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Alt 23.06.2006, 21:30   #1
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 1.123


Standard Die Sprache der Wolken

Die Sprache der Wolken

Erneut wanderten ihre Augen begierig zu dem strahlend blauen Himmel. Nur kleine, vereinzelte, weiße Wolken wehten gelegentlich über das Saphirblau und formten sich zu fantastischen Wesen. Getrennt wurden ihre Blicke nur durch eine durchsichtige Glasscheibe, eingelassen in einen schlichten, weißen Rahmen.
Genau wie in der anderen Welt.
War es wirklich erst so wenige Tage her, dass sie dieses andere Leben betreten hatte? Selbstverständlich hineingeschritten war, wie durch die eigene Haustür?
Eine Welt, so gleich der eigenen, dass man am Anfang kaum Unterschiede wahrnehmen konnte, aber doch war sie so anders, wie jeder Fleck Erde dem anderen unmöglich gleichen konnte.
Voller Sehnsucht wollte sie in eine andere Welt, in eine Welt, in der sie vielleicht Unterschlupf finden konnte, ihre Gefühle vergraben und verbannen konnte.
Sie hatte sie gespürt, mit allen Sinnen war sie in sie hinein gefallen. Doch war sie wirklich so anders gewesen? Der Himmel hatte genauso blau durch die Glasfenster hinein geschienen, wie er es hier zu Hause tat. Auch dort hatten helle, zarte Wattewolken das Blau durchbrochen und verschönert.
Doch die Wolken hatten andere Formen gezaubert.
Schönere Formen.
Geheimnisse offenbart.
Zumindest dachte sie das, bis auch diese sie an ihre Gefühle erinnert hatten. Ihre Seele auch in der anderen Welt gespiegelt hatten, ihre Augen geöffnet hatten und sie hatten sehen lassen, dass sie ihre Gefühle nicht vergessen konnte und auch in dieser fremden, fernen Welt niemals offen zeigen durfte. Zu nah waren die Häuser ihrer Heimat, Menschen säumten auch dort die Straßen.
Ließen sie kaum alleine.
Und wenn sie einmal alleine gewesen war, waren ihre Gedanken wieder in die eigene Welt geflohen. Heimweh hatte sie keins, aber dennoch krochen die Gedanken wie von einem Magneten angezogen zu dem Punkt, dem sie entfliehen wollte, den sie vergraben wollte, da sie ihn niemals erreichen durfte.
Traurig verharrten ihre Augen auf den tiefen Blautönen. Derselbe Himmel hatte auch die andere Welt geschmückt, dieselbe Sonne hatte sie beleuchtet und die selben Gedanken hatten ihre Seele durchweht. Unklarer als sie es vor wenigen Tagen gewesen waren, aber dennoch da. Wie eine Fata Morgana, die sich am Horizont entlang streckt und nach der man greifen möchte, obwohl man weiß, dass sie im nächsten Moment verschwinden wird.
Sie wusste, dass keine andere Welt sie von ihrer Seele trennen konnte.
Und eine Welt, die so eine Offenheit hatte, wie es sich ihre Seele wünschte, gab es nicht. Es war eine Welt der Träume, nach der sie gerne greifen wollte. So gerne wie nach den strahlenden Diamanten am Himmel. Doch sie konnte es nicht und das wusste sie.
Der harte Boden unter ihren Knien schmerzte, keine andere Welt würde ihre Seele befreien, das wusste sie.
Keine Welt würde ihre Gefühle verstehen.
Keine Welt würde diese offenbar unbegründete Trauer verstehen.
Sie wusste, nur eine Welt könnte sie verstehen, doch diese Welt bestand genau aus der Fata Morgana, nach der sie immer noch zu greifen versuchte, selbst auf dem kalten Parkettboden der Tatsachen.
Die Welt, die sie nicht erreichen konnte und durfte.
Eine Welt, die ihr Leben zu lange beeinflusst hatte.
Andere Welten waren natürlich schön und geheimnisvoll. Mit eigenen Augen hatte sie gesehen, was für Wunder die Wolken dort zaubern konnten. Doch auch dort bildeten die Nebel die verbotenen Formen, die ihre Gedanken jeden Augenblick umwoben.
Verzweifelt senkte sie den Kopf und verbarg ihr Gesicht in den zarten, jungen Händen.
Sie wusste, sie musste in ihrer eigenen Welt die Wunder entdecken, die wahr waren, die keine Nebelstreifen am Horizont zogen und die ihren Gefühlen nicht so tiefe Wunden zufügten.
Aber noch immer gab ihr das Trugbild der Fata Morgana am weiten Horizont der Lebenswüste Hoffnung und Trost. Sie wollte das Bild nicht ganz aus ihren Gedanken verbannen, auch wenn sie es musste. Ihr Herz schrie nach diesem Nebelspiel der Geheimnisse und Gemeinsamkeiten und sobald sie sich davon abwandte fühlte es sich kalt und starr an. Grau pochte es dann in ihrer Brust, bis ihre Träume wieder wanderten, zu den Gefühlen, die sie in einer anderen Welt hatte hinter sich lassen wollen. Sie zu zeigen würde ihr Leben einstürzen lassen, deshalb wagte sie es nicht.
Es würde verschwinden, verschmelzen mit den Linien des Horizonts, das wusste sie.
Irgendwann.
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