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Alt 07.07.2007, 15:59   #1
Berchner
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 59


Standard Freunde fürs Leben

Willi der Kater und Kai der Koi kannten sich schon lange.
Ihre Besitzer, die Familie Thornton, hatte sie langsam aneinander gewöhnt und Willi seinen natürlich Trieb oder das, was sie für seinen natürlichen Treib hielten, Kai zu fressen, aberzogen. Schließlich hatte Kai stolze 200 Pfund gekostet.
Mit der Zeit wurden Willi und Kai sogar gute Freunde, und wenn Willi am Teich von Kai vorbeischwänzelte unterbrach dieser sogar oft sein Training, er war ein sehr guter Delphinschwimmer. Dann hüpfte Kai auf den kleinen Steg, den Herr Thornton selbst gebaut hatte, und die beiden unterhielten sich oft stundenlang.
Oft erzählte Kai dann von seinem früheren Leben als Birke, dass ihm besser gefiel, als sein jetziges Fischdasein. Schon als Birke hatte Kai ein gutes Verhältnis zu Katzen, sie spielten und kletterten auf ihm, und deshalb hatte er von Anfang an keine Angst vor Willi.
Willi war früher ein Fischreier, wurde aber von seinen Eltern vegetarisch erzogen und fand Fische ekelig, bis er Kai kennen gelernt hatte. Kai war zwar auch ein Fisch, aber er trug den Erfahrungsschatz eines Baumes in sich.
„Warum haben dich deine Eltern denn vegetarisch erzogen?“ fragte Kai und Willi musste lachen.
„Mann, du stellst aber blöde Fragen. Wir lebten in der Sierra Nevada, da gibt es kein Wasser und deshalb auch keine Fische.“
„Fischreier in der Wüste?“, fragte Kai verblüfft. So etwas hatte er selbst als Baum noch nicht gehört. Und Bäume hören viel. Viele Vögel kommen und machen Rast auf einem Baum und dann erzählt man sich so einiges.
Aber von Fischreiern in der Sierra Nevada hatte Kai noch nie gehört.
„ Mein Vater hatte sich verflogen, wir wollten eigentlich nach Kanada. Und in der Sierra Nevada angekommen zog es ihn nach Las Vegas und er wurde spielsüchtig.
Meine Mutter verfiel dem Alkohol und aß wieder Fisch. Aber sie vertrug ihn nach all den Jahren vegetarischer Ernährung nicht und starb an einer Fischvergiftung.“
„Ein Fischreier stirbt an einer Fischvergiftung?“ Auch das hatte Kai der Koi, ehemals Kai die Birke, nicht fassen können. „Du hast ja schon einiges durchmachen müssen in deinen Leben“ fand Kai die treffenden Worte für Willis Vergangenheit.
„Ach“ sagte Willi, „das Leben als Fischreier ging ja noch, da bin ich ja nur verhungert.
Aber als ich noch ein mexikanischer Frosch war, das war hart.
Es kamen Gerüchte auf, dass man an uns lecken kann und halluzinogene Wirkungen auftreten. Ein grober Irrtum. Aber die scheiß Gauchos waren verrückt nach uns.
Da half auch kein Quaken mehr.“
„Und woran bis du dann gestorben?“ fragte Kai neugierig.
„Ich wollte in die USA flüchten, aber leider wurde zu dieser Zeit eine Anti-Drogenfrosch Kampagne so populär, dass die amerikanischen Grenzsoldaten nicht auf die kriminellen Mexikaner, die sich einbildeten von uns berauscht zu sein, sondern auf uns Frösche schossen.“
„Aber das ist doch kein qualvoller Tod“, meinte Kai.
„Ist es denn nur ein qualvoller Tod wenn man verhungert oder erstickt? Ich finde es schlimmer sein Leben lang abgeleckt und auf dem Weg in die Freiheit erschossen zu werden, als in der Wüste zu verhungern!“
Das gab Kai zu denken.
Willi hatte schon so viel mehr erlebt als er, und seine Lebenserfahrung war mit keiner zu vergleichen. Und doch wollte Willi immer neue Erfahrungen sammeln.
„Was willst du denn als nächstes werden?“ fragte Kai, dem die Sonne schon seit Stunden auf die Schuppen brannte.
„Jetzt hab ich ja erstmal sieben Katzenleben vor mir“ meinte Willi etwas deprimiert.
Danach würde er gerne eine Eintagsfliege sein, weil das ja eine relativ kurzfristige Geschichte wäre und ihm das Fliegen schon als Fischreier so viel Spass gemacht hatte.
Am liebsten jedoch wollte Willi irgendwann mal ein Krokodil sein, weil ihm die Krokodillederoptik so gut gefällt und er als Katze keine Chance hatte, Stiefel aus Krokodilleder zu kaufen, schließlich war er ja nicht der gestiefelte Kater, sondern Willi aus West Bromwich.
Kai hörte immer noch gespannt zu, obwohl er schon sehr müde von der Wärme war und ihm die Augen beinahe zufielen, wenn er den Lider gehabt hätte.
„Ich war bislang nur Birke und Fisch“, sagte der resignierte Koi Kai „ich will auch mal fliegen oder laufen können, oder riechen, oder hören!“
Willi konnte dieses Verlangen gut verstehn und fraß Kai auf.
Das war Willis erster Fisch überhaupt, und er schmeckte ihm auf Anhieb sehr. Bis auf Kai´s Schwanz ließ Willi nichts übrig.
Obendrein konnte sich Willi ja sicher sein, Kai einen Gefallen getan zu haben.
Am nächsten Morgen jedoch fand Frau Thornton den Schwanz von Kai, dem 200 Pfund Koi, und erschrak über die Gefräßigkeit ihres Katers Willi.
„Sie haben sich doch immer so gut verstanden, und zusammen auf dem Steg gesessen, den Du damals noch selbst gebaut hast und der eigentlich nur als Deko dienen und nicht zu einem Katzen und Fisch-Treff avancieren sollte.
Ich versteh das nicht!“ war Frau Thornton tief betroffen.
„Ich habe dir immer gesagt, irgendetwas stimmt mit dem Kater nicht. Und das Katzen hinterfotzig sind, ist ja hinlänglich bekannt und dürfte selbst an dir nicht vorbeigegangen sein“, ließ Herr Thornton seine Frau wissen, wer bei den beiden die Hosen an hat.
Herr Thornton war es auch, der die Entscheidung fällte, den falschen Willi einschläfern zu lassen. Frau Thornton war sehr traurig, doch stimmte um der Harmonie willen zu.
Willi war glücklich sein erstes Katzenleben so frühzeitig beendet zu haben und Kai ein neues Leben beschert zu haben. Oft noch dachte er an seinen alten Freund, und hoffte für ihn, dass er nun endlich fliegen oder laufen könne.
Was Willi nicht wusste war, dass Kai ein Grashalm im Stadion an der Anfield Road zu Liverpool, dem schönsten englischen Rasen, geworden war.
Aber das konnte ja keiner ahnen.
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