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Alt 22.01.2014, 04:40   #1
St-Jimmy87
 
Dabei seit: 05/2010
Ort: Deinsen
Alter: 37
Beiträge: 14


Standard Jimmy´s Appartment

Hallo,

ich hatte vor längerem mal das erste Kapitel einer noch ungewiss langen Geschichte geposted. Hier das zweite Kapitel und vorweg nochmal das erste in überarbeiteter Version :-) Viel Spass und Kommentare sind erwünscht...

1. Der Hexenzirkel

Würg! Kotz! Bis nur noch Galle kommt. Ein ziemlich ereignisloser Abend erreicht seinen vorzeitigen Tiefpunkt. Während ich weiterhin krampfhaft versuche, meinen Körper daran zu hindern sich auf oralem Wege zu entgiften stelle ich fest, dass ich der Erste bin, dem heute auf dieser Toilette diese Ehre zu Teil wird. Denn die angedauten Überreste meines Kalbdöners schwimmen in einer blauen Desinfektionsflüssigkeit. Egal. Früher oder später wäre er ja eh da gelandet. Und mit der Erkenntnis, dass sich drei Tequila eindeutig nicht mit zehn Bier und zwei Bacardi-Cola vertragen zerre ich meinen Kopf aus der Schüssel und ziehe mich mit Hilfe der Wand wieder in die Vertikale. Bevor ich die Toilette verlasse erfahre ich noch, dass irgendeine Mandy einen gewissen Kai mal kann und dass jemand namens Ich am 14.07.2009 hier war. Wie war es mir nur möglich ohne Kenntnis dieser Tatsachen fast 20 Jahre alt zu werden?

Als ich mich an unseren Tisch zurückschleppe schmettert mir meine beste Freundin Jimmy einen besorgtes: „Axel, du siehst aber gar nicht gut aus!“ ins Gesicht. Ach? Wirklich? Wenn man die Tatsache bedenkt, dass ich gerade mit gefühlten 175 Hektolitern mediterranem Fastfood und Magensäure das Clubporzellan gesegnet habe und aussehen muss wie eine Sekretärin, die grade Angela Merkel und Edmund Stoiber beim Koitus auf dem Chef-Schreibtisch des Bundeskanzleramtes erwischt hat, könnte man mein Aussehen durchaus als „gar nicht gut“ bezeichnen. Aber sie macht sich ja nur Sorgen. Und um zu würdigen, dass wenigstens eine Person auf diesem Planeten an meinem Wohlbefinden interessiert ist, antworte ich mit einem knappen, „Geht schon wieder“, um mein leicht angeschlagenes Sprachzentrum nicht zu überfordern. Mit einem zufriedenen Lächeln aus ihrem wie immer makellosen Gesicht zeigt sie mir, dass ihr Freundschaftsgewissen erst einmal beruhigt ist und wendet sich wieder ihrem Gespräch mit Debbie zu.

Debbie ist ihre beste Freundin, wenn man von mir mal absieht. Sie ist eine gute Seele. Fast zu gut. So jemand der sich zu leicht von anderen ausnutzen lässt. An sich das ideale Opfer für einen Arsch wie mich. Doch zu ihrem Glück fällt sie nicht in meine Beuteschema. Im Gegensatz zu, eben Jimmy. Irgendwie schon scheiße, wenn man sich als erfolgreicher Berufssingle bei jedem mittelschweren Besäufnis wieder in seine beste Freunde verliebt. Doch da ich aus Erfahrung weiß, dass sich dieses Gefühl mit sinkendem Alkoholpegel wieder relativiert, reiße ich mich auch dieses Mal wieder zusammen und füge mich in mein Los. Denn darin ist keiner besser als ich.

Geschwächt von meinem Nahtoderlebnis lasse ich mich wieder auf die Bank in unserer Sitzecke fallen und zünde mir eine Gauloises an. Bääääääääääähhhhhhhh!!! Wenn ich nicht eben schon eine Viertelstunde gekotzt hätte könnte ich glatt wieder.

Mit unbestimmtem Ziel mustere ich derweil das Publikum, dass sich mir im „Airport", einer Gothic-Absteige, darbietet. Nicht dass ich generell etwas gegen diese Menschen oder ihre Attitüde hätte. Es ist ist viel mehr die latente Aggressivität, die in solchen Läden herrscht. Und Schuld daran ist nicht etwa die Musik oder die vorwiegend schwarzen Klamotten. Etwas viel Subtileres erhitzt hier die Gemüter. Diese gereizte Stimmung resultiert nämlich zu 60 Prozent daraus, dass die meisten Gothic-Mädchen eher durch ihr extravagantes Outfit als durch optischen Liebreiz bestechen. Zu 25 Prozent daraus, dass die Gothic-Mädchen, denen die Gnade unglaublicher Schönheit zu Teil wurde, ihren Freund mitgebracht haben. Zu 10 Prozent aus der Tatsache, dass man sich bei den Kerlen, die eben jene Vorzeigeexemplare dieser Spezies ihren Freund schimpfen, nicht sicher sein kann, ob er wirklich ein Kerl ist, da sich auf Grundlage der aufgetragenen Schminkmenge nicht zwangsläufig Rückschlüsse auf das Geschlecht ziehen lassen. Und zu 5 Prozent an der Erkenntnis, dass es nach drei Tequila, zehn Bieren und zwei Bacardi-Cola nahezu unmöglich ist ein solches Mädchen auszuziehen, wenn man es denn mal soweit hat. Doch zum Glück ist, soweit ich das erkennen kann, kein geeignetes Zielobjekt anwesend. Außerdem verstieße allein der Gedanke daran hier eine abzuschleppen, der in meiner mentalen Verfassung aller Wahrscheinlichkeit nach sehr kläglich enden würde, gegen meinen Berufsethos als freiwilliger Langzeitsingle. Schließlich hab ich mir nach der Trennung von meiner letzten Freundin geschworen, die nächsten 4 bis 17 Jahre dem vollkommenen Raubbau an meinem Körper zu widmen. The show must go on.

Als ich mir kurz darauf an der Theke ein Bier bestelle scheint die Barkeeperin in mir den Menschen wiederzuerkennen, der sich noch vor wenigen Minuten kalkbleich am Tresen vorbeigeschleppt und dabei einen Infight mit seinem Gleichgewichtssinn ausgetragen hat. Und der Inhalt meines Portmonees schaut mich ähnlich sorgenvoll an. Wie ist es nur möglich, nur zwei Tage nach der Gehaltsüberweisung schon fast die Hälfte seines Azubieinkommens verzockt zu haben? Denn die zweihundert Euro, die ich mir Gestern geholt hab, sind auf den kümmerlichen Rest von grob geschätzen 11 Euro Keks zusammengeschrumpft. Tanken, die Palette Dosenbier, der Döner, Kippen, die Getränke hier... Kommt irgendwie immer noch nicht ganz hin. Naja, egal.

Während ich mich in unsere Sitzecke zurückkämpfe, quäle ich mich mit der Frage, warum ich mir das eigentlich immer wieder antue. Ich hab mit 95% der Leute hier nichts gemein. Gut. Wenigstens ab und zu mal anständiger und solider Rock statt stupidem Techno-Gestampfe oder hirnmassezerkrümelndem Ballermann-Schlager. Und vielleicht auch, weil ich hier keine GTI-fahrenden, steroydgemästeten Proleten antreffe. Solche, die sich meist in Begleitung von, zugegebenermaßen, oft nicht unattraktiven Damen Wochenende für Wochenende in irgendwelchen Kleinstadtdiscos tummeln und sich bei Beck´s Green Lemon und Wodka Energy einbilden, einer Szene anzugehören oder sie gar selber zu bilden. Dann wohne ich doch lieber dem Hexenzirkel bei. So sieht es nämlich aus, wenn sich circa fünf bis sechs traurige Gestalten auf die Tanzfläche im "Airport" wagen und zu irgendeiner, ich nenn es mal Musik, die sich allerdings beim gemeinen Pöbel großer Beliebtheit zu erfreuen scheint, die Hände bedeutungsschwanger, parallel zum Boden kreisen lassen und sich dabei nicht viel mehr von der Stelle bewegen, als es einem Wachkomapatient gelänge. Fehlt nur noch das brennende Pentagramm auf dem Fussboden. Hm, höchste Zeit für ein Zigarette. Schmeckt schon wieder besser.

Kurz darauf entscheidet Jimmy, das wir jetzt gehen wollen. Na gut, was soll ich auch noch hier? Der Abend hat mir bis jetzt keine neuen, aufregenden Erkenntnisse gebracht. Und das wird sich auch wohl nach 2.30 Uhr nicht ändern. Ich rauche noch schnell auf, stürze mir den Rest meines Bieres runter und sinke anschließend ziemlich erschöpt auf die Rückbank von Debbie´s quietschgelbem Ford Ka.

Ein wenig später signalisiert mir das Rütteln innerhab des Wagens, dass wir den Ort, an dem ich mein kümmerliches Dasein friste, erreicht haben. Über die dutzendfach geflickte Straße rattern wir meinem Gefängnis entgegen. Und ja, ganz recht. Ich wohne noch bei meinen Eltern. Und ich schähme mich dessen kein bisschen. Denn ich bin das, was der Punk auf der Straße immer sein wollte. Ein zum Alkohol neigender, arbeitsscheuer Anarchist. Bloß ich habe das meinen Eltern niemals auf die Nase gebunden. Und das ist eine wesentlich wirkungsvollere Taktik, die eigenen Erzeuger auszunehmen, als ihnen permanent mit einer debilen Antihaltung auf den Sack zu gehen. Immer so tun, als würde man sich ein gesellschaftlich akzeptiertes Dasein bemühn und das Ungemach eines Arbeitsverhältnisses zähneknirschend in Kauf nehmen.

2.56 Uhr. Noch circa fünf Stunden bis ich aufstehen und den Samstagsdienst antreten muss. Eine barbarische Erfindung meines Arbeitgebers, seinen Azubis alle vier bis fünf Wochen den Freitagabend, respektive den Samstagmorgen zu versauen.


2. Jimmy´s Appartment

"Bin so in einer Viertelstunde da, bis gleich." Ich werf mein Handy auf den Beifahrersitz und fahre von Firmenparkplatz. Geil! Endlich Feierabend. Jetzt heißt es vom Wochenende retten, was noch zu retten ist. Was primär heißt, dass ich mir während der Fahrt erstmal eine Dose aufreiße, um wieder etwas Feeling dafür zu bekommen.

Als ich nach 20 Minuten endlich bei Jimmy bin fahre auf den Parkplatz vor ihrem Wohnhaus, werfe die zwölf Dosen Bier, die meine heldenhafte Selbstmarterung gestern Abend und diverse schnorrende Halbbekanntschaften überlebt haben in meinen Rucksack und schleife mich von meinem Auto zu Jimmys Wohnung. Sie öffnet mir die Tür und sieht mich, wohl auf Grund meines optisch ziemlich desolaten Zustandes, leicht mitleidsvoll an. Ich will mich glaub ich selber garnicht sehen. Man ist halt keine 18 mehr. Und eine durchgefeierte Nacht gefolgt von einem mehr oder weniger arbeitssamen Morgen gräbt sich inzwischen jedesmal sehr deutlich in meine Gesichtszüge.

"Guck nicht so. Gerade du müsstest wissen, dass ich öfter so scheiße aussehe."

"Axel, warum bist du eigentlich immer so ein Arsch?"

"Ich bin ein Kerl. Ich trinke... Reicht das?"

"Fick dich! Komm rein."

"In der Reihenfolge?"

Jimmy verdreht die Augen und dreht sich um. Madame hat wohl wieder schlecht geschlafen. Ich folge ihr durch ihre Wohnung bis auf den Balkon und stecke mir eine Gauloises an. Naja. Eigentlich ist es nicht ihre Wohnung, sondern die ihrer Mutter. Aber die ist im Moment mal wieder als Tourbegleiterin mit irgendeiner drittklassigen Rockband quer durch Europa unterwegs. Wie eigentlich fast immer. Also können wir in ihrer Abwesenheit in der Bude mal gepflegt die Partysau durchs Dorf treiben. Ich liebe Jimmy´s Apartment.

"Was geht heut Abend?"

"Keine Ahnung", entgegnet mir Jimmy und nimmt sich eine Zigarette aus meiner Schachtel. Ach ja. Das hatte ich vergessen. Jimmy weiss selber meistens nie "was geht". Und wenn alle anderen kurz nach dem Zenit der Party so im Arsch sind, dass sich jeder einfach am liebsten da zum Schlafen fallen lassen würde, wo er gerade steht und vor allem alle so dermaßen die Lampen anhaben, dass man in einem solche Zustand nicht mal mehr Bus fahren dürfte, kommt Jimmy und sagt: "Lass mal was starten!" Der Satz ist bei uns inzwischen eine stehende Wendung. Und hatte nebenbei gesagt noch nie ein verwertbares Ergebnis zur Folge.

"Lass mal was starten!"

"Alter, Axel. Du bist grad echt ein Nervenarsch."

Völlig humorresistent im Augenblick, die Frau. Ich werfe ihr einen hämischen Kuss zu und hole mein Handy aus der Tasche. So. Mal sehen wer so online ist und sich überreden lassen könnte unsere armseligen Existenzen mit seiner Anwesenheit zu bereichern. Andi. Der ist zwar ein echter Partyhengst, aber bringt immer nur abgelaufenes Bier in Plastikflaschen mit, säuft sich dann bei einem durch und beruhigt sein Gewissen hinterher mit "Ich hab Bier mitgebracht. Davon dürft ihr auch trinken." Ja, klar. Ich hab dieses Wochenende auch noch nicht genug gekotzt. Man könnte meinen ich wär ein Topmodel. Zumindest wenn man sich die Ergebnisse meiner letzten Gastroskopie ansieht.

Wen haben wir da noch so? Janine. Ob man ihr sagen sollte, dass sie auf ihrem Profilfoto aussieht wie eine Heroinleiche, die nach ihrer Entsorgung 3 Wochen in einem fließenden Gewässer zugebracht hat? Nö. Lieber nicht. Die ist sehr empfindlich was ihren Körper betrifft. Und außerdem hab ich auf die mal so garkeinen Bock.

So. Wer noch? Manuel. Zu langweilig. Ecki. Zu weit weg. Basti. Zu vergeben. Tja. Irgendwie war es das schon. Der Rest der sich grad online verfügbar hält, rekrutiert sich aus den Kategorien "Freunde von früher mit denen ich nichts mehr zu tun hab", "Leute die ich mal auf irgendeiner Feier kennengelernt hab", "Wer zur Hölle ist das denn?" und "In was für einem verstrahlten Zustand hab ich denn bitte die Freundschaftsanfrage von dem Vollpenner angenommen???"

"Hättest du Bock auf Abi-Party?"

"Wo?"

"Etwas weiter weg. Und du kennst da wahrscheinlich auch keinen. Aber wär das Einzige was mir jetzt spontan einfiele. Und besser als nichts."

Das stimmt wohl. Ich nicke zustimmend und hole mir ein Bier aus meinem Rucksack. Juhu. High-Life in Dosen mit Leuten, die ich nicht kenne und wahrscheinlich auch nie wieder sehen werde. Solche Abende sind meist die Besten. Man sollte sich ruhig ein bißchen selber feiern bis man 30 oder 40 ist. Oder tot. Und dafür ist Jimmy echt die ideale beste Freundin. Das ist auch der Grund warum wir uns damals, als wir uns kennen lernten, mehr oder weniger stillschweigend darauf geeinigt haben, nichts miteinander anzufangen. Ein sexueller Nichtangriffs-Pakt sozusagen.

Jimmy geht zurück in die Wohnung und verschwindet in der Küche. Essen. Das wäre mal eine Idee. Bloß wie ich mein Mädchen kenne herrscht im Kühlschrank mal wieder gähnende Leere. Der ist, wenn ihre Mutter weg ist, grundsätzlich nur gefüllt, wenn wir eine Hausparty schmeißen. Und dann vorzugsweise mit Sprit. Anstonsten stapeln sich im Hausmüll Pizzakartons und 5-Minuten-Terrinen. Glutamat-Eintopf. Das Frühstück der Champions. Oder Tod auf Raten. Unsere Generation scheint das Streben nach einem langen und gesunden Leben zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Was für eine Erklärung gäbe es sonst sich so einen Mist in die Figur zu hauen, der portionsweise den gleichen Effekt auf den menschlichen Körper hat wie eine 18-Stunden-Schicht auf einem Elektroschrottplatz in Ghana, bei der man pausenlos giftige Dämpfe einatmet, um durch das Abfackeln von Plastik an die Kupferdrähte zu kommen? Aber irgendwie schweife ich ab. Ich hatte doch Hunger. Die Probleme der dritten Welt müssen sich gedulden bis ich was zu futtern aufgetrieben hab. In der Küche hat Jimmy bereits zwei Tiefkühlpizzen in den Ofen geschoben. Etwas anderes hätte mich auch gewundert. Warum belegen die eigentlich die beschissene Pizza immer so mit den Salamischeiben, dass man das verdammte Ding nicht anständig sechsteln kann?
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