spatenkopf bei Poetry.de

Leviathan · 05.07.2010, 22:21

Und manchmal findest du dich eben in einem fauligen Erdloch und bist dabei, deinen geschundenen Körper aus deinem eigenen Grab freizuschaufeln. Traditionen hin oder her. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Der ganze Abend hatte anders verlaufen sollen - gemässigter, mit etwas weniger AHHHHHHH! und SCHEISSE!, eventuell mit ein bisschen Sex, aber keineswegs mit meinem Tod.

Er hatte gut ausgesehehen. Kinnlanges, schwarzes Haar, nur ein kleines Stück grösser als ich, schmal, aber sehnig. Lecker - eben genau nach meinem Geschmack und wahrscheinlich auch der Grund, warum ich ihm im Nachhinein auf den Leim gegangen bin. Sein Kuss war eisig, schmeckte nach Lehm und dem rauhen, weissen Boden der sibirischen Taiga, er liess mich sofort alle Prinzipen über Bord werfen und weckte nichts als den Wunsch, noch andere Sachen zu lecken als das Eis, das mir in der Hand schmolz, an meinen Fingern entlangrann und mit einem stetigen plit, plit auf den Boden tropfte. Tropfte. Genauso wie meine Beherrschung. Seine Hände umfassten mein Gesicht, als hielten sie ein Machiavelli-Ei, so behutsam berührten die Fingerspitzen meine Haut, fuhren Konturen entlang, fast wie um deren Beschaffenheit zu prüfen. Wie sollte ich in meinem Taumel auch bemerken, dass meine Haut begann, unter den drahtigen Fingern meines Liebchens wächsern zu glänzen, wie das straffe Gewebe nachgab und sich widerstandslos drücken und ziehen liess. Es waren nicht mehr als Liebkosungen für mich - aber für ihn war es die Erschaffung eines Zwillings, völlig frei von Emotion, ich war nur Mittel zum Zweck, genau wie seine Art, mich scharf zu machen. Der dumpfe Schlag auf meinen Hinterkopf klang in einer Arie von Engelschören aus, die mich sanft betteten und die Tatsache, dass ich unlängst, unbarmherzig, unsanft auf den harten Asphalt geknallt war, klangvoll überspielten.

Als ich aufwachte, war da nichts als rasende Wut, ein milchig-weisser Fleck zwischen meinen Beinen und Erde. Erde überall. Über mir, unter mir. In meinem Mund, meinen Ohren, zwischen meinen Fingern, unter meinen Lidern. Und da war keine Erstickungsangst. Also grub ich.

Herzlich Willkommen im Kabarett der Herzlosigkeit.

05.07.2010, 22:21	#1
Leviathan Dabei seit: 02/2008 Beiträge: 20 Meine Geschichten	spatenkopf Und manchmal findest du dich eben in einem fauligen Erdloch und bist dabei, deinen geschundenen Körper aus deinem eigenen Grab freizuschaufeln. Traditionen hin oder her. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Der ganze Abend hatte anders verlaufen sollen - gemässigter, mit etwas weniger AHHHHHHH! und SCHEISSE!, eventuell mit ein bisschen Sex, aber keineswegs mit meinem Tod. Er hatte gut ausgesehehen. Kinnlanges, schwarzes Haar, nur ein kleines Stück grösser als ich, schmal, aber sehnig. Lecker - eben genau nach meinem Geschmack und wahrscheinlich auch der Grund, warum ich ihm im Nachhinein auf den Leim gegangen bin. Sein Kuss war eisig, schmeckte nach Lehm und dem rauhen, weissen Boden der sibirischen Taiga, er liess mich sofort alle Prinzipen über Bord werfen und weckte nichts als den Wunsch, noch andere Sachen zu lecken als das Eis, das mir in der Hand schmolz, an meinen Fingern entlangrann und mit einem stetigen plit, plit auf den Boden tropfte. Tropfte. Genauso wie meine Beherrschung. Seine Hände umfassten mein Gesicht, als hielten sie ein Machiavelli-Ei, so behutsam berührten die Fingerspitzen meine Haut, fuhren Konturen entlang, fast wie um deren Beschaffenheit zu prüfen. Wie sollte ich in meinem Taumel auch bemerken, dass meine Haut begann, unter den drahtigen Fingern meines Liebchens wächsern zu glänzen, wie das straffe Gewebe nachgab und sich widerstandslos drücken und ziehen liess. Es waren nicht mehr als Liebkosungen für mich - aber für ihn war es die Erschaffung eines Zwillings, völlig frei von Emotion, ich war nur Mittel zum Zweck, genau wie seine Art, mich scharf zu machen. Der dumpfe Schlag auf meinen Hinterkopf klang in einer Arie von Engelschören aus, die mich sanft betteten und die Tatsache, dass ich unlängst, unbarmherzig, unsanft auf den harten Asphalt geknallt war, klangvoll überspielten. Als ich aufwachte, war da nichts als rasende Wut, ein milchig-weisser Fleck zwischen meinen Beinen und Erde. Erde überall. Über mir, unter mir. In meinem Mund, meinen Ohren, zwischen meinen Fingern, unter meinen Lidern. Und da war keine Erstickungsangst. Also grub ich. Herzlich Willkommen im Kabarett der Herzlosigkeit.