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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 20.06.2023, 12:25   #1
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.104

Standard Gemahl wird dir der bleiche Tod ...

Wozu das Grübeln um den Tod?
Es kommt der Tag, da übernimmt
er, was vom Leben übrig ist:
Wenn du nicht mehr verlangst nach Brot,
dir keins der alten Lieder stimmt,
du alle Farbigkeit vergisst
und tief, ganz tief nur müde bist.

Er kommt, hält sanft dich an der Hand
und breitet seine Karte aus,
gezeichnet in die letzte Welt
zeigt er den Weg ins Friedensland,
der führt zu deinem ewig Haus,
das deine Seele schützt und hält,
von Anbeginn für dich bestellt.

Es wird ein leichter Gang dorthin,
fern jeder Schwere, jeder Not,
beschwingt, als sei es nur ein Tanz,
entschwebst du jedem Erdensinn.
Gemahl wird dir der bleiche Tod,
er zieht als letzter die Bilanz,
streicht Schatten und streut Sternenglanz.

20.06.2023
__________________

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Alt 10.07.2023, 21:26   #2
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Liebe Ilka-Maria,
wieso habe ich dieses Gedicht nicht schon eher wahrgenommen.
Der Vers in der letzten Strophe zeigt mir, dass man den "Totentanz" (Danse macabre) nicht als schrecklich empfinden muss,
Der beeindruckenste Vers ist für mich "Gemahl wird dir der bleiche Tod".
Unabhängig von Form und Inhalt hast Du hier einen genialischen Vers geschaffen. Allein dafür erntest Du bei mir einen Lorbeerkranz.
Mir summt der Vers im Kopf herum - Gemahl ist dir der bleiche Tod! Und er, der Tod, verliert seine Schrecken.
Superb!
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.07.2023, 11:10   #3
männlich Erhard Gratz
 
Benutzerbild von Erhard Gratz
 
Dabei seit: 11/2022
Ort: Lüneburger Heide
Alter: 90
Beiträge: 160

Sehr schön geschrieben, Ilka, und sehr kunstvoll gereimt. Aber der Schrecken liegt nicht im Tod, sondern im Sterben. Ob ich mir einen schönen Tod wünschen soll, weiß ich nicht, aber ich wünsche mir ein qualfreies Sterben.

Gruß, Erhard
Erhard Gratz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.07.2023, 12:13   #4
männlich dunkler Traum
 
Benutzerbild von dunkler Traum
 
Dabei seit: 02/2021
Ort: mit beiden Beinen in den Wolken
Alter: 60
Beiträge: 1.615

... ups, fein wieder hochgeholt. Die Zeilen machen es leicht, feine Tröstung, gefällt mir.

beaux rêves
dT
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Alt 11.07.2023, 16:24   #5
weiblich Ilka-Maria
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Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.104

Ihr Lieben,

entschuldigt, dass ich so spät reagiere. Heute ist mein Tag der Steuererklärung. Ich dachte, bei der Hitze (über 30 Grad) kommt es auf ein bisserl mehr Schwitzen nicht mehr an, und wenigstens lässt die Sonne das Gemüt nicht in Betrübnis versinken.

Habt alle drei Dank für das dicke Lob. Es freut mich immer, wenn ich mit der Sorgfalt, die ich auf meine Texte verwende, den Lesern eine Freude bereiten kann. Einwände sind natürlich immer diskussionswürdig. Was Erhard beisteuert, wünscht sich wohl jeder, denn das Erleben des Sterbens ist oft - vielleicht meistens - von Romantik weit entfernt. Aber wenn ich so nüchtern wie Mascha Kaléko geschrieben hätte ("denn der Tod tut nicht weh / nur das Sterben"), wäre es nur die Wiederholung eines Gedankens gewesen, den sie, die von mir Hochverehrte, in ihrer klaren Art bereits niedergeschrieben hatte.

Kennt ihr das Streitgespräch "Der Ackermann aus Böhmen", eine mittelalterliche Schrift des Stadtschreibers Johannes von Tepl (um 1400)? Es ist der erste Beleg dafür, dass der in Gottes Hände gelegte Mensch, der bis dahin sein vorbestimmtes Schicksal widerstandslos annahm, gegen den Tod aufbegehrte und ihn zu einer Verteidigungsrede zwang. Ein beeindruckendes Stück Literatur, wenn man es mit den Augen der Menschen von damals liest.

Anlass war der frühe Tod der Gemahlin Tepls gewesen, worüber er untröstlich war und deswegen dem Tod die Sinnfrage stellte. Die bis heute kein Theologe und kein Geistlicher beantworten konnte.

Aber dies nur nebenbei.

Herzliche Grüße
Ilka
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