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Alt 05.07.2007, 22:06   #1
Werther
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 404

Standard [Essay] Du bist Deutschland.

Polen ist glücklich. Das konnte man seit seiner Erhebung in den Stand eines Königreiches im Jahre 1025 wahrlich nicht oft behaupten. Nun aber hat die UNESCO zugestimmt, die Bezeichnung Auschwitz' auf der Weltkulturerbe-Liste zu ändern. Ein bedeutender Sieg zum Zwecke der Imagepflege, ist in den Medien doch in den letzten Jahren verstärkt von "polnischen Gaskammern" Rede und Schrift gewesen.

Ein wichtiger Sieg auch für die histrorische Wahrheit. Schließlich besuchen Schulklassen aus allen Ländern Europas die Holocaust-Gedenkstätte und es wäre unverantwortlich, sie die dort gewonnenen Eindrücke mit Polen in Verbindung bringen zu lassen. Denn Fakt ist, das waren nicht die Polen, das waren die Deutschen. Eine Generation von Deutschen jedoch, die in absehbarer Zeit restlos weggestorben sein wird, weswegen Auschwitz bestenfalls in einem Geschichtsbuch noch Platz finden sollte. Ist das so?

Viele (deutsche) Leute legen großen Wert auf die Feststellung, den Holocaust habe ein faschistisches Regime, welches sich sein Volk über gewiefte Propaganda und Gehirnwäschen fügig machte, zu verantworten. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hingegen spricht von einer "Generationsschuld" und lässt keinen der zahlreichen Jahrestage aus, an diese zu erinnern. Wir sind nun, nach denen, die dabei waren und denen, die nach denen kamen, die dabei waren, die dritte Generation. Wir haben mit alledem nichts mehr zu tun. Ja? Ist das so?

Ich denke nicht. Ich denke, es ist anders; es muss anders sein. Schuld tragen wir nicht. Wir - die dritte Generation - haben keine Juden vergast oder ihre toten Körper verbrannt. Wir haben keine Fensterscheiben jüdischer Geschäfte eingeworfen und keine jüdischen Arbeiter entlassen. Nein, wir haben Juden nicht einmal abschätzig angesehen.
Und doch haben wir eines gemein, mit jenen, die es getan haben: wir sind Deutsche. Wir sind nicht besser oder schlechter als unsere Großväter und Urgroßväter, nur weil wir all das nicht erlebt oder daran mitgewirkt haben; wir sind deswegen nicht einmal anders als sie. Wir können sie nicht wegschieben, als seien sie Fremde. Oder hört ein Deutscher mit seinem Tod auf, Deutscher zu sein? Verliert die Erinnerung an ihn mit dem Ende seines Lebens die Gewissheit, welcher Nation er angehört und dass er sein Vaterland womöglich liebte? Wir sind untrennbar mit unseren Ahnen verbunden und deshalb auch mit unserer Geschichte. Wir tragen vielleicht keine Schuld daran, aber wir tragen Verantwortung - müssen sie tragen, weil es die unsere ist.

Es waren meine Leute, die glaubten, zur Herrschaft über die Welt auserkohren zu sein. Es waren meine Leute, die die jüdische Religion zu einer "Rasse" verlogen und sie als absoluten Feind ansahen. Es waren meine Leute, die Auschwitz auf polnischem Territorium errichteten, um dort Juden industriell zu vernichten. Ich trage, der Welt gegenüber, für ihr Handeln Verantwortung.

Und wenn wir - die Menschheit - eines fernen Tages Kontakt zu einer nicht irdischen, wie wir moralisch denkenden Spezies herstellen sollten, dann werde ich auch dieser gegenüber Verantwortung tragen. Denn dann waren es meine Leute, die die Atmosphäre unseres Planeten verpesteten, meine Leute, die die Urwälder rodeten und meine Leute, die selbst den Erdorbit schon zumüllten. Aber bis zu diesem Tag, an dem wir endlich an erster Stelle Menschen sein werden, waren das größtenteils noch andere: die Franzosen, die Japaner, vor allem die Amerikaner. Aber es waren auch meine Leute, heute schon. Andere, als jene, die das "Nazi-deutsche Konzentrations- und Todeslager Auschwitz-Birkenau", wie es jetzt übrigens offiziell heißt, errichtet und betrieben haben, aber ebenso wie sie Deutsche.
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Alt 05.07.2007, 22:12   #2
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279

Hallo Werther,
hm... ja... und was ist daran jetzt neu?!? Ehrlich, ich habe das jetzt ganz gerne gelesen und es plätscherte so dahin. Und, ja, die Wende am Ende hin zu Klimawandel etc. ist ja auch ganz kreativ, wenn auch etwas sehr weit hergeholt, wie ich finde.

Aber ansonsten: Es tut mir leid, aber das, was du hier geschrieben hast, ist für mich weder besonders neu noch über die Maßen revolutionär.

Geschrieben also mustergültig, aber von der Aussage für mich nun nicht sooo monumental, tut mir leid.

Liebe Grüße, Isa
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2007, 22:18   #3
Werther
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 404

Das freut mich aufrichtig. Dann nämlich hattest du von vornerein die richtige Einstellung zur Geschichte Der Essay ist eine Reaktion auf einen Kommentar, den ein User hier im Forum unter eine Geschichte schrieb. Er verleugnete das, was für dich selbstverständlich ist. Da ich bis vor einiger Zeit genauso dachte wie er, nämlich dass man mich mit Auschwitz und dem ganzen Nazizeug in Ruhe lassen soll - das gehört in die Geschichtsbücher, nicht in die öffentliche Präsenz - fing ich an, zu grübeln, ob das vielleicht eine weiter verbreitete Auffassung innerhalb der dritten Generation sein könnte. Deswegen dieser Essay. Sieh ihn als Markierung meines Standpunktes. Danke für's Lesen und Kommentieren.

Gruß, Werther
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Alt 05.07.2007, 22:24   #4
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279

Aha, mir geht ein Licht auf... Dann muss ich sagen: Gute Idee, sich auf diese Art und Weise nochmal damit auseinander zu setzen!
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2007, 22:30   #5
Werther
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 404

Danke Nun erscheint vielleicht auch die Wende zum Klimawandel hin nicht mehr ganz so abwegig. Es ging mir um Verantwortung. Es gibt zur Zeit noch niemanden, vor dem ich als Mensch verantwortlich für das Handeln der Menschheit sein kann, deswegen beschränkt sich meine Verantwortung auf das Handeln der nächst kleineren Gesellschaft, der ich angehöre: das des deutschen Volkes.

Gruß, Werther
Werther ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2007, 22:31   #6
störfaktor
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 175

äh nichts neues? Keine Meinung die man nciht schon gehört hätte zu einem Thema das nur noch nervt und langweilt, daher kann ich nicht sagen das es gut wäre was du geschrieben hast.
Und die Nationalität als eine Klassiefizierung von Menschen anzusehen ist ja auch nicht gerade... naja... das hättest du eher thematisieren sollen. Wenn Ausschwitz an unsere Generation irgendeine Verantwortung bringt, dann unabhänig der Nationalität. Immerhin ist es paradox das mancherort ein paar hundert Meter darüber entscheiden sollten ob man eine spezielle deutsche Verantwortung hat oder man ist Holländer oder Pole oder sonstwas und keine... :O

ps. das nächstkleinere wäre Eurpäer... dann westeuropäer usw.
störfaktor ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2007, 22:39   #7
Werther
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 404

So, du bist nur Deutscher ob des Fleckchens Erde, auf das du, als dich deine Mutter gebar, klatschte?

Verantwortung unabhängig der Nationalität bringt es natürlich auch, aber darum ging es mir nicht. Es bringt ebenso die Verantwortung gegenüber unseren Kindern und der Zukunft, auf dass sich etwas Vergleichbares nicht noch einmal ereigne. Mir ging es aber um das hier und jetzt.

EDIT: zum "ps": Äh, ja, das mag sein (Mitteleuropäer trifft's wohl eher). Ich formulier's um, sobald mir was adäquates einfällt. Und wenn wir grad dabei sind, pingelich zu sein: Auschwitz schreibt sich mit einem "s".
Werther ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2007, 22:43   #8
störfaktor
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 175

Zitat:
Original von junger Werther
So, du bist nur Deutscher ob des Fleckchens Erde, auf das du, als dich deine Mutter gebar, klatschte?

Verantwortung unabhängig der Nationalität bringt es natürlich auch, aber darum ging es mir nicht. Es bringt ebenso die Verantwortung gegenüber unseren Kindern und der Zukunft, auf dass sich etwas Vergleichbares nicht noch einmal ereigne. Mir ging es aber um das hier und jetzt.

EDIT: zum "ps": Äh, ja, das mag sein (Mitteleuropäer trifft's wohl eher). Ich formulier's um, sobald mir was adäquates einfällt. Und wenn wir grad dabei sind, pingelich zu sein: Auschwitz schreibt sich mit einem "s".
okay aber die Kernfrage ist warum sollte man für historisch vergangene Dinge Verantwortung tragen aufgrund der Nation ?

Ich sehe da keine Logik
störfaktor ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2007, 22:46   #9
Werther
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 404

Nun, das ist nichts, was man sich aussuchen kann. Man wird hineingebohren. Mit der Nationalität erhälst du auch die Geschichte, wirst ein Teil von ihr. Nimmst du sie an, übernimmst du Verantwortung für sie, allein dadurch, dass du sie glaubst (was ein kritisches Hinterfragen aber nicht ausschließt). Andernfalls läufst du vor ihr davon.
Werther ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2007, 22:57   #10
störfaktor
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 175

Zitat:
Original von junger Werther
Nun, das ist nichts, was man sich aussuchen kann. Man wird hineingebohren...
das ist keine zufriedenstellende Antwort
störfaktor ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2007, 23:00   #11
Werther
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 404

Dann suche auf anderen Wegen nach einer, mein Sohn. Diese Suche soll deinem Leben einen Sinn geben
Werther ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2007, 07:51   #12
evilsuperbitch
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 1.073

solange die geistigen kinder und enkel des nationalsozialismus jüdische friedhöfe schänden und ausländer attackieren und in landtagen sitzen, solange die letzten metastasen dieses wahnsinns nicht entfernt worden sind, sollte immer gut erinnert werden, was in deutschland und europa möglich (gewesen) ist. nicht nur irgendwann als unterrichtseinheit zwischen weimarer republik und wirtschaftswunder.

sich aber mit den tätern zu identifizieren, sich so selbst zum täter machen, um schuld zu übernehmen, ist nicht gut. vielleicht christlich. trotzdem nicht sinnvoll. das ist auf dauer reine selbstgeißelung, damit man sich besser fühlen kann: "ich bin einer von den guten, die wissen!" das geht aber an der realität vorbei. auch wenn man sich selbst ein gewisses potenzial zum bösen unterstellen muss, so ist ich immer noch ich und dieses ich kann sich aus seiner eigenen biographie nie vollständig lösen. du bist deutschland ist sehr verkürzt und falsch. und: du bist menschheit könnte genauso gut gesagt werden. und jetzt nimm alle scheiße, die sonst noch passiert ist, auch auf deine schultern. über seine eigene geschichte bescheid zu wissen, ist wichtig, daraus zu lernen und richtig zu handeln, ebenso. alles darüber hinaus ist pflege eigener befindlichkeiten.
evilsuperbitch ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.07.2007, 08:32   #13
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279

So weit ich Werther verstandne habe, geht es ihm eben gerade NICHT darum, die "Schuld" auf sich zu nehmen. Sondern schlichtweg eine gewisse Form der Verantwortung zu übernehmen. Dass wir, also unsere Generation, nicht schuld sind am Holocaust, steht, denke ich, außer Frage.
Trotzdem hat die Welt nach dem Dritten Reich die Pflicht, die Verantwortung zu übernehmen und daran zu erinnern, was geschehen ist, um so etwas Schreckliches nie wieder passieren zu lassen. Dass es dabei etwas überzogen sein mag, ausschließlich den Deutschen, also uns, die Pflicht dafür zu übertragen, da stimme ich störfaktor zu. Ich denke aber, dass wir als Vorbilder voran gehen sollten im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung usw.
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
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