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Die Philosophen-Lounge Forum für philosophische Themen, Weisheiten und Weltanschauungen.

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Alt 12.03.2017, 20:47   #1
männlich c6h12o6
 
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Dabei seit: 10/2015
Ort: Hochdeutsch in Bayern
Beiträge: 21

Standard Religiöse Politik

Abend allerseits,
Seit langer Zeit melde ich mich auch mal wieder aus meiner Grube der Verzweiflung (Oberstufe Gymnasium; sollte alles erklären).

Für das Semester 11/2 übernahm ein anderer Lehrer den Religionskurs (r.k.), den ich trotz meiner Bekenntnislosigkeit (seit letztem Herbst) besuche.
Und seitdem entwickelte sich der Unterricht von "kritisch reflektieren und nachdenken" zu "lesen, lernen und verherrlichen".

Letztens erst ging's um das Thema "Gotteserfahrung" und zu einem Punkt "Existenzielle Gotteserfahrung" steht ein Unterpunkt:
Die Frömmigkeit eines Christen kann am Maß seines polit. Einsatzes abgelesen werden = Engagement für die gerechte Verteilung der Lebenschancen aller in der einen Welt. Paul M. Zulehner: "Je frömmer, desto politischer"
Daraufhin fragte er in die Runde, ob wir dem zustimmen. Drei Meldungen; alle pro. Da dachte ich mir, die Einseitigkeit lasse ich nicht stehen.
Ich antwortete, dass ich das als Fehleinschätzung sehe, da sich die westliche Politik heutzutage kaum noch auf Religion bezieht. Viele atheistische Politiker (s. DieLinke) vertreten das Modell der Gerechtigkeit deutlich verstärkter als eine C-Partei.
Der Kursleiter fing dann nur an etwas von "anonymen Christen" zu faseln.

Nach der Stunde bat er mich, um ein kurzes Gespräch.
In diesem sagte ich dann folgendes: "Ich denke, es braucht schon ein hohes Maß an Arroganz einer Religion, um all das, was eine Gesellschaft als 'gerecht' und 'menschlich' definiert, für sich zu beanspruchen. Wieso werde ich zwanghaft in ein religiöses Modell gedrückt, und kann nicht einfach nur Mensch sein? Ein Christ zu sein, definiert sich doch durch viel mehr als bloßen politischen Einsatz oder gewollte Gerechtigkeit. Die NPD vertritt doch auch eine politische Gerechtigkeit gegenüber deutschen Staatsbürger. Und je frömmer, desto politischer; erlebe ich auch nicht jeden Tag. Dass sich die kath. Kirche politisch gerecht engagiert, bemerke ich eher weniger."
Seine knappe Antwort: "Ich kann dir jetzt nicht ganz folgen." - Daraufhin ich: "Das Problem, das ich habe, ist, dass sich die Religion immer in den Mittelpunkt stellt und von dieser Position aus dann entscheidet, was christlich ist und was nicht. Alles wird immer auf Religion zurückgeführt. Ich habe nicht einmal die Möglichkeit, schlichtweg nur ein moralischer Mensch zu sein." - Daraufhin brach er dann das Gespräch höflich ab, und der Braten war gegessen.

Was ich nun eigentlich möchte:
1. Könnt ihr meinen Gedankengang anhand dessen, was ich gerade wiedergab, nachvollziehen? Oder lag es tatsächlich an meiner Ausdrucksweise?
2. Ich bitte um Kritik an meiner Aussage. (Da vielleicht nicht die Aussage über die NPD; war nicht das treffenste Beispiel)
3. Ich bitte um Kritik an der Aussage jenes Unterpunktes, meines Lehrers und generell der Ansicht, die diese "Existentielle Gotteserfahrung" verbunden mit "politischem Engagement" gibt.

Danke!
c6h12o6 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.03.2017, 21:41   #2
mimimi
Gast
 
Beiträge: n/a

Ich kann und will auch nicht zu viel dazu sagen, weil ich Religion und Politik stringend ablehne, allerdings kommt mir deine Situation sehr bekannt vor.

Religion sieht sich im Mittelpunkt, weil Gott, der über allen Dingen...

Das wirkt sich quasi auf alles aus. Wie so ein Wurzelgeflecht, was den Waldboden durchzieht und fleißig beginnt Mineralstoffe zu saugen.
Das hört beim zehnten Teil des Lohnes auch nicht auf und macht auch keinen Halt vor Homoehen.

Die Reaktion deines Kommunikationspartners kann mangelnde Kompetenz, Unsicherheit, aber auch eine klare Position bedeuten. Oder gar nichts von alle dem, weil spekulativ.

Die Konflikte, die du im Denken austrägst, sind mir sehr vertraut und ich selbst habe damit schon die Tage einiger Lehrkörper richtig versaut. Weil ich es hasste, auf Fragen keine Antworten zu erhalten.

Ich kann Dir nicht viel raten, aber: ich finde nichts Schlechtes an deiner kritischen Auseinandersetzung und wenn du etwas wissen willst oder es dich nach Aufklärung dürstet, dann strebe danach Erleuchtung zu erlangen.

Im Notfall auch autodidakt, schaffe eigene Gedanken, produziere eine eigene Position, in dem du liest und Dich bildest.
Was du ja bereits schon fleißig betreibst und was ich sehr gut finde.

Wäre ich du, so hätte ich nochmal das Gespräch gesucht und um ehrliches Feedback gebeten.

Nothin to lose.


lg

Geändert von mimimi (12.03.2017 um 22:49 Uhr)
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Alt 12.03.2017, 23:15   #3
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City, auf der richtigen Seite des Mains
Beiträge: 31.038

Paul M. Zulehner geht es in seinem Zitat sicherlich nicht um Politiker, die an bestimmte, christlich orientierte Parteien gebunden sind, auch nicht um bestimmte Staatsbürger, sondern es ging ihm um alle Menschen. Natürlich ist ein Mensch, der Gutes tut, der in seinem Urteilen und Handeln so gerecht wie möglich ist und überhaupt alles daran setzt, ein sog. „wertvolles“ Mitglied einer Gesellschaft zu sein (im positiven Sinne, also unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und von der Verpflichtung, rein in deren Interesse zu handeln), nicht zwangsläufig religiös und fromm. Es gibt auch außerhalb der religiösen Gebote einen moralischen Wertekanon, dem sich die Menschen innerhalb einer Gesellschaft mehr oder weniger verpflichten und unterwerfen.

Es ist aber so, dass alles Handeln eines Menschen auch politisch ist. Wenn jemand einem Bettler ein paar Euro gibt, verhält er sich sozial. Er hat von seinem Eigentum freiwillig abgegeben, während ansonsten der Staat das Geld eintreibt, um es u.a. an Bedürftige zu verteilen. Es ist aber egal, ob jemand direkt oder auf dem Umweg über die Staatskasse von seinem Einkommen für andere Mitmenschen abgibt, in beiden Fällen ist es politisches Handeln. Der direkte Weg, sich um einen Mitmenschen gekümmert zu haben, gibt wahrscheinlich die größere Befriedigung, denn der Kümmernde bekommt etwas, das ihm der Staat für seine Abgaben nicht zurückgeben kann: die Gewissheit, etwas Gutes getan zu haben, also ein guter Mensch zu sein.

Ob dieser wohltätige Mensch religiös ist oder nicht, ob er aus einem frommen Impuls heraus oder einfach nur des Mitleids wegen etwas abgegeben hat, spielt keine Rolle. Nur eins ist wichtig: die Belohnung. Wir Menschen werden von Kindesbeinen an darauf trainiert, uns nach den Maßgaben eines Belohnungssystems zu verhalten, und zwar sowohl in einem religiösen wie auch in einem rein weltlichen Umfeld. Insofern ist es richtig, dass die Religion Moral und Gerechtigkeit nicht für sich allein beanspruchen kann. Auch ohne Religion wirkt in einer Gesellschaft ein Korrektiv, das uns dazu anhält, bestimmte Werte zu achten.

Was den Konflikt zwischen dir und deinem Lehrer angeht, wäre es sicherlich hilfreich, über diesen Lehrer mehr zu erfahren: Wie alt ist er, über welche Lebenserfahrung verfügt er, wie stark ist er von seiner Religion überzeugt, wieso ist er Lehrer geworden, will er seine Schüler zum Denken anregen oder sie doch eher missionieren, welchen inneren Wunsch hat er, was ist sein Lebensziel?

Wenn sich zwei Menschen nicht gut genug kennen und obendrein unvorbereitet in eine Diskussion hineinschlittern, muss es bei solch schwierigen Themen wie Religion und Politik zwangsläufig zu einem Konflikt kommen.

Besten Gruß
Ilka
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
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