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Alt 26.10.2012, 16:32   #1
männlich Tschatscha
 
Dabei seit: 06/2012
Alter: 58
Beiträge: 19


Standard Elefantengeschichte

Viele Jahre sind vergangen, aber noch heute denke ich manchmal zurück an meine Kinderzeit und an meinen Freund, den Elefanten. Ich habe dem Elefanten nie einen Namen gegeben, obwohl er stets bei mir schlief, in den Nächten, wenn ich alleine war. Es war kein großer Elefant, nein, er war klein, kleiner als ein Fußball und er hatte ein Fell, ein graues, weiches Fell. Seine schwarzen Knopfaugen schauten traurig in die Welt und manchmal weinte der kleine Elefant sogar. In vielen Nächten tröstete ich ihn und wir weinten oft zusammen. Es war ein Zauberelefant. Ich hab das gewusst. Wenn es dunkel war und ich schlecht geträumt hatte, sagte er unter der Decke zu mir: "Es ist alles gut, alles ist in Ordnung, alles ist ok.“ Ich hab mich dann nicht mehr gefürchtet, nur noch ein bisschen vielleicht.

Wenn ich später, während der Ferien in meiner Schulzeit, als Hirte auf dem Berg mit dem mir anvertrauten Vieh den Tag alleine verbrachte, in den langen Stunden der Nacht hinauf in den Himmel sah, dann glaubte ich nicht daran, dass da draußen alles so kalt sein konnte, wie man es mir in der Schule beigebracht hatte. Ich dachte an den Sinn von allem Leben, an das ewige Sein des Universums und an den Friedhof unten im Dorf. Ich erinnerte mich dann an die Geschichten, die ich gerne hatte, an Peterchens Mondfahrt, an den kleinen Prinzen und freute mich dabei. Aber in einem Jahr, die Schwalben waren bereits in den Süden geflogen, da starb mir ein lieber Mensch. Es machte mich zu einem Mann. Zu einem Mann, der vergessen hatte, wie man lachte oder weinte.

Aber die Schwalben kehrten zurück, und als du die Frau an meiner Seite wurdest, wusste ich auf einmal wieder, wie gut das Leben zu einem Menschen sein konnte, wie viele Sterne am Firmament leuchten und dass es Engel im Himmel gibt. Wie waren die Tage im Frühsommer schön, wenn wir barfuß dem Seeufer entlang im Wasser gingen. Wir zusammen den Sonnenuntergang betrachteten, ich dich neckte, wie ein verspieltes Kind, bis ich meinen geforderten Kuss bekam. Du hast dabei gelacht und mich "mein Großer“ genannt.
Einmal, es war finster und bei Sturm, als das Geäst der Bäume laut an das Fenster schlug und am Abend der Regen kam, sprach ich leise von den Geistern der Nacht, von den toten Soldaten, die vor langer Zeit in der Dunkelheit zu mir ans Bett gekommen waren, um mir ihre Geschichten zu erzählen. Du hast mich zärtlich angesehen, und von diesem Augenblick an wusste ich, dass ich dich liebe. Du nahmst mich in deine Arme und sagtest: "Es ist gut, alles ist in Ordnung, alles ist ok.“

Ich sehe zum Himmel, strahlende Kinder mit Flügeln auf dem Rücken halten Trompeten an ihre Münder, dabei höre ich dumpfes Orgelspiel aus den Mauern. Kerzen brennen, alte Frauen verbergen ihre Gesichter in den aufgeschlagenen Händen, weiße Blumen liegen verstreut. Ein Mann spricht Worte, die ich nicht verstehe. Ein Mädchen mit einer Gitarre trägt das Haar zusammengebunden, es singt mit heller Stimme ein Lied von einem Herrn im Himmel und sieht mich dabei fortwährend an. Leise spreche ich: "Was ist tot sein, weshalb sagt mir das niemand?“ Ich wende mich ab und verlasse die Kirche. Einen Tag und eine Nacht fahre ich ohne Unterbrechung mit der Eisenbahn.
Das Haus liegt auf dem Lande zwischen Weizenfeldern und Rapswiesen. Es ist alt und nicht mehr bewohnt, eine Seite abgebrannt. Auf dem Dachboden ist es heiß, das Gebälk kracht unter meinen Schritten. Eine große, verstaubte Schachtel ziehe ich aus einem Winkel hervor. Meine Hände graben in der Zeit, bis ich ihn in den Händen halte und ihn tröste, meinen kleinen Elefanten.
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Alt 26.10.2012, 18:04   #2
Ex-zonkeye
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2011
Beiträge: 504


Ein hübsch eingesäumter Weg, Tschatscha, den Du uns da entlangführst. Kein beschwingter englischer Garten, eher eine von Buchsbaum begrenzte, geometrische Folge von Beeten, neben denen z. T. wohlbekannte Allegorien posieren.

Eigentlich hab ich Dich für jünger gehalten, aber der sintemal häufige Stoffelefant, der kleine Prinz und, vor allem, "Peterchens Mondfahrt" haben Dich verraten.

Die Sache ist makellos geschrieben, mein Lieber. Für meinen persönlichen Geschmack ein klein bisschen zu makellos, vielleicht, und ein Spürchen zu pathetisch auch, aber über Stil und Geschmack, da sind wir uns beide ja einig, kann man trefflich streiten, ohne irgendwo hinzukommen.

Soll ich Dir ein Geheimnis verraten? Wer sein Stofftier von damals aufbewahrt hat, findet es nicht irgendwann zufällig, sondern weiß bis zum Schluss ganz genau, wo es liegt. Es ist immer in der Nähe ...

lg zonkeye
Ex-zonkeye ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.10.2012, 22:33   #3
männlich Tschatscha
 
Dabei seit: 06/2012
Alter: 58
Beiträge: 19


Manchmal, lieber zonkeye, lässt man in der Heimat etwas zurück, damit es in der Fremde nicht verloren geht. Was allerdings noch lange nicht bedeutet, dass es in Vergessenheit gerät.

Zitat:
Eigentlich hab ich Dich für jünger gehalten, ...
Und ich dich für ein bisschen älter.
*smile*

sibirische Grüße

Tschatscha
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