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Alt 13.02.2019, 16:24   #1
weiblich Yurei
 
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Standard Kälte

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sech- habe ich den nicht schon mit gezählt? ...Es treibt keiner an der Oberfläche, es sind bestimmt noch alle da. Ich starre die Fische dabei an, wie sie in dem Aquarium langsam ihre Kreise drehen. Eigentlich müsste ich Hausaufgaben machen. Vermutlich sollte ich eigentlich eine ganze Menge mehr machen als ich tue.
Ich beobachte die Fische eine Weile, dann nehme ich einen Krümel aus der Futterbox und lass ihn ins Wasser fallen. Drei Fische reagieren, eilen zum Futter, dann ist der Krümel weg. Die beiden zu langsamen schwimmen noch ein zweimal hoffnungsvoll hin und her, dann geben sie auf und drehen erneut ihre Kreise. Das Wasser hat 26 Grad, es ist wärmer als mein Zimmer. Man könnte meinen das Wasser würde sich warm anfühlen, aber es ist kalt. Die Fische stört es nicht, sie sind selber kalt.
Ich kann die kalte, bläuliche Wand durch das Aquarium sehen, der rote Teppich hilft da auch nicht mehr. Mein Zimmer ist kalt. Ich zittere kurz. Eine Katze hätte mich wärmen können. Stattdessen steht das Aquarium in meinem Zimmer und brummt monoton vor sich hin, während mich die Fische verständnislos ansehen.
Mit dem Gedanken das mir dann nicht kalt wäre, wünsche ich mir kurz selbst ein Fisch zu sein. Es muss merkwürdig sein, wenn einem weder kalt noch heiß ist. Schwer vorstellbar das viele in nahezu perfekter, zumindest angenehmer Temperatur leben. Die Fische starren noch immer verständnislos zurück. Sie können sich wohl noch schlechter vorstellen die meiste Zeit zu frieren und hin und wieder zu verbrennen, als ich ihre Lage begreifen kann. Dann stelle ich mir vor jahrelang im selben kleinem Aquarium gefangen zu sein und mich hin und wieder gierig auf einen Krümel Futter zu stürzen. Ich will kein Fisch sein.
Langsam löse ich mich von der Scheibe, verlasse mein Zimmer und schleiche durch den Flur. Ich erinnere mich daran, das er mal anders ausgesehen hat, aber nicht mehr daran wie. Ich lehne mich leise und unbemerkt an den Türrahmen zum Wohnzimmer, und betrachte kurz meinen Vater dabei, wie er in Ruhe vor laufendem Fernseher schläft. Auch hier sah es mal anders aus. Noch kann ich mich an die roten Sofas, die dunkelrote Wand und das helle Laminat erinnern, auf die Erinnerung folgen automatisch andere. Aber jetzt ist auch hier alles kalt.
Ich drehe mich um und gehe in die Küche, sehe eine Weile aus dem Fenster wie ich es früher beim Essen tat, dann gehe ich wieder zurück, an meinem Zimmer vorbei und lehne meinen Kopf gegen die Tür hinter der meine Mutter etwas am Computer spielt. Das mechanische Klicken der Tastatur hat sich so wenig verändert wie das leise Schnarchen meines Vaters. Ich richte mich wieder auf und tapere ein paar mal im Flur auf und ab, dann gehe ich wieder in die Küche. Alles hat sich verändert. Alles ist kalt geworden.
Aber je länger es her ist, desto mehr fühlt es sich so an als wäre es schon immer so gewesen. Vielleicht war es das auch. Die warmen Farben von damals wirken immer mehr wie eine Lüge, eine Maske, aufgesetzt für Andere. Vielleicht zeigen sich jetzt die wahren Farben.
Ein paar Augenblicke stehe ich noch grundlos in der Küche, dann beginne ich mir einen Tee zu machen. Stumm stehe ich vor einer Arbeitsplatte, während der Klang von allmählich kochendem Wasser die Stille zerschneidet. Dann klickt es, ich gieße meinen Tee auf und beobachte wie der Dampf aus der Tasse aufsteigt während ich darauf warte, das der Tee durchzieht.
Als es soweit ist, nehme ich den Teebeutel heraus, schmeiße ihn weg und tapse mit der warmen Tasse in der Hand wieder zurück in mein Zimmer. Ich setze mich auf den Boden und ziehe die Decke von meinem Bett, wickele mich darin ein und sehe hoch zum Aquarium.
Ich nehme einen Schluck von meinem Tee und verbrenne mir mal wieder die Zunge. Langsam merke ich, wie die Decke mir meine Körperwärme zurück gibt. Ich stelle meinen Tee ab, damit er abkühlt, während ich meine Schulsachen um mich herum ausbreite und beginne meine Hausaufgaben zu machen. Als ich das nächste Mal einen Schluck von meinem Tee trinke, ist er bereits wieder kalt, während es mir unter der Decke langsam zu heiß wird.
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Stichworte
depressionen, erinnerungen, winter

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