Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 22.07.2010, 20:47   #1
weiblich Puckel
 
Benutzerbild von Puckel
 
Dabei seit: 07/2010
Alter: 32
Beiträge: 1

Standard Durchhaltevermögen

Ich werde sie auf mich zukommen lassen, wenn sie kommt – falls sie kommt, aber ich denke dass sie kommt. Wer käme denn nicht? Heute ist Samstagabend, Arbeit ist auch nur eine Nebentätigkeit bei ihr. Und ich werde nicht auf sie zugehen. Sie muss kommen und ich werde nicht wie ein Hund, der nach einem Tritt oder Schlag bettelt grinsen, ich werde überlegen lächeln. Und ich werde überlegen wirken. Das Bedürfnis sie zu berühren, sie vor der Welt zu beschützen und sie zu lieben, werde ich gar nicht erst spüren. Woher auch? Der letzte Tritt hatte getroffen - mitten ins Herz. Nicht, dass sie je verfehlt hätte.
Sie wird vermutlich umwerfend aussehen, wenn sie kommt, pardon: auf mich zukommt. Wenn sie vor mir steht mit ihrem wundervollen Blick von unten, durch die Wimpern, wird sie nur mich sehen, entschuldigend und ich werde nur nachgeben, wenn sie es ehrlich meint, bei meiner Seele! Und dann werde ich da stehen und überlegen lächeln und werde womöglich meine Hand auf ihre vor Schuld bebende Schulter legen, aber erst nach einer Pause. Sie soll schon noch etwas leiden. Ich werde es schließlich dieses eine Mal durchhalten, Herr Gott noch mal!
Nicht nur, dass sie mich betrogen hatte, was im normalen Sinn nicht möglich ist, weil wir nie zusammen sind, doch sie wusste, dass ich sie wollte und sie wusste, dass es nun wirklich nicht nötig war mir von ihren Amouren zu erzählt. Mir ist es doch gleich, ob er Toni heißt oder Alfred, selbst Lutz ist egal, und ob er nun eine schiefe Nase, einen komischen Bauch oder eine sonderbare Biegung, was weiß denn ich wo hat, ist mir so egal, wie die Geschichte einer leere Kaugummipackung, die von einem Präsidenten leer gegessen wurde und nun in der Mülltonne liegt und sich einsam fühlt.
Der Raum füllt sich. Bald wird sie auf mich zukommen, falls sie kommt. Ich gehe doch davon aus, dass sie kommt. Wenn der Toni, oder Alfred oder wer auch immer hier ist, wird sie vielleicht nicht kommen? Oder gerade deswegen? Ich sah keinen, doch das war bei der Größe des Raumes ein relatives Ergebnis. Wird sie mich hier überhaupt finden? Hier hinten in der Ecke, im Halbschatten, hier sieht mich keiner. Ich sollte auf die Tanzfläche gehen. Ich sollte eine ganz triumphale, sorgenlose, lebendige Figur darauf machen, damit ich sie auch einmal treffe, damit sie weiß, dass sie mir egal ist. Nicht, dass dem so wäre. Aber ich will auch einmal etwas von ihr bekommen. Nun stelle ich fest, dass mir vieles im Leben gelungen ist, doch noch nie meinen Körper zur Musik zu bewegen, so dass es so aussah, als würde ich mich nicht lebensgefährlich hartnäckig am Rücken kratzen wollen, und dabei völlig außer Acht lassen, dass die Lebensgefahr nicht für mich, sondern für alle Menschen in meiner Umgebung bestand. Ungünstige Lösung.
Ich könnte mich doch an die Bar setzen und dann mit einem Mädchen dort flirten? Einfach so. Locker aus der Handgelenk, schüttele ich dann ein paar flotte Sprüche, die eher romantisch, als flott sind, und dann wird die Angeflirtete es nicht mehr aushalten, nicht lasziv zu reagieren und die dann irgendwann auf mich zukommende wird es nicht aushalten das zu sehen, wird auf mich zugehen und eifersüchtig sein. Und gibt sie mir dann eine Ohrfeige, so wird es die süßeste, die ich je empfangen habe von ihr. Bei Weitem nicht die einzige.
An der Bar inzwischen angekommen, setze ich mich auf einen dieser wundervoll wackligen Barhocker, bei denen man immer so aussieht, als wäre man gerade zu Tode betrübt verlassen worden, und habe schon das erste Opfer im Auge, bestelle ihr einen Drink. Sie lächelt dem Fingerzeig des Barkeepers entgegen und stellt zuerst nicht fest, dass der Drink von mir und nicht von ihm kam.
Dann ein etwas wackliges Aufstehen, auf kleinen, hohen Schuhen und ein torkeliger Gang zu mir. Ein gelalltes Hallo, ein in Gedanken ausgesprochenes Tschüss von mir.
Ich sagte ihr, ich müsse auf die Toilette - ich kam nicht wieder.
Und als ich in der Menge untertauchte, sah ich sie. Auf der Tanzfläche, wer weiß wie lange schon, tanzend in einem roten Kleid, das nicht einmal ich ihr geschenkt hatte, obwohl ich mich niemals habe Lumpen lassen. Sie sah, um es schlicht auszudrückend, umwerfend aus. So umwerfend, dass ich die Augen nicht von ihr nehmen konnte, nicht fähig war zu ignorieren, dass ich sie am liebsten verhüllt hätte, müsste sie doch in jedem Mann hier das Bedürfnis wecken sie zu begehren und zu lieben. Sie sieht mich nicht.
Ich könnte winken. Nicht, dass ich aufdringlich wirken wollte, aber wie macht man das sonst? Sie soll mich doch sehen, doch vor mir sind ein paar Tänzer. Im Moment tanzt sie mit einem Alfred oder Lutz oder vermutlich auch Gerhardt und tanzt mit dem Rücken zu mir.
Auf einmal weiß ich, dass nicht sie diejenige sein wird, von uns beiden, die entschuldigend blicken wird, wenn wir uns, durch dubiose Umstände womöglich, gegenüber stehen.
Ich hatte keine Lust mehr auf die Party.
Dann drehte sie sich auf einmal zu mir um, sah mich sogar, winkte kurz und lächelte mich glücklich an und wieder schmolz ich dahin, wie ich es immer tue, wenn sie das macht. Sie kam auf mich zu und vermutlich würde sie gleich entschuldigend lächeln. Warum sollte sie das noch mal? Ach ja, ich erinnere mich. Da war ja was gewesen, letzten Dienstag. Wirklich, das war nicht nett von ihr gewesen. Überhaupt nicht nett. Um nicht zu sagen furchtbar mies und grausam. Sie hat mir das metaphorische Messer in den Rücken gerammt und immer wieder zugestochen, bis schließlich ich gegangen bin, natürlich lebensbedrohlich verletzt.
Und da kommt sie. Warum läuft sie denn so komisch? So schräg. Na toll – sie bringt Gerhardt mit.
Da steht sie nun vor mir. In dem roten Kleid, das nicht von mir ist. Mit den Grübchen in den Wangen, die auch nicht für mich bestimmt sind. Und mit dem glücklich, seligen Lächeln, dass ich nur von ihr kenne, wenn sie in einer Beziehung ist mit einem Mann, der noch nie ich war. Gerhardt steht hinter ihr und wird mir als Will vorgestellt. Hallo, Will. Tschüss, Will. Du kannst ruhig gehen, Will. Ich brauch dich hier nicht mehr, Will. Du musst doch sicher mal aufs Klo, Will? Will, sei doch ehrlich: Du willst mich gar nicht kennen lernen! Du hast garantiert jetzt auf einmal das Verlangen ihr was zu trinken zu holen, Will. Komm, gestehe, unseliger Will!
Jetzt schaut sie mich von unten an, doch nicht durch die Wimpern und keinesfalls entschuldigend. Sie schaut nur von unten, weil ich zwei Köpfe größer bin als sie. Sie holt Luft und sagte, dass sie schon Angst gehabt habe, dass ich nicht komme. Angst. Angst? Sie hatte Angst gehabt, dass ich nicht komme. Was schon einmal bedeutet, dass sie etwas von mir wollte. Vielleicht war Will Standesbeamter? Ruhig, Brauner, nur nichts überstürzen.
Sie sagt, dass sie mir doch unbedingt den Will vorstellen wollte, weil ich ja wissen sollte wer ihr Zukünftiger sei. Sie sagte, ich soll der Trauzeuge sein, für sie, und sie warnt schon, ich soll genügend Taschentücher mitbringen. Nicht, dass dann die Schminke verläuft.
Meine Mundwinkel zucken, mein rechtes Auge macht mit und in eben diesen Moment erscheinen mir die letzten Jahre sinnlos.
Ich gestehe es nun, vor allen Leuten: Ich liebe die Frau in dem roten Kleid schon seitdem ich sie zum ersten Mal gesehen habe und das ist reichlich Zeit her. Seit Jahren buhle ich um ihre Gunst, gestatte ihr alles und sage ihr, dass ich sie liebe, schaue ihr inzwischen dabei in die Augen. Gleich wird sie mir einen Kuss auf den Mund geben, kurz, weich und verlockend, um dann die Arme um Gerhardt, also Will, zu legen und ihn so zu küssen, wie ich es immer von ihr gewollt hatte.
Da habe ich sie festgehalten in der Drehbewegung und ich wusste gar nicht, was ich sagte, als ich schon sprach, dass sie sich wohl einen anderen Trauzeugen holen müsse. Ich könne nicht. Ich sei in Schottland. Für den Rest meines Lebens. Und als ich das gesagt hatte, schaute sie mich traurig an, doch mehr enttäuscht, als ehrlich traurig. Hätte sie jetzt geweint, wenn auch nur um den treuen Freund, der ich ihr immer gewesen war, hätte ich Schottland in die Luft gesprengt, nur um zu beweisen, dass mich nichts mehr von ihr Trennen könnte, wenn man von Will absah. Doch die kalte Enttäuschung in ihrem Blick ließ mir die Sinnlosigkeit der letzten Jahre mehr und mehr gewahr werden, also verabschiedete ich mich von Will zuerst und dann von ihr und ich gab ihr keinen Kuss auf den Mund, stahl ihr auch keine Umarmung, sondern winkte kurz, wie vorher sie, in die Luft, drehte mich um und wurde, ob nun zu meinem Glück oder Unglück mag ungewiss sein, nicht aufgehalten, als ich ging.

Die Flugtickets waren seit einer Woche in der Schublade und es waren nicht die ersten die dort waren und ich wollte diese ebenso verfallen lassen, wie ich es mit den letzten getan hatte, aber wäre ihre Hochzeit nicht der perfekte Anfang für mich? Neues Land, neue Liebe, neues Glück – heißt es nicht so? Von wegen „Zeit heilt alle Wunden“ und so? Ganz davon zu schweigen, dass sie nicht gerade zärtlich mit dem jugendlich glühend Herz in meiner Brust verfahren hatte.
Warum schaue ich dann, nun im Flugzeug, die ganze Zeit zwischen dem Fenster und dem Gang hin und her, um vielleicht eine Frau in einem von mir gekauften Kleid zu sehen, die mich bittet, doch nicht zu gehen? Die vielleicht nur „bleib“ sagt, vielleicht auch „bitte bleib“, also ob mich die Höflichkeitsfloskeln, noch kümmern würden, wenn sie nur käme. Natürlich weiß ich, dank meines Verstandes und weil ich sie kenne, dass sie nicht kommen wird. Sie hat schon immer gesagt, dass man Reisende nicht aufhalten soll. Mich könnte sie aber aufhalten. Ich habe Reisen noch nie sonderlich gemocht. Was soll das also? Warum kommt sie also nicht? Vermutlich hält Will sie fest in einem Turm mit einem bösartigen Drachen davor und sie erwartet mich sehnsuchtsvoll, damit ich sie befreite und auf meinen Armen rette.
Welch groteske Bilder setzt mir meine Fantasie in den Kopf?
Im Moment macht die Stewardess ihre Ansage, wo sich die Notausgänge befinden und die Schwimmwesten und dass man immer das tun soll was gesagt wird. Kann nicht jetzt gesagt werden, dass ich mich gefälligst zu ihr zu begeben habe?
Da ruckelt es und es geht los, wir rollen, und ich ringe mir den Gedanken ab, dass es gut so ist.
Man könne ja nicht so weiter machen. Es wäre Selbstmord. Welch fröhlich blutend Herz doch in meiner Brust weint, wenn ich nur an ihr Lächeln denke, am Samstag. In dem roten Kleid. Das sie von Gerhardt hat. Pardon: Will.
Neben mir sind im Moment weiße Wattebäusche, die sich als Wolken verkleidet haben. Ich sehe nicht einmal mehr ihr Haus, dass man eigentlich sehen müsste, vor lauter Watte.
Eben habe ich mir ein Kissen bestellt. Vielleicht hilft schlafen. Wenn man schon nicht bei ihr sein kann, dann könnte man doch wenigstens davon träumen bei ihr zu sein, Will zu sein, ihr Verlobter zu sein, der Mann zu sein, den sie die Arme um den Hals legt und den sie leidenschaftlich küsst.
Das Kissen kommt und ich stopfe es mir zu Recht bis mein Kopf darauf sackt.

Dann wurde ich an der Schulter geschüttelt und ich dachte sie wäre es, und wollte schon ein Heiratsantrag in die Welt hinausfeuern, doch dann stellte ich fest, dass ich darauf aufmerksam gemacht wurde, das ich meinen Sitz wieder in die aufrechte Position bringen sollte, wegen der Turbulenzen. Ich nickte und tat das verheißene – ich bin ein pflegeleichter Passagier, als die ältere Dame neben mir vor sich hin gluckste und schließlich fragte, dass sie es nicht mehr aushalten und fragte, wem ich gerade im Traum sagte, dass ich sie liebte, und dass ich sie heiraten wolle und dass ich Gerhardt und Will als Hunde adoptieren wolle, wenn es unbedingt sein muss.
Sie war über achtzig und ich hatte noch viel Zeit ihr das zu erzählen. Es war mir nicht unangenehm, doch vermutlich nur, weil es ihr nicht unangenehm war, peinlich genau weiter zu fragen.
Und als wir schließlich auf dem Railway waren ,standen wir uns gegenüber, sie drückte mir ihre Adresse in die Hand und sagte mir, dass ich keine andere Wahl habe als sie jede Woche mindestens einmal zu besuchen, wenn mir mein Leben und meine Privatsphäre lieb ist, da sie ansonsten das Schlimmste befürchten müsse.

Noch heute gehe ich zu der Dame, einmal die Woche, nun mit meiner Frau und meinem kleinen Kindchen, acht Jahre später, dorthin und wir trinken einen Tee, erinnern uns an jenen ersten Flug und treiben die Späße. An die Frau, einst in diesem roten Kleid, denke ich nicht mehr.
Puckel ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Durchhaltevermögen




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.