Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 24.11.2011, 20:16   #1
weiblich Lux
 
Benutzerbild von Lux
 
Dabei seit: 03/2010
Alter: 38
Beiträge: 839


Standard Kaulquappen

Die hochsommerliche Luft ruhte schwer auf der spiegelglatten Oberfläche des alten Gambachsweihers. Nur ab und an störte das träge, nach Mücken schnappende Maul eines dicken Karpfens die Illusion einer braunsilbrig glänzenden Glasscheibe.
Großvater nahm meine Kinderhand in seine schwere, raue, und gemeinsam bewanderten wir den lehmigen, von knorrigen Wurzeln der Eichen und Buchen durchbrochen Pfad, der um das Gewässer führte.
An den meisten Stellen fiel das Ufer ein bis zwei Meter steil ab. Zu steil als dass Großvater meinem kindlichen Wunsch, mit den nackten Füßen ins kühle Nass zu steigen, gefahrlos hätte nachkommen können. So stapfte ich etwas ermüdet und lustlos neben im her, folgte fahrig dem Flug eines Zitronenfalters oder warf kleine Schiefersteinchen ins Wasser, was die dunkelgrauen Karpfen veranlasste, für einen Moment an fette Beute zu glauben – nur um dann enttäuscht und mit langsamem Flossenschlag wieder von dannen zu tauchen.
Nahe dem fast ausgetrockneten Überlauf stoppten die schweren Großvaterschritte abrupt, so dass ich in meiner Tagträumerei mit seinem Cordhosenbein zusammenstieß.
Während ich mir noch die Nase rieb, folgte mein Blick seinem ausgestreckten Zeigefinger.
Beschwerlich ließ er sich in die Hocke nieder und deutete auf einen von Wurzeln fast abgetrennten Bereich am Ufer.
„Hörst du, wie die Frösche Hochzeit halten?“
Ich hielt den Atem an und lauschte. Tatsächlich drang ein stetiges Quaken und Sirren aus den Moosen, Schlingpflanzen und Algen, die am Saum des Ufers nahtlos ineinander übergingen.
Da Kerben und Wellen an der Wasserkante es gestatteten, kletterte ich, gehalten und gestützt von Großvaters Hand, hinunter zum modrig duftenden Wasser, um mit eigenen Augen zu sehen, wie eine solche Froschhochzeit von Statten ginge. Doch als ich unten ankam, war der Gesang verstummt. Lediglich kleine, hastig aufgeworfene Wellen kündeten vom vorschnellen Aufbruch der Gesellschaft.
Was ich dann sah, lies mich vor Erstaunen einen Schritt zurück treten. Kissen aus hunderten glänzender Perlen, jeder mit einem kleinen, schwarzen Punkt in der Mitte versehen, trieben fast reglos vor sich hin und je genauer ich unter den Wurzeln und Ufervorsprüngen nachsah, um so mehr dieser Perlenkissen konnte ich entdecken.
Vorsichtig schob ich die Hand unter eines. Es wog erstaunlich schwer und glitschig oder seidig zugleich – das vermochte ich nicht auszumachen – entzog es sich meinem zaghaften Kindergriff.
„Nur nicht zu fest“, mahnte Großvaters Stimme von droben. „Du willst doch die kleinen Kaulquappen in ihren Wohnungen nicht zerdrücken.“
Ich beugte mich noch tiefer und der Stoff an meine Knien wurde nass und dunkelbraun vom der schlammigen Erde. In jeder der kleinen, fast durchsichtigen Blasen zuckte und regte sich ein winzigkleines Leben.
Ganz vorsichtig strich ich noch einmal über die wellige Oberfläche des Froschleichs, dann lies ich ihn sanft zurück ins Wasser gleiten. Es war vollkommen.

by Lux, 24.11.2011
Lux ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Kaulquappen




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.