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Alt 24.06.2010, 11:34   #1
weiblich Lux
 
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Standard Treppenhaus-Träume (Vorschlag für einen besseren Titel?)

Als ich das Treppenhaus erklimme, schneiden Schlaufen die Einkaufstüten mir rote Striemen in die Hände. Zweiundvierzig Stufen bis nach oben, zweiundvierzig zu viel.
Auf der Stirn spüre ich wieder die kalte Schweißschicht, anstrengend und ungesund, wie auch die vergangenen Tage.
Im Halbdunkel des Treppenflures wiegen die Steine in meiner Magengegend schwere als die Konsumgüter in den Beuteln, welche die Leere in meinem Leben nicht zu füllen vermögen. Eine Stufe nach der anderen... meine Knie und Füße schmerzen und tragen mich doch den Räumen entgegen, die zwar eine Wohnung sind, aber kein Heim für mich bieten. Die Zimmer, unfertig, nie richtig weiter gemacht, der Umzug ist jetzt ein Jahr her.
Auf halber Strecke blicke an den noch zu gehenden Treppen empor und ein Schreck fährt mir in die Glieder, dieser kurze Schock, der den Körper durchläuft, wenn man etwas Unbekanntes, Unerwartetes wahrnimmt. Da hockt etwas recht Großes, dunkles auf dem obersten Absatz und blickt mich aus müden Augen an, raschelt lustlos mit schweren Flügeln, versucht dann eine tarnende Verbindung mit dem Grau der Treppen und den Schatten einzugehen. Eine Stadttaube.
Ich stelle die Einkäufe ab, prompt kullern einige Dosen aus der einen Tüte und poltern die Stufen hinab, was der Vogel erneut mit verschrecktem Federschlag und entmutigtem Gurren quittiert.
Taube im Treppenhaus – was nun?
Vorsichtig und in gebückter Haltung bewege ich mich auf die mausgraue Taube zu. Kein Ring ziert ihr krallenbewehrtes Füßchen, zwar weicht sie vor mir zurück, macht sonst aber keine Anstalten zu fliehen. „Ganz ruhig mein Täubchen“ flüstere ich ihr zu, „Wie bist du denn hier herein gekommen“?
Sie sieht eigentlich gar nicht krank aus, ist gut genährt, hat keine sichtbaren Verletzungen, aber aus klugen Vogelaugen schaut sie mich taxierend an und ihr Blick wirkt auf mich einfach so... müde, erschöpft, so fertig mit der Welt.
Draußen ist es sehr heiß, vielleicht hat sie in den kühleren Räumen Schutz gesucht, vielleicht sehe ich in dem Vogel aber auch nur eine Analogie zu mir selber. Ja, ganz gewiss tu ich das. Wie sie da sitzt, mit leicht hängenden Flügeln, so traurig, die Taube tut mir leid, ich tu mir leid, alles tut mir leid. Tränen steigen mir in die Augen, Anflüge von Schamgefühl über verpasste Chancen, mein persönliches Scheitern an meinen eigenen Ansprüchen, wieder und wieder. Ich schlucke und ein fester Klos rutscht mein Rachen hinab um mir dann im Halse stecken zu bleiben. Eigentlich fühle ich ständig diesen Druck auf der Brust, dieses Brennen von Hoffnungslosigkeit in der Bauchgegend, aber jetzt wird das alles so stark, dass ich mich hinsetzen muss. Die Taube gurrt leise.
Sie schaut mich an und ich schaue sie an.
„Mädchen, du musst hier raus“, murmele ich und erhebe mich während erneut heißer Schmerz durch meine Knie fährt.
Ich steige über die Überreste meines Einkaufs hinunter zum großen Fenster, öffne beide Flügelseiten weit. Von Draußen kriecht mir stickig staubige Sommerluft entgegen, gedämpftes Kindergeschrei mischt sich mit dem beständigen Grundrauschen der Stadt.
Auffordernd blicke ich die Taube an, aber die tippelt nur auf der Stelle, dreht sich hin und her und wendet sich schließlich ab vom offenen Fenster.
„Willst wohl nicht, mein Täubchen?“ denke ich und klettere erneut Richtung Treppenabsatz, mache mich so klein wie möglich um Frau Taube nicht zu erschrecken und schleiche langsam hinter sie.
„Schhh-schhh“ flüstere ich leise und bewege meine Arme ausladend und langsam nach vorne.
Wieder gurrt die Taube, diesmal fast fragend, bilde ich mir ein, als sie dann zögerlich Ihre Flügel ausbreitet und prüfend damit zu schlagen beginnt.
Etwas energischer mache ich einen weitern Schritt auf sie zu und etwas zu plötzlich setzt die Taube zum Flug an, flattert schwankend durch den Treppenflur und gleitet dann durch das offene Fenster nach draußen.
Kleine Daunenfedern schweben durch die von Staub und Sonnenlicht durchsetze Flurluft. Aus der Wohnung hinter mir dringt Essensgeruch, mir wird schlecht davon. Auf dem Treppenabsatz ist ein kleines weißes Häufchen zurück geblieben. Irgendwer wird es wegwischen, oder auch nicht.
Die Taube ist auf dem Garagendach gegenüber gelandet, aber sie macht dort nur eine kleine Pause, streckt erneut die Flügel aus und fliegt endgültig davon.
Ich sammle meine verstreuten Einkäufe vom dreckigen Boden und stopfe sie lust- und rücksichtslos in die Einkaufstüte zurück.
Immer noch schweben Taubendaunen im Raum um mich herum.
Noch ein paar Stufen bis zu meiner Wohnung.
Ein Blick zum offenen Fenster, dann stapfe ich mit festen Schritten weiter hinauf. Ein leiser Tropfen rinnt über meine Wange und hinter den Augen verspüre ich diesen heißen Druck.
Ich wäre gerne hinterher geflogen.
Lux ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.06.2010, 12:14   #2
weiblich sturmmöwe
 
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Hallo Lux

Wow, beeindruckend. Die Geschichte berührt und ist mit treffenden Worten geschrieben.
Ich kann mich gut in das LI hineinfühlen, wie es sich mit den schweren Tüten die Treppe hochkämpft. Dann die Begegnung mit der Taube, die Identifikation des LIs mit ihr. Man hofft, dass die Begegnung etwas auslöst, dass das LI aufwacht aus seiner Hoffnungslosigkeit, seinem Alltagsgrau. Und dann der Schluss: nur ein klein wenig Wehmut, doch alles bleibt beim Alten.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich den letzten Satz gut finde. Klar, er betont das wäre. Das LI würde zwar gerne etwas ändern, aber tut es doch nicht. Aber irgendwie klingt mir der Satz doch ein wenig zu pathetisch.

Als Titel würde mir spontan einfallen:
"Die Taube im Treppenhaus" (nicht besonders fantasievoll, aber immerhin eine schöne Alliteration).
"Begegnung im Treppenhaus"

Bin allerdings selbst nicht so ganz überzeugt von meinen Vorschlägen!

Wie gesagt: Ich finde die Geschichte sehr gelungen!

lg
sturmmöwe
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Alt 24.06.2010, 12:22   #3
weiblich Lux
 
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Hallo Sturmmöwe,

vielen Dank für dein Feedback, ich habe lange überlegt ob ich die Geschichte einstellen soll oder nicht.
Ich freue mich, dass sie dich berührt und diese Emotionen hervorzurufen vermag.
An "Begegnung im Treppenhaus" hab ich auch schon gedacht, dachte nur es nimmt viel Spannung.
Die Problematik mit dem letzten Satz... jap! Einerseits sagt er genau das aus, was er aussagen soll, andererseits klingt er schon ziemlich pathetisch.
Was wäre eine Alternative?

" Nicht alle Tauben können fliegen"
"Wenn ich doch mein Fenster finden könnte"
"Meine Flügel tragen nicht"

Ist auch alles ziemlich schmalzig, oder?

LG
Lux
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Alt 24.06.2010, 15:08   #4
männlich Neny
 
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Hi Lux,

mir gefällt deine Geschichte auch sehr gut, die Beschreibungen erschaffen gut vorstellbare Szenen, man bekommt Einblick in das Li. Was mich aber am meisten überrascht hat, war die zunächst große Ähnlichkeit mit einem Buch, dass ich gelesen hab. Patrick Süskind - Die Taube. Von der Grundidee gleicht sich das sehr, sprich Begegnung mit einer Taube im Flur. Jedoch geht Süskind von da an in eine andere Richtung, soweit ich mich erinner, muss das mal wieder lesen, vielen Dank für die Erinnerung .
Aufgefallen ist mir im ersten Satz, , schneiden Schlaufen die Einkaufstüten mir rote Striemen in die Hände. , müsste das nicht , schneiden die Schlaufen der Einkaufstüten mir rote Striemen in die Hände. heißen?
Bei in meiner Magengegend schwere is dir ein r abhanden gekommen.
Ansonsten find ich grad nichts, unbewaffnet versteht sich .
Der Schlusssatz ist, ja doch, etwas klebrig . Mir gefällt aber "Meine Flügel tragen nicht" von deinen Vorschlägen dafür.

Gern gelesen und auch gern mehr davon.

Grüße Neny
Neny ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.06.2010, 15:57   #5
weiblich sturmmöwe
 
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Hallo Lux

Ja, "Begegnung im Treppenhaus" verrät schon ein ein bisschen was, allerdings würde ich dabei eher an eine Begegnung mit einem Menschen denken, die Taube wäre immer noch eine ziemliche Überraschung.

Braucht es denn überhaupt einen aussagekräftigen Schlusssatz? Ist die Geschichte nicht schon aussagekräftig genug? Sie könnte ja auch einfach damit enden, dass sich das LI die Träne wegwischt und die Wohnungstüre öffnet. Punkt.
Aber von deinen Vorschlägen gefällt mir auch "meine Flügel tragen nicht" am besten.

lg
Sturmmöwe
sturmmöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.06.2010, 16:49   #6
weiblich Aquaria
 
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Hey Lux,

mir gefällt die Geschichte auch. Ich würde sie hier enden lassen:

Zitat:
Ein Blick zum offenen Fenster, dann stapfe ich mit festen Schritten weiter hinauf.
Manchmal ist das, was man nicht sagt am wirkungsvollsten, glaub ich. Sobald die Taube durch das Fenster fliegt, weiß der Leser schon, dass das LI hinterher will.

Mir sind allerdings auch einige Fehler und umständliche Formulierungen aufgefallen. Insgesamt gefällt mir die Geschichte aber gut!

Und noch ein paar Titelvorschläge:

Taubheitsgefühle
Flugangst
Flügellahm

Liebe Grüße,

Aquaria
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Alt 30.06.2010, 17:51   #7
weiblich Lux
 
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hallo ihr drei :-)

Ich danke euch noch mal für die Anregungen und das Feedback.
In den nächsten Tag stelle ich eine verbesserte und betitelte Version ein.
Übrigens: Die Geschichte von Süßkind habe ich nie gelesen, ehrlich :-) Schon ulkig, so was..

LG
Lux
Lux ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.01.2012, 09:50   #8
männlich Ex-Ralfchen
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Zitat:
Als ich das Treppenhaus erklimme, schneiden Schlaufen die Einkaufstüten mir rote Striemen in die Hände. Zweiundvierzig Stufen bis nach oben, zweiundvierzig zu viel. Auf der Stirn spüre ich wieder die kalte Schweißschicht, anstrengend und ungesund, wie auch die vergangenen Tage.

Im Halbdunkel des Treppenflures wiegen die Steine in meiner Magengegend schwere als die Konsumgüter in den Beuteln, welche die Leere in meinem Leben nicht zu füllen vermögen. Eine Stufe nach der anderen... meine Knie und Füße schmerzen und tragen mich doch den Räumen entgegen, die zwar eine Wohnung sind, aber kein Heim für mich bieten. Die Zimmer, unfertig, nie richtig weiter gemacht, der Umzug ist jetzt ein Jahr her.
schon in den ersten absätzen fehler über fehler. und forumlierungen die krankhaft dahinschleichen, wie das, was der text in diesen beiden sätzen erzählt. wie können beutel eine leere im leben füllen?

ich höre also - wie meist bei einem schlecht erzählendem text - bereits nach dem ersten, diesmal nach dem zweiten absatz auf zu lesen, da ein unwesentlicher schreibstil eine spannungslose geschichte einzuschlenkern beginnt.
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.01.2012, 10:24   #9
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Als ich das Treppenhaus erklimme, schneiden Schlaufen die Einkaufstüten mir rote Striemen in die Hände. Zweiundvierzig Stufen bis nach oben, zweiundvierzig zu viel.
Ich muß Ralfchen leider zustimmen. Schon die ersten beiden Sätze sind nicht stimmig. Es müßte heißen: "... schneiden die Schlaufen der Einkauftüten mir rote Striemen in die Hände". Was die Treppen angeht, besteht eine Treppenflucht in der Regel aus acht Stufen - da stimmt Deine Rechnung nicht.

Das wäre für den Schwerpunkt der Geschichte allerdings auch nicht wichtig gewesen. Kürzen! Streichen!
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.01.2012, 14:10   #10
weiblich Ex-fabelhafte
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ich find den text gut und würde ihn schlicht "Im Treppenhaus" nennen. mehr muss der titel nicht leisten, da die story die aufgabe hat, zu erzählen.

ein paar tipp- und editierfehlerchen sind drin. den stil finde ich aber nicht schlecht. er passt in seiner leisen melodiösen art zum inhalt.

den schlussatz - tja - vielleicht wäre was wie

"Ich bleibe, wie immer, am Boden." etwas weniger pathetisch bzw. abgenudelt.


hab den text echt gern gelesen!

fabelhafte lg
Ex-fabelhafte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.01.2012, 15:17   #11
weiblich Lux
 
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Ralf hat insofern Recht, dass der Text wirklich vor Fehlern nur so wimmelt. Irgendwo habe ich eine überarbeitete Version. Sobald ich diese gefunden habe, werde ich René bitten, diese einzustellen.
Lux ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.01.2012, 23:52   #12
männlich Ex-Ralfchen
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Beiträge: 17.302

ja das wäre gut. denn die basis-idee für den text hat auf jeden fall etwas. wie ich schon sagte: es müsste/sollte verdichtet sein/werden. dir als wirklich guter lyrikerin sollte das eigentlich nicht schwer fallen. das habe ich oben schon moniert.

schön wäre eine korrigierte und gestraffte version, denn ich denke nach wie vor, dass aus dem text was werden könnte.
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
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