|
|
Kolumnen, Briefe und Tageseinträge Eure Essays und Glossen, Briefe, Tagebücher und Reiseberichte. |
|
Themen-Optionen | Thema durchsuchen |
10.04.2022, 00:35 | #1 |
Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.465
|
Tag 2
Rache ist Trocken
Ich band das Ideal an den Henkel mit dem ich dich festhalten will. Wirklichkeit Doch das Bild auf dem Bildschirm ist anders als vorher, lässt sich mit keiner meiner Hände halten. Du hast mein Ideal verloren. Ich liebe nur das Ideal von dir, wo ist es? Sie sind schuld, sie sind Schuld, ich muss sie vernichten. Die, die mir mein Ideal genommen haben. dann endlich verwandelst du dich zurück. Dann kann ich dich wieder lieben, aber so, so nicht!!! Öffnen sie den Koffer mit dem grünen Knopf. Ja du wirst schon sehen wie mir gleich die tollsten Gedanken wachsen und wie Torpedos werden dich meine Worte treffen. ja du, du!!! Spüre meinen Schmerz. Das hätte ich nicht von dir gedacht. ich dachte ich ich ich ich hätte alles bei dir gefunden. um dir und in dich. geh doch mal in dich und finde mein Ideal zurück. du Dreckstück. |
10.04.2022, 12:26 | #2 | ||||||||
Hi dr.Frankenstein,
ich habe Schwierigkeiten deine Texte "Tag 0", "Tag 1", "Tag2" zu verstehen. Das Gefühl, einen Zugang zu bekommen, habe ich nur mit dem "Tag 2". Und so habe ich beschlossen, den Text "Tag 2" einfach wie ein gewöhnliches Gedicht zu betrachten und es auch in dieser Weise zu analysieren. Schließlich ist das hier ja auch ein Gedichteforum. Mal sehen, was dabei herauskommt. Angesichts deines Textes möchte ich an Bertolt Brecht und an eine seiner Keuner-Geschichten erinnern und an Max Frisch und an dessen Schrift:"Du sollst dir kein Bildnis machen". Ich beginne mit einer Geschichte von B. Brecht. Sie ist kurz; sie sprengt nicht unseren Rahmen, deswegen zitiere ich sie zur gänze: Zitat:
Für Max Frisch sagt genau das Gegenteil. Er ruft in seinem bekannten Essay "Du sollst dir kein Bildnis machen" den Liebenden dazu auf, sich eben kein Bildnis vom anderen zu machen. Das, was Berthold Brecht Lieben nennt, ist für ihn nur eine Ausdrucksform für eine freud- und lieblose Beziehung. Für ihn beweist ein solches "bildgebendes Verhalten" das Gegenteil: Liebe erstellt sich keinen Entwurf (kein Bild), sondern fördert die individuellen Eigenheiten, bedrängt und zwingt nicht. Das wäre das Ende der Liebe. An einem Bildnis festzuhalten, bedeutet Lieblosigkeit und Verrat und fehlenden Respekt ("Das ist das Lieblose, der Verrat.") Frisch bezieht ethische Überlegungen mit ein, Brecht schaut mit analytischen Blick. Die Keuner-Geschichte zeigt auf, wie realistisch gesehen die Liebe in unserer Gesellschaft jenseits eines romantischen Aberglaubens in der Regel funktioniert. In deinem Text nun lebt das lyrische Ich unreflektiert die Sichtweise aus, die Herr Keuner propagiert. Zitat:
Welche Worte können wir aus dem Mund des lyrischen Ichs hören? Zitat:
Wer ist es denn dann schuld? In deinem Text sind es (offensichtliche) irgendwelche bösartigen, unidentifizierten Dritte: Zitat:
Ferner kann die Schuldsuche, wie in deinem Text angedeutet in einem Verfolgungswahn münden. Wir ahnen, welche destruktive Kraft entsteht, wenn eine instabile Persönlichkeit sein Gegenüber nicht mehr so manipulieren kann wie vor der Krise; wenn also der ehemals passive Partner die Vorgaben des lyrischen Ichs nicht mehr befolgt. Zum Beispiel, wenn der Partner etwas alleine mit Freunden unternehmen will, ein eigenen Bereich haben will, nicht mehr Schweinebraten backen will, das Kind auf eine höhere Schule schicken will etc. Heutzutage wird die extreme Ausprägung dieser Beziehungsstörung "toxische" Beziehung genannt und der "Liebende" mit den gerade gängigen Begriffen als "Narzisst" oder "Borderliner" bezeichnet und manchmal auch diffamiert. Das lyrische Ich ist in deinem Gedicht hoffnungslos fixiert auf das "Ideal" seines Partners! Bertolt Brecht würde vom "Entwurf", Max Frisch vom "Bildnis" des Partners sprechen. Zitat:
Die Vorwürfe sind massiv und bedrohlich. Auf den beginnenden Verfolgungswahn habe ich schon hingewiesen. Zu der Art und Weise, wie diese krude Beziehungsstruktur im Gedicht ihre spezifische Form findet. Der Text besteht aus einer Reihung von Vorwürfen wie: Zitat:
Zitat:
Zitat:
Alle Sätze scheinen mit großer Aufregung gesprochen, es gibt keine komplizierteren Satzgefüge. Es herrschen einfache Sätze vor, die wie Ausrufe klingen. Zweimal werden am Ende einer Zeile die Ausrufungszeichen dreifach gesetzt. Und in der drittletzten Zeile wiederholt sich das Wort "ich" mehrfach. Es dokumentiert mit dieser übertrieben und grammatisch nicht korrekten Häufung die Schwäche dieses Ichs. Ein reflektierender Verstand existiert nicht. Das Gedicht endet mit einem Schimpfwort: "du Dreckstück!" Eine Beschreibung der Struktur, eine brutale Darstellung einer unschönen Trennungsgeschichte! Sie fasst komprimiert und idealtypisch zusammen, wie manche verlassene Menschen sich nach einer Trennung verhalten können und auf welche Art sie auf eine Kränkung reagieren. Das Gedicht formuliert ein nicht realisierbares „Liebes-Ideal", das in dieser massiven Art und Weise eher selten zu beobachten ist - das hoffe ich doch. Aber Ansätze und Vorstufen, Beziehungen so zu leben und auf Trennungen so zu reagieren, dürften allgegenwärtig sein. Grüße Flocke |
|||||||||
11.04.2022, 00:42 | #3 |
Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.465
|
Hi Flocke,
danke also deine Analyse ist ja Hammer. Also ist Berthold Brecht mein Bruder im Geiste in dieser Erzählung. Hat mir sehr geholfen. Ja vermutlich ist die Mischung aus keinem und einem Bildnis ja der goldene Mittelweg. Wenn man sich ja nicht sicher is, welche der unzähligen Beziehungsformen man jetzt lebt und ob jetzt überhaupt kein Bedürfnis erfüllt wird. Dann kann man ja lieben, aber irgendwann macht das dann auch keinen Spaß mehr. Und die Umkehrung ist ja schon zu genüge beschrieben. Also ein Bild der Rahmenbedingungen kann man glaube ich schon haben. Vielleicht ein Bild das alle zusammen malen. Und nich bloß die Ausbeuter, die uns einreden Armut wäre schlecht. Armut is erst Armut wenn man nix zu essen hat und keine Kohle fürn Ofen. Leider ist die soziale Armut viel größer. Der Mangel an Freunden die Zeit haben. Oder all son Kram. Weil die ja gegen ihre Armut kämpfen. Aber solange man das aus Überzeugung macht und nicht weil man denkt es zu müssen um gut dazustehen. Als Verfolgungswahn unserer Zeit. Oh Gott die Armut. Oder die Berühmtheit. Man kann nich mal mehr zum Spaß was malen, ohne das jemand von Berühmtheit redet. Sie haben dir deinen Reichtum genommen. Obwohl der Text eher deine beschriebene Bedeutung hat. Lässt er sich auf verschiedene Themen in denen Beziehungen zu etwas eingegangenen werden anwenden. |