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Alt 08.11.2004, 14:02   #1
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253


Standard Einstein D5

Lukas Theman I
Ankunft auf der Einstein D5 - Neue Horizonte



"Elektrotechniker auf einem Forschungsschiff der Einstein-Klasse, jupiternahe Umlaufbahn, sechs Acht-Stunden-Tage die Woche, Economy-Zimmer ohne Balkon und Ausblick auf den Jupiter, dafür mietfrei. Exklusive Freizeitmöglichkeiten, zahlreiche Bars, Restaurants und Realitätensimulatoren der Generation IV, nutzbar für ein Entgeld von hundertfünfzig Credits die Stunde (und das bei einem Wochenverdienst von neunzig Credits). Vollverpflegung mit irdischer Küche, die auch nach maximal 970 Millionen Kilometer Transport garantiert noch frisch und genießbar ist. Spartanisch eingerichtete, aber saubere Zimmer mit täglicher automatischer Reinigung (die aus Sicherheitsgründen nur dann ausgeführt werden kann, wenn sie sich nicht im Zimmer befinden). Topangebot für einen chronisch Arbeitslosen wie sie. Schlagen sie zu, bevor es ein anderer tut!
Qualifikationsübereinstimmung: 79,4 % | Verdienst: 360 Credits pro Monat, Auszahlung wöchentlich, auf begründeten Antrag auch täglich | Mindestvertragsdauer: 0.5 JJ (Jupiterjahre) | Kranken- und Unfallversicherung Stufe A - Standardausführung: vorhanden, Nutzpotential : 45 Wochen - Verlängerung gegen Gebühr (24 Stunden - 5 Credits) | Urlaubsmöglichkeiten: Keine | Arbeitgeber: AetF - Abteilung für extraterrestrische Forschung (staatlich) | Mietabnahmeprozeduren, Umtragung ihrer Daten sowie die Reiseorganisation werden von der AetF übernommen | Arbeitsantritt: 01.07.2114 | Nähere Information nach Abschluss des Arbeitsvertrages | Angebot annehmen: <> Ja / <> Nein"

Lukas erinnerte sich nur zu gut an diesen Text, zu lesen auf dem LCD-Monitor eines Bedienterminals in den statischen und grauen Gängen des Arbeitsbeschaffungsinstituts, Abteilung extraterrestrische Stellen. Drei Jahre lang war er arbeitslos gewesen und die Decke seiner zwanzig Quadratmeter großen Wohnung im völlig überbevölkerten München war ihm schon so oft auf den Kopf gefallen, dass er praktisch nur noch mit Kopfweh durch die Gegend lief. Obwohl dies natürlich auch von der schlechten Luft in der Münchener Innenstadt hervorgerufen worden sein könnten, die durch alle möglichen Abgase schon derart verpestet war, dass man an schlimmen Tagen Schwierigkeiten hatte, von seinem Fenster aus die riesengroße LCD-Anzeige zu erkennen, die sich an jedem Häuserblock befand und anzeigte, auf welche Sichtweite der Smog die Luft heute reduziert hatte. Das triste Leben auf der Erde ödete den gelernten Elektriker Lukas Themann so dermaßen an, dass er den Job auf der Stelle annahm, ohne darüber nachzudenken, was unter einem Economy-Zimmer zu verstehen war, wie lange eigentlich ein halbes Jupiterjahr dauert oder warum man das Zimmer lieber verlassen sollte, wenn es durch den Reinigungsdienst eines staatlichen Institutes gereinigt wurde. Er hatte den Job einfach angenommen. Die näheren Informationen folgten, er überflog sie, bestätigte sie und wartete voller Vorfreude auf den 01. Juli.
Was hatte er erwartet? Einen Tapetenwechsel, eine neue Umgebung, neue Menschen. Das Gefühl, für etwas gebraucht zu werden, nützlich zu sein, zu helfen. Er wusste es nicht so genau, aber als er nach einem schier endlos langen Kälteschlaf erwachte und sich, noch halb verschlafen, an das Fenster des Transportes stellte und die graziös anmutende Einstein D-5 sah, die offensichtlich schlafend im Schein des glühenden und blutroten Jupiter lag und deren Anblick ihm ein Lächeln auf das Gesicht zauberte, schoss es ihm durch den Kopf. Endlich würde sich alles ändern, endlich würde er eigenes Geld verdienen, nie mehr würde er sich Tricks ausdenken müssen, um seinen Vermieter daran zu hindern, die Wohnung zu betreten. Nie wieder würde man ihm auf dem Arbeitsbeschaffungsinstitut auslachen und fortschicken. Endlich war er jemand!
Nach einiger Zeit, als auch die anderen Passagiere nach und nach aufwachten und ebenfalls schweigend und staunend aus dem Fenster sahen, meldete sich über Lautsprecher eine elektrische Stimme und gab Erläuterungen zum Geschehen außerhalb des Fensters.
"Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sie bereits bemerkt haben, haben wir den größten Teil unserer Reise bereits hinter uns, die aufgrund der aktuellen Positionen von Jupiter und Erde insgesamt nur rund 600 Millionen Kilometer beträgt. Durch gezielte Optimierungen in der Streckenberechnung und Verbesserungen unserer Antriebssysteme haben wir für diese Reise nur knapp 35 Tage gebraucht. Wir sind jetzt noch circa 1100 Kilometer von der Einstein D-5 entfernt, die sie aber bereits deutlich erkennen können, da sie sich stets auf gleicher Höhe mit dem Zentrum des Jupiters befindet, was durch eine Reihe äußerst komplexer Berechnungen möglich ist. Die Geschwindigkeit der ED5, wie sie umgangssprachlich bezeichnet wird, ist nur ein verschwindend geringes Bisschen kleiner als die des Jupiters selbst, da auch ihr Radius um die Sonne nur ein verschwindend geringes Bisschen kleiner ist, als der des Jupiters. Die ED5 fliegt zwar in einem Abstand von fast 17000 Kilometern von der Oberfläche des Planeten, aber im Vergleich zum Abstand von der Sonne, der zu bestimmten Zeiten des Jupiterjahres rund 820 Millionen Kilometer betragen kann, ist dieser Abstand kaum einer Beachtung wert.
Hier nun noch einige Erklärungen zur Einstein D-5. Wie sie wissen ist es ein Forschungsschiff der Einsteinklasse. Es ist seit 15 Jahren im Dienst. Seine Gesamtlänge beträgt fünf Kilometer. Über 7000 Menschen leben und arbeiten hier. Energie wird durch Solarkollektoren gewonnen, die auf der dem Jupiter zugerichteten Seite des Schiffes angebracht sind. Alle drei Wochen werden die Vorräte aufgestockt, entweder durch reine Warentransporter, oder durch gemischte Transporter, wie wir es sind. Jedes E-Klassen-Schiff hat einen eigenen Geldkreislauf, die Währung hier sind Credits. Sie werden hier nie Bargeld bei sich tragen. Während sie sich im Kälteschlaf befanden, wurde ihnen eine Mikroplatinplatte unter die Haut ihrer rechten Handwurzel implantiert."
Sofort begannen alle, an ihrer rechten Hand herumzutasten und diese zu begutachten. Auch Lukas, aber weder er, noch die anderen Passagiere konnten irgendetwas entdecken. "Sie werden diese Platte allerdings nicht bemerken. Sie hat eine Oberfläche von vier Quadratmillimeter und eine Stärke von 0,3 Millimeter. Sollten sie sich während ihres Aufenthaltes irgendwelche Verletzungen oder Erschütterungen an der Hand zuziehen, melden sie dies bitte umgehend auf der Krankenstation."
Während alle gespannt gelauscht hatten, fiel kaum jemandem auf, dass sich der Transporter der ED5 immer weiter genähert hatte. Er flog auf die Seite des Forschungsschiffes zu und korrigierte seinen Kurs leicht nach oben. "Meine Damen und Herren, wir müssen jetzt die ED5 überfliegen, da sich die Landedecks ebenfalls auf der dem Jupiter zugewandten Seite des Schiffes befinden, genau wie die Solarkollektoren. Die Sektion, die wir grade überfliegen, sind die Quartiere für die Unteren Offiziere und die Arbeiter. Das sind also ihre Zimmer. Keine Angst, sie sind nach außen hin schalldicht abgeschlossen und versiegelt. Sie werden also nicht vom Lärm ankommender Transporter geweckt werden."
'Schalldicht abgeschlossen... Das wäre auch mal eine Idee für diese Sardinenbüchsen in München.' dachte Lukas, der sich grade daran erinnerte, wie er oft nächtelang nicht schlafen konnte, weil seine Nachbarin, eine stadtbekannte Prostituierte, ihre Kunden stets dann empfing, wenn er schlafen wollte. Sie tat stets das mit einer Lautstärke, die selbst ein Faultier mit Watte in den Ohren aus dem Winterschlaf geholt hätte.
"Die Brücke des Schiffes befindet sich links von uns. Es ist Vorschrift, dass die Transporter an der Brücke vorbeifliegen, da für uns erst dann Landeerlaubnis gegeben wurde, wenn der diensthabende Brückenoffizier uns durch Sichtkontakt als Schiff der AetF-Forschungsflotte identifiziert hat. Diese simple Kontrollprozedur wurde 2106 eingeführt, nachdem immer mehr Piraten unsere Transporter kaperten und an ihrer Stelle an die Forschungsschiffe andockten. Auch der ED5 passierte das einmal, und zwar am 21. Januar 2103, das Sicherheitspersonal konnte sie nur mit Mühe und unter schweren Verlusten aufhalten, es war eines der größten Gemetzel in der Geschichte der AetF."
Lukas erinnerte sich. Damals war er noch ein Jugendlicher, 14 Jahre alt. Er hatte die verwackelten, brutalen und verstörenden Bilder dieses Überfalls im Fernseher seiner Eltern betrachtet und damals mit dem Kopf geschüttelt. Zwar freute er sich wie jedes Kind in seinem Alter, wenn es mal echtes Abschlachten im Fernsehen zu sehen gab, echtes Geballere und echte tote Menschen, auch wenn sie Millionen von Kilometern entfernt waren, aber er verstand nicht, warum sich ein Mensch freiwillig in ein Raumschiff begeben würde, in diesen engen, sterilen weißen Gängen leben und arbeiten könnte. Jetzt saß er in einem Transporter zu ebendiesem Raumschiff und jetzt wusste er die Antwort.
"Ich möchte mich nun herzlich von ihnen verabschieden, da ich davon ausgehe, dass wir uns nicht so schnell wiederhören werden. In den gekennzeichneten Räumen über dem Landungsdeck stehen unsere Einweisungsmitarbeiter, sie erkennen sie an den dunkelgrünen Anzügen. Jeder von Ihnen hat einen Einweisungsmitarbeiter zugewiesen bekommen, nachdem sie sich angemeldet und ausgewiesen haben, wird er ihnen die wichtigsten Elemente des Schiffes zeigen und sie mit den wesentlichen Prozeduren und Besonderheiten hier an Bord vertraut machen. Hören sie ihm aufmerksam zu. Wir werden nun in Kürze andocken. Ich möchte sie hierfür bitten, sich ein letztes Mal in die Kälteschlafkammern zu begeben und sich erneut anzuschnallen, da das Sichern des Schiffes automatisch erfolgt und Ungenauigkeiten des Piloten bei der Landung ausgeglichen werden müssen, was mitunter zu Erschütterungen kommen kann. Bitte haben sie Verständnis dafür. Die AetF schenkt ihnen einen Neuanfang. Ich rate ihnen alle, das Beste daraus zu machen!"

Lukas und die anderen Passagiere verließen das Schiff und blickten sich voller Erstaunen um. Sie standen in einer riesigen Halle, mehrere hundert Meter lang, knapp zweihundert Meter tief und mit silberfarbenen Wänden. Durch ein grünlich schimmerndes und flackerndes Kraftfeld konnte man die Oberfläche des Jupiter erkennen, sowie einen gigantischen Wirbelsturm, der da unten tobte. Die Wand der gegenüberliegenden Seite war circa dreißig Meter hoch und in zwei Hälften geteilt. In der unteren befanden sich mindestens ein duzend riesiger Tore, durch eines davon wurden die Passagiere des Transporters gelotst, deren Anzahl Lukas auf etwa dreihundert schätzte. In der oberen Hälfte befand sich ein Gang, der allerdings durch eine Glasscheibe vom Landedeck getrennt war. Dahinter befanden sich Tische und Stühle, auf denen Leute in dunklen Anzügen saßen und die Neuankömmlinge interessiert beobachteten.
'Das müssen diese Einweisungsmitarbeiter sein' dachte er und versuchte einen genaueren Blick zu ergattern, aber da er mit als letzter ausgestiegen war, drängte man ihn dazu, die Rampe, welche seine Aussichtsplattform gewesen war, zu verlassen. Nach circa einer Stunde war auch er durch diese überdimensionale Passkontrolle gekommen und er suchte nun den Einweisungsmitarbeiter an Tisch 121, der ihm zugewiesen worden war. Er verließ den Fahrstuhl, der ihn in die obere Etage gebracht hatte, schleppte sein Gepäck zum Fenster und machte eine kurze Pause. Durch die Glasscheibe konnte er nun auf das ganze Flugdeck sehen. Eine Weile starrte er auf all die Menschen, die da unter ihm ihrer Arbeit nachgingen, die Schiffe auftankten, die Triebwerke warteten, das Kraftfeld inspizierten und das Flugdeck putzten. Er war fasziniert von diesem scheinbar kaum organisiertem Ablauf, der irgendwie aber doch funktionierte.
Ein fröhliches und quietschendes „Hallo!“ riss ihn aus seinen Gedanken. Er wendete sich der Quelle des Geräusches zu... und da erblickte er sie. Ganz alleine stand sie da auf dem scheinbar endlos langem Gang. Sie war nicht sehr groß, höchstens hundertsiebzig Zentimeter, doch sie war wahnsinnig elegant und berauschend. Sie hatte schneeweiße Haare, die zwar höchstens drei Zentimeter lang waren, jedoch in alle Richtungen vom Kopf abstanden. Sie hatte ein relativ schmales Gesicht, wunderschöne grüne Augen und der enganliegende dunkelgrüne AetF-Personalanzug betonte ihren körperlichen Vorzüge gnadenlos. Lukas Augen wanderten von den Beinen über ihre Hüfte bis hin zu ihrer wohlgeformten Brust, auf der er das AetF-Logo erkennen konnte, den allsehenden Falken.
„Sie müssen Lukas Themann sein, richtig?“ Lukas konnte nur nicken. „Mein Name ist Sissi Aschendorf, ich bin ihre Einweisungsmitarbeiterin.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht, während sie redete. Lukas bemerkte, wie ihm ein Schwall liebsüß nach Kokos duftenden Parfüms entgegenkam. „Ich würde ihnen zuerst gerne ihr Zimmer zeigen, wenn sie mir bitte folgen möchten?“
Ohne eine Antwort abzuwarten schnappte sie sich Lukas’ Koffer, drehte sich um und lief den Gang entlang.
‚Meine Güte,’ dachte Lukas und blickte ihr hinterher, ‚es gefällt mir immer besser hier.’ Mit diesem Gedanken und voller Vorfreude lief er ihr nach.

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Mit besonders großer Begeisterung schreibe ich wieder an diesem Fortsetzungsroman für EndlessNovel.de, deswegen werde ich euch darüber auf dem laufendem halten. Ich kann den armen Lukas nicht auf seinen Erwartungen sitzen lassen.
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.11.2004, 00:24   #2
Riif-Sa
 
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Lukas Themann II
Lukas und Sissi - Verbale Freizügigkeiten


Erstaunt und begeistert rannte Lukas der völlig energiegeladenen Sissi hinterher, wobei er Mühe hatte, ihr zu folgen, obwohl sie noch seine beiden Koffer hinterher schleifte. Sie lies es sich dabei auch nicht nehmen, ununterbrochen zu reden, wie das für eine Person ihres Geschlechts nicht anders zu erwarten war.
"Einweisungsmitarbeiter ist ja kein richtiger Job auf diesem Schiff." sagte sie, während die beiden in einen langen Gang einbogen, der links und rechts mit Türen gespickt war, "Es ist eigentlich mehr so eine Art Zusatzleistung, die mit ein paar Extracredits belohnt wird, aber für mich ist das nicht ausschlaggebend. Es ist die ideale Beschäftigung für mich. Ich bin jedes mal mit dabei, denn es kann eigentlich nicht von Nachteil sein, wenn man sich den Neuankömmlingen gleich zuerst vorstellt, Bekanntschaften macht, Beziehungen aufbaut. Beziehung sind auf diesem Schiff von enormen Vorteil, denn man kann nie wissen, wann man wen mal gebrauchen kann und wann man selbst mal gebraucht wird. Eine Hand wäscht die andere, sie verstehen?"
"Ja, ich denke schon." sagte Lukas, der ab und zu einen kurzen Sprint einlegen musste, um mit Sissi Schritt halten zu können, "Also was ist dann ihre eigentliche Aufgabe auf diesem Schiff?"
"Ich..." sagte sie mit stolzgeschwellter Brust und räusperte sich dabei übertrieben künstlich, "...arbeite auf der Krankenstation. Ich bin ihre Allgemeinärztin, HNO-, Haut-und Augenärztin. Ich bin auch ihre Chirurgin, ihre Anästhesistin und, wenn es ganz böse kommt, auch ihre Psychotherapeutin."
Lukas war sichtlich erstaunt. "Ich hoffe, es gibt noch mehr von ihrer Sorte auf der Krankenstation."
"Jeder kann bei uns alles." sagte Sissi und drehte dabei ihren Kopf leicht nach hinten, um Lukas ihre blanken Zähne in einem hämischen Grinsen zu zeigen. "Da dies ein Forschungsschiff ist und wir auch in der Medizin- und Rettungstechnik forschen, betritt man das Schiff, wie in meinem Fall, als Augenärztin und verlässt es als wandelndes medizinisches Lexikon. Das liebe ich ja an diesem Schiff hier. Lauter hochgebildete Spießer, die sich jeden Tag durch Konversation gegenseitig bestätigen müssen, wie verflucht schlau sie doch sind."
Lukas zog die Augenbrauen nach oben. "Eine realistische Einschätzung der Gesamtsituation."
"Danke!" sagte sie und lachte.
"Was wird denn hier sonst noch so erforscht?"
"Alles, was sie sich nur vorstellen können. Die Hauptaufgabe des Schiffes bestand zu Beginn nur darin, alternative, solarunabhängige und sich selbstreproduzierende Energiequellen sowie neue und verbesserte Antriebssysteme zu erforschen, um letztendlich ein Schiff der Einstein-Klasse damit auszustatten und es ins 600 Lichtjahre entfernte Antares-System zu schicken..."
"...um dort dann weiterzuforschen."
"Sie haben es erfasst." Beide mussten für einen Moment lang lachen, ehe Sissi fortfahren konnte. "Mittlerweile wird hier aber so ziemlich alles erforscht, was irgendwie mit dem Jupiter zu tun hat. Man trifft hier alle möglichen Leute. Radiologen, Kernforscher, Quantenphysiker, Raumtechniker, Biochemiker, Geologen, sogar Astrologen. In der Atmosphäre des Jupiters stecken mindestens hundert Sonden, so genau weiß das hier niemand mehr. Eine ganze Sektion ist hier damit beschäftigt, die Jupitermonde zu zählen und täglich zu überprüfen, ob noch alle da sind. Hier entlang, bitte." Der Gang war zu Ende, und sie bogen nach rechts ab.
"Noch etwa zweihundert Meter diesen Gang hier entlang." sagte sie und deutete durch ein ein kurzes Anheben des Kopfes an, wo es langging.
"Also wenn ich mir mal 'ganz doll' die Hand stoße, dann komme ich zu ihnen." fragte Lukas und folgte ihr den Gang entlang.
"Ja, dann bin ich ihr Retter in der Not. Allerdings hat die Frau mit der erotischen Stimme im Transporter ihnen verschwiegen, dass sie das Ersetzen der Mikroplatine satte 500 Mäuse kostet."
"Wie soll ich das denn dann bezahlen, wenn das Teil kaputt ist?"
"Da können sie nur hoffen, dass die jemanden besitzen, der ihnen vertraut und ihnen das Geld auslegt."
Lukas verstand. "Eine Hand wäscht die andere, richtig?"
"Richtig!" sagte Sissi. Im selben Moment hielt sie an und stellte die Koffer auf den Boden. "So, da wären wir." Sie fuhr mit dem Finger über die Buchstaben auf dem Monior, der rechts neben der Tür hing.
"| 20890301 | 8812 | =ET= | L. Themann | Stat: AWAY |"
"Interessant." sagte Lukas und runzelte die Stirn. "Was sagt uns das?"
"Das sagt mir, dass ich vor dem Zimmer eines gewissen L. Themann stehe, der sich aber grade nicht in seinem Zimmer befindet. Er wurde am 3. Januar 2089 geboren, hat die Personalnummer 8812 und ist von Beruf..." Jetzt war es Sissi, die ein nachdenkliches Gesicht machte. "ET? Warten sie... sagen sie es nicht. Ich komme drauf..."
"Elektrotechniker." kam er ihr zuvor.
Sissi wurde auf einmal ganz still und musterte Lukas aufgeregt von oben bis unten. "Wenn sie Erfahrungen in dem Beruf haben und ein fähiger Mann sind, dann schickt sie wahrscheinlich der Himmel."
"Naja, ich habe vier Jahre Berufserfahrung, aber eigentlich schickt mich das Arbeitsbeschaffungsinstitut." sagte Lukas und blickte dabei verstohlen an die holzfarbene Decke.
"Würden sie bitte mal den Bildschirm berühren?" Lukas tat es und sofort öffnete sich die elektrische Tür. Sie standen vor einem circa zwanzig Quadratmeter großem Raum, für dessen Einrichtung der vom A.B.I. verwendete Begriff „spartanisch“ noch leicht untertrieben schien. Lediglich ein graublaues Stoffsofa, ein Tisch, zwei Stühle und ein Schreibtisch mit PC füllten das Zimmer. Ein Durchgang am hinteren Ende der Rechten Wand führte in die Küche, eine gegenüberliegende Tür vermutlich ins Bad.
„Wissen sie, wir haben für diese gesamte Sektion nur einen einzigen Elektrotechniker, sein Name ist Bauer und er ist eine totale Niete. Jedes Mal, wenn an der Elektrik unserer Med-Systeme was nicht stimmt, hoffen wir darauf, dass es von alleine wieder funktioniert, denn das ist wahrscheinlicher, als das Bauer es reparieren würde.“
Lukas tat diese Aussage als nebensächlich ab, er konnte sich kaum vorstellen, der Held der Sektion zu werden, nur weil er als einziger in der Lage ist, ein Laserskalpell zu reparieren. „Ich werde mein Bestes geben!“ sagte er schließlich.
„Davon gehe ich aus.“ Sagte Sissi und trug ihm die Koffer in das Zimmer, stelle sie neben das Sofa und blickte sich um. „Das ist natürlich noch die Rohfassung, ihr Mobiliar können sie sich dann später aussuchen. Soll ich ihnen gleich die wichtigsten Stationen des Schiffes zeigen, oder wollen sie sich erst mal ein Stück ausruhen?“
Lukas winkte ab
„Nein, wir können gleich loslegen. Ich habe lange genug geschlafen und außerdem brenne ich darauf, das Schiff kennen zu lernen.“
„Gut.“ Sagte Sissi, „Hätten sie etwas dagegen, wenn ich mich vorher noch... umziehe? Wissen sie, ich mag diesen Anzug nicht. Wenn es nicht Pflicht wäre, ihn zu bestimmten Anlässen zu tragen, hätte ich ihn schon längst in die Müllschleuse geworfen.“
„Ich finde, er steht ihnen sehr gut.“ Gab Lukas zurück.
„Ja klasse. Dieser Anzug steht jedem,“ sagte Sissi und fuhr mit den Händen an ihrem Körper entlang, „aber er ist verflucht unbequem. Um er liegt so verdammt eng an, spannt und zwickt überall, besonders im Schritt.“
„Was sie nicht sagen sagten...“ meinte Lukas ungespielt interessiert und schaute Sissi in die Augen. Diese redete weiter. „Ja und außerdem wird mir in dem Teil immer so verdammt heiß. Es wird nicht lange dauern. Mein Zimmer ist praktisch über ihrem, wir müssen nur den Aufzug nehmen.“
„Oh bitte, ich habe nichts dagegen.“
„Wunderbar!“ freute sich Sissi. „Lassen sie ihr Zeug hier stehen,

Gesagt, getan. Ein paar Minuten später standen beide in Sissis Zimmer. Lukas sah sich voller Erstaunen um. Das Zimmer war elegant eingerichtet, wenn auch ein bisschen kitschig. Am meisten beeindruckte ihn der massiver Holztisch, der von schwarzen Marmorplatten überzogen war und die dunkelblaue Ledergarnitur, die um ihn herum gestellt war. Dem Tisch gegenüber befand sich eine riesiger 30 Zoll Flachbildfernseher, der in die Wand eingelassen war. Die Stützen der Schrankwand, die elegant um den Fernseher herum aufgebaut war, bestanden aus jeweils zwei dünnen, dunkelgrauen Metallstäben, in denen in gewissen Abständen senkrecht dazu verlaufende Metallgitter eingeschweißt worden waren. Die Glasplatten, die auf diese Gitter gelegt worden, bildeten eine gute Ablage für allerhand Bücher und Aktenordner, aber auch für Minidiscs und ES-USB Sticks, wahrscheinlich für Filme oder Musik. Allerdings füllten die Regale, genau wie den Tisch und die Ablagen neben der Eingangstür, auch eine Menge Kerzen. In der rechten Ecke gleich neben der automatischen Eingangstür stand ein beachtlicher Teelichtständer für mindestens zwei duzend Teelichter. Die Stäbe der Teelichthalter waren elegant und nahezu unüberschaubar ineinander verschnörkelt und waren an manchen Stellen mit Metallplatten bestückt, die die Form riesiger Blätter hatten. Echte Pflanzen lies der Raum allerdings vermissen.
Sissi öffnete den großen Schrank direkt gegenüber des Eingangs und begann, sich aus dem Anzug rauszuzwängen. Lukas betrachtete das ganze eine Weile interessiert, bis er schließlich völlig irritiert fragte: „Soll ich draußen warten, während sie sich umziehen?“
„Wieso?“ fragte Sissi, die sich grade des Oberteils der Uniform entledigt hatte und sich fragend zu ihm umdrehte. „Stört sie das etwa?“
Während Lukas versuchte, ihr ins Gesicht zu schauen, und nicht auf den roten Spitzen-BH, der ihm einen nicht zu verachtenden Einblick gewährte, antwortete er zögerlich „Mich stören? Nein nein, ich dachte vielleicht eher, dass sie sich...“
„Ach kommen sie,“ unterbrach sie ihn. „Wir leben im 22. Jahrhundert und ich dachte eigentlich, dass ihr Männer irgendwann mal aufgehört hättet, immer gleich an das eine zu denken, wenn ihr mal eine halbnackte Frau zu sehen bekommt.“
Lukas konnte hierauf nur erstaunt die Augenbrauen nach oben ziehen und antworten. „Haben wir noch nie getan, nur haben uns das die Frauen nie geglaubt.“
„Dann bin ich wohl die erste.“
Lukas wendete den Blick von Sissi ab und betrachtete sein Spiegelbild in der schwarzen Glasscheibe des Fernsehers. Die schwarze Jeans und das dunkelblaue HRC-T-Shirt standen ihm zwar gut, wie überhaupt alles dunkle, aber die Reise im Kälteschlaf hatte ihn doch schon ganz schön mitgenommen. Sein stets gut rasiertes Gesicht war von einem hässlichen Dreißig-Tage-Bart überzogen und seine kurzen, dunkelbraunen Haare waren wild durcheinander. Kein sonderlich toller Anblick, aber was wollte man nach über ein Monat Kälteschlaf auch groß erwarten?
Lukas bekam einen Riesenschreck, als sich der Fernseher plötzlich automatisch anschaltete und das zernarbte Gesicht eines etwa fünfzigjährigen Mannes in einer schwarzen Uniform zeigte, über deren Schulter fünf diagonal verlaufende rote Streifen verliefen. Lukas sah erschrocken und verwundert in Richtung Sissi. Diese schaute irritiert auf die Uhr und erschrak ebenfalls leicht. „Oh, zwölf Uhr. Ansprache des Kapitäns.“ Sie deutete auf den Schirm „Das ist Kapitän Schwarzklee, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er ist der wichtigste Mann auf dem Schiff.“
Der Kapitän räusperte sich und machte einige verdammt wichtige Worte. „Liebe Freunde, heute ist einmal wieder ein wichtiger Tag für dieses glorreiche Schiff. 288 neue Besatzungsmitglieder sind heute auf der Einstein D5 eingetroffen, die ich hiermit im Namen der gesamten Crew herzlich begrüßen möchte. Ich hoffe, dass sie eine freundliche und angenehme Begrüßung durch unsere Einweisungsmitarbeiter bekommen haben.“
‚Oh ja...’ dachte sich Lukas, während er ein paar Schritte zurücktrat und dabei zu Sissi herüberlächelte, ‚Die hatte ich.’
„Ich habe keine Zweifel daran, dass sie alle sich hier sehr schnell einleben und bei der Gelegenheit auch ein paar neue Freunde gewinnen werden. Ihr Dienst auf diesem Schiff von der AetF hoch geschätzt und selbstverständlich auch gut honoriert. 288 fleißige paar Hände warten auf eine Gelegenheit, diesem Schiff und seiner Besatzung zu zeigen, dass wir mit ihrer Einstellung die richtige Wahl getroffen haben. Ich wünsche ihnen allen eine gute und erfolgreiche Zeit unter dem wachsamen Auge des allsehenden Falken. Viel Erfolg wünscht ihnen ihr Kapitän Josef Schwarzklee. Brücke ende.“
Sein Gesicht verschwand und das AetF Logo füllte nun den Bildschirm.
„Sehr interessant.“ Sagte Lukas mit einem unüberhörbarem ironischem Unterton. „Sie wissen es also besser. Wer ist denn der wichtigste Mann auf diesem Schiff, wenn nicht er.“
Sissi konnte mit den Schultern zucken. „Das entzieht sich meiner Kenntnis, aber er ist es garantiert nicht. Ich meine, jedes Schiff braucht einen Kapitän, aber ich wüsste nicht, wofür er gut sein sollte, wenn man mal von diesen alltäglichen, nichtssagenden Reden absieht.“ Sie ging zurück zum Schrank und während sie sich für eine beigefarbene Cordhose und ein schlichtes, weißes AetF-T-Schirt entschied, sagte Lukas beiläufig. „Er sieht aber immerhin verflucht wichtig aus.“
„Wichtig ist erst mal nur, dass ich sie mit dem Schiff vertraut machen soll.“ Antwortete sie, schloss den Kleiderschrank und positionierte sich vor Lukas. „Ich bin bereit, wie steht’s mit ihnen?“
„Immer doch!“ sagte Lukas.
„Nun gut, dann los!“
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.11.2004, 22:26   #3
Riif-Sa
 
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Lukas Themann III
Lukas und Sissi - Einarbeitungszeit


Während die beiden durch das schier endlos lange Schiff spazierten, hatte Sissi jede Menge Zeit für ihre offensichtliche Lieblingsbeschäftigung: Reden. Sie war sehr neugierig und wollte eine Menge Dinge über Lukas und seine Vergangenheit wissen. Während der Unterhaltung viel Lukas plötzlich ein, dass er eigentlich gar nicht gerne über sich redete, dafür aber jetzt plauderte wie ein Wasserfall.
„...und sie kommen aus München?“
Lukas nickte. „Ja, in der Tat.“
„Ich muss ehrlich zugeben, dass ich noch nie da war. Wie ist es dort?“
„Nun ja, vor allem ist es ein verdammtes Dreckloch. Der Smog hängt jeden Tag über der Stadt und ich hatte zuletzt das Gefühl, dass es immer schlimmer wurde. Ohne Lungenfilter konnte man die Wohnung nur nach 22 Uhr verlassen. Wer eine Wohnung erwischt hat, die größer als 40 m² war, hatte wirklich Glück. Ach ja, und als ich gegangen bin, habe ich gehört, dass der Bürgermeister eine Affäre mit eine thailändischen Prostituierten hatte und deshalb aus dem Amt geflogen sei. Ich würde also sagen, alles ganz normal.“
„Ja ja, man hat uns das schon in der Schule erzählt. Die Menschen folgten schon immer Murphy’s Gesetzen.“
„Was schief gehen kann, wird schief gehen.“
„Noch schlimmer. Wozu haben wir denn die Erde, wenn wir sie nicht zu Grunde gehen lassen dürfen?“
Lukas dachte eine Weile nach. „So was hat man uns in der Schule nie beigebracht. Wo sind sie denn zur Schule gegangen? Vielleicht in Österreich?“
Sissi verstummte augenblicklich. Sie bogen irgendwo rechts ab und liefen erneut auf eine Fahrstuhltür zu. Lukas wusste schon lange nicht mehr, wo sie sich befanden. Da Sissi immer noch nichts sagte, fragte Lukas: „Hey, hab ich ihre Herkunft beleidigt? Das tut mir leid. Ich mag Österreich, ganz ehrlich. Die haben dort wunderbare... öhm. Naja, die Menschen sind da total nett.“
Sie waren am Aufzug angekommen und Sissi drückte den Ruf-Knopf. Sie drehte sich in seine Richtung und blickte ihn traurig an. „Ich will ehrlich mit ihnen sein, auch wenn sie mir vermutlich distanziert gegenüberstehen werden, will ich ihnen trotzdem die Wahrheit über mich erzählen, aber sagen sie mir hinterher nicht, sie wollten es nicht wissen.“
Lukas war erstaunt über den plötzlichen Stimmungswandel seiner Einweisungsmitarbeitern. „Sie machen es aber spannend.“
Sie atmete tief durch und schwieg eine Weile in der Hoffung, der Aufzug würde nun kommen und irgendwas oder irgendwer würde heraustreten, das die Unterhaltung für den Augenblick unterbrechen würde. Er kam nicht. Auf diesem Schiff war auf nichts Verlass.
„Ich... ich bin keine Terranerin.“
Mit einem schlechtem Timing und einem piepsendem Geräusch kam der Aufzug an, Sissi betrat ihn und Lukas lief ihr nach. Sissi berührte den Bildschirm des Aufzuges und tippte auf ein graues Viereck mit dem Buchstaben „H“. Mit einem kaum hörbarem Summen setzte sich der Aufzug in Bewegung. Einen Moment herrschte eisige Stille, bis sich Lukas vorbeugte.
„Und, wo bleibt jetzt das Schockierende?“
„Ich finde, das ist schon schockierend genug.“
Lukas seufzte: „Das war früher schon genau so schlimm. Es hat gedauert, bis wir erkannt haben, dass Schwarze Menschen sind, es hat auch gedauert, bis wie erkannt haben, dass Frauen Menschen sind. Wir haben auch eingesehen, das Homosexuelle Menschen sind, ich bin mir sicher, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis wir feststellen, dass auch diejenigen Menschen sind, die nicht auf der Erde geboren wurden.“
Er machte eine kurze Pause. „Und ich möchte noch hinzufügen, dass sie auf mich äußerst menschlich wirken.“
Sissi grinste. „Danke. Nette Ansprache“
Die Fahrstuhltüre öffnete sich und Lukas blieb beinahe der Atem weg. Sissi packte ihn an der Hüfte und schob ihn aus dem Fahrstuhl heraus. Vor ihm offenbarte sich ein etwa zehn Meter breiter Weg, dann eine 1.50 Meter hohe Absperrung aus Glas, Panzerglas, wie er richtig vermutete. Dahinter tat sich ein riesiger Abgrund auf. Langsam ging er auf die Absperrung zu und hielt sich daran fest, als er es erreicht hatte. Er blickte auf eine Schlucht aus übereinandergestapelten Gängen, Fenstern, Aufzügen und Monorailspuren, die sich am Rand der Gänge befanden und jeweils im Abstand von vielleicht fünfhundert Metern die Schlucht überquerten, die sich scheinbar endlos durch das ganze Schiff zog. Sissi stand neben ihm und schwieg eine Weile.
„Erstaunlich, nicht? Ich finde es jedes Mal auf’s Neue faszinierend, wenn ich vom Landungsdeck komme und von hier aus auf das Hauptdeck blicken kann.“ Sagte sie schließlich. „Das Hauptdeck ist knapp drei Kilometer lang, genau kann ich es ihnen nicht sagen. Wenn man so will ist das hier das Geschäftsviertel auf dem Schiff. Im vorderen Teil, das ist das, worauf wir jetzt blicken können, befinden sich die Zivilnutzeinrichtungen. Hier können sie also Lebensmittel und Bekleidung erwerben, ihre Steuer- und Finanzangelegenheiten klären und sonstige Besorgungen erledigen. Die Sicherheitskräfte sind auf diesem Deck stationiert, genau wie das gesamte Gesundheitssystem und somit auch meine Arbeitsstelle. Ihr Büro befindet sich auch hier. Wir sind quasi Nachbarn. Übrigens befindet sich auch die Kommunikationsstation auf diesem Deck. Wenn sie also jemandem auf der Erde oder sonst wo eine Nachricht zukommen lassen wollen, helfen die ihnen weiter.“
Lukas dachte daran, der Dame in der Sardinenbüchse über seiner ehemaligen Münchner Wohnung mitzuteilen, dass sie jetzt ihre Kunden ruhig wieder leise bedienen kann, denn er sei nicht mehr da (falls sie das nicht bemerkt haben sollte, was wahrscheinlich ist) und somit würde das ganze sowieso keinen Spaß mehr machen, aber er verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Er ging nicht davon aus, dass dieser Service umsonst angeboren wurde und er hatte nur ein geringes Interesse daran, sein Geld zum Fenster herauszuwerfen.
Sissi fuhr fort. „Im hinteren Teil befindet sich das Vergnügungsviertel. Das ist natürlich der schönere Teil des Hauptdecks, aber sie werden die ersten Woche dort sowieso nur entlang spazieren können, denn dort ist alles verdammt teuer. Hat man ihnen eigentlich auf dem A.B.I. etwas von diesen Realitätensimulatoren erzählt?“
Lukas nickte und zitierte „Realitätensimulatoren der Generation IV, nutzbar für ein Entgeld von...“
„Ich muss sie warnen.“ Fiel sie ihm ins Wort. „Diese Dinge machen im höchsten Maße süchtig. Die Hälfte meiner Patienten als Psychologin wollen Hilfe, weil sie behaupten, von diesen Teilen abhängig zu sein. Was heißt behaupten, sie sind süchtig nach diesem Zeug, aber die von der Drogenberatungsstelle lachen diese Leute aus. ‚Das ist ja fast so, als würde man behaupten, Kino und Computerspiele würden süchtig machen. Lächerlich!’ sagen die dann. Ich frage mich, ob die hinterm Mond leben?“
„Wohl eher hinterm Jupiter.“ Gab Lukas zurück. Beide grinsten, und während Lukas immer noch gespannt das rege Treiben auf dem Hauptdeck bewunderte, fügte er hinzu. „Ich bin nicht wegen diesen Dingern hier, sondern um zu arbeiten, um irgendeiner Beschäftigung nachzugehen und mich nützlich zu machen. Da ich nicht in der Lage war, mein altes Leben in den Griff zu bekommen, möchte ich hier ein neues anfangen und wenn ich mir das so anschaue,“, er deutete auf das vor ihm liegende Hauptdeck, „könnte mir das sogar gefallen, vorrausgesetzt, von meinem Büro aus habe ich einen schönen Ausblick.“
„Das können wir uns gleich mal anschauen. Folgen sie mir bitte.“ Sagte sie und lief nach links weg. Lukas folgte ihr.
„Das Hauptdeck besteht aus 21 Ebenen. Wegen des schönen Ausblicks hätte ich sie auf die oberste Ebene gebracht, aber das hätte keinen großen Unterschied gemacht. Ihr Büro befindet sich auf Ebene 19, auf der wir uns jetzt befinden. Es hat die Anschrift 19/8812/0047. Das ist das Deck, ihre Personalnummer und die Ebenennummer. Die ist deswegen so niedrig, weil sich ihr Büro nicht sehr weit vom Startzählpunkt weg befindet, der sich am Hauptlift befindet, aus dem wir grade gestiegen sind. Sie merken sich also nur Deck 19, EN 0047.“
Sie blieben an einer dicken, rotgestrichenen Säule stehen, an der ein Touchscreen montiert war, der ein Nummernfeld anzeigte. Sissi tippte die Ebenennummer 0047 ein und bestätigte die Eingabe.
„Diese Säulen markieren die Monorailhaltestellen. Die befinden sich im Abstand von hundert Metern auf jedem Deck, alle halber Kilometer kommt noch eine Ebenenüberquerung dazu. Sie tippen an diesen Säulen einfach die Ebenennummer ein, zu der sie wollen. Sie werden keine drei Minuten warten müssen. Steigen sie schnell ein und achten sie während der Fahrt auf die Anzeige am der Decke des Zuges, wenn ihre EN aufleuchtet, bleibt ihnen nicht mehr viel Zeit, den Monorail zu verlassen, und wenn sie ihre EN verpassen, müssen sie eine ganze Runde sitzen bleiben, denn sie können nicht einfach an der nächsten EN aussteigen. Das wäre natürlich wesentlich einfacher, aber der Kapitän hat das verboten. Fragen sie mich nicht warum. Monorails mit den roten Zugmaschinen sind für die Ebenenüberquerung gedacht. Sie werden das schon merken. Wenn der Zug anhält, steigen sie ein und wenn er nicht anhält, kann er sie nicht dahin bringen, wo sie hinmöchten.“
Schon kam einer der weißen Züge angedonnert, der von den Einspurgleißen oben und Unten in der Spur gehalten wurde. Er hielt, die beiden stiegen ein und fuhren auf beschriebenem Wege zu Lukas Büro. Voller Erwartung betrat er sein Büro. Es war recht ansehnlich, von seinem Schreibtisch am Fenster hatte er einen Ausblick auf einen Erotikshop, einen Friseurladen, einen Polizeistation, eine Bank und einige leere Büros. Im Laden selbst blühte Lukas erst recht auf. Argwöhnisch betrachtete er die verstaubten und seiner Meinung nach auch veralteten Geräte, die Anfragelisten und die Dienstprotokolle. Er wollte wissen, wo er sich neue Analyse- und Reparaturgeräte bestellen könnte, denn darauf müsse er bestehen.
„Diese Dinger hier“ sagte er „haben sicherlich schon Altertumswert. Vielleicht findet sich ein Antiquitätenhändler, der uns das abnimmt. Oder besser noch, ein Archäologe.“ Des weiteren regte er sich darüber auf, wie es sein könne, dass er der Elektrotechniker noch nicht geschafft habe, die Kaffeemaschine in seinem Büro zu reparieren und gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, wie es der Elektrotechniker geschafft habe, bei all den losen und herumhängenden Kabeln der Anzeigetafeln und der Raumbeleuchtung, noch nicht mit einem Stromschlag auf der Intensivstation gelandet zu sein. Sissi kam aus dem Lachen nicht mehr heraus. Nach zwei Stunden weiter hatte Lukas sich eine gedankliche „Zu-erledigen“-Liste zusammengestellt, die so lang war, dass man aus ihr sicherlich eine Strickleiter runter zum Jupiter hätte basteln können und Sissi hatte vom Lachen tierische Bauchschmerzen.
Inzwischen waren die beiden beim per du, saßen in Sissis Quartier, schlürften Kaffee und quatschen miteinander, als ob sie sich schon Ewigkeiten kennen würden.
„Der gütige Kapitän gibt dir eine Gewöhnungszeit von 72 Stunden, danach musst du deinen Dienst antreten“ sagte Sissi.
„Drei Tage ohne zu arbeiten?“ stöhnte Lukas. „Das halte ich doch nie durch.“
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Alt 04.12.2004, 18:14   #4
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Lukas Themann IV
Von alten Hasen und Quereinsteigern


Nach einem gemütlichen Schwätzchen wollte Lukas mit Christian Bauer reden, dem bis dahin einzige Elektrotechniker auf der ED-5.
„Ich werde mir von ihm die aktualisierten Auftragslisten geben lassen und fragen, wo man die notwendigen Gerätschaften herbekommt und dann werde ich dieses Büro erst mal auf Vordermann bringen. Dort sieht’s aus, als wäre er schon Wochen nicht mehr da gewesen.“
Er und Sissi spazierten auf dem selben Deck, auf dem auch Lukas sein Quartier hatte.
„Das könnte hinkommen.“ sagte Sissi.
„Ich verstehe nicht, wie dieser Laden hier laufen kann, wenn euer Elektrotechniker so eine Flachfeile ist. Wie lange arbeitet er schon hier?“
„Fünfzehn Jahre.“
„Erdjahre?“
„Natürlich Erdjahre. Ich kann zwar aus Erfahrung berichten, dass die Medizin Fortschritte gemacht hat, aber von einem Menschen, der fünfzehn Jupiterjahre alt geworden ist, habe ich noch nie gehört.“
Lukas war die Tatsache, dass er nicht wusste, wie lang ein Jupiterjahr ist, sichtlich peinlich.
„Macht nichts,“ sagte Sissi, als könne sie Gedanken lesen, „hätte ich gewusst, dass ein Jupiterjahr knapp zwölf Erdenjahre sind, hätte ich mir das ganze vielleicht auch zweimal überlegt, aber nun ist es zu spät, auch für dich.“
Lukas seufzte kurz, aber dann sagte er wahrheitsgemäß: „Ich will gar nicht zurück.“ Daran hatte sich nichts geändert. Als er auf der Erde in den Transporter stieg, wollte er dies nicht, angesichts des Lebens, das er zurück lies, und jetzt, grade in diesem Moment wollte er es nicht aufgrund dieser Wahnsinnsfrau, die da neben ihm lief und die ihn die ganze Zeit mit diesem unglaublichem Duft nach Kokos benebelt hatte. Er ging von zu Hause weg, weil er sich schämte, diese stinkende Gosse, diese Hochhausschlucht, dieses verdreckte München als Seine Heimat bezeichnen zu müssen. Nichts hätte schlimmer sein können, und eine Reise auf diese im Weltall schwebende Blechbüchse wäre ein netter Versuch gewesen, eine willkommene Abwechslung, wenn es nicht geklappt hätte, Scheiß drauf. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr, er spürte das. Dieses neue Leben, dass ihm ermöglicht wurden war, es hatte bereits begonnen.
„Also,“ durchbrach er das Schweigen, „wenn dieser Bauer hier schon fünfzehn Jahre arbeitet und nichts zustande bringt, warum ist er dann noch hier?“
„Er war nicht immer so. Seit ich hier lebe, kenne ich ihn und er hat früher sehr engagiert und gewissenhaft gearbeitet, aber seit ungefähr einem Monat hat er seine dritte Abmahnung vom Kapitän bekommen und muss deshalb jeden Tag mit seiner Kündigung rechnen.
„Warum denn das? Was hat er denn gemacht.“
„Das erste mal hat man ihn dabei erwischt, wie er die Verteilerkabel zur Brücke sabotiert hat, um Aufträge zu bekommen. Sein Gehalt ist zwar festgelegt, aber er sagte, er hätte sich unterfordert gefühlt.“
„Kenn ich gut!“
„Das zweite Mal kam er betrunken zur Arbeit. Keiner hat was gemerkt, bis er die Stromversorgung für einen ganzen Sektor des Hauptdecks lahm legte. Der Monorail musste neu konfiguriert werden, ein komplettes Kühllager musste man abtauen und eine Friseurin, die plötzlich im Dunkeln saß, hat vor Schreck einer Kundin das Ohr abgeschnitten.“
„Autsch.“ Er verzog das Gesicht. „Und das dritte Mal?“
„Das dritte mal... tja...“ Sissi zögerte. Sie bogen in einen kleinen Gang ein, in dessen Verlauf sich Christian Bauer befinden musste.
„Was?“ fragte Lukas gespannt.
„Weiß niemand so genau. Was Persönliches. Sind natürlich nur Gerüchte, aber... nun ja, es ist ein ziemlicher Casanova und er soll die Frau des Kapitäns genagelt haben. Das hat dem Kapitän nicht so wirklich gefallen und deswegen lässt er ihn jetzt zappeln. Doch es wird nicht mehr lange dauern, bis er fliegt.“
„Deswegen auch die freie Stelle, die mir das A.B.I. angeboten hat.“ Schlussfolgerte Lukas.
„Genau, schon mal vorsorglich.“
Die beiden waren an Bauers Tür angekommen. An den Anzeigen auf dem Display konnte man erkennen, das er auch zuhause war. Sissi betätigte einen kleinen blauen Knopf oberhalb des Displays, die Klingel. Zunächst tat sich nichts, also klingelte Sissi noch mal. Man konnte ein Seufzen hören, dann ein verärgertes Murmel und dann Schritte. Die Tür öffnete sich und vor ihnen stand ein hundertachtzig Zentimeter großer, schlanker und schlecht rasierter Mann, den Lukas etwa auf Anfang vierzig schätzte. Seine naturblonden Haare standen in alle Richtungen von seinem Kopf weg, doch im Gegensatz zu Sissis Frisur schien das nicht beabsichtigt. Er trug karierte Shorts und ein helles T-Shirt, auf dem der Spruch „Ich Chef, du nix“ zu lesen war. Solche T-Shirts mussten zu Beginn des 21. Jahrhunderts mal Mode gewesen sein, doch sie wirkten auf Lukas äußerst lächerlich.
Bauer beachtete Lukas gar nicht, aber er schien sichtlich überrascht, Sissi zu sehen. „Guten Morgen Sissi. Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt.“
„Hallo Christian. Es ist halb drei Nachmittags.“
„Oh echt... Ich glaube, ich hab verschlafen.“
„Schon OK. Das hier ist Lukas Themann, den neuer Kollege.“
Sie zeigte auf Lukas, dieser reichte Christian die Hand und sagte „Freut mich.“
Christian schüttelte ihm die Hand. „Wirklich?“ Fragte er. Sein Händedruck war sehr lasch. „Kollege klingt gut, aber Nachfolger trifft’s wohl eher. Kommt doch rein.“
Er führte die beiden durch ein Wohnzimmer, dass Lukas an seine Wohnung auf der Erde erinnerte. Es gab nicht viel, das man in einen ordentlichen Zustand hätte bringen können, aber das hätte sich bei ihm nie gelohnt. Vor allem nicht, da er ja gewusst hatte, das er dort nicht mehr lange wohnen würde. Sie möge in Frieden vergammeln. Sie bogen nach rechts ins Schlafzimmer, welches Christian zu einer Art Arbeits- und Schlafzimmerkombination umfunktioniert hatte. Dem Bett gegenüber stand ein Schreibtisch mit Christians Persönlichen Arbeitsterminal und ein Werkzeugregal mit den Gerätschaften, die Lukas im Büro des Elektrotechnikers vermisst hatte.
„Ich habe bereits bemerkt, dass jemand sich erlaubter weise Zugriff zu den Dienstprotokollen und den Auftragslisten verschaffen wollte. Man könnte also sagen, dass ich deine Ankunft vorausgesehen habe.“
„Und warum hast du dann nicht aufgeräumt?“ Sagte Sissi und setzte sich grinsend auf das Bett.
„Ihr habt mir zu wenig Zeit gelassen.“ Grinste Christian zurück. „Ich brauche übermäßig viel Zeit.“
„Die Dienstprotokolle konnte ich einsehen, die Inventarlisten auch, aber die Auftragslisten waren mit einem Extra-Passwort geschützt. Wir hatten keinen Zugriff.“ Sagte Lukas und setzte sich neben Sissi auf das Bett.
„Mit gutem Grund,“ sagte Christian und hob den Zeigefinger, „irgendwelche hohen Tiere, schätzungsweise Offiziere und Sicherheitsbeamte haben sich mit ihrem Supervisorpasswort Zugang zu den Auftragslisten verschafft um ihre eigenen Aufträge ganz unauffällig nach oben zu schieben. Oder die ihrer Frauen, Freundinnen oder von Leuten, die ihnen Credits dafür überwiesen haben. Eine Riesen-Sauerei sag ich euch. Irgendwann wurde mir das zu bunt, also bin ich zum Netzwerkchefadministrator gegangen und habe ihm die Hölle heiß gemacht. Ich sagte, da muss ein Virus in meinem System sein, denn meine Auftragslisten werden ständig durcheinandergehauen. Er konnte nichts finden, aber dann hat er die Zugriffsprotokolle überprüft und dabei festgestellt, dass neben mir jeden Monat noch zehn andere Leute auf die Auftragslisten zugreifen, also habe ich mir ein eigenes Passwort einrichten lassen, und jede Umgehung mit dem Supervisorpasswort wird mir gemeldet. Bei mir hat sich gefälligst jeder hinten anzustellen.“
„Sehr nobel.“ Kommentierte Lukas. „Kann ich die Auftragslisten trotzdem haben? Ich möchte morgen schon anfangen zu arbeiten. Ich steh nicht so auf Schonzeit.“
„Klar.“ Sagte Christian, schob ein paar Martiniflaschen zur Seite und tippte so lange auf dem Terminal herum, bis auf dem Monitor zu lesen war: „Zugriff wird angefordert, bitte warten!“
„Schaffe dir auf jeden Fall auch so Passwort an oder nimm gleich meins, es ist leicht zu merken.“ Sagte Christian und lachte kurz auf. Lukas nickte, als plötzlich irgendetwas unsanft gegen sein Becken stieß. Erschrocken sprang er auf und drehte sich um. Sissi stand auch auf und betrachtete das Bett. Während Christan seine Stirn in Falten legte und nachdachte, schlug Sissi die Bettdecke halb nach hinten. Zum Vorschein kamen ein paar gut gebräunte, lange Beine, ein knappes rosa Höschen mit einem Kätzchen vorne drauf und ein gut durchtrainierter Bach mit einem funkelndem Etwas im Bauchnabel.
Christian wirkte angenehm überrascht, Sissi schüttelte den Kopf. „Man, was bei dir wieder so alles rumliegt...“
„Ja sorry ey,“ sagte Christian. „seit du das letzte mal hier warst, bin ich noch nicht zum Aufräumen gekommen.“
„Das war vor drei Wochen.“
„Oh echt? Man, wie die Zeit vergeht.“
Ein Piepsen unterbrach die beiden. Christian wandte sich wieder dem Monitor zu. „Ah, da ist sie ja. Wenn du mir jetzt noch deine Personalnummer gibst, schicke ich sie dir per E-Mail.“
„Achtundachtzig Zwölf.“ Sagten Sissi und Lukas wie aus einem Munde.
Nachdem sich die drei verabschiedet hatten, standen die beiden auf dem Gang vor Christians Tür.
„Ich muss dann mal in mein Quartier, ich muss morgen wieder arbeiten und ich habe noch ein bisschen Vorarbeit zu leisten.“ Sagte Sissi.
„Lass dich nicht von mir aufhalten,“ erwiderte Lukas, „ich werde mir die Auftragslisten anschauen und dann mal sehen, auf was ich mich einstellen muss, aber bis zum Aufzug kann ich dich ja noch begleiten.“
Kurz bevor sie die Ebene erreichten, auf der Sissis Quartier lag, räusperte sich Lukas und fragte: „Sag mal, hast du auch schon mal bei ihm unter der Bettdecke gelegen?“
Sissi legte ein diabolisch anmaßendes Grinsen auf. Lukas hatte mit dieser Frage Interesse signalisiert, aber das war ihm eigentlich egal. Er war davon ausgegangen, dass sie das sowieso bemerkt hatte, und er hatte recht damit.
Die Tür öffnete sich, Sissi sagte: „Wenn ja, dann kann ich mich nicht mehr daran erinnern.“ Dann gab sie ihm einen schnellen Kuss auf die Wange und verlies den Fahrstuhl kurz bevor sich seine Türen schlossen.
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.08.2005, 21:19   #5
Riif-Sa
 
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Lukas Themann V
Geschäfte und Geschichten


Die Auftragsliste war nicht so lang, wie Lukas erwartet hatte. Die Widerrufrate lag unter 2 Prozent. Bauer war kein so schlechter Elektrotechniker, trotz seiner mangelnden Ordnung und Disziplin. Auf der anderen Seite hatte selbst Lukas sein Potential nicht mal zu einem viertel ausgeschöpft. Ein paar defekte Sicherung, ein paar durch Vandalismus zerstörte Monitore nichts Großes bis jetzt. Nur einmal musste er Christians Hilfe in Anspruch nehmen, als die Monorail-Bahn auf der siebten Ebene plötzlich stehen blieb. Christian zeigte ihm, wie die Magnetfeldgeneratoren der Bahn funktionierten, erklärte, wie man die Fehlerquelle lokalisiert und mit welchen Geräten man dem Fehler zu leibe rückt. Da machte Lukas zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem erfahrenen Elektrotechniker Bauer, der ihm sonst so schwer zu entlocken war. Kompetent, fachlich und ohne Umschweife erklärte er Lukas alles, ohne ihn dabei wie einen Erstklässler zu behandeln. Er wusste, dass er und Lukas auf dem selbem Niveau standen und er hatte auch kein Interesse daran, so zu tun, als wäre das anders. Das machte ihn in Lukas Augen sehr sympathisch.
An diesem Abend saßen die beiden noch bei einem Bier zusammen und fachsimpelten über Spannungs- und Energiestandards, diskutierten, welches Material für welchen Zweck besser geeignet wäre und führten hitzige Debatten darüber, welches Werkzeug wo einzusetzen wäre. Sissi kam später dazu, doch ihr wurde schnell langweilig und mehr als einmal schlug sie vor, das Thema zu wechseln.
„Redet doch über Fußball, da kann ich wenigstens ein bisschen mithalten.“ Sagte sie.
Doch Lukas wehrte ab. „Bevor ich den Herrn da drüben nicht davon überzeugt habe, dass man mit einem Spanungsumkehrer keinen defekten Widerstand reparieren kann, wechsle ich nicht das Thema.“
Christian gab sofort Contra. „Umgehen hab ich gesagt, nicht reparieren. Wenn du mir nicht zuhören kannst, kann ich es auch nicht ändern.“
„Wie willst du mit dem Ding den Widerstand umgehen? Du kannst den Stromkreis nur umkehren, nicht umleiten. Deswegen heißt das Ding ja Spannungsumkehrer und nicht Spannungsumleiter.“
„Du musst es nur richtig konfigurieren. Das geht wesentlich einfacher, als alles aufzuschrauben und umzustecken.“
„Bist du bescheuert? Du kannst doch den Spannungsumkehrer nicht umkonfigurieren. Eine falsche Konfiguration und du schließt die ganze Ebene kurz.“
„Tja, ich weiß, was ich mir zutrauen kann. Spannungsumkehrer umkonfigurieren und anklemmen: zehn Minuten. Alles Aufschrauben, defekten Widerstand suchen, umklemmen, austauschen: eine Stunde.“
„Und den Kurzschluss reparieren: zwei Stunden und einen Riesenärger vom Chef.“
Sissi seufzte. Man sollte zwei Männer nicht unterbrechen, wenn sie etwas Wichtiges zu bereden hatten. Eigentlich hatte sie auch kein wirklich großes Interesse daran, denn sie fand es einfach zu komisch, zu beobachten, wie sich die beiden voller Leidenschaft stritten. Die Worte ihrer Mutter gingen ihr durch den Kopf: „Wenn zwei Männer sich streiten, ist das Thema des Streits völlig nichtig, denn es geht nie darum. Es geht immer nur darum, wer den größeren Penis hat. Deswegen sind die Argumente, die Männer in eine Diskussion einwerfen, auch völlig fehlplatziert. Wenn zwei Männer sich streiten, braucht es keine Argumente, da mit ein paar einfachen Griffen der Streit geschlichtet wäre.“ Sie musste sich zurückhalten, um nicht plötzlich laut loszulachen. In Wirklichkeit stritten Lukas und Christian also nicht darum, ob man mit einem Spannungs…dingsda einen Widerstand reparieren kann, sondern darum, wer…
Sie musste doch lachen.
Lukas und Christian schauten sie an.
„Das ist gar nicht lustig.“ Sagte Christian. „Du hast mir selbst erzählt, was passieren kann, wenn plötzlich mal der Strom ausfällt. Weißt du noch? Die Sache mit der Friseurin und dem Ohr?“
Sissi winkte ab. „Ist schon gut. Ich dachte nur grade an was völlig anderes.“
Lukas wollte grade etwas erwidern, als sich Sissi’s Contacter mit einem lauten Piepser meldete. Sie zog ihn aus der Tasche, las die Nachricht und richtete sich dann zum Gehen auf.
„Ein Notfall auf der Krankenstation.“ Erklärte sie.
„Gut. Wir sehen uns.“ Sagte Lukas.
„Jop, bis später.“ Stimmte Lukas ein.
Sissi nahm ihre Jacke vom Stuhl, verabschiedete sich mit einer Handbewegung und war verschwunden.
Nachdem sie außer Reichweite war, schwiegen sich die beiden Männer eine Weile an, bis Christian das aussprach, was beide dachten.
„Eine tolle Frau, oder?“
Lukas nickte.

Am Abend saß Lukas in seinem Quartier und starrte durch sein kleines Fenster im Schlafzimmer den Jupiter an. Er hatte ein Glas Whiskey in der Hand und dachte über das Leben auf diesem Schiff nach. Wie immer malte er sich seine Zukunft sehr bildlich aus, doch dieses Mal glaubte er tatsächlich daran, dass seine Träume von einem ruhigen Leben ohne große finanzielle Probleme wahr werden konnten.
Er ging ein paar Mal in seinem Zimmer auf und ab, schaltete dann den Fernsehe ein, der jedoch nichts zu bieten hatte als Hinweise auf Veranstaltungen, Ansprachen vom Kapitän und Werbung für schiffseigene Unternehmen.
Dies langweilte ihn jedoch, also entschloss er sich, ein bisschen spazieren zu gehen. Sissi hatte ihm von einer Aussichtsplattform unterhalb der Brücke erzählt, von wo aus man das Schiff gut überblicken könne. Er verlies sein Quartier und machte sich auf den Weg.

Ein kleiner Magnetaufzug neben dem Hauptaufzug für Brückenoffiziere führte zu besagter Plattform. Er stellte sich auf die runde, bläulich leuchtende Platte, die in den Schacht eingelassen war und drückte den „Nach oben“-Knopf. Plötzlich er hörte, wie die Magnetfeldgenerator mit einem kaum hörbarem Piepsen die Pole vertauschten und dann spürte er, wie die Platte ruckartig vom unterem Magnet abgestoßen wurde und sich nach oben bewegte. Auf der Hälfte der Strecke wurde die Platte langsamer, dann gab es einen erneuten Ruck und die Platte wurde vom oberem Magneten angezogen. Lukas blickte nervös nach oben? Wo war die Stoppvorrichtung? Er hatte keine Lust, zwischen Platte und Schachtdecke zerquetscht zu werden. Er machte sich schon zu einem todesmutigem Sprung durch die Türöffnung bereit, als aus selbiger ein bekanntes Gesicht lugte.
„Sissi,“ rief Lukas nach oben, „wird der anhalten?“
Sissi grinste nur. „Bei mir hat er angehalten.“
„Sehr beruhigend.“ Schrie er zurück. Dann erkannte er, dass sich vier Metalldreiecke aus den Ecken des Schachtes hervorbewegten, die die Platte dann tatsächlich auch daran hinderten, weiter nach oben zu steigen.

Mit etwas Herzklopfen in seiner Brust stieg er aus.
„Warum sind diese Dinger nicht immer da? Warum kommen die erst raus, kurz bevor der Fahrstuhl oben ist?“
Sissi lachte und legte eine Hand auf seine Schulter. „Weil’s cool aussieht?“
Lukas schüttelte den Kopf. „Gar nicht komisch. Was, wenn sie mal klemmen?“
„Ist schon okay. Beruhige dich. Das war sehr mutig von dir, den Aufzug zu nehmen. Ich hab die Treppe genommen.“
Lukas öffnete den Mund, doch Sissi nahm nahm ihn bei der Hand und führte ihn in den Raum. Sie zerrte ihn an eines der seitlichen Fenster, von wo aus man den Saturn gut beobachten konnte. Doch, was Lukas von seinem Fenster aus nicht sehen konnte, war eine große, grau-weiß gefärbte Kugel, die ganz dicht am Schiff vorbeischwebte, oder andersrum.
„Das ist Ganymed.“ Erklärte Sissi. Er ist der größte Mond des Jupiter. Naja, eigentlich ist er der größte Mond des ganzen Sonnensystems. Ich finde, er ist sogar der schönste Mond. Ich hab mal eine Expedition geleitet, die zum Ziel hatte, Wasser aus den Eisreserven Ganymeds zu gewinnen, falls unsere Lieferungen mal stoppen sollten, aber daraus wird wohl nichts. Er ist einfach zu schnell. Er braucht nur sechs Tage, um den Jupiter einmal zu umrunden, das ist zu wenig Zeit.“
Lukas starrte den Mond wie gebannt an.
„Hörst du mir zu?“
Lukas seufzte. „Ganymed ist zu beneiden.“
Sissi zog die Augenbraue nach oben. „Warum?“
„Weil er jemanden hat, an den er sich halten kann. Er weiß, was er zu tun hat, er kreist um Jupiter und um alles andere muss er sich keine Sorgen machen. Ich weiß nicht, an wen ich mich halten soll. Dieses Schiff ist so riesig. Ich werde Ewigkeiten brauchen um mich zurechtzufinden.“
Sissi sah Lukas ein wenig bedauernd an, dann umarmte sie ihn. „Hey, dafür bin ich doch da. Du musst dich nicht schämen, mich zu fragen, wenn du irgendetwas wissen willst, okay? Mach dir mal keine Sorgen.“
Lukas schloss die Augen und lauschte ihrer Stimme. Er glaube ihr. Leise fügte er noch hinzu: „Und weil du ihm so viel Bewunderung schenkst.“
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