des Textes bedingt dies sicher, aber irgendwie... naja, ein Tick weniger...
wäre vielleicht etwas weniger aufdringlich rübergekommen...

Trotzdem, der Text ist auf einem recht hohen Niveau anzusiedeln.
Sateb Deis Rhi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.01.2007, 00:22   #3
Inti
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 17


Standard danke für die blumen

ja, es freut mich ,dass es erstmal gut ankommt.

also die geschichte ist im rahmen eines schreibwettbewerbes der uni leipzig enstanden, also nicht mehr taufrisch aber ich wollte erstmal was posten, womit ich (fast) vollkommen zufrieden bin.
der elliptische, bzw. ellenlange satzcharakter des textes rührt zum einen aus meiner absicht, eine gewisse atemlosigkeit in die geschichte zu bringen und zum anderen aus der fehlenden überarbeitung ich hab mir den text jetzt gut nen monat nicht nochmal vorgenommen und würde dann sicher auch einiges besser gliedern

vermutungen, die das autobiographische betreffen, sind wohl müßig. ich lebe in leipzig, studiere und trinke auch mal übern durst.hoho
dass das ganze arg überzeichnet ist, liegt eben am gerafften charakter und der gute "held" soll doch möglichst tragisch wirken, wo er sich doch solche mühe gegeben hat...

aber danke fürs feedback

grüße
Inti ist offline   Mit Zitat antworten
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