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Alt 25.05.2018, 08:24   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Das Ergebnis (überarbeitete Fassung)

Juli 1962

Das Gespräch mit dem Arzt sollte am nächsten Tag stattfinden. Sowohl Brigitte als auch Herbert hatten seit zwei Wochen alle Untersuchungen hinter sich, die notwendig waren, um dem Rätsel der ungewollten Kinderlosigkeit auf den Grund zu gehen. Brigitte wurde es flau im Magen, wenn sie an den morgigen Tag dachte. Sie hoffte inständig, dass der Arzt verkünden würde, dass sie und Herbert Kinder bekommen könnte, doch es ließ sich nicht vermeiden, dass sie sich das Gegenteil ausmalte.

Am nächsten Tag, pünktlich zum vereinbarten Termin um 16.00 Uhr, saßen Brigitte und Herbert dem Arzt gegenüber und Brigitte fühlte sich überhaupt nicht wohl. Herbert hatte kaum ein Wort geredet, seit er von der Arbeit heimgekommen war, obwohl er sich extra für den Termin den Nachmittag freigenommen hatte. Nun saß er anscheinend völlig entspannt auf seinem Stuhl, aber Brigitte war sicher, dass er sich ganz und gar nicht so fühlte.
"Schön, dass Sie pünktlich kommen konnten", eröffnete der Arzt das Gespräch und lächelte freundlich. Dann machte er eine Pause. Als weder von Herbert noch von Brigitte eine Antwort kam, redete er weiter.
"Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein. Es tut mir sehr leid, aber ein gemeinsames Kind werden Sie nicht bekommen können."
Brigitte schlug die Hände vor das Gesicht und bemühte sich, die Tränen zurück zu halten.
Herbert beugte sich auf seinem Stuhl vor und fixierte den Arzt mit den Augen, als sei dieser höchstpersönlich an diesem Ergebnis schuld.
"Und woran liegt das?" fragte er schließlich mit rauer Stimme.
Der Arzt antwortete nicht sofort. Er blätterte in den Unterlagen, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
"Bei den Untersuchungsergebnissen Ihrer Frau ist uns nichts Relevantes aufgefallen. Bei Ihren Untersuchungsergebnissen kamen wir - nach sorgfältigen Auswertungen - dann zu dem Schluss, dass die Qualität Ihrer Spermien leider zu schlecht ist" , gab er dann Auskunft. "An was das liegt, kann ich Ihnen leider nicht genau sagen, da können mehrere Faktoren zusammenkommen."
"Und was kann man tun?"
"Leider nichts, Herr Kender. Es tut mir wirklich leid. Aber ich möchte Ihnen beiden reinen Wein einschenken. Es würde Ihnen nichts bringen, wenn ich Ihnen jetzt eine Hoffnung machen würde, die sich nie erfüllen wird."
Brigitte hatte bis jetzt geschwiegen. Sie war froh, dass es ihr gelungen war, nicht vor dem Arzt in Tränen auszubrechen. Als sie nun die niederschmetternden Worte hörte, fühlte sie sich wie betäubt. Nicht nur, dass es ausgeschlossen war, ein Kind mit Herbert zu bekommen. Nein, es lag auch noch an Herbert! Das würde er nicht so ohne Weiteres verkraften.
"Besteht gar kein Zweifel?" fragte sie mit leiser Stimme.
Der Arzt schüttelte den Kopf. "Wie gesagt und so leid es mir tut, im Moment kann ich Ihnen nichts anderes sagen. Vielleicht ist die Medizin in einigen Jahren soweit, dass sich da etwas tun lässt. Im Moment sehe ich keine Möglichkeit."
Jetzt schluchzte Brigitte doch auf, während Herbert stocksteif auf seinem Stuhl sitzenblieb und keinerlei Regung unternahm, um seine Frau zu trösten.
Der Arzt räusperte sich.
"Ich kann verstehen, dass Sie das erstmal verarbeiten müssen. Ich weiß, dass das nicht leicht für Sie ist. Aber wenn Sie sich so sehr ein Kind wünschen, gibt es vielleicht doch eine andere Möglichkeit."
"Sie sagten doch gerade, dass sich da nichts tun lässt!" Brigitte tupfte sich die Tränen ab. Auf einmal war sie nicht mehr traurig, sondern wütend. Wollte der Arzt sich etwa über sie beide lustig machen?
"Für ein eigenes Kind lässt sich momentan nichts tun, das stimmt", erläuterte der Arzt, "aber es gibt auch die Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren."
"Ein fremder Balg?" platzte Herbert so wütend heraus,, dass Brigitte neben ihm zusamnenzuckte.
"Ich denke ja nicht daran!"
"Herr Kender.....", der Arzt hob abwehrend die Hände, "es war nur ein Vorschlag. Vielleicht war er im Moment unangebracht. Aber überlegen Sie sich die ganze Sache einfach noch einmal in Ruhe. Vielen kinderlosen Paaren wurde so schon geholfen und nicht zuletzt auch den Waisen. Ich stehe im Kontakt mit dem hiesigen Waisenhaus und wenn Sie wollen, könnte ich mich mit der Oberin, die das Waisenhaus leitet, in Verbindung setzen."
Während der Arzt sprach, verfinsterte sich Herberts Miene immer mehr.
"Wollen wir nicht", sagte er nun knapp. "Brigitte, wir gehen."
Brigitte stand auf. Sie wusste, dass es vollkommen zwecklos war, Herbert zu widersprechen, wenn er in einer solchen Stimmung war.
Der Arzt erhob sich und schüttelte ihnen beiden zum Abschied die Hand.
"Wenn Sie es sich anders überlegen, Sie können jederzeit vorbeikommen."

Auf dem Weg zum Parkplatz schwiegen beide. Erst als sie im Auto saßen, sagte Brigitte: "Herbert, es tut mir so leid."
Herbert antwortete nicht.

Als sie vor ihrer Haustür waren, forderte Herbert sie auf, schon mal auszusteigen und ins Haus vorzugehen.
"Ich muss noch etwas erledigen", sagte er.
Dann wendete er den Wagen und fuhr davon.
Brigitte sah ihm hinterher und begriff, dass für Herbert gerade eine ganze Welt zusammengebrochen war.
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