Heiße Zitrone und eine Wärmflasche

[Alive93]

Heiße Zitrone und eine Wärmflasche

Meine Jacke hängt auf meinen Schultern und hüllt mich ein. Es wird wieder kälter und die Bäume werden bald wieder kahl sein. Tiere werden Winterschlaf halten. Wie gut sie es doch haben in ihren wohlig mit alten Blättern und Zweigen eingerichteten Verstecken. Keiner wird sie brauchen, keiner wird sie vermissen, sie können einfach so verschwinden, ohne dass es jemanden stören würde, vor allem nicht sie selbst. Ich hätte auch gerne so ein mit Blättern und Zweigen eingerichtetes Versteck zum Winterschlaf halten, aber nein, ich muss ja unbedingt ein Mensch sein. Also gehe ich durch die herbstliche Natur spazieren und versuche so etwas wie ein Nichts in meinem Kopf herzustellen, damit ich nicht auf die Idee kommen kann, jemanden zu vermissen. Meine Hände sind kalt, auch wenn ich sie in den Taschen habe und einige Windböen wehen unter meiner Jacke hindurch. Wie soll ich dich da nicht vermissen? Wärest du jetzt hier, würde ich die Kälte nicht spüren, weil alle meine Empfindungen mit dir zu tun hätten. Gott, was ist das wieder für ein kitschiger Gedanke, aber ich glaube, es stimmt. Kann nicht die Stille mit mir reden, damit ich nicht merke, dass ich verrückt bin, dass ich nach dir verrückt bin? Warum kann ich nicht einfach auch Winterschlaf halten und wenn ich aufwachen würde, wärest du wieder da. Meine Hände beginnen vor Kälte weh zu tun und rot zu werden. Es ist besser, ich gehe langsam nach Hause. Ich habe ja eigentlich noch zu tun. Da, ein Eichhörnchen klettert den Baum hoch. Können Tiere auch ein anderes vermissen? Kann nicht morgen dieses Eichhörnchen für mich zur Arbeit gehen? Ich würde mich dafür in den Baum setzen und an dich denken. Stille, rede doch endlich mit mir!

Ich bin wieder zu Hause und meine Brille beschlägt. Meine Hände sind durchgefroren. Ich gehe ins Badezimmer und lasse warmes Wasser über sie laufen. Es fühlt sich an wie Feuer. In der Küche mache ich mir eine heiße Zitrone und eine Wärmflasche, mit der ich mich gleich unter eine Decke legen werde und die als Ersatz herhalten müssen für das Gefühl, das du mir nach solchen Spaziergängen immer gegeben hast, wenn wir zusammen unter der Decke gelegen haben. Vier Monate noch……

[Jeronimo]

Hallo Alive93,

du hast den Text ganz verschämt unter Sonstiges und Experimentelles gestellt. War gar nicht nötig.
Eine liebevolle Episode, die deine Sehnsucht beschreibt. Mit wohltuender Rechtschreibung (bis auf die vielen Punkte am Schluß, die deine Ungeduld beschreiben, aber zwei reichen völlig..)

Ein paar Absätze wären nicht schlecht gewesen, aber inhaltlich hast du deine Stimmung gut transportiert.
Und das ist wichtig.
Wie banal ein Text auch sein mag: er muss beim Leser eine Stimmung erzeugen. Das hast du fein hinbekommen!

Und: Ja, auch Tiere können vermissen.

Gut gemacht!

Jeronimo