Das Mantra meines Bruders

[Ayatollah]

Am Samstag schrieb ich wieder einen Text, da Vater und Mutter in der Stadt waren, und ich nichts zutun hatte.

Also wälzte ich ein paar Klassiker, dachte mir knackige Formulierungen aus, sah nach dem Esel (der in letzter Zeit etwas mager aussah) und verfasste schnellstens meine Einschätzung zur Lage der Nation.

Reza kam dann nach einem langen Tag an der Universität nach Hause, trank eine Glas Ziegenmilch und sah das Blatt auf dem Tisch hinter dem Diwan. Wenn ich ihn hätte sehen können, dann wäre mir seine scheinbar paradoxe Reaktion sichelrich aufgefallen: Kopfschütteln, ernstes Lächeln, trauriger Blick.

Später, werde ich immer an diese Episode denken. Schon damals wusste er alles.

Und jetzt?
Vor ein paar Tagen, da hat mir Reza das Folgende gesagt. Das war kurz, nachdem er abgeholt wurde.

"Ein Journalist soll nicht nur beschreiben. Ein Journalist soll werten, wenn es notwendig ist, und schweigen, wenn das was er sagen will, dumm oder falsch ist. Selbst diese Momente gibt es. Ein Journalist darf interpretieren; doch nur, wenn es im Einklang mit seinem Verstand und seinem Herz ist. Kreuzen sich die Beiden, vertraue dem Bauch. Und vergiss nicht: Ein Journalist darf das alles was ich dir sagte, Bruder, verwerfen, solange es dem Zweck dient aufzuklären, und zumindest nach der Wahrheit zu streben. Bleib stark, kleiner Mann."

Ich sah Reza nie mehr wieder. Bis heute.

[Ex-Peace]

Das ist wieder ein ganz toller Text, Aya.
Gefällt mir sehr gut.
Politik und Zeitgeschichte!

Liebe Grüße
Peace

[Ayatollah]

Danke Peace!
Wollte in erster Linie nur das Mantra dieses Journalisten posten, aber dann ließ es sich in diesen Rahmen stricken. Freut mich, dass es dir zugesagt hat!

[Ex-Peace]

Der Rahmen veredelt es!

[Ayatollah]

In Zeiten wie diesen, ist es vielleicht für manche Reporter schwer, eine Art Ethos zu bewahren.