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Alt 09.09.2023, 23:17   #1
weiblich JannaD
 
Dabei seit: 09/2023
Beiträge: 1

Standard Meine Schuld?

Triggerwarnung: Sexuelle Gewalt. In diesem Text versuche ich Dinge zu verarbeiten, die ich mit mir herumtrage. Das ist Teil meiner Heilung und hilft mir, alles besser zu verstehen

Hände, überall da, wo du sie gar nicht haben willst, wo sie auf keinen Fall sein dürften. Hände, von Menschen, die dich nicht auf diese Art berühren sollten, wie sie es gerade trotzdem tun. „Hab' ich das verdient?“. Sie müssen doch merken, dass du das gar nicht willst, sie müssen doch die Tritte spüren, die du wahllos verteilst, um dich irgendwie zur Wehr zu setzen. Oder es ist ihnen egal? Oder wollen sie genau das? „Vielleicht habe ich das verdient?“. Du trittst, schlägst und schreist und gleichzeitig wirkt es nicht real. Du versuchst ständig aufzuwachen, wie du es sonst bei gelegentlichen Albträumen tust, nur dieser hier ist ganz anders. Aber es muss doch ein Traum sein? Du vertraust ihnen doch, es sind doch deine Freunde.
Das Treten und Schlagen wird weniger. „Wenn ich ganz ruhig bin, ist es vielleicht schneller vorbei“. Das Schreien wird zum Weinen und den Schmerz spürst du nur noch weit entfernt. Du stehst neben dir, bist gar nicht mehr wirklich da, bist gelähmt. Nichts mehr.

Du wachst auf – nur ein Traum! Doch warum tut alles weh? Wieso ist dein Körper voller blauer Flecke und Kratzer? Wieso bekommst du keinen Ton heraus?
Du willst dich verstecken und gleichzeitig brauchst du Hilfe. Du willst das, was passiert ist, in die Welt hinausbrüllen. Doch dafür reicht die Kraft niemals. Du hast vielleicht Kraft, dich einer Person anzuvertrauen, die dir dann nicht einmal mehr glaubt… Du selbst weißt ja noch nicht mal, was alles passiert ist, wer sollte dir das abkaufen? Letztendlich werden sie dir die Schuld geben und das ist nicht nötig – denn die gibst du dir eh schon selbst.

Der Schmerz kommt über dich, sobald du versuchst aufzustehen. Du versuchst, das, was du dir selbst nicht eingestehen möchtest, nicht eingestehen kannst, zu verheimlichen. Vielleicht entscheidest du dich, zu einem Arzt zu gehen. Ein Notfalltermin bei einem fremden Gynäkologen in einer fremden Stadt, um alles so diskret wie möglich zu halten. Er untersucht dich und du hältst mit Mühe die Tränen zurück. Es ist die reine Scham. Der Arzt sieht dich an, Sorgenfalten auf der Stirn. Wie das passiert sei, möchte er wissen. „Ich weiß es nicht“. Dabei weißt du es genau, auch wenn du es vor dir selbst nicht zugeben willst.
Diese Scham ist bei weitem aber nicht die einzige Emotion, die du spürst und spüren wirst. Angst, Unglaube und Wut sind deine ständigen Begleiter. Diese beiden Menschen haben dir genommen, was dich ausgemacht hat: Selbstbewusstsein, Durchsetzungsvermögen, Stolz – dich selbst. Sie haben dich gebrochen und das, obwohl du niemals dachtest, dass es möglich wäre. „Bin ich einfach zu schwach?“, „steigere ich mich nur hinein?“, „hatten sie recht, mit dem, was sie getan haben?“…
Die körperlichen Blessuren gehen, die Flecken und Katzer verschwinden, du kannst wieder normal laufen und sitzen. Warum geht es dir dann nicht besser? Wieso kannst du nicht einfach vergessen?

Du lernst nach und nach damit umzugehen, es nicht zu zeigen, vor anderen für dich zu behalten – und trotzdem ist dir völlig klar, dass die Albträume und die Angst nie verschwinden werden.

Angst, sobald eine Person hinter dir steht. Herzklopfen, wenn eine Person dich unerwartet anspricht. Zusammenzucken, wenn jemand sich in deine Richtung bewegt oder dich berühren will. Zittern, wenn du das Haus verlässt. Panik, wenn du allein mit jemandem im Raum bist. Kopfhörer sind ab jetzt tabu, du könntest schließlich die Dinge um dich herum überhören – du bist ständig wachsam und auf der Hut. Selbst Wochen danach wäscht du dich täglich so oft, dass deine Haut stellenweise austrocknet. Aber was willst du tun, du fühlst dich so unfassbar schmutzig. Um überhaupt einschlafen zu können, brauchst du nicht selten Medikamente. Manchmal verlierst du den Überblick, was und wie viel du bereits genommen hast.

Langsam wird der Alltag erträglich, du lernst wieder zu lachen, die ständige Angst wird schwächer. Die Gedanken aber werden wohl nie ganz verschwinden – aber sie werden weniger und vielleicht – nur vielleicht – findest du wieder zu dir selbst. Auch, wenn du niemals wieder so sein wirst wie davor.
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Stichworte
angst, gefühle, verarbeitung



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