Verpasste Gelegenheit

[Hans Werner]

Verpasste Gelegenheit

Vor mir dampft Kaffee.
genüsslich dringt sein Duft
in meine Nase,
umnebelnd Stirn und Augen,
und suggeriert
mit schmeichelhaftem Kitzel
ein fernes Paradies
geheimer Wollust.

Hah bei mir an braunem Tische
sitzt ein junges, keckes Mädchen,
lüstern öffnen sich die Lippen,
glänzen matt im Sonnenstrahle,
und verschließen sich vollendet;
stechend schießen aus dem Auge
scharfe Blicke in die Runde,
fordern schnellentschlossnes Handeln
oder drohen mit Verachtung.

In mir jagen sich Gedanken,
Worte, schnellentworfne Pläne,
die Ideen, Gesprächsansätze
scheinen alle arm und nichtig,
prallen an der dicken Mauer
zwischen Handlung und Gedanken
ab, zerschellen, wie sie kommen,
ohne Überlebenschance,
und in tausend weißen Funken
bohren sie sich in mein Herz.

Um mich tummeln sich die Menschen
tausendfach in Gegenwart,
doch ich kann sie nicht erreichen,
denn die Worte, welche öffnen,
sind gefangen lebenslänglich,
schmachtend in der innern Mauer,
welche meinen Geist umgibt.

Von außen scheine ich ein Bürger,
graubemäntelt, wohlbehutet,
Ausdruck bester Konvention.
Und als braver Tausendfüßler
wandle ich die Bahn des Lebens,
handle, wie's der Brauch gebietet,
und bin würdig jedes Lobs.

In mir drinnen aber brodelt's,
lindwurmgleich erhebt es sich:
pocht mit heißgekochten Schlägen
an die Innenschale des Gehirns.
Doch ich beiße auf die Zähne
und verberge eine Träne,
und besiege meinen Schmerz.