Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 20.02.2009, 19:00   #1
Tomite
 
Dabei seit: 02/2009
Beiträge: 5


Standard Doppelhelix

Meine Mutter knallte mir den Teller scheppernd
auf den Tisch. Suppe spritze über den Rand und kleckerte ihre heiß
geliebte weiße Tischdecke voll. Ein paar Spritzer landeten auch auf
meinem T-shirt. Aber das war wohl nicht so schlimm. Stumm sah sie mich
an, mit ihren wasserblauen Augen und den rot nach gemalten dünnen
Lippen, die sie zu einem weißen Streifen zusammen kniff. Mein Vater
dagegen schaute ruhig auf seine Zeitung und las etwas über das
Stadtfest, welches morgen anlief. Es schien ihn nicht zu interessieren.
Nichts, was mit mir zu tun hatte, ging ihn etwas an. Wollte ihn nichts
angehen. So ein Arsch. Ich hasste ihn.

Mürrisch starrte ich auf meinen Teller und der Appetit war mir
vergangen. Aber wenn ich jetzt aufstehen würde und nichts angerührt
hatte, würde meine Mutter noch mehr Terz als eh schon machen. Mann, die
Alte konnte vielleicht nerven. Also aß ich brav ein paar Happen von der
sämigen Suppe und hoffte ich müsste nicht gleich Kotzen. Nicht, dass
meine Mutter eine schlechte Köchin war, ganz im Gegenteil aber wenn ich
mich zum Essen zwingen musste, rebellierte mein Magen automatisch.

Nachdem ich also die Hälfte des Tellers gelehrt hatte, rannte ich
hoch aufs Klo. So leise wie möglich versuchte ich das Essen hoch zu
würgen. Ich glaube, mein Frühstück kam mit heraus. Ich konnte meine
Mutter schon hören, wie sie sagte : »Was ist bloß mit diesem Jungen
los?«, an ihre quiekende Stimme zu denken, jagte mir einen Schauer über
den Rücken. »Er nimmt bestimmt Drogen!« Totale Empörung.

Mein Schädel brummte. Er fühlte sich an, als hätte ich mein Hirn mit
raus gebrochen. Schon komisch, wie sich so was anfühlen konnte.
Taumelnd stand ich auf und spülte mir erstmal meinen Mund aus. Der
Geschmack danach war wohl noch immer das widerlichste. Lange schaute
ich mich im Spiegel an : Mein viel zu weißes, mageres Gesicht, meine
hervortretenden Augen, die von dunklen Augenringen umrandet waren und
einer Brille, die mich noch nerdiger aussehen ließ, als ich eh schon
war. Meine Haare hatte meine Mutter mir kurz geschoren, wie immer. Sie
sagte, es sei viel leichter es zu pflegen und da ich eh so faul sei,
müsste ich mir nicht auch noch darüber den Kopf zerbrechen. Aber
vielleicht wollte ich das ja? Kam sie da mal drauf? Vielleicht wollte
ich mich ja um meine Haare kümmern? Meine Klamotten aufeinander
abstimmen? Mein Aussehen cool wirken lassen? Aber darauf kam wohl
keiner. Schließlich war ich der Loser schlechthin.

Ich seufzte. Das konnte ich wirklich gut. Luft aus meinen Lungen blasen
und sie sich kümmerlich anhören lassen. Ja, darin war ich wirklich der
Meister. Ich schloss die Tür wieder auf und ging gemächlich in mein
Zimmer. Meine Schwester kam gerade aus ihrer Tür heraus und schaute
mich abschätzend an. Schau nicht so! Du kannst von Glück sagen, dass du
wunderhübsch bist, beliebt, Freunde hast und dass dich deine Eltern
lieben wie du bist. Ja du bist perfekt!


Ich hasse dich.

Schnell verschwand ich in meinem Zimmer. Schon oft hatte ich
darüber nachgedacht, mir das Leben zu nehmen. Ich meine, hey, wünscht
ihr euch so ein beschissenes Leben? Niemand würde um mich trauern,
vielleicht meine Familie %u2013 ein bisschen. Aber Freunde hatte ich keine.
Wenn ich mal drüber nachdenke, hatte ich noch nie welche gehabt. Klar,
es gab zwar die Typen, die genauso waren wie ich, aber mal im Ernst,
würdet ihr gerne mit denen abhängen? Wohl kaum!


Und ich wollte das schon gar nicht.

Also setzte ich mich an meinen PC und schaltete ihn ein. Das Ding
war schon so alt, dass es wieder Ewigkeiten dauern würde, bis er
hochgefahren war. So setzte ich mich aufs Bette und betrachtete mein
Zimmer. Es war so wie ich : Kühl eingerichtet, das Nötigste, Bett,
Schreibtisch und einen Kleiderschrank. Mein Zimmer war ein
sterilisierter Ort, genau, wie ich mich fühlte.

Endlich war alles geladen, ich setze mich an den Schreibtisch und
öffnete und schloss einige Programme. Mein Messenger blinkte und
klickte drauf. Hey Streber, geh deine Mutter ficken! Oder Du Schwuchtel! Guck mich nochmal an und ich hau dir ´n paar in deine hässliche Fresse!
So was bekam ich ständig. Es tat weh. Schrecklich weh. Schnell klickte
ich es weg. Ich versuchte die herausquellenden Tränen weg zuzwinkern.
Aber es gelang mir nicht. Heiße Flüssigkeit lief mir die Wangen hinab
und Schamesröte stieß mir ins Gesicht. Ich fluchte. »Scheiße!« Meine
Fäuste knallten mit voller Wucht auf die Tischplatte. Mein ganzer
Körper zitterte. Scheiße! Wieso war ich bloß so? Wieso war ich bloß so
abstoßend und nicht willkommen in dieser Welt?

Jemand klopfte zaghaft an meine Zimmertür. Es war meine Mutter.
Wer auch sonst? Meine Mutter war die einzige, die sich um mich
kümmerte.


Ich liebte sie.

»Was ist?«, fragte ich heiser, obwohl es eigentlich hätte wütend
klingen sollen. Erst antwortete sie nicht. Auch nach fünf Minuten nicht
und ich verlor die Geduld. Wild wischte ich mir die Tränen weg und
atmete einmal tief ein. Mit einem Ruck öffnete ich die Tür und sah in
ihr besorgtes Gesicht. Nur Mütter konnten ein solches Gesicht haben.
Und auch nur Kinder konnten bei solch einem Gesicht brennende Schmerzen
in den Eingeweiden spüren.


Misstrauisch schaute ich sie an. Was wollte sie? Mich trösten?

»Liebling«, sie räusperte sich. Anscheinend hatte sie einen genauso
dicken Kloß im Hals wie ich. »Du musst dich fertig machen, wir müssen
los.« Fertig machen? Wofür? Verständnislos sah ich sie an. Aber meine
Mutter schaute nur verlegen zur Seite. Sie schabte leicht mit dem Fuß
über den Boden. Was war denn heute? Ich ging zurück zu meinem PC und
schaute aufs Datum. Heute war kein besonderer Tag. Ein Tag wie jeder
andere schreckliche Tag auch. Das war doch mal eine tolle Nachricht.
Dann traf mein Blick aber einen kleinen Zettel der über dem Monitor
meiner alten Schrottkiste befestigt war. Auf dem kleinen gelben
PostIt-Zettel stand : Psychiaterin, Donnerstag 24. 5. 09, Frau Lehmann


Ich erstarrte. Natürlich, meine Eltern wollten mich ja zum
Sehlenklemptner schicken. Ich lachte, als ob die mit einem Schnippsen
mein Leben verändern könnte. Total abwegig so was. Ich drehte mich um
und schaute verwundert, als meine Mutter mit einem Lächeln plötzlich
vor mir stand. Es war ein gezwungenes Lächeln, glich eher einer
Grimasse. Sie hielt in einer Hand meine Jacke, in der anderen baumelten
meine Schuhe. Scheiße! Wollt ihr mich tatsächlich alle ins Knie ficken?


Ich seufzte. Warum sich wehren? War doch eh alles umsonst. Also
schnappte ich mir meine Klamotten, zog sie unsorgfältig an und stapfte
die Treppe runter. Meine Mutter wartete schon im Auto.

Auf dem Weg zum %u201EArzt%u201C sagte von uns beiden keiner ein Wort. Was
hätte man auch schon groß sagen können, außer wüsten Beschimpfungen?

Das Wartezimmer der Psychiaterin war in sehr angenehmen Farben
gestaltet worden. Gemütlich lehnte ich mich in einem Stuhl zurück, bis
die Empfangsdame mich aufrief. Die Frau hatte mich mit einem hübschen
Lächeln in Empfang genommen. Sie war echt heiß.

Dann wurde ich aufgerufen und meine Hände fingen an zu schwitzen.
Ich hatte schon immer Angst gehabt, fremde Menschen zu treffen. Als ich
die Türklinke herunterdrückte und die Tür aufmachte, schaute mich eine
Frau mittleren Alters fachmännisch an. Eine kleine Nikkelbrille saß auf
ihrer spitzen Nase und ließ sie sogar noch unsympathischer wirken. Nix
da mit Harry Potter und so.

Sie lächelte ihr psychiaterinnen Lächeln und winkte mich herbei.
»Mein Name ist Frau Doktor Daniela Lehmann, freut mich dich kennen zu
lernen.« Ich blieb in der Tür stehen und schaute sie direkt an. Ich
holte noch einmal tief Luft, dann sagte ich : »Mein Name ist Johannes«,
meine Hände zitterten. »Und ich bin schwul.«
Tomite ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2009, 15:48   #2
Schnuffel
 
Dabei seit: 05/2008
Beiträge: 139


Hallo Tomite!

Zu dieser Geschichte kann ich eingentlich nichts anderes sagen als: Fantastisch!
Mir hat sie sehr gut gefallen. Ich würde mir aber eine Fortsetzung wünschen!

Gruß,
Schnuffel
Schnuffel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.05.2009, 11:20   #3
männlich Ex-Eisigerhauch
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2009
Beiträge: 6


Hey Tomite,
ich bin gespannt auf mehr, klingt bis jetzt sehr gut.
MfG Eisigerhauch
Ex-Eisigerhauch ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Doppelhelix




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.