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Alt 10.04.2018, 19:52   #1
männlich AndereDimension
 
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Standard Richtigstellung/Entschuldigung

Ich hatte mich die Tage etwas despektierlich über die hier zu lesende Kunst geäussert und wurde dafür (in Privatzuschriften)zurecht kritisiert.

Mein erster Fehler: Ich schrieb "euch" statt "uns". Natürlich schließt alles was ich sagte mich mit ein.

Mein zweiter Fehler: Ich sprach von Hausmütterchen-Reimerei...das ist sehr abwertend.

Mein dritter Fehler: Ich blieb die Erklärung schuldig...warum ich Forenreimerei nicht als Kunst einordne/anerkenne

Für Fehler 1+2 kann ich mich nur entschuldigen, was ich hiermit auch gerne mache.

zu 3: Jedes Kind malt seiner Mutter irgendwann mal ein Bild....oder schreibt ein Gedicht. Also der Umstand, dass jemand kreativ tätig ist...macht diese Person noch nicht zum Künstler - und seine "Werke" nicht zur Kunst. Wäre dies der Maßstab...dürfte sich jeder Mensch dieser Welt als Künstler bezeichnen.

Also igendwer muss vermeintliche Kunst als wahre Kunst anerkennen..deklarieren - nach welchen Kriterien auch immer.

Ich behaupte: Nicht ein einziges Gedicht, das im Laufe der Jahre hier veröffentlicht wurde...wird der Nachwelt erhalten oder im Gedächtnis bleiben.

Und ich weiß: All die "berühmten" Dichter...die ihr so kennt...wären sehr schnell in Vergessenheit geraten...hätten sie "nur" Gedichte geschrieben.
Ob Goethe, Schiller, Heine, Hesse, Fontane oder Kästner...ihre Reimerei war nur eine Art Zugabe - sie alleine hätte niemals zu Ruhm gereicht.

Bevor Goethe seinen Werther schrieb...kannte ihn auf der Welt keine Sau. Er wurde über Nacht zum Superstar. Einige seiner heute berühmten Gedichte schrieb er aber schon Jahre davor...ohne dass sich jemals einer dafür (die ein oder andere Dame mal ausgenommen) interessierte.

Wenn sich hier jemand als Künstler versteht...dann ist das sein gutes Recht...dann kann er das machen...falls es ihm/ihr gut tut. Aber ganz objektiv betrachtet...bleibt er am Ende den Nachweis schuldig. Jeder, der ein Urlaubsfoto schießt, dürfte sich demnach als Künstler bezeichnen.

Bei allem Respekt...aber da gehört doch eine ganze Menge mehr dazu.

Aber anders gefragt. Ist das denn so schlimm? Es soll Spaß machen - darauf kommt es doch an.

In diesem Sinne...nochmals "sorry" meinerseits

***ich lade dazu ein gegenteilige Ansichten hier kund zu tun

Gruß, A.D.

Nachtrag: Oppenheimer, einer der größten Wissenschaftler aller Zeiten, litt darunter als Künstler keine Anerkennung zu finden. Er selbst sah sich als Dichter...nicht als Wissenschaftler. Er stellte sich auch überall als Dichter vor. Kennt ihr auch nur eines seiner Gedichte?

Wusstet ihr, dass 99,8% der von anerkannten Künstlern angefertigten Bilder für unter 1000 Euro verkauft werden? In den Medien hört/liest man immer nur von den Verkäufen jenseits einer Million. Der Begriff "brotlose Kunst" ist heute noch so aktuell wie einst.

Ergänzung zu Werther: Goethes Werther ist gar nicht mal so überaus gut geschrieben...verkörpert eher Durchschnitt. Berümht wurde Werther...weil Goethe damit den Zeitgeist traf...und zwar genau auf den Punkt. Er sprach all den jungen Leuten aus der Seele - Werther war eine Art Revolution. Und diese Tatsache, den Zeitgeist zu treffen, ist ein ganz wesentlicher Aspekt...ob kreative Arbeit zur Kunst wird.

C. Bukowsky ist ein weiteres Beispiel. Das war nur ein mittelmäßiger Autor...aber der traf den Nerv der Zeit. Diese Gabe, den Zeitgeist zu erfassen, haben nur ganz wenige Menschen.

Wir alles sind uns wohl einig: Das, was ein Kandinsky malte, kann jeder malen. Und dennoch sind seine Bilder ein Vermögen wert. Warum wohl?

Feldversuch: Ich bin ein anerkannter Künstler - trage meinen Künstlernamen sogar im Ausweis. Ihr kennt weder meinen Künstlernamen...noch wisst ihr mit welcher Art Kunst ich mir meine Lorbeeren verdiente. Könnte alles möglich sein. Die Reimerei ist es nicht...das sei schon mal verraten. Wenn ich euch nun ein Bild...ein Gemälde...sagen wir mal für 50 Euro anbiete...mit dem Versprechen es zu signieren...dann gibt es drei Möglichkeiten: 1. Ihre kauft ein Bild...das gar nichts wert ist. 2. Ihr kauft ein Bild, das gerade mal die bezahlten 50 Euro wert ist. 3. Ihr habt mit einem Einsatz von Euro 50.- eure Altersversorgung gesichert. Alles ist möglich. Am Ende ist es ein Versprechen in die Zukunft - wie bei vielen börsennotierten Unternehmen auch.

Mozart...zusammen mit da Vinci wohl das größte Kunstgenie aller Zeiten. Wie viele Menschen mögen ihn zu seiner Lebzeit gehört haben? tausend?...zehntausend?---hunderttausend? Mehr waren es auf keinen Fall. Damals gab es keine Tonträger - man konnte ihn nur live oder gar nicht hören. Dennoch war er schon zu Lebzeiten weltberühmt. Warum? Weil ein paar wenige Menschen allen anderen Menschen sagten, dass er der Größte ist. Das konnte man glauben...oder auch nicht. Und so ist das auch heute mit der Kunst - Vertrauen spielt eine große Rolle.

Michelangelo
Künstler seines Formates waren/sind auch für den Laien als solche zu indentifizieren. Ihr Handwerk ist so überaus gut, dass jeder Anflug von Zweifel im Keim erstickt. Er war übrigens auch Dichter. Nur eine CAD gesteuerte Maschine könnte Skulpturen von einer solchen Schönheit erschaffen...aber kein lebender Mensch mit seinen Händen. Hier braucht es keinen Kunstsachverständiger...hier benötigt man nur Augen.

Düsseldorfer Schule...hat wohl jeder schon mal gehört oder gelesen. Da bürgt schon der Name für Kunst, denn nur die besten der Besten durften sich dort eintragen. Da garantiert der Name die Güte des Handwerks...was aber noch lange nicht hieß...dass es auch jeder Maler dieser Schule zu Ruhm brachte. Es zählen eben noch viele andere Faktoren - und letztendlich gehört auch viel Glück mit dazu.

Geändert von AndereDimension (10.04.2018 um 21:46 Uhr)
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Alt 10.04.2018, 22:14   #2
Stachel
 
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Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Also igendwer muss vermeintliche Kunst als wahre Kunst anerkennen..deklarieren - nach welchen Kriterien auch immer.
Welche Instanz sollte das deiner Meinung nach sein? Welcher Kriterienkatalog sollte angelegt werden? Sollte es ein Kunstgericht geben, dass über Kunst oder Nichtkunst entscheidet?

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Ich behaupte: Nicht ein einziges Gedicht, das im Laufe der Jahre hier veröffentlicht wurde...wird der Nachwelt erhalten oder im Gedächtnis bleiben.
Ich behaupte das Gegenteil. Ich bin fest davon überzeugt, dass einige der hier veröffentlichten Gedichte, wenn sie erst einmal gemeinfrei geworden sind, in den Kanon deutscher Lyrikliteratur eingehen werden.

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Und ich weiß: All die "berühmten" Dichter...die ihr so kennt...wären sehr schnell in Vergessenheit geraten...hätten sie "nur" Gedichte geschrieben.
Dein Argument in diesem Absatz ist demnach, dass Kunst sich nicht an der Qualität des Werks sondern allein an der Bekanntheit des Künstlers festmacht?

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Wenn sich hier jemand als Künstler versteht...dann ist das sein gutes Recht...dann kann er das machen...falls es ihm/ihr gut tut. Aber ganz objektiv betrachtet...bleibt er am Ende den Nachweis schuldig.
Ein Künstler muss den Nachweis dafür bringen, dass er ein solcher ist? Wie kann ihm das gelingen? Wer außer ihm selbst kann denn der Maßstab dafür sein?

Wir hatten das bereits mal an anderer Stelle diskutiert: Woher weißt du, dass hier nicht unter Pseudonym beispielweise Robert Gernhardt mitgeschrieben hat?
Ich behaupte, du kennst kaum jemanden hier persönlich, weißt also auch nichts über irgendwelche künstlerischen Backgrounds.

Ich schließe aus deinen Ausführungen, und korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege, dass du aufgrund deines eigenen, selbst als mangelhaft empfundenen Lyrikmaßstabs die Qualität der hiesigen Texte einschätzt. Seltsamerweise kommst du aber nicht zu dem Schluss, dass dir die Beurteilung nicht adäquat gelingen kann.

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Wusstet ihr, dass 99,8% der von anerkannten Künstlern angefertigten Bilder für unter 1000 Euro verkauft werden? In den Medien hört/liest man immer nur von den Verkäufen jenseits einer Million. Der Begriff "brotlose Kunst" ist heute noch so aktuell wie einst.
Damit ist der Maßstab für Kunst kommerzieller Erfolg?

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Ergänzung zu Werther: Goethes Werther ist gar nicht mal so überaus gut geschrieben...verkörpert eher Durchschnitt. Berümht wurde Werther...weil Goethe damit den Zeitgeist traf...und zwar genau auf den Punkt. Er sprach all den jungen Leuten aus der Seele - Werther war eine Art Revolution. Und diese Tatsache, den Zeitgeist zu treffen, ist ein ganz wesentlicher Aspekt...ob kreative Arbeit zur Kunst wird.
Damit ist der Maßstab für Kunst nun getroffener Zeitgeist? Das würde bedeuten, dass Groschenromane und Schlager ein besonders hohes Kunstlevel erreichen. Meinst du das? Falls nicht, warum passt das Argument an der Stelle nicht?

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
C. Bukowsky ist ein weiteres Beispiel. Das war nur ein mittelmäßiger Autor...aber der traf den Nerv der Zeit. Diese Gabe, den Zeitgeist zu erfassen, haben nur ganz wenige Menschen.
Ich habe ganz im Gegenteil das Gefühl, dass sich die Leute damit überbieten, den Zeitgeist immer genauer zu treffen. Das gilt für die Künste genauso wie für alles, was verkauft wird. Wir reden doch nicht umsonst von Lifestyle-Produkten und bewerben Dinge, die wir nicht wirklich brauchen statt mit ihrem Nutzen mit dem vermittelten Lebensgefühl.

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Wir alles sind uns wohl einig: Das, was ein Kandinsky malte, kann jeder malen. Und dennoch sind seine Bilder ein Vermögen wert. Warum wohl?
Mal abgesehen davon, dass wir uns da überhaupt nicht einig sind - ich kann nicht so malen und ich kenne auch niemanden, der das kann - würde mich deine Meinung zu der rhetorischen Frage sehr interessieren. Du stellst sie als automatisch beantwortet dar. Das ist sie für mich überhaupt nicht.

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Feldversuch: Ich bin ein anerkannter Künstler - trage meinen Künstlernamen sogar im Ausweis. [...]
Ist der eingetragene Künstlername denn nun hinreichendes Kriterium für diesen Beruf?
Aber was hat die Wette auf die Zukunft, wie du sie nennst, mit Kunst zu tun? Ist das gleiche Bild in dem Augenblick erst Kunst, wenn es hoch bezahlt wird? War es schon vorher Kunst, aber verkannt?

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Mozart...zusammen mit da Vinci wohl das größte Kunstgenie aller Zeiten. Wie viele Menschen mögen ihn zu seiner Lebzeit gehört haben? [...]
Dein Argument hier ist: Kunst ist dann eine solche, wenn die Zeitgenossen Vertrauen in sie haben. Mozart ist Künstler, weil die Menschen an ihn geglaubt haben.
Dem lässt sich leicht wiedersprechen. Es gab wohl niemand anderen, der so jung schon so gut spielen und komponieren konnte. Dazu gehört auch eine große Portion Bekanntheit, die aber mit dem Talent einhergeht. Hätte man nur behauptet, dass er gut sei und er hätte nicht "geliefert", wäre er wohl schnell geliefert gewesen und in Vergessenheit geraten.
Bestimmt hat es zu der Zeit (wie zu jeder beliebigen) auch viele andere gegeben, die ebenfalls mit außerordentlichen Talenten gesegnet waren. Sie konnten sich aber aus vielerlei Gründen nicht entfalten.

Heute hat sich das komplett gedreht. Jeder kann im Prinzip jeden erreichen. Und endlich können immer mehr Leute ihr Talent veröffentlichen. Es ist nicht mehr einem kleinen exklusiven Kreis vorbehalten, über Kunst zu urteilen.

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Michelangelo
Künstler seines Formates waren/sind auch für den Laien als solche zu indentifizieren. Ihr Handwerk ist so überaus gut, dass jeder Anflug von Zweifel im Keim erstickt.
Dein Punkt hier ist also, dass es eine universelle, auch für Laien erkennbare Art von Kunst gibt, die über jeden Zweifel erhaben ist. Das würde gleichzeitig bedeuten, dass sich alle Menschen ultimativ einig darüber sein müssten. Ist das so richtig verstanden?

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Nur eine CAD gesteuerte Maschine könnte Skulpturen von einer solchen Schönheit erschaffen...aber kein lebender Mensch mit seinen Händen. Hier braucht es keinen Kunstsachverständiger...hier benötigt man nur Augen.
Äh, nein. Es gibt auch heute noch Leute, die sowas fertigen. Dass du keine kennst, bedeutet ja nicht, dass keine da sind.

Du hast in deinem Text verschiedene Beispiele mit ganz unterschiedlichen Bewertungsregeln für Kunst angeführt. Teilweise stehen sie im Widerspruch zueinander.
Ich finde es toll, dass du so viele Fragen dabei anreißt. Bislang eröffnest du auch noch mehr Fragen, als das du welche (er)klärst. Ich hoffe, du bleibst die Antworten nicht schuldig.

Freundliche Grüße von
Stachel
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Alt 10.04.2018, 23:20   #3
weiblich Ilka-Maria
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Donnerwetter, AnDi! Offensichtlich hat deine Analyse die Zeitgenossen, die in Poetry unterwegs sind, sprachlos gemacht, dass auf deinen langen Text – fast eine Predigt – noch niemand eine Entgegnung gewagt hat.

Das kann ich verstehen, denn wer hört schon gerne die Wahrheit – vor allem wenn sie nicht ganz wahr ist und wegen dieses Zweifels Verwirrung stiftet. Wie kann man da noch vernünftig Stellung nehmen?

Zunächst mal zu deinen Entschuldigungen, die ich für unnötig halte. Wenn du die Qualität der Texte, die in Poetry veröffentlicht werden, für nicht kunstwürdig hältst, ist das dein gutes Recht. Es ist auch dein Recht, sie mit deinen Worten zu beurteilen. „Hausmütterchen-Reimerei“ ist Kritik am Text, nicht am Autor, und wenn der Text auf dich so brav und bieder wirkt, als sei er zwischen Windel und Kochtopf geschrieben worden, muss es erlaubt sein, ihn so zu nennen – den Text, nicht den Kochtopf.

Nun mal zu deinen Beispielen, die ich für kommentierungswürdig halte:

Goethe. Geliebt, gehasst, geschätzt, herabgewürdigt, beneidet, verachtet – unsterblich. Goethe hat sich selbst sicherlich nicht als Künstler gesehen, sondern als ein Mensch mit vielen Talenten und Interessen. Er hatte die finanziellen Mittel, sie auszuleben, und so schrieb er Theaterstücke, war Intendant und schauspielerte selbst. Er war ein Mensch der Öffentlichkeit, teils durch seinen Beruf, teils dadurch, dass er Parklandschaften nach seinen Planungen anlegen ließ. Nirgendwo habe ich jemals gelesen, dass er zu seiner Lebenszeit deutschlandweit oder gar über Deutschlands Grenzen hinaus eine Berühmtheit war. Vielmehr war er eine Autorität im Radius um Weimar herum, und das schien ihn völlig auszufüllen. Mit Sicherheit hat er seine Italienreise auch nicht gemacht, um mit den dabei gewonnen Erkenntnissen und mit seinen in dieser Zeit geschriebenen Werken zu protzen. Es ist übrigens bekannt, dass Goethe ebenso wie die übrige schreibende Zunft seiner Zeit für die Verlegung seiner Texte – welche auch immer – selbst bezahlen musste. Boshaft könnte man sagen: Künstler war, wer das Einkommen dafür hatte.

Werther. Goethes „Durchbruch“ (auf den er nicht angewiesen war). Natürlich stimmt es, wenn du schreibst, dass Menschen mit Werken zu „Künstlern“ wurden, weil sie den Nerv der Zeit trafen. Mit dem „Werther“ hatte Goethe diesen Nerv getroffen. Aber wäre ein Werk allein deshalb nicht künstlerisch, wenn es den Nerv der Zeit nicht getroffen hätte? Mir fällt dazu spontan der Film „Hair“ von Milos Forman ein: Ein hinreißend gespielter Film mit tollen Akteuren und einem wie von der Rampe geschossenen Treat Williams, der sein gesamtes Können an diesen Film verschwendete. Denn der Film fiel durch. Warum? Er kam zehn Jahre zu spät, 1979. Da bereiteten sich die 68er, die Protestler gegen den Algerien- und Vietnam-Krieg und gegen die hundert Jahre lange Verzopfung der etablierten Breitgesäße, längst auf ihren Marsch in die Vorstandsetagen der Konzerne vor. Ein großartiger Film – leider zur falschen Zeit. Ich habe ihn trotzdem in meiner Sammlung, gerade deshalb, denn auch künstlerisches Scheitern sagt etwas über seine Zeit aus. Eigentlich komisch, dass Milos Forman auch der Regisseur von „Amadeus“ ist.

Hier wäre auch Friedensreich Hundertwasser zu nennen, der mit seinen abgeschmackten Kreationen auf dem Nerv seiner Zeit mitschwamm. Geniale Vermarktung, künstlerisch unterirdisch. Welche Frau legt sich heute noch ein Tuch mit dem Aufdruck eines Hundertwasser-Motivs um den Hals?

Ich widerspreche, dass jeder Mensch malen kann wie Kandinsky. Jeder Mensch kann ihn allenfalls kopieren. Wie er die Werke jedes anderen Malers kopieren kann. Du fragst, warum wohl? Zunächst, weil man auf die Idee kommen muss, eine Idee so zu malen, dass sie eine Idee im Betrachter schafft. Das ist schwierig genug, reicht aber nicht. Maler sind Kinder ihrer Zeit, und deshalb sind manche Maler weniger durch ihre „Kunst“, Personen oder Landschaften naturgetreu wiederzugeben, berühmt geworden, sondern durch ihr Talent, Farben auf die Leinwand zu bringen, die nur unter großem Aufwand und sehr teuer herzustellen waren. Wer dazu die Mittel hatte, egal ob finanziell oder durch soziale Kontakte, was oft, aber nicht immer identisch war, galt als großer Künstler, obwohl er eine ganze Werkstatt an Gesellen und Lehrlingen hatte, die für ihn malten.

Mozart. Nun ja, das Wunderkind. Da waren alle Augen auf ihn gerichtet. Als er erwachsen war, ließ es nach. Der Rest ist bekannt.

Michelangelo. Ein großer Künstler. Ich bezeichne ihn lieber als Handwerker. Er ging mit Akribie an sein Werk, da war alles vorgeplant, vorgezeichnet, nichts dem Zufall überlassen. Er kannte die menschliche Anatomie, war mit Sicherheit sattelfest in Geometrie (u.a.) und kannte sich in den biblischen Texten aus. Hätte nur eins dieser Elemente gefehlt, wäre seine Genialität in sich zusammengebrochen. Kunst funktioniert nun mal nicht ohne Handwerk und Wissenschaft.

Leider hast du Leonardo nicht erwähnt.

Auch nicht Joseph Beuys. Zitat: „Alle Menschen sind Künstler.“ Wie hatte er das wohl gemeint? Bestimmt nicht im Sinne des modernen Kulturbetriebs und des Konsums.

Und jetzt zurück zu deinem Exorzismus, mit dem du den Poetrianern ihre Wahnvorstellungen von der Glücksfee austreiben willst, die den einen – oder noch einen anderen – von uns doch eines Tages auserwählt, den Lorbeerkranz aufgesetzt zu bekommen. Was schöpfst du für dich daraus, den Menschen, die ihre Freude am Schreiben in Poetry ausleben wollen und dabei regen Austausch mit Gleichgesinnten finden, alle Illusionen zu rauben?

Herzliche Grüße und gute Nacht,
Ilka
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Alt 11.04.2018, 01:28   #4
männlich dr.Frankenstein
 
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Es ist eine Schande unter diesen ganzen nicht Künstlichen zu sein, also ich bin durch und durch künstlich.
Meine Künstlichkeit besticht durch den antizeitgeist, der außerhalb von Raut und Zeim neues Recht schreibt.
Wie eine Hausmutter Frigga die Höchste Göttin. Und erste Frau Odins.
Der durch sein Nordsternfernrohr beobachtet was geschieht.
Um den Zeitgeist von Heute zu treffen, reicht das Gedicht der Atzen:

"He was geht ab, wir feiern die ganze Nacht, die ganze Nacht."
Das ist wahrhaft große Kunst, mit hohem Verdienst, obwohl die auch schon viele Gedichte geschrieben haben.
Oder die Texte großer Werbetexter... Erstmal zu Bennie
Geiz ist Geil.... Usw.
Das sind wahre Zeitgeister.

Kunst ist Künstlich alles was Künstlich ist ist Kunst, selbst die Schrifft ist Künstlich und keiner bezahlt was dafür, jeder nimmt sie umsonst.

Kunst ist nix besonderes, außer sie hat eine ganz besondere Technik und einen Inhalt der die Beobachter durch die Technik trifft.
Und dann brauchst auch Verkaufstalent wenn was damit verdienen willst. Wer verkaufstalent hat, kann auch auf die ersten 2 Sachen verzichten.
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Alt 11.04.2018, 07:55   #5
männlich AndereDimension
 
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Hallo Stachel
Hallo Ilka-Maria
hallo dr.Frankenstein

vielen Dank für eure Fragen und Antworten!

Aus Zeitmangel kann ich momentan nur oberflächlich und allgemein darauf eingehen - später aber mehr.

Mir steht es nicht zu in dieser Frage eine finale Antwort zu geben...als wäre die dann der Weisheit letzter Schluss. Ich habe auch "nur" eine Meinung, die man teilen...oder der man widersprechen kann. Letztendlich sollte das jeder für sich selbst beantworten.

Wozu es jedoch nur eine Meinung geben kann: Forenreimerei ist, wenn denn Kunst
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Alt 11.04.2018, 08:02   #6
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Zitat:
Zitat von dr.Frankenstein Beitrag anzeigen
Kunst ist Künstlich alles was Künstlich ist ...
An der Kunst ist nichts künstlich, sondern sie ist ein Handwerk, das von einem Menschen besonders gut beherrscht wird und dem er durch eine Idee zu einer neuen Betrachtungsweise verhilft. Wer als erster die Idee von einer Technik hat, wie man ein menschliches Herz tranplantiert, kann als großer Künstler, souveräner Handwerker, mutiger Arzt, aber auch als Verrückter gelten. Wer den Nerv seiner Zeit trifft, mag Furore machen, kann aber schnell wieder in Vergessenheit geraten, wenn die Zeit vorangeschritten ist und sich die Gesellschaft anders entwickelt hat, als erwartet. Wir lesen heute noch Werke, die Epoche machten, wie z.B. "Das Narrenschiff" von Sebastian Brant" oder "Der Ackermann aus Böhmen" von Johannes von Tepl, den "Meier Helmbrecht" von Wernher der Gärtner oder den "Nathan der Weise" von Lessing. Wer aber kennt noch "Bambule" von Ulrike Meinhof oder "Die Verrohung des Branz Blum" von Burkhard Driest? Selbt die Werke unserer Zeitgenossen sind wenig bekannt, oder welcher Poetrianer hat "Die Unterwerfung" von Houellebecq gelesen?

Heute funktioniert "der Zeitgeist" ohnehin anders als früher. Künstler ist, wer in eine Talkshow oder Radiosendung gebeten wird, um für sein Produkt zu werben - nicht mehr der Zeitgeist bringt Werke hervor, in denen er sich spiegelt, sondern das Marketing formt den Zeitgeist, indem es bestimmt, wer und was "in" ist. Das sind natürlich immer jene Leute und Themen, die das große Geld bringen.
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Alt 11.04.2018, 09:07   #7
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Ein Handwerk ist doch Künstlich, oder ist das Handwerk natürlich?


Zitat:
Heute funktioniert "der Zeitgeist" ohnehin anders als früher. Künstler ist, wer in eine Talkshow oder Radiosendung gebeten wird, um für sein Produkt zu werben - nicht mehr der Zeitgeist bringt Werke hervor, in denen er sich spiegelt, sondern das Marketing formt den Zeitgeist, indem es bestimmt, wer und was "in" ist. Das sind natürlich immer jene Leute und Themen, die das große Geld bringen.
Das ist große Kunst.

In Bezug auf den Arzt:

Zitat:
Kunst ist nix besonderes, außer sie hat eine ganz besondere Technik und einen Inhalt der die Beobachter durch die Technik trifft.
Und dann brauchst auch Verkaufstalent wenn was damit verdienen willst. Wer verkaufstalent hat, kann auch auf die ersten 2 Sachen verzichten.
Ein Herz transplantieren iat eine Technik die Heilung im Inhalt hat und dadurch die Menschen erreichen kann. Worte wie Handwerk, Verrückt und Kunst, sind auch Kunst. Das Sprechen und schreiben ist scheinbar eine Inhaltlose Technik, Aber erst die Erfindug diese Laute Dingen zuzuordnen oder die Erfindung von Buchstaben oder Hyroglyphen, gibt uns die Möglichkeit, künstlich Bedeutung zu erschaffen, durch den Inhalt dieser Kunst.

Am Anfang hat da einer da gesessen und dämliche Laute von sich gegeben und sich dabei gefreut.

Ich kenn keins der Bücher. Aber ist doch schön wenn dir sowas gefällt. Ist doch schön das jemand die Schrifft erfunden hat.
Und andere sich die Zeit genommen haben sich was auszudenken und das auch zu erforschen.

Ja Forschung ist auch ein Aspekt der Kunst.

-Handwerk, also Technik
-Inhalt der Erreicht
-Vermarktungstalent, welches auch nach dem Tod auftreten kann

Bambule klingt lustig. Drehen die da durch in dem Buch? Hat sie das Wort erfunden?

Wir machen Bambule.

Das Wort ist schonmal echt schön.

Die Elfen von Tieck sind schön.
Oder der gestiefelte Kater.
Frau Holle usw.

Die Märchen erreichen ja noch Heute die Leute.

In nem Roman müssen da irgendwie Informationen versteckt sein damit ich den intressant finde, z.B. als Nietzsche weinte, oder manche Dinge von Paolo Coehlo, wo irgendwelche Meditationstechniken drin sind.
Kennst die Sendung von dem Militärschrauber Manousakis,
der dirt alte Militärmobile, restauriert, das ist Kunst als Sendung.
Die wahre Kunst ist ja selbst was zu machen.

Denn jeder will sein Eignes in die Welt bringen, und das ist ja das jeder ist Künstler. Selbst einer der den ganzen Tag nur Lügen erzählt ist Künstler, damit erreicht er die Leute und es ist sein Handwerk.

Hier irgendwas zu schreiben ist doch eine Art sein Eignes zu reproduzieren. Manche lernen dabei noch was über Laute und Satzlänge.
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Alt 11.04.2018, 09:43   #8
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Zum Beispiel mit dem Chirurgen: Der "Kunstgriff", das geschickte Vorgehen, hat mit der Kunst im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Man darf sich da vom Sprachgebrauch und den Redewendungen nicht täuschen lassen. Der Chirurg macht auch nichts anderes als der Automechaniker...nur das Objekt ist ein anderes. Wir haben automatisch mehr Respekt vor dem Chirurgen...weil es da um Leib und Leben geht.

Die eigentliche Kunst hat immer mit Kreativität zu tun. Hatte ja schon öfter von Malen nach Zahlen gesprochen...wenn es um die verschiedenen Gedichtsformen geht. Ich bringe jedem 10-jährigen Kind innerhalb von 24 Stunden bei wie man ein Sonett schreibt, sodass ihr des Knirpses Werk nicht mehr von dem Werk eines routinierten Schreibers unterscheiden könnt. Bei 99% der in Foren veröffentlichten Gedichte handelt es sich um Malen nach Zahlen Gedichte. Man hat sie schon tausendfach so oder ähnlich gelesen - sie sind austauschbar...wenig originell und entbehren jede Kreativität. Jeder, der Interesse zeigt und ein wenig Zeit investiert...kann innerhalb kürzester Zeit so etwas schreiben. Mit Kunst hat das m.E. noch nichtmal im Ansatz etwas zu tun.

Im Gegenteil: Neulich...als ein User mal so etwas wie Kreativität zeigte...wurde dieser dafür gerügt. Da ging es um Begriffe wie "überschiffen".
Weil man selbst nur in der Lage ist Gewöhnliches zu schreiben, wird das Ungewöhnliche kritisiert.

Nochmal zu Kandinsky. Würde dieser heute erst anfangen zu malen und uns die gleichen Bilder präsentieren, bekäme er Null Beachtung geschenkt. Alles hat seine Zeit - wie es so schön und treffend heißt.

Noch etwas: Wir bewegen uns hier in einem Mikrokosmos - hier Gesellen sich Gleich und Gleich...dadurch entsteht ein schiefes Bild. Die wechselseitige Loberei führt dazu...dass man irgendwann wirklich glaubt man würde Kunst schaffen. Die Reputation ist aber eine "Außenangelegenheit"
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Alt 11.04.2018, 11:40   #9
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Zitat:
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Zum Beispiel mit dem Chirurgen: Der "Kunstgriff", das geschickte Vorgehen, hat mit der Kunst im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Man darf sich da vom Sprachgebrauch und den Redewendungen nicht täuschen lassen. Der Chirurg macht auch nichts anderes als der Automechaniker...nur das Objekt ist ein anderes. Wir haben automatisch mehr Respekt vor dem Chirurgen...weil es da um Leib und Leben geht.
Auch wenn ich deine Aussagen weitgehend mit dir teilen kann, muss ich bei einigen Dingen widersprechen. Ein Chirurg kann durchaus kreativ sein, wenn es darum geht, Techniken zu finden, die eine Operation ermöglichen, deren Erfolgsaussichten davor mit null bewertet wurden. Das ist keine Routine wie bei einem erfahrenen "Handwerker", sondern bedarf umwälzender Ideen und einer guten Portion Mut, das "zu verkaufen", ohne bei Misserfolg im übertragenen Sinne gesteinigt zu werden.

Einem meiner Verwandten (Chirurg in den U.S.A.) ist so etwas gelungen. Er hatte einen Arm, der vollständig abgetrennt war, bei vollem Risiko durch ein neues, eigens von ihm erdachtes Verfahren wieder so angenäht, dass dieser Arm inklusive der Hand wieder funktionstüchtig war - alle anderen Ärzte, die das Unfallopfer vorher konsultiert hatte, wollten lediglich die Wunde versorgen und hätten den Arm entsorgt. Die gelungene Operation machte die "Tour du monde". Wenn das nicht kreativ ist, weiß ich nicht, was man sonst so bezeichnen kann.

Übrigens hatten die Griechen der Antike nicht zwischen Handwerk und Kunst unterschieden, und damit meinten sie nicht allein die bildenden Künste.

"Bambule" und "Franz Blum" kennt heute natürlich niemand mehr. Das waren Werke, die mit den gesellschaften Zuständen der 60er und 70er Jahre ins Gericht gingen (Erziehungsheim für Mädchen und Behandlung von Gefängnisinsassen). Sie entstanden im Schatten der 68er-Bewegung. "Bambule" sollte sogar verboten werden (!) und nur Lehrern zugänglich sein, was sich aber nicht durchsetzen ließ. Wenn ich mich richtig erinnere, ist die Verfilmung des "Franz Blum" im Internet verfügbar. Dies nur zur Information.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.04.2018, 11:56   #10
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Zitat Ilka-Maria

Zitat:
Ein Chirurg kann durchaus kreativ sein, wenn es darum geht, Techniken zu finden, die eine Operation ermöglichen, deren Erfolgsaussichten davor mit null bewertet wurden. Das ist keine Routine wie bei einem erfahrenen "Handwerker", sondern bedarf umwälzender Ideen und einer guten Portion Mut, das "zu verkaufen", ohne bei Misserfolg im übertragenen Sinne gesteinigt zu werden.
Ja, aber das unterscheidet den Chirurgen nicht vom Mechaniker...oder vom Ingenieur. Es gibt ein Problem...für das er eine...meinetwegen kreative Lösung findet. In einem solchen Kontext redet man von Innovation...nicht von Kunst.
Würde man das Kunst nennen...wäre jeder Erfinder ein Künstler. Das ist er aber nur im übertragenen Sinne. Aber ich stimme dir zu, dass der Übergang von gutem Handwerk zur Kunst oft fließend ist. Dennoch ist es nicht das gleiche - den Alten Griechen haben wir viel zu verdanken...aber nicht alles was die dachten und sagten muss auch richtig sein. Wobei man bei solchen Fragen nicht von "richtig" und "falsch" reden sollte.

Lieschen Müller malt abstrakte Bilder...weil sie nicht malen kann. Die erfolgreichen Vertreter der Abstrakten Malerei können hingegen fast immer eine solides Handwerk...auf eine entsprechende Ausbildung zurückgreifen. Sie malen abstrakt...weil das ihre Leidenschaft ist - sie könnten aber ebenso konkret malen.

Beuys...weil Du seinen Namen nanntest...war auch ein ausgezeichneter "Handwerker"...eijn Künstler mit fundierter Ausbildung...der es sich leisten konnte das Einfache in den Vordergrund zu stellen...da man ihm das Schwierige per se zutraute. Das Gedicht ist eine einfache, eine Art Fingerübung - es alleine taugt aber niemals zum Meisterstück. Wer keinen "Steppenwolf" schreiben kann...der wird mit "Stufen" alleine keine Anerkennung finden.
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Alt 11.04.2018, 12:10   #11
männlich MiauKuh
 
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Hi,

trotzdem aber gilt zum Erlernen einer Kunst das Meistern des Handwerks und mir fallen einige hier ein, die sehr, wirklich sehr schöne Gedichte geschrieben haben, die in allen Belangen der Kunst denen von Heinz Erhardt, oder Robert Gernhardt oder anderen großen Dichtern nicht hinterherstehen.

Das sind letztlich alles Texte, die auf andere Menschen entweder wirken, oder nicht.

Lyrik interessiert nicht Milliarden Menschen auf der Erde, aber sie ist eben da und manche Gedichte werden bekannter. Kunst sind handwerklich korrekt geschriebene Gedichte dennoch, immer. Weil das eben ein Maß an Können ist, was man zur Erschaffung von Kunst benötigt.

In welchem Maß es jetzt mehr oder weniger zu würdigen ist, das obliegt dem jeweiligen Betrachter und die Anerkennung kommt irgendwann als Nachhall, denn längst nicht jede berühmte Dichterische Eintags- oder Jahresfliege findet ihren Weg in die lange Geschichte von großen Gedichten. Das muss sie aber auch gar nicht um Kunst zu sein.

Wie war das, Kunst kommt von Können, und viele hier können etwas, also schaffen sie etwas und das nur, weil sie es können, denn es gibt so, sooo viele, die es wirklich nicht können und deswegen auch z.B. keine Gedicht erschaffen "können".

:-) ist doch schön, wenn sich die Leute hier tummeln und ihre Schriften kommentieren und verbessern. Das taten manche Dichter doch auch früher schon. Erfreulicher Weise gibt es heutzutage Antworten, Kommentare und Meinungen viel schneller als früher und es ist, wie jemand es in diesem Faden erwähnte, möglich, dass jeder seine Kunst bereitstellt und andere sie konsumieren können.

Durch die Digitalisierung wird ohnehin die Art des Konsums von Lyrik stark verändert und gleichzeitig ändert sich auch, wie Lyrik bereitgestellt und verbreitet wird.

Das sind alles Dinge, die in der Vergangenheit so eben nicht waren, als Dichter ihre Werke durch Buchbände bereitstellten, die sich nach und nach verkauften.

Heutzutage Buchbände mit Lyrik zu kaufen kann böse Überraschungen beinhalten. Die ganze Palette an Möglichkeiten ist durch die kulturelle Durchmischung und den Schmelztiegel der Globalisierung derart facettenreich geworden, dass wir ein massives Überangebot an Möglichkeiten zum Lesen haben. Wer da wen jetzt beeinflusst, was gut oder schlecht ist, oder was irgendwie auch auf den Geist der Zeit wirkt oder nicht, das alles werden wir sehen. Vielleicht beeinflussen wir uns auch weniger als Dichter untereinander, als das wir vermehrt durch die Medien beeinflusst werden und durch die gesamte Art und Weise, wie heutzutage kommuniziert und konsumiert wird.

Wie es jemand hier schon sagte: Wir sind Produkte unserer Zeit und so ist diese Zeit nun mal die unsere, die, in der das Internet / Digitalisierung wirklich das große Neue ist und mit dem wir uns befassen müssen. Gleichzeitig auch die Genetik (las ich je ein Gedicht über Genetik?) oder über den Weltraum, die Besiedlung fremder Planeten ..., die Roboter und aufkommenden Ethikprobleme bei der Vermenschlichungen von Maschinen, Gefahren der künstlichen Intelligenz und autonomer Systeme, die Emotionen bekommen werden. Diese Möglichkeiten gibt es heute, daran wird gearbeitet, darüber können wir schreiben und dort geht die Reise hin und auch irgendwann daran vorbei und weiter ...

Was aber Kunst ist, das liegt doch oft im Auge des Betrachters.
Selbst der Meister einer Kunstklasse mag einem Verächter derselbigen nicht als Künstler sondern Dilettant vorkommen und dann eben ist das so, im Auge des Betrachters.
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Alt 11.04.2018, 14:00   #12
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Zitat:
Wie es jemand hier schon sagte: Wir sind Produkte unserer Zeit und so ist diese Zeit nun mal die unsere, die, in der das Internet / Digitalisierung wirklich das große Neue ist und mit dem wir uns befassen müssen. Gleichzeitig auch die Genetik (las ich je ein Gedicht über Genetik?) oder über den Weltraum, die Besiedlung fremder Planeten ..., die Roboter und aufkommenden Ethikprobleme bei der Vermenschlichungen von Maschinen, Gefahren der künstlichen Intelligenz und autonomer Systeme, die Emotionen bekommen werden. Diese Möglichkeiten gibt es heute, daran wird gearbeitet, darüber können wir schreiben und dort geht die Reise hin und auch irgendwann daran vorbei und weiter ...

Schreib mal paar betrachtende Gedichte darüber und informier mich mal. Das wöllte ich mal lesen. Ich bin ja in dem Handwerk nicht so bewandert.
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Alt 11.04.2018, 16:37   #13
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Hi,

trotzdem aber gilt zum Erlernen einer Kunst das Meistern des Handwerks
So isses. Die ganze große Kunst wird daraus, wenn neue Ideen umgesetzt werden, die das Interesse des Betrachters wecken. Ohne Ideen gäbe es die Dokumenta in Kassel nicht. Vor jeder Neuerung, sowohl in der Kunst wie in der Technik und in der Wissenschaft, stand zuerst immer eine Idee.

Die Werke eines Künstlers sind das Produkt seiner Zeit, das ist richtig. Ein Beispiel dafür ist die Schauspielkunst. Man erinnere sich an die exaltierten Gesten und an die - oft - übertriebene Mimik, um in der Anfangsphase des Films die ungehörte Sprache zu ersetzen und mit möglichst wenigen Untertiteln auszukommen. Heute bekämen wir bei einer solchen Demonstration Lachkrämpfe oder würden entsetzt den Kinosaal verlassen. Der moderne Schauspieler muss dagegen subtilste Gesichtsregungen beherrschen, um starke Gefühle mitzuteilen, und wenn es nur ein Zucken des Mundwinkels oder eines Augenlids ist, mit dem er nicht nur auf die gehörte Sprache, sondern auch auf den darin enthaltenen Subtext reagiert.

Das neue Medium Film war die Herausforderung an die bildenden Künstler. Picasso kam auf die Idee, seine Porträts so zu malen, wie er die bewegten Bilder wahrnahm, nämlich aus mehreren Perspektiven zugleich. Was wir für "durchgeknallt" halten könnten, nämlich Gesichter mit völlig "verschobenen" Einzelteilen darzustellen, war nichts anderes als sein Versuch, es der Filmkamera gleichzutun, die quasi ein Gesicht umrunden kann. Überhaupt war Picasso ein Meister der Ideenfindung. Wer kennt nicht sein Kunstwerk "Stier"? Bei näherer Betrachtung ist dieser Stierkopf nichts anderes als ein Fahrradlenker und ein Fahrradsattel. Da kratzt sich bestimmt mancher Zeitgenosse am Scheitel und fragt: "Was ist denn daran die Kunst?" Oder kennt jemand hier die Bilder von Uecker? Sie bestehen aus nichts anderem als unterschiedlich langen Eisennägeln, die in einem bestimmten Winkel und in einer festgelegten Richtung in einen Untergrund geschlagen sind, aber tolle Effekte hervorbringen. Der Traum eines Handwerkers: Man braucht nur eine Unterlage, jede Menge Nägel und einen Hammer ... und schon ist man ein Künstler, der von seiner Kunst leben kann. Ideen muss man eben haben.
http://www.kettererkunst.de/kunst/kd...r=375&detail=1
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Alt 11.04.2018, 17:48   #14
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Seit dem fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert verlor die Kunst zunehmend an Handwerklichkeit, weil die Menschen verstanden, dass es auch noch andere Dinge neben Gott gab.
Das Licht und die Perspektiven wurden bewusst falsch dargestellt. Jacopo da Pontormo war ja einer der Vorreiter des Manierismus.
Der stark paranoide Maler wandte sich ja dem Begriff der Religion bewusst ab.

Heute wird Kunst durch Markt, Philosophie und Genialität am Leben erhalten.
Mit Genialität meine ich nicht die Persönlichkeit eines Künstlers, sondern den Moment der Geburt einer Idee, die wirklich etwas auf künstlich erzeugtem Wege bewegt. Und das durch sehr viel Arbeit.

Eine weiße Leinwand, ein schwarzer Strich und man nennt es moderne Kunst. Aber kaum jemand weiß, wie viel tausend Arbeitsstunden dahinter stehen.
Das treibt das abstrakte Handwerk zur Perfektion.

Früher war die Kunst der Glaube an Gott und heute ist sie, der Glaube an den Euro und der elitären Profilierung!

Was die Dichterei betrifft, so glaube ich, dass jeder, der mit seinen Gedichten groß für die Nachwelt werden will...
Ich glaube so jemand ist kein Dichter.
Ein Dichter interessiert sich wahrscheinlich überhaupt nicht dafür. Möglicherweise weiß er nicht mal, dass er zum Dichten berufen ist - trotzdem fließt der Drang des Schreiben ohne Unterbrechung in die Herzen der Wort- und Reimliebenden.

Ich sehe mich im Moment selbst bewusst als Dichter - nicht weil ich irgendwie Worte ordnen und Reime schaffen kann.
Sondern weil ich nicht mit Schreiben aufhören kann.

vlg

EV
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Alt 12.04.2018, 14:24   #15
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Zitat Stachel

Zitat:
Welche Instanz sollte das deiner Meinung nach sein? Welcher Kriterienkatalog sollte angelegt werden? Sollte es ein Kunstgericht geben, dass über Kunst oder Nichtkunst entscheidet?
Natürlich nicht, da es keine objektiven Kriterien gibt. Das hat die ganze Zeit auch so funktioniert - ergibt sich von selbst. Wenn Heinz Krummbein von sich sagt er wäre ein Fußballgott, dann wird man müde lächeln. Wenn Ronaldo und Messi das von sich behaupten, dann wird jeder zustimmend abnicken. Die einen spielen Fußball, die anderen können Fußball spielen. Und so ist das auch in der Kunst. Das fachkundige Publikum entscheidet.

Zitat Stachel

Zitat:
Ich behaupte das Gegenteil. Ich bin fest davon überzeugt, dass einige der hier veröffentlichten Gedichte, wenn sie erst einmal gemeinfrei geworden sind, in den Kanon deutscher Lyrikliteratur eingehen werden.
Dann stehen sich hier zwei Behauptungen gegenüber. Auf meine wäre ich bereit eine hohe Summe zu wetten.

Zitat Stachel

Zitat:
Dein Argument in diesem Absatz ist demnach, dass Kunst sich nicht an der Qualität des Werks sondern allein an der Bekanntheit des Künstlers festmacht?
Hatte ich so nicht gesagt.

Nehmen wir mal Edgar Allan Poe. Hätte er nur seinen "Raben" geschrieben und sonst gar nichts...würde wohl kaum jemand dieses Gedicht kennen - und der Name Edgar Allan Poe uns rein gar nichts sagen. Da er aber zu jener Zeit schon ein weltberühmter Schriftststeller war...zählt auch sein Gedicht zu den besten aller Gedichte. Das ist in doppelter Hinsicht ein gutes Beispiel...denn E.A.P. sagte ja selbst...als er zum Raben befragt wurde...dass er von Lyrik null Ahnung und auch kein Interesse daran hatte- es war für ihn ein Spaß, eine Fingerübung. Er machte immer wieder lange Pausen und schrieb insgesamt 10 Jahre an diesem Gedicht.

Zitat Stachel

Zitat:
Ein Künstler muss den Nachweis dafür bringen, dass er ein solcher ist? Wie kann ihm das gelingen? Wer außer ihm selbst kann denn der Maßstab dafür sein?
Genau das Gegenteil sagte ich. Die Reputation ist eine "Außensache"

Zitat Stachel

Zitat:
Damit ist der Maßstab für Kunst kommerzieller Erfolg?
Nein. Es gibt herrvorragende und anerkannte Künstler...die ihre Werke nicht verkaufen. Aber i.d.R. wird Kunst nachgefragt.

Zitat Stachel

Zitat:
Äh, nein. Es gibt auch heute noch Leute, die sowas fertigen. Dass du keine kennst, bedeutet ja nicht, dass keine da sind.
Ich weiß, dass es auch meisterliche Zeitgenossen gibt - ob die so gut sind wie M.A., das will ich nicht beurteilen - kann es auch nicht.

Zitat Stachel

Zitat:
Du hast in deinem Text verschiedene Beispiele mit ganz unterschiedlichen Bewertungsregeln für Kunst angeführt. Teilweise stehen sie im Widerspruch zueinander.
Ich finde es toll, dass du so viele Fragen dabei anreißt. Bislang eröffnest du auch noch mehr Fragen, als das du welche (er)klärst. Ich hoffe, du bleibst die Antworten nicht schuldig
Wundert mich nicht, dass da einiges im Widerspruch zueinander steht.

Vielen Dank und Grüße, A.D.
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Alt 12.04.2018, 19:31   #16
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Zitat Eisenvorhang

Zitat:
Heute wird Kunst durch Markt, Philosophie und Genialität am Leben erhalten.
Mit Genialität meine ich nicht die Persönlichkeit eines Künstlers, sondern den Moment der Geburt einer Idee, die wirklich etwas auf künstlich erzeugtem Wege bewegt. Und das durch sehr viel Arbeit
Kann ich so unterschreiben...bis auf "...durch sehr viel Arbeit"...denn das ist wohl sehr relativ....


Zitat Eisenvorhang

Zitat:
Eine weiße Leinwand, ein schwarzer Strich und man nennt es moderne Kunst. Aber kaum jemand weiß, wie viel tausend Arbeitsstunden dahinter stehen.
Das treibt das abstrakte Handwerk zur Perfektion.
hm..ja und nein. Nein...weil Strichzeichnung wohl nur deshalb gewürdigt wird...weil du vorher schon nachgewiesen hast auch komplexeres erschaffen zu können.

Zitat Eisenvorhang

Zitat:
Was die Dichterei betrifft, so glaube ich, dass jeder, der mit seinen Gedichten groß für die Nachwelt werden will...
Ich glaube so jemand ist kein Dichter.
Auch hier ja und nein. Nein...weil Künstler selten bis nie bescheiden sind. Ein gewisser Größenwahn gehört m.E. dazu. Goethe dachte schon in jungen Jahren von sich der Größte aller Zeiten zu sein...bzw zu werden. "Lieschen Müller"...die zwischen Bügelwäsche, Verbotene Liebe und der Zubereitung des Abendessens kreativ sein will...wird es nur in den seltensten Fällen zu etwas bringen. Wer "nomal" liebt und lebt, der kann unmöglich Künstler sein oder werden. Mindestens eine Persönlichkeitsstörung, besser zwei oder drei...muss er da schon vorweisen können. Du wirst keinen Künstler finden...der sich vegan ernährt, im Gesangsverein musiziert, ...seit 20 Jahren mit der selben Frau verheiratet ist, in einem Reihenhaus lebt und jeden Dienstag um 18:00 den Müll vor die Tür bringt.

Zitat Eisenvorhang

Zitat:
Ich sehe mich im Moment selbst bewusst als Dichter - nicht weil ich irgendwie Worte ordnen und Reime schaffen kann.
Sondern weil ich nicht mit Schreiben aufhören kann
Das ist ja auch gut so! Bewahre dir das. Dichter bist Du allemal..wie alle hier.
Hier sind jede Menge gute Dichter und Dichterinnen...ohne jeden Zweifel. Ob daraus Kunst entsteht...das steht dann wieder auf einem anderen Blatt.

Viele Grüße, A.D.
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Alt 12.04.2018, 19:54   #17
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Obgleich ich "Künstler" im Namen trage, sehe ich mich selbst nicht als Künstler. Mir ist auch nicht bewusst jemals etwas erschaffen zu haben...das man als Kunst bezeichnen könnte - andere tun das- ich nicht. Wenn ich lyrisch unterwegs bin...dann ist das eine Art Zwang. Die Fotografie ein Hobby. Schreibe ich Dialoge für Drehbücher...sehe ich das als Nebenverdienst...also als reine Arbeit. Die Malerei ist eine Art Beruhigungsmittel...ein Pulssenker. Das Liedtexten hat sich zufällig ergeben - ich mache es nur...weil es gut bezahlt wird...aber ohne jede Leidenschaft. Ich trage diesen Beinamen zu unrecht-und auch nur...weil man mir dazu geraten hatte...es mir in manchen Dingen das Leben leichter macht. Ok, es gibt da noch etwas...das man vielleicht wirklich als künstelrische Tätigkeit bezeichnen könnte - doch das ist mir wiederum so peinlich, dass ich gar nicht darüber reden möchte. Du siehst, ich habe einen an der Waffel...und dies deutet wiederum auf einen Künstler hin
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Alt 12.04.2018, 20:04   #18
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Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Du wirst keinen Künstler finden...der sich vegan ernährt, im Gesangsverein musiziert, ...seit 20 Jahren mit der selben Frau verheiratet ist, in einem Reihenhaus lebt und jeden Dienstag um 18:00 den Müll vor die Tür bringt.
Ein derart wechselvolles Leben führen nicht nur Künstler.

Ich möchte aber auf einen noch anderen Aspekt zusprechen kommen, der m.E. nur angerissen, aber nicht näher beleuchtet wurde: Ein wahrer Künstler hat oft Talente in nicht nur einer, sondern in mehreren Disziplinen, was für seinen Durchbruch maßgebend sein kann. Goethe und Bertolt Brecht hatten ihre eigenen Theater und konnten somit bestimmen, welche Stücke wie aufgeführt und welches Zielpublikum angesprochen werden sollte. Das war ein enormer Vorteil dafür, dass auch die anderen Tätigkeiten dieser Literaten wahrgenommen wurden. Bei Brecht kamen dann noch das Einbinden von ins Ohr gehenden Liedern dazu sowie die Einführung des "offenen" Theaters, also das Eindringen der Schauspieler in den Raum des Publikums.

Bei den modernen Dichtern spielt ebenfalls die Musik eine große Rolle. Die Populärität der Texte von Wolf Biermann kann ich mir nicht ohne Musik vorstellen, ebenso nicht die Anerkennung Konstanin Weckers als Lyriker ohne seine Popularität als Sänger.

Armin-Müller Stahl hat einen Namen als Schauspieler und lässt mittlerweile seine Bilder zu stolzen Preisen anbieten. Günter Grass ist schon lange als bildender Künstler unterwegs. Ob sie diese Aufmerksamkeit auch bekommen hätten, wenn sie nicht schon in anderen Disziplinen ihren Durchbruch gehabt hätten? Wer weiß ...
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Alt 12.04.2018, 20:29   #19
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Einer in unserer Zeit größter und glücklich verheirateter Künstler ist beltracci.

Der einzige Dichter, der ob seiner Dichtung Ruhm erlangte war Rilke.

Goethe halte ich persönlich für überbewertet. Multitalent ja, in der Dichtung gab es aber bessere.
Ja, Künstler sind fertig mit der Welt. Woher soll auch sonst Kreativität kommen, wenn nicht aus einem Geist, der sich im gesellschaftlichen neurologischen Spektrum selbst befremdet oder befremdet wird.

Gab es nicht von Adorno oder Walther Benjamin oder Gadamer den Gedanken darüber, dass Kunst nur sich selbst genügen kann? Und sie nur ein Konstrukt des Diskurses sei?

Für mich ist Literatur keine Kunst, sondern ein Handwerk, welches sich mit Fleiß meistern lässt. Weswegen Literatur für mich auch keine Kunst ist. Genausowenig wie Lyrik.
Kunst gibt es für mich nicht.

Es gibt gute Malerei, wie die von Kiesewetter und das andere da in Kunsthochschulen ist Profil und Narzismuss.

Vlg

Ev
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Alt 12.04.2018, 20:51   #20
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Rilke halte ich persönlich auch für den größten Dichter. Viele seiner Gedichte sind speziell...einzigartig...originell - und das handwerkliche Können jederzeit spürbar.
Zudem rettete er die Lyrik in die Neuzeit hinein. Seine Gedichte sind zeitlos. Im Gegegensatz zu einem Heine...den ich für einen der überbewertesten Dichter halte. Schiller war ein herausragender Handwerker...der sein Fach von A bis Z beherrschte, aber er war in meinen Augen nur ein mittelmäßiger Lyriker. Seine gedichte würde man heute, wie die Gedichte von Heine auch, in jedem Forum zerreißen...oder sie erst gar nicht beachten. Hesse war sicherlich auch einer der ganz Großen. Aber alles eine Frage des persönlichen Geschmacks und auch eine Frage der jeweiligen Epoche. Manches passt einfach nicht mehr in die heutige Zeit. Ganz furchtbar finde ich solche Leute wie Ringelnatz...möchtegern Komiker..die weder komisch noch gute Lyriker waren. Wie so jemand zu Ruhm kommen konnte...das wird mir immer ein Rätsel bleiben. Fragt man die Intellektuellen nach ihren Lieblings-Lyrikern...dann fällt meist der Name Gernhardt. Das hat was von "damit mache ich nichts falsch". Mir gefällt nicht ein einziger Text...den ich von ihm kenne. Soll aber nicht respektlos klingen - er war auch ohne seine Lyrik ein kreativer, fleißiger, umtriebiger und bemerkenswerter Zeitgenosse - ein Held der linken Szene.

Goethe war kein besonders guter Handwerker...aber er hatte ein unglaubliches Gefühl
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Alt 12.04.2018, 21:04   #21
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Mir machen Gedichte von Ringelnatz Spaß. Ich lese sie deswegen gerne. Ich bewundere ihn, weil er aus allem etwas Humorvolles machen konnte.

Wann ein Künstler ein Künstler ist und nach welchen Maßstäben - ist mir ziemlich wurscht. Meist hat das große Publikum sowieso einen anderen Geschmack als die Literaturkritiker.

Zitat Eisenvorhang
Zitat:
Für mich ist Literatur keine Kunst, sondern ein Handwerk, welches sich mit Fleiß meistern lässt. Weswegen Literatur für mich auch keine Kunst ist
Nur Fleiß reicht meiner Meinung nach nicht. Man kann sich natürlich jeden Tag die Finger wund schreiben. Ob deswegen etwas Gutes dabei heraus kommt, steht auf einem anderen Blatt.

Über eine Geschichte einige Tage nachdenken, anstatt tagelang zu schreiben, bringt mE mehr.
Ob das Kunst ist bzw. welche von beiden Vorgehensweisen Kunst ist, tja, das weiß ich nicht - spielt aber eigentlich auch gar keine Rolle.
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Alt 12.04.2018, 21:15   #22
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Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Schiller war ein herausragender Handwerker...der sein Fach von A bis Z beherrschte, aber er war in meinen Augen nur ein mittelmäßiger Lyriker.
Ach? Er schrieb sein erstes Theaterstück im Alter von 16 Jahren - an der Karlsschule - heimlich, denn das Entdecktwerden hätte ihn viel gekostet. Er hatte Ideen, Vorstellungen und ein Gefühl für Werte. Freiheit bedeutete ihm viel. Seine Flucht nach Mannheim unternahm er unter Lebensgefahr. Seine Haltung zur Welt floss in seine Dichtung ein. Er war ein großartiger Balladenschreiber. An Schiller war nichts mittelmäßig.

Also, weißt Du, AnDi, wie du hier einige Dichter runterputzt, hat für mich etwas Arrogantes. Sie waren Kinder ihrer Zeit, und in diese Zeit passte, was sie schrieben. Damals waren sie genau deshalb nicht unterbewertet, weil es passte. Heute mag es uns nicht perfekt genug vorkommen oder nichts mehr zu sagen haben ... andererseits: Ist etwas an ihre Stelle getreten, das uns, auf die heutige Zeit bezogen, eine ebensolche Größe erkennen lässt? Da war mal vor ein paar Jahren ein Lyriker, der einen Literaturpreis bekam, an dessen Namen sich aber niemand mehr erinnert, für den sich niemand interessiert, und aus dessen Lyrik niemand einen Vers zitierten kann. So ist es mit der Moderne. Aber die "alten Meister" kennen wir immer noch, und wenn wir Zitate im Alltag gebrauchen, stammen sie oft aus dem "Faust", dem Werk des von dir als "überschätzt" genannten Goethe.
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Alt 12.04.2018, 22:36   #23
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Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
Seine gedichte würde man heute, wie die Gedichte von Heine auch, in jedem Forum zerreißen...oder sie erst gar nicht beachten.
Das stimmt nicht! Hast du von Heinrich Heine "Donna Clara" / "Don Ramiro" oder "Atta Troll" gelesen? Ja? Welcher Mensch, der das nicht kennt, sich aber für Lyrik interessiert, würde das heutzutage in einem Forum "nicht beachten"?

Allein für die Spannung in der Geschichte und den Erzählstil würde derjenige Dichter Lob bekommen und das wenigstens von denen, die das Handwerk und den Spannungsbogen und die Emotion dahinter überhaupt begreifen.

Sei es drum, ach da war noch was mit Robert Gernhardt. Wenn du den Humor nicht teilst, warum solltest du es auch gut finden? Humor ist doch eine Geschmacksfrage, das macht den Mann aber als Dichter nicht untalentiert. Du bist vielleicht einfach nicht der richtige, um sein Werk korrekt einzuordnen, weil du vorurteilsbehaftet gegenüber seinem Humor bist.

AndereDimension:
"Fragt man die Intellektuellen nach ihren Lieblings-Lyrikern...dann fällt meist der Name Gernhardt. Das hat was von "damit mache ich nichts falsch".

Was heißt hier: "Damit mache ich nichts falsch"? Mich interessiert: Kannst du mir einen einzigen anerkannten Lyriker unserer heutigen Zeit nennen, einen der so richtig bekannt ist, wie sie es Rilke, Hesse, Gernhardt, Goethe, Schiller, Heine und wie sie alle heißen, zu ihrer Zeit waren. Lyriker, nicht Songschreiber.

Ich fürchte: Darüber wird danach wohl eine höchste Uneinigkeit herrschen, gleich wen du auch nennst. Die Lyrik der aktuellen Zeit hat ihre eigenen Wege eingeschlagen und leider, und mich ärgert das tatsächlich sehr, kenne ich so gut wie keinen im Moment :-(, denn von denen, die hier schreiben, ist nichts unter echten Namen. Das ist schade, sehr sogar. Und heutzutage, grade weil wir im Digitalzeitalter sind, ist überhaupt nicht gesagt, dass die "besten" Lyriker in Buchform zu finden sind. Wer liest Lyrikbücher? Wieviele gibt es überhaupt mit aktuellen Autoren? Viel einfacher ist es im Internet zu sehen, Communities zu besuchen, dort zu schauen, wie sich alles entwickelt. Das sitzt doch viel näher am Puls der Zeit, ist auch immer aktuell und die Medien machen, dass wir uns sowieso nach und nach den Dingen anpassen und irgendwie werden wir dabei beeinflusst. Entscheidend ist es, zu schreiben, Spaß daran zu haben und anderen etwas mitzugeben und das haben Goethe, Gernhardt, Schiller, Heine, Rilke (auch wenn ich den nun grade nicht durchlesen mag/kann, weil ich bei jeder Zeile das Gefühl der totalen Melancholie empfinde), Bernstein, Hesse, Hölderlin, Nietzsche, Ringelnatz, Morgenstern usw. (meine Güte) ... die alle haben Sachen geschrieben die mich irgendwas haben empfinden lassen. Gleichgültigkeit zwar auch, hin und wieder, aber nicht in einem so hohen Maße wie mancher nicht so fähige Autor das so schafft. Trotzdem ist das alles eine Kunst, überhaupt Texte mit Sinn in diese Gedichtformen zu setzen. Denn viele Menschen können das nicht. Und genau darin liegt der Hund begraben und darum sollte man die achten, die es können und ihre Werke nun mal auch als "Kunst" verstehen, weil sie es "können", auf verschiedenen Leveln und natürlich nicht jeder als "Meister" wohl aber als Künstler, ob nun gut oder nicht so gut.

Goethes Werke, Schillers Werke, mein Lieblingsdichter Nietzsche ... die haben alle auch einen Haufen Mist geschrieben, so wie wohl jeder. Und? Das hat alles nichts zu sagen ... einzig und allein entscheidend ist, das es bleibt, das irgendjemand dadurch eine Empfindung hat, und zwar nicht nur allein der Autor und schon war es das. Es war Kunst, für wenigstens ein einziges schlagendes Herz.

Der Rest ist Zeit und Lesermenge.

Aber was lerne ich aus diesem Gedankengang? Das Lyrik doch wohl letztlich etwas ist, dass sich halt so nach und nach durch die Welt verbreitet. Sie folgt ihren ziemlich schwer zu verfolgenden Gesetzen und Hauptströmungen, die mir im Moment zum Beispiel gar nicht klar sind. Was ich wirklich bedauere, aber so ist es eben. Wer gibt Richtungen vor, wo werden Richtungen vorgegeben? Wer sind die Leitfiguren der heutigen Lyrik?
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Alt 13.04.2018, 06:46   #24
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Ein sehr erfolgreicher Lyriker unserer Zeit ist Jan Wagner.
Er ist viel erfolgreicher als es Rilke damals war, schließlich verdient er mit seiner Lyrik gut Geld und gewinnt einen Buchpreis nach dem anderen.

Das Sonett von Gernhardt ist toll, der Rest ist für mich schwer leserlich und trifft nicht meinen Humor.
Heinz Erhardt schon eher...

Ein Gesetz in der Lyrik existiert, es heißt, sie sei Musik und liedhaft - weswegen gut 95 Prozent der meisten Gedichte wegfallen, weil die Autoren das Wortklanggefühl nicht besitzen.

Hier waren halt auch Rilke und Hesse zwei ungeschlagene Meister.
Auch wenn sie schon damals für Ihre Emotionalität verurteilt wurden.

@DieSilbermöwe

In der Literatur ist für mich Talent, einfach viel zu schreiben und es zu lieben. Das trennt die Spreu vom Weizen.

Rilke stellte in einen seiner Briefe jemanden die Frage (sinngemäß)

„Kannst du ohne schreiben leben oder würdest du ohne lieber sterben? Kannst du die Frage mit Ja beantworten, so bist du kein Dichter und solltest das Schreiben lieber aufgeben...“
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Alt 13.04.2018, 06:48   #25
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Zitat:
Zitat von Eisenvorhang Beitrag anzeigen
Ein sehr erfolgreicher Lyriker unserer Zeit ist Jan Wagner.
Seine "Regentonnenvariationen" habe ich seit Jahren in meiner Lyriksammlung.
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Alt 13.04.2018, 06:59   #26
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Seine "Regentonnenvariationen" habe ich seit Jahren in meiner Lyriksammlung.
Seine Essays sind auch gut, liebe Ilka.
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Alt 13.04.2018, 07:44   #27
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Zitat:
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Seine Essays sind auch gut, ...
Die Essays kenne ich nicht. Allein davon und von seinen Gedichten kann Wagner trotz aller positiver Aufnahme nicht leben. Er übt noch etliche andere Tätigkeiten aus, die lukrativer sind. Das gilt auch für Durs Grünbein, der ebenfalls für Zeitschriften und als Übersetzer arbeitet.
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Alt 13.04.2018, 09:07   #28
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Zitat Eisenvorhang
Zitat:
In der Literatur ist für mich Talent, einfach viel zu schreiben und es zu lieben. Das trennt die Spreu vom Weizen.

Rilke stellte in einen seiner Briefe jemanden die Frage (sinngemäß)

„Kannst du ohne schreiben leben oder würdest du ohne lieber sterben? Kannst du die Frage mit Ja beantworten, so bist du kein Dichter und solltest das Schreiben lieber aufgeben...“
Auf diesen Einwand habe ich gewartet , da er mir in einem anderen Thread schon mal so ähnlich an den Kopf geworfen wurde. Auch wenn Rilke das gesagt hat, habe ich trotzdem eine andere Meinung dazu.

Mir ist tatsächlich das Schreiben nicht das Allerwichtigste auf der Welt. Wenn es z. B. darum geht, Zeit mit Menschen, die mir wichtig sind, zu verbringen, dann hat dies Vorrang und nicht das Schreiben, auch wenn mir gerade eine Idee im Kopf herumspukt. Dann speichere ich diese eben einfach im Kopf ab und hole sie später wieder heraus.

Hier wurde Andere Dimension Arroganz vorgeworfen, weil er Dichter herunterputzt. Nun, nichts anderes als Herunterputzen ist auch die Bemerkung ".... so bist du kein Dichter und solltest das Schreiben lieber aufgeben."

So etwas reicht schon, um einem Anfänger die Lust am Schreiben zu nehmen.

Es wird mal wieder - wie so oft - übersehen, dass die Menschen nun mal verschieden sind.

Ich sehe es nicht ein, nicht mehr zu schreiben, nur weil Rilke diesen Satz gesagt hat und ich keine Lust habe, lieber zu sterben als nicht mehr zu schreiben.

Ich betrachte das Schreiben mehr als schönes Hobby und nicht als die Aufgabe, etwas von künstlerischem Wert zu schaffen und/oder ein großer Dichter zu werden. Also eher als Ergänzung und nicht als den Sinn und Zweck meines Lebens.

Wenn jemand das für sich selbst anders sieht, ist es ja okay. Aber er sollte nicht anderen vorschreiben wollen, wie sie zu empfinden haben bzw. sich herausnehmen, denjenigen zu empfehlen, "das Schreiben lieber aufzugeben."

Jeder hat wohl eine andere Methode zu schreiben. Wie ich schon weiter oben schrieb, viel schreiben ist ja nicht unbedingt mit gut schreiben gleichgesetzt.

Ich las mal über Clara Viebig, dass sie sagte, ihre Mutter habe mit ihr geschimpft, weil sie augenscheinlich Zeit an ihrem Schreibtisch verplempere, statt zu schreiben. In dieser Zeit dachte die Schriftstellerin aber über ihre Geschichten nach.

Ich würde mich auch in nichts mehr so verrennen, dass ich theatralisch "lieber sterben" würde als es nicht zu machen.
Muss am Alter liegen, da wird man gelassener.

Ich denke allerdings sowieso nicht, dass ich ein Dichter bin. Und das ist mir tatsächlich auch noch egal.

Mir machen übrigens hier im Forum die Gedichte von neuen Usern am meisten Spaß, weil sie meist noch unbeeinflusst und manchmal sogar sehr kreativ schreiben, kurz: Das überrascht einen noch.
Das heißt jetzt nicht, dass ich die "alten Meister" nicht achte, ihre Kunst bewundere ich sehr. Aber man muss nur genug gelesen haben, dann ahnt man (meistens, nicht immer) schon, was kommt.

LG DieSilbermöwe

Geändert von DieSilbermöwe (13.04.2018 um 10:51 Uhr)
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Alt 13.04.2018, 12:56   #29
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Weiß nicht an wen Heines Worte gerichtet waren, aber vermutlich an einen Dichter-Kollegen. Also etwas anderes...als hätte er sie uns in Stammbuch geschrieben. Einem Hobby-Poeten hätte er wohl etwas anderes empohlen.

Als Michelangelo den Auftrag für die Sixtinische Kapelle bekam, malte er rund um die Uhr an seinen Fresken...bis zur völligen Erschöpfung. Er ließ immer wieder den Putz von der Decke kratzen und fing von vorne an...wenn er mit dem Ergebnis nicht hundertprozentig zufrieden war. Diese Verbissenheit...oder positiv ausgedrückt diese Leidenschaft...muss man an den Tag legen...will man Großes erschaffen. Das geht weit über das Handwerk hinaus. Es ist eine innere Kraft...der man sich nicht widersetzen kann. So oder ähnlich meinte das wohl auch Heine. Michelangelo war vermutlich ein Authist. Es lässt sich heute nicht mehr beweisen, aber es deutet alles darauf hin.
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Alt 13.04.2018, 14:20   #30
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Zitat:
Als Michelangelo den Auftrag für die Sixtinische Kapelle bekam
Ja eben - eine Auftragsarbeit ist etwas ganz anderes als nur als Hobby zu schreiben/zu malen etc. Dass man einen Auftrag perfekt ausführen will, kann ich verstehen und dass man wie verrückt arbeitet, um ihn perfekt auszuführen, auch.

Zitat:
Weiß nicht an wen Heines Worte gerichtet waren, aber vermutlich an einen Dichter-Kollegen. Also etwas anderes...als hätte er sie uns in Stammbuch geschrieben. Einem Hobby-Poeten hätte er wohl etwas anderes empohlen.
Ich nehme an, du meinst Rilkes Worte, nicht Heines.
Ich finde es unwichtig, an wen sie gerichtet waren, dadurch ändert sich am Inhalt nichts.
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Alt 13.04.2018, 15:06   #31
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@DieSilbermöwe

Du kannst auch Deine eigene Meinung dazu haben; keiner möchte Dir diese Meinung in Abrede stellen.

Davon ab ist es einfache Logik: wenn man worin gut werden will, wird man nur gut darin, wenn man mehr Zeit als andere investiert.
Hier greift die Prämisse der Zeitinvestition und das Ziel, welches man verfolgt.

Es geht auch nicht darum, wie man etwas sieht, sondern darum WIE man etwas kann. Um eine Gegebenheit!

Ich selbst habe zwei Dinge in meinem Leben von denen ich überhaupt nicht lassen kann - und beide Sachen besitzen auch eine größere Priorität als Menschen, einfach aus dem Grund, dass ich es nicht anders kann - weswegen ich die Zeilen vom Herrn Rilke sehr gut nachvollziehen kann.

Hier geht es ja um Kunstbegriffe und damalige große Dichter und Talent.
Wer nicht viel macht und andere Prioritäten hat... Naja, wird halt nix.

@a.D.

Es war der Briefaustausch zwischen Rilke und dem schwer depressiven Xaver Kappus.

https://s1.shotroom.com/img/180413/oMwqi_o.png
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Alt 13.04.2018, 15:12   #32
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Zitat:
Es war der Briefaustausch zwischen Rilke und dem schwer depressiven Xaver Kappus.
Der konnte diese aufmunternden Worte sicher gut gebrauchen.
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Alt 14.04.2018, 07:46   #33
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Es waren wohl 10 Briefe...die Rilke an Kappus schrieb. Man müsste sie alle lesen um sich da ein abschließendes Urteil erlauben zu können. Rilke schrieb sehr einfühlsam...wie ich meine. Vom Fazit her hat das für mich so etwas wie: Lieber ein Ende mit Schrecken...als ein Schrecken ohne Ende. Dieser Kappus schien daran zu verzweifeln...dass er als Dichter keine Anerkennung fand. So gesehen war der Rat Rilkes der richtige.

Übrigens schrieb Kappus zuerst - er bat Rilke um dessen ehrliche Meinung. Da muss ich eben auch mit einer ehrlich Antwort rechnen. Stützt meine These, dass die meisten Menschen an der Wahrheit gar nicht interessiert sind.


Zitat

Zitat:
An Franz Xaver Kappus
Borgeby gård, Flädie, Schweden,
am 12. August 1904



Mein lieber Herr Kappus,
Ich will wieder eine Weile zu Ihnen reden, lieber Herr Kappus, obwohl ich fast nichts sagen kann, was hilfreich ist, kaum etwas Nützliches. Sie haben viele und große Traurigkeiten gehabt, die vorübergingen. Und Sie sagen, daß auch dieses Vorübergehen schwer und verstimmend für Sie war. Aber, bitte, überlegen Sie, ob diese großen Traurigkeiten nicht vielmehr mitten durch Sie durchgegangen sind? Ob nicht vieles in Ihnen sich verwandelt hat, ob Sie nicht irgendwo, an irgendeiner Stelle Ihres Wesens sich verändert haben, während Sie traurig waren? Gefährlich und schlecht sind nur jene Traurigkeiten, die man unter die Leute trägt, um sie zu übertönen; wie Krankheiten, die oberflächlich und töricht behandelt werden, treten sie nur zurück und brechen nach einer kleinen Pause um so furchtbarer aus; und sammeln sich an im Innern und sind Leben, sind ungelebtes, verschmähtes, verlorenes Leben, an dem man sterben kann. Wäre es uns möglich, weiter zu sehen, als unser Wissen reicht, und noch ein wenig über die Vorwerke unseres Ahnens hinaus, vielleicht würden wir dann unsere Traurigkeiten mit größerem Vertrauen ertragen als unsere Freuden. Denn sie sind die Augenblicke, da etwas Neues in uns eingetreten ist, etwas Unbekanntes; unsere Gefühle verstummen in scheuer Befangenheit, alles in uns tritt zurück, es entsteht eine Stille, und das Neue, das niemand kennt, steht mitten darin und schweigt.
Ich glaube, daß fast alle unsere Traurigkeiten Momente der Spannung sind, die wir als Lähmung empfinden, weil wir unsere befremdeten Gefühle nicht mehr leben hören. Weil wir mit dem Fremden, das bei uns eingetreten ist, allein sind, weil uns alles Vertraute und Gewohnte für einen Augenblick fortgenommen ist; weil wir mitten in einem Übergang stehen, wo wir nicht stehen bleiben können. Darum geht die Traurigkeit auch vorüber: das Neue in uns, das Hinzugekommene, ist in unser Herz eingetreten, ist in seine innerste Kammer gegangen und ist auch dort nicht mehr, - ist schon im Blut. Und wir erfahren nicht, was es war. Man könnte uns leicht glauben machen, es sei nichts geschehen, und doch haben wir uns verwandelt, wie ein Haus sich verwandelt, in welches ein Gast eingetreten ist. Wir können nicht sagen, wer gekommen ist, wir werden es vielleicht nie wissen, aber es sprechen viele Anzeichen dafür, daß die Zukunft in solcher Weise in uns eintritt, um sich in uns zu verwandeln, lange bevor sie geschieht. Und darum ist es so wichtig, einsam und aufmerksam zu sein, wenn man traurig ist: weil der scheinbar ereignislose und starre Augenblick, da unsere Zukunft uns betritt, dem Leben so viel näher steht als jener andere laute und zufällige Zeitpunkt, da sie uns, wie von außen her, geschieht. Je stiller, geduldiger und offener wir als Traurige sind, um so tiefer und um so unbeirrter geht das Neue in uns ein, um so besser erwerben wir es, um so mehr wird es unser Schicksal sein, und wir werden uns ihm, wenn es eines späteren Tages «geschieht» (das heißt: aus uns heraus zu den anderen tritt), im Innersten verwandt und nahe fühlen. Und das ist nötig. Es ist nötig und dahin wird nach und nach unsere Entwicklung gehen -, daß uns nichts Fremdes widerfahre, sondern nur das, was uns seit lange gehört. Man hat schon so viele Bewegungs-Begriffe umdenken müssen, man wird auch allmählich erkennen lernen, daß das, was wir Schicksal nennen, aus den Menschen heraustritt, nicht von außen her in sie hinein. Nur weil so viele ihre Schicksale, solange sie in ihnen lebten, nicht aufsaugten und in sich selbst verwandelten, erkannten sie nicht, was aus ihnen trat; es war ihnen so fremd, daß sie, in ihrem wirren Schrecken, meinten, es müsse gerade jetzt in sie eingegangen sein, denn sie beschworen, vorher nie Ähnliches in sich gefunden zu haben. Wie man sich lange über die Bewegung der Sonne getäuscht hat, so täuscht man sich immer noch über die Bewegung des Kommenden. Die Zukunft steht fest, lieber Herr Kappus, wir aber bewegen uns im unendlichen Raume.
Wie sollten wir es nicht schwer haben?
Und wenn wir wieder von der Einsamkeit reden, so wird immer klarer, daß das im Grunde nichts ist, was man wählen oder lassen kann. Wir sind einsam. Man kann sich darüber täuschen und tun, als wäre es nicht so. Das ist alles. Wieviel besser ist es aber, einzusehen, daß wir es sind, ja geradezu, davon auszugehen. Da wird es freilich geschehen, daß wir schwindeln; denn alle Punkte, worauf unser Auge zu ruhen pflegte, werden uns fortgenommen, es gibt nichts Nahes mehr, und alles Ferne ist unendlich fern. Wer aus seiner Stube, fast ohne Vorbereitung und Übergang, auf die Höhe eines großen Gebirges gestellt würde, müßte Ähnliches fühlen: eine Unsicherheit ohnegleichen, ein Preisgegebensein an Namenloses würde ihn fast vernichten. Er würde vermeinen zu fallen oder sich hinausgeschleudert glauben in den Raum oder in tausend Stücke auseinandergesprengt: welche ungeheure Lüge müßte sein Gehirn erfinden, um den Zustand seiner Sinne einzuholen und aufzuklären. So verändern sich für den, der einsam wird, alle Entfernungen, alle Maße; von diesen Veränderungen gehen viele plötzlich vor sich, und wie bei jenem Mann auf dem Berggipfel entstehen dann ungewöhnliche Einbildungen und seltsame Empfindungen, die über alles Erträgliche hinauszuwachsen scheinen. Aber es ist notwendig, daß wir auch das erleben. Wir müssen unser Dasein so weit,als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann. Daß die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendlichen Schaden getan; die Erlebnisse, die man «Erscheinungen» nennt, die ganze sogenannte «Geisterwelt», der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die tägliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedrängt worden, daß die Sinne, mit denen wir sie fassen könnten, verkümmert sind. Von Gott gar nicht zu reden. Aber die Angst vor dem Unaufklärbaren hat nicht allein das Dasein des einzelnen ärmer gemacht, auch die Beziehungen von Mensch zu Mensch sind durch sie beschränkt, gleichsam aus dem Flußbett unendlicher Möglichkeiten herausgehoben worden auf eine brache Uferstelle, der nichts geschieht. Denn es ist nicht die Trägheit allein, welche macht, daß die menschlichen Verhältnisse sich so unsäglich eintönig und unerneut von Fall zu Fall wiederholen, es ist die Scheu vor irgendeinem neuen, nicht absehbaren Erlebnis, dem man sich nicht gewachsen glaubt.
Aber nur wer auf alles gefaßt ist, wer nichts, auch das Rätselhafteste nicht, ausschließt, wird die Beziehung zu einem andren als etwas Lebendiges leben und wird selbst sein eigenes Dasein ausschöpfen. Denn wie wir dieses Dasein des einzelnen als einen größeren oder kleineren Raum denken, so zeigt sich, daß die meisten nur eine Ecke ihres Raumes kennen lernen, einen Fensterplatz, einen Streifen, auf dem sie auf und nieder gehen. So haben sie eine gewisse Sicherheit. Und doch ist jene gefahrvolle Unsicherheit so viel menschlicher, welche die Gefangenen in den Geschichten Poes drängt, die Formen ihrer fürchterlichen Kerker abzutasten und den unsäglichen Schrecken ihres Aufenthaltes nicht fremd zu sein. Wir aber sind nicht Gefangene. Nicht Fallen und Schlingen sind um uns aufgestellt, und es gibt nichts, was uns ängstigen oder quälen sollte. Wir sind ins Leben gesetzt, als in das Element, dem wir am meisten entsprechen, und wir sind überdies durch jahrtausendelange Anpassung diesem Leben so ähnlich geworden, daß wir, wenn wir stille halten, durch ein glückliches Mimikry von allem, was uns umgibt, kaum zu unterscheiden sind. Wir haben keinen Grund, gegen unsere Welt Mißtrauen zu haben, denn sie ist nicht gegen uns. Hat sie Schrecken, so sind es unsere Schrecken, hat sie Abgründe, so gehören diese Abgründe uns, sind Gefahren da, so müssen wir versuchen, sie zu lieben.
Und wenn wir nur unser Leben nach jenem Grundsatz einrichten, der uns rät, daß wir uns immer an das Schwere halten müssen, so wird das, welches uns jetzt noch als das Fremdeste erscheint, unser Vertrautestes und Treuestes werden. Wie sollten wir jener alten Mythen vergessen können, die am Anfange aller Völker stehen, der Mythen von den Drachen, die sich im äußersten Augenblick in Prinzessinnen verwandeln; vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will.
Da dürfen Sie, lieber Herr Kappus, nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so groß, wie Sie noch keine gesehen haben; wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten, über Ihre Hände geht und über all Ihr Tun. Sie müssen denken, daß etwas an Ihnen geschieht, daß das Leben Sie nicht vergessen hat, daß es Sie in der Hand hält; es wird Sie nicht fallen lassen. Warum wollen Sie irgendeine Schwermut von Ihrem Leben ausschließen, da Sie doch nicht wissen, was diese Zustände an Ihnen arbeiten? Warum wollen Sie sich mit der Frage verfolgen, woher das alles kommen mag und wohin es will? Da Sie doch wissen daß sie in den Übergängen sind, und nichts so sehr wünschten, als sich zu verwandeln.



Wenn etwas von Ihren Vorgängen krankhaft ist, so bedenken Sie doch, daß die Krankheit das Mittel ist, mit dem ein Organismus sich von Fremdem befreit; da muß man ihm nur helfen, krank zu sein, seine ganze Krankheit zu haben und auszubrechen, denn das ist sein Fortschritt. In Ihnen, lieber Herr Kappus, geschieht jetzt so viel; Sie müssen geduldig sein wie ein Kranker und zuversichtlich wie ein Genesender; denn vielleicht sind Sie beides. Und mehr: Sie sind auch der Arzt, der sich zu überwachen hat. Aber da gibt es in jeder Krankheit viele Tage da der Arzt nichts tun kann als abwarten. Und das ist es, was Sie, soweit Sie Ihr Arzt sind, jetzt vor allem tun müssen.


Beobachten Sie sich nicht zu sehr. Ziehen Sie nicht zu schnelle Schlüsse aus dem, was Ihnen geschieht; lassen Sie es sich einfach geschehen. Sie kommen sonst zu leicht dazu, mit Vorwürfen (das heißt: moralisch) auf Ihre Vergangenheit zu schauen, die natürlich an allem, was Ihnen jetzt begegnet, mitbeteiligt ist. Was aus den Irrungen, Wünschen und Sehnsüchten Ihrer Knabenzeit in Ihnen wirkt, ist aber nicht das, was Sie erinnern und verurteilen. Die außergewöhnlichen Verhältnisse einer einsamen und hilflosen Kindheit sind so schwer, so kompliziert, so vielen Einflüssen preisgegeben und zugleich so ausgelöst aus allen wirklichen Lebenszusammenhängen, daß, wo ein Laster in sie eintritt, man es nicht ohne weiteres Laster nennen darf. Man muß überhaupt mit den Namen so vorsichtig sein; es ist so oft der Name eines Verbrechens, an dem ein Leben zerbricht, nicht die namenlose und persönliche Handlung selbst, die vielleicht eine ganz bestimme Notwendigkeit dieses Lebens war und von ihm ohne Mühe aufgenommen werden könnte. Und der Kraft-Verbrauch scheint Ihnen nur deshalb so groß, weil Sie den Sieg überschätzen; nicht er ist das «Große», das Sie meinen geleistet zu haben, obwohl Sie recht haben mit Ihrem Gefühl; das Große ist, daß schon etwas da war, was Sie an Stelle jenes Betruges setzen durften, etwas Wahres und Wirkliches. Ohne dieses wäre auch Ihr Sie nur eine moralische Reaktion gewesen, ohne weite Bedeutung, so aber ist er ein Abschnitt Ihres Lebens geworden. Ihres Lebens, lieber Herr Kappus, an das ich mit so vielen Wünschen denke. Erinnern Sie sich, wie sich dieses Leben aus der Kindheit heraus nach dem «Großen» gesehnt hat? Ich sehe, wie es sich jetzt von den Großen fort nach den Größeren sehnt. Darum hört es nicht auf, schwer zu sein, aber darum wird es auch nicht aufhören zu wachsen.
Und wenn ich Ihnen noch eines sagen soll, so ist es dies: Glauben Sie nicht, daß der, welcher Sie zu trösten versucht, mühelos unter den einfachen und stillen Worten lebt, die Ihnen manchmal wohltun. Sein Leben hat viel Mühsal und Traurigkeit und bleibt weit hinter Ihnen zurück. Wäre es aber anders, so hätte er jene Worte nie finden können.
Ihr:

Rainer Maria Rilke

"Ich bitte dich um deine ehrliche Meinung" ist wohl die verlogenste aller Bitten. Oft wird gar nicht nach der Wahrheit verlangt...sondern um Zuspruch gebettelt - zudem zwingt sie den Gebetenen nicht selten dazu selbst zu lügen.
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