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Alt 13.06.2007, 17:42   #1
Lyrika
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 247


Standard Die Beichte [ Parabel]

Ich hatte mal als Hausaufgabe eine Parabel zu schreiben...und dann hab ich die hier geschrieben.

Hab ne gute Note bekommen und fand sie gut..deshalb wollte ich sie teilen.


Die Beichte

Es ist schon etliche Jahrzehnte her, doch noch heute erzählt man sich von dieser Geschichte, die,
so wie einige Leute behaupten, schlicht und einfach ausgedacht worden ist oder, so wie es andere behaupten, sich wahrhaftig so zugetragen haben soll, jedoch ganz gleich ob diese Geschichte nur
das Konstrukt der Fantasie einer einzelnen Person ist oder ob diese Geschichte der Wahrheit entspricht, in jeder ausgedachten Geschichte befindet sich ein wahrer Kern und in jeder wahren Geschichte befindet sich eine kleine Zugabe, ein kleines Geschenk, das ganz versteckt und
verpackt dem Leser etwas vom Erzähler mitgibt, ob er will oder nicht, er muss dieses Geschenk
in der Geschichte annehmen und nimmt dieses Geschenk als wahrhaftig an, denn es ist schließlich ein Geschenk dass in einer wahren Geschichte versteckt ist. Und so gibt es ausgedachte Geschichten voller wahrer Kerne, aus denen eines Tages sogar eine reale Pflanze mit wahrhaftigen Früchten wachsen könnte und es gibt wahre Geschichten, in denen kleine Geschenke mit dem Etikett Subjektivität verstreut sind, die vom Erzähler gegeben sind und die man, da man Etiketten gern überliest, für wahr annimmt, sodass Fiktion und Realität zu verschmelzen scheinen und nur schwer
zu unterscheiden sind. Die Geschichte, von der hier die Rede ist, geht wie folgt:
Es rannte ein frommer junger Herr, der ungefähr um die neunzehn Jahre alt gewesen sein mochte, an einem sonnigen Freitag um die Mittagszeit hektisch durch das Dorf. Er schien es sehr eilig zu haben und die Straßen waren von dem lauten Geräusch seiner Schuhe auf den Pflastersteinen erfüllt. Ständig hielt er inne und begann vor Erschöpfung zu keuchen, bevor er wieder weiter rannte.
Nach einiger Zeit erreichte er die Kirche. Gerade als er die Treppe hinaufstieg um das Tor zu öffnen und einzutreten, hörte er jemanden rufen. Es war ein älterer, ärmlich gekleideter Herr, der gerade des Weges kam. „Wo willst du hin?“, fragte er. Der Junge gab wenig auf die Neugier des seltsam erscheinenden, fremden Mannes und antwortete: „Na, wohin wohl, wenn ich vor der Kirche stehe?“
„So, du willst also in die Kirche? Aber weshalb, es ist Freitag und heute findet um diese Zeit, so weit ich weis, kein Gottesdienst mehr statt!“, entgegnete der ältere Mann. „Das ist es auch nicht was ich will. Ich will zu keinem Gottesdienst. Ich muss dem Pfarrer etwas beichten. Ich habe gesündigt.“, sagte der Junge. „Kein Mensch ist frei von Sünde, merke dir das gut. Was hast du denn getan?“, wollte der
Alte wissen. „Ich habe gegen das achte Gebot verstoßen und hoffe der Pfarrer kann mir helfen“, gab der Junge voller Scham zu. Nun ging der Mann auf den Jungen mit einem lächeln zu und fragte: „Also gelogen haben wir. Was hast du denn gelogen? Wen hast du angelogen?“ Der Junge wandte sich ab. Ihm wurde der alte Mann zu aufdringlich. „Das werde ich ganz allein mit dem Pfarrer klären. Es ist geheim und sicherlich nicht von ihrem Interesse.“, sagte der Junge fast aufsässig. „Nun gut“, lachte der Mann, „Wenn du die kostbare Zeit des Pfarrers und deines Lebens damit verbringen willst, eine Sünde zu beichten dessen Sinn du nicht ganz verstehst, dann gehe nur geradewegs in dein Unglück. Das Leben ist kurz, merke dir das gut. Du wirst nun in die Kirche gehen und dem Pfarrer deine Sünde beichten. Der wird dir vielleicht einen Rosenkranz aufgeben. Und du verschwendest deine Zeit, denn danach weist du noch immer nicht warum es falsch war zu lügen und du kennst die Wahrheit dennoch nicht. Du wirst dieselben Sünden immerwieder begehen, abgesehen davon dass es in der Natur des Menschen liegt zu sündigen, weshalb ich es ohnehin nicht verstehe, dass du jede einzelne deiner Sünden beichtest, denn du kennst die Tugenden und Sünden und dessen Sinn nicht.“ Der Junge schwieg für einen Moment. „Was soll ich denn sonst tun?“, fragte er verzweifelt. „Du kannst mit mir mitgehen. Ich stehe dir besser zur Seite als jeder Pfarrer. Du kannst mir deine Sünde beichten und ich werde dir lehren was die Wahrheit ist. Glaube mir, ich werde nicht nur deinen Geist erweitern, sondern auch dein kurzes Leben erfüllen und werde ihm einen Sinn geben. Denn, glaube mir, das Leben ist verdammt kurz“, schlug der Mann vor. „Ich glaube dir“, sagte der Junge, „Denn der Glaube ist das wichtigste Gut!“. Der Mann und der Junge gingen zusammen in den Wald. „Also, mein Junge, kannst du mir erzählen was die Wahrheit ist?“, wollte der Mann wissen. Der Junge überlegte recht lange, bis er an einen Fluss kam, an dessen Oberfläche sich sein Gesicht spiegelte. „Der Spiegel ist die Wahrheit. Blickt man in einen Spiegel, so erkennt man was die Wahrheit ist.“, sagte er. Der alte Mann lachte: „Kann dir ein Spiegel zeigen ob du traurig bist? Er kann ein trauriges Gesicht oder eine Träne hervorzeigen, doch wahre Trauer zeigt er nicht. Wenn du deine Gefühle verleugnest, dann wirst du auch versuchen sie äußerlich nicht zu zeigen. Und auch der Spiegel kann sie nicht zeigen. Der Spiegel zeigt nur die Wahrheit die du willst. Der Spiegel kann ein wunderschönes Mädchen hervorzeigen, weil es schön sein will. Doch innerlich kann es hässlich sein. Der Spiegel kann einen Herren zeigen, der im Reichtum schwimmt, doch wenn er all sein Hab und gut geklaut hat ist er nicht wirklich reich. Er will nur reich sein. Das ist der Spiegel. Er zeigt das, was andere sehen und für wahr halten. Er zeigt das, was du für wahr hältst. Doch zeigt er nicht die Wahrheit!“ Der Junge sah das, was der Herr sagte ein und ging weiter. Als er so weiter schlenderte bemerkte er die grünen Blätter der Bäume. Dabei dachte er sich, dass grün doch die Farbe der Hoffnung sei und behauptete, dass die Hoffnung die Wahrheit sei. Der Mann schüttelte den Kopf: „Die Hoffnung ist der Feind der Wahrheit. Wir verlassen uns auf sie. Die Hoffnung auf das Eintreten unserer Wünsche strahlt so hell in uns, dass sie uns blendet und wir den dünnen Schatten den sie wirft nicht erkennen können. Wir trügen uns selber, machen uns selber blind. Dabei wissen wir nicht wie tief wir fallen werden. Wir hoffen, dass die Strahlen der Hoffnung unsere Schmerzen lindern werden, dabei wissen wir, dass die Hoffnung uns nur ein noch viel größeres unerreichbares, goldenes Tor in eine mit Blumen bewachsene, freie Welt öffnet. Die Hoffnung lässt uns unsere Wünsche für möglich halten, dabei verschließt sie uns. Sie soll die Schmerzen lindern, dabei fügt sie uns viel größere Narben zu. Die Hoffnung, die nur aus dem Grund wächst, dass wir Leid nicht erkennen wollen.“ Der Junge war ratlos. Er wusste nicht, was die Wahrheit ist und wollte am liebsten wieder zurück zur Kirche, denn der Mann schien ihm keine große Hilfe zu sein, da er doch immer Widerworte hatte. Da kam ihm der Gedanke, dass der Glaube doch die Wahrheit sein könnte. Doch der Mann schüttelte ernst den Kopf: „Der Glaube ist der Tod der Wahrheit. Er vernichtet jede Wahrheit. Man kann nur hoffen, dass die Wahrheit dem Glauben einen Spiegel vorhält, doch sobald dieses geschieht stirbt der Glaube. Denn der Glaube sieht sich selbst als Wahrheit. Die Wahrheit jedoch hasst den Glauben. Mit diesem Widerspruch kommt der Glaube letztendlich nicht zurecht. Der Glaube macht einen letztendlich so wie die Hoffnung blind. Glauben ist am Ende immer tödlich.“ Nun war der Junge völlig verwirrt und das bemerkte der alte Mann. „Da es so schwer für dich ist die Wahrheit zu definieren, stelle ich dir eine leichtere Frage. Was ist das schlimme am Lügen?“ Der Junge fand schnell eine Antwort: „Man verletzt seine Mitmenschen mit Lügen“ Doch der Mann war wieder nicht ganz zufrieden mit der Antwort des Jungen: „Ist es nur das?“ Der Junge nickte. „Du hast schon Recht. Zuerst verletzt man seine Mitmenschen ein wenig.“, stelle der Mann richtig, „doch danach verletzt man in erster Linie sich. Und das viel mehr als seine Mitmenschen. Lügen richten sich am Ende, ganz gleich wie viel Zeit dabei verstreichen mag, immer gegen dich selbst.“ Der Junge wollte gehen, denn er ertrug die Fragen und die Erklärungen des Mannes nicht mehr, der ihn fortwährend belehrte. Er hoffte diese Fragen würden bald ein Ende haben.
Der Mann wandte sich vom Jungen ab und sagte: „Machen wir doch einmal eine kleine Probe. Ich sage dir meine Wahrheit. Meine Wahrheit ist: Der Himmel ist rot!“
Der Junge lachte und hielt den Mann nun für völlig übergeschnappt. „Was erzählen sie da? Das ist doch gelogen! Jedes Kind weis doch, dass der Himmel blau ist!“ Nun zückte der Mann ein spitzes Messer. Er drückte den Jungen gegen einen Baum und hielt ihm das Messer an die Kehle: „Nun, es ist meine Wahrheit, dass der Himmel rot ist. Der Himmel ist doch rot, oder? Welche Farbe hat der Himmel?“ Der Junge bekam Angst. Stotternd brachte er das Wort „Rot!“ aus seiner zitternden Kehle.
Da stach der Mann zu. Als der Junge auf dem Boden nach Luft rang fragte der Mann: „Ich habe völlig vergessen dich zu fragen was du gelogen hast. Weswegen wolltest du beichten?“ Mit seinen letzten Atemzügen sagte der Junge: „Ich bin ungläubig.“ Nachdem der Junge diesen Satz gesprochen hat schloss er seine Augen. Der Mann wusste nicht, ob der Junge es noch hören konnte, aber er sagte:
„Ich werde jetzt beichten gehen. Das ist besser als seine Zeit im Wald zu verschwenden, denn das Leben ist verdammt kurz und nur der Tod ist wahrhaftig.“
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Alt 13.06.2007, 18:27   #2
störfaktor
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 175


Oha, 8o


Fast als ich beim lesen eingeschlafen wäre, weckt mich der Text wieder mit dem Ende auf. Aber es ist nicht schlimm das der Anfang sehr behäbig und langsam daherkommt, da es sehr stimmig ist und dazu passt. Es beeindruckt mich wie sehr du den Stil der alten Parabeln wiedergibst. Auch wenn es aus heutiger Sicht geschrieben ist, würde ich ohne weiteres glauben das es auch ein historischer Text sein könnte.
Inhaltlich beschäftigt mich der Text noch etwas, obwohl nach dem Lesen ein paar Minuten vergangen sind. Ich bin aber erfreut das die Aussage mit meiner Meinung konform ist.
Einzig den letzte Satz fand ich nicht so gelungen. Der alte Mann sollte nicht in die Kirche beichten gehen. Wobei das Ende des Satzes "Nur der Tod ist wahrhaftig" natürlich stehen bleiben muss.
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