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Alt 26.03.2017, 22:49   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Eine Gruselgeschichte - erste Version

Dies ist die erste und etwas andere Version meiner vor einigen Tagen eingestellten "Gruselgeschichte im Sommer 1970". Ich glaubte den Text verloren, da das Dokument nicht richtig gespeichert wurde. Durch einen Tipp konnte ich es wiederherstellen und poste nun die erste Fassung.

Sommer 1970

Der Fluss glitzerte im abendlichen Sonnenlicht. Es spiegelte sich in der leichten Strömung wider und Irena musste sich die Hand vor die Augen halten, weil sie das zurückgeworfene Licht blendete. „Was für ein schöner Tagesausklang“, sagte Michael neben ihr, „genau das richtige Ende für einen schönen Urlaubstag.“
„Ja“, antwortete Irena versonnen, „aber ich hätte nicht gedacht, dass der Fluss so breit ist. Ich würde mich nicht trauen, hinüber ans andere Ufer zu schwimmen.“ Michael wollte antworten, machte schon den Mund auf, aber eine fremde Stimme kam ihm zuvor.
„Niemand sollte sich in den Fluss hineinwagen“, ließ sie sich leise vernehmen. Irena und Micheal wandten sich verblüfft um; sie hatten nicht bemerkt, dass dicht hinter ihnen jemand stand. Seine Statur war halb ins Sonnenlicht getaucht, sodass sie sein Gesicht nicht wirklich erkennen konnten. Er war groß und hager, hatte silbernes Haar und Irena hatte ein ungutes Gefühl, als sie ihn gründlich musterte oder besser gesagt, es versuchte, denn sein Anblick blieb auf eine eigenartige Weise verschwommen, verschmolzen mit dem reflektierenden Licht.. Aber es wäre unhöflich gewesen, ihm zu sagen, er solle zum Teufel gehen, auch wenn sie flüchtig daran dachte, genau das zu tun. Statt dessen sagte sie: „Wenn es warm ist, werden sich ein paar Leute sicher nicht davon abhalten lassen, hier schwimmen zu gehen. Es ist nicht verboten, und man muss ja nicht den ganzen Fluss überqueren.“
„Niemand sollte sich in den Fluss hineinwagen“, sagte der Mann wieder, genauso leise wie zuvor.
„Wir haben es ja nicht vor“, sagte Irena und lachte. Sie wollte Michaels Hand nehmen, um das unheimliche Gefühl abzuschütteln, das dieser seltsame Mann in ihr auslöste, aber als sie sich nach Michael umdrehte, war er nirgends zu sehen. Verwirrt schaute sie sich um.
„Michael? Michael!“, rief sie, aber niemand antwortete. „Was soll denn das“, dachte sie verärgert, „muss er ausgerechnet jetzt ein blödes Versteckspiel spielen?“ Und der seltsame Mann war immer noch da.
„Ich möchte mal wissen, wo mein Freund jetzt hingegangen ist“, sagte Irena zu ihm, „ich finde das nicht besonders nett, mich einfach hier stehen zu lassen und wegzugehen, ohne was zu sagen“, und im gleichen Moment ärgerte sie sich , dass sie mit dem seltsamen Mann darüber redete. Wütend auf sich selbst starrte sie auf den Boden und hörte, wie der Fremde mit seiner leisen Stimme sagte:
„Er ist in den Fluss gegangen, niemand sollte sich in den Fluss hineinwagen. Der Fluss ist böse. Er mag die Menschen nicht. “
Irena wollte ihm entgegnen, dass das absoluter Unsinn sei – warum sollte Michael in den Fluss gehen – aber als sie aufschaute, war der seltsame fremde Mann verschwunden.
Sie wartete noch eine Viertelstunde auf Michael, rief einige Male seinen Namen, aber er tauchte nicht auf. Schließlich machte sie sich frustriert auf den Weg zu ihrer Pension. Die Sonne war verschwunden. Der wunderschöne Tag voller Licht hatte sich in einen düsteren Abend verwandelt, sogar Nebel stieg auf. Irena beeilte sich, sie wolle in der Pension sein, ehe es völlig dunkel wurde. Mittags waren sie und Michael eine gute Strecke gewandert, zur Pension mussten es noch ca. vier Kilometer sein. Irenas Orientierungssinn war noch nie besonders gut ausgeprägt gewesen, und sie hatte sich darauf verlassen, dass Michael den Weg zurück finden würde. Nun war sie allein, es wurde kälter und nebliger, die Dämmerung senkte sich hinab, bald würde es stockdunkel sein, und nach einer Stunde stellte Irena fest, dass sie keine Ahnung hatte, wo sie sich befand. Vor zwei Stunden noch hatte sie sich glücklich und geborgen bei Michael gefühlt, nun war sie allein, fühlte sich einsam, hilflos, verwirrt und verloren. Wenigstens hatte sie eine Taschenlampe in dem Rucksack, den sie immer auf Wanderungen mitnahm. Sie nahm den Rucksack, kramte einige Minuten darin herum, bis sie die Taschenlampe gefunden hatte, seufzte auf, als sie sie fühlte, nahm sie heraus, knipste sie an – und erschrak fast zu Tode, als sie den Strahl nach oben richtete und dieser genau Michaels Gesicht traf. Sie hatte ihn weder kommen gehört noch gesehen.

„Oh mein Gott, Michael! Wie hab ich mich jetzt erschreckt! Aber Gottseidank bist du wieder da!“ Sie wollte ihn umarmen, hielt aber mitten in der Bewegung inne, weil ihr etwas an ihm völlig anders und seltsam vorkam. Sein Blick war starr, seine Miene alles andere als freundlich, und er schien sich nicht im Geringsten zu freuen, sie zu sehen.
„Michael? Was ist mit dir?“ fragte sie, „alles in Ordnung?“
Doch Michael antwortete nicht, sah sie nur weiter mit diesem seltsam starren Blick an. Dann wandte er sich plötzlich um, schien etwas sagen zu wollen, tat es aber nicht und rannte urplötzlich in schnellem Lauf davon.
„Michael!“ rief Irena hinter ihm her. „Komm zurück! Was soll das denn?“ Fassungslos blickte sie in die Richtung, in der Michael verschwunden war. Was war denn mit ihm los?

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich alleine auf den Weg zu machen. Sie wusste zwar nicht, wohin, aber hier, auf einem Weg zwischen Fluss und Wald, wollte sie auf keinen Fall die Nacht verbringen. Es war besser, einfach vorwärts zu gehen, die Taschenlampe geradeaus zu richten, die Schultern zu straffen, und so zu tun, als sei sie einfach mutig und das alles würde ihr nichts ausmachen. Ihr fiel eine alberne Geistergeschichte ein, mit der ihre ältere Schwester sie mal hatte erschrecken wollen, als sie Kinder waren. „Wenn die Geister merken, dass du Angst hast, dann kommen sie“, hatte Elke anschließend gesagt, „deine Angst zieht sie magisch an und du bist ihr perfektes Opfer. Und du kannst nichts dagegen machen. Du darfst den Geistern einfach keine Angst zeigen, dann lassen sie dich in Ruhe.“ Und Irena hatte damals genickt und sich vorgenommen, niemals Angst vor Geistern zu haben. Aber damals war sie acht Jahre alt gewesen. Nun war sie 28 und sich eigentlich sicher, dass es keine Geister gab. Allerdings war es schon unheimlich – trotz Taschenlampe – auf diesem menschenleeren, verlassenen, ihr völlig unbekanntem Weg im Dunklen zu marschieren, ohne die geringste Ahnung, wo er eigentlich hinführte. Aber stehenbleiben war die noch schlechtere Variante, also schritt sie tapfer aus, summte ein Liedchen vor sich hin, um sich Mut zu machen und atmete auf, als sie in der Ferne Scheinwerfer von vorbeifahrenden Autos zu sehen glaubte. Dann musste ja eine befahrbare Strecke in der Nähe sein, und sicher würde sie jemand in seinem Auto mitnehmen. Erleichtert ging, ja, rannte sie fast weiter, und tatsächlich erreichte sie eine richtige Landstraße, in die der Waldweg mündete. Gottseidank! Irena blieb stehen und sah sich um. Auf dieser Straße hatte sie eine knappe halbe Stunde vorher von ferne wohl ein oder zwei Autos fahren sehen, aber jetzt war die Straße völlig leer. Sie beschloss, trotzdem hier zu rasten und dann eben auf ein Auto zu warten. Das erschien ihr ratsamer, als einfach weiterzulaufen.

Sie musste nicht sehr lange warten. Keine 10 Minuten später hielt ein Wagen ein. Aufseufzend riss Irene die Wagentür auf – und erstarrte. Im Auto saß der seltsame Mann, der ihr und Michael heute Mittag begegnet war. „Steigen Sie ein“, sagte der Mann, und als Irena nicht darauf reagierte, ihn nur schweigend anstarrte, fuhr er sie schließlich an: „Steigen Sie ein! Ihr Freund wartet auf Sie!“

Irena wollte sagen, dass gerade er ihr doch gesagt hatte, dass Michael in den Fluss gegangen sei. Sie wollte diesem unheimlichen Mann sagen, dass er zum Teufel gehen sollte. Sie wollte sagen, dass sie ganz bestimmt nicht in sein Auto einsteigen würde. Sie wollte sagen, dass sie nicht auf ihn hereinfallen würde …. aber etwas zwang sie statt dessen dazu, einzusteigen.

Als sie im Auto saß, bewegte sich etwas auf dem Rücksitz. Irena drehte sich um und sah geradewegs in Michaels Gesicht. Die kurze Freude, ihn zu sehen, wich jedoch jäher Ernüchterung, als sie erkannte, dass er sie wieder mit dem starren Blick fixierte und gar nicht der Michael zu sein schien, denn sie zu kennen glaubte.

„Sind Sie bereit?“ fragte der unheimliche Mann, der das Auto steuerte, da.

Irena sah geradeaus und wusste, dass sie verloren war.

„Ja“, sagte sie nur.
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