Träume sprechen Wahrheit

[Ilka-Maria]

Träume sollten sofort nach dem Aufwachen aufgeschrieben werden.

Die Filme des nächtlichen Kopfkinos sind flüchtiger als eine Fernseh-Live-Übertragung: Beim morgendlichen Strecken im Bett sind sie nur noch Erinnerungsfetzen, und im Laufe des Tages gerät die Eigenproduktion völlig in Vergessenheit.

Deshalb sollte man wenigstens diejenigen Schnipsel ins Album kleben, die in der Frühe noch frisch sind.

Aber es gibt Ausnahmen. Nicht unbedingt die eindringlichen Träume, aber solche, die etwas Besonderes haben und sich stur an unserer Erinnerung festbeißen - auch wenn wir nicht wissen, was dieses Besondere ist. Oft, wenn die Bilder nicht mehr greifbar sind, spüren wir immer noch die Atmosphäre und die Emotionen, die mit ihnen verbunden waren. Wir riechen sogar ihren Duft. Solche Träume begleiten uns ein Leben lang.

In einem dieser merkwürdigen Träume, die mir nie mehr aus dem Kopf gehen wollten, war ich noch ein Kind. Ich befand mich auf dem Offenbacher Aliceplatz, der sich vom Hauptpostamt bis vor den Stadthof an der Frankfurter Straße erstreckt – eine eher kleine Fläche, die ich aus meinen Kindertagen nur als dichtgedrängten Parkplatz mit Zeituhren kannte. In meinem Traum gab es jedoch kein einziges Auto. Stattdessen stand auf Höhe des Postamtes ein Stein, ein breiter Sockel oder dergleichen, und auf diesem Sockel türmte sich ein weiterer schlanker Stein, fast eine Säule. Davor war ein Wassergraben, mit Pflanzen bewachsen, deren Art ich nicht erkennen konnte - Seerosenblüten waren nicht dabei. Ich stieg auf den Rand des Brunnens – denn ein solcher mußte es gewesen sein - und überlegte, durch das Wasser zu dem Sockel zu waten, denn dort befand sich etwas, das ich haben wollte. Nur verriet mir mein Traum nicht, was der Gegenstand meines Begehrens war.

Mein Traum verlor sich in Unschlüssigkeit, und schließlich wachte ich auf. Aber diese Bilder habe ich nie vergessen.

Das ist lange her.

Der Aliceplatz ist seit langer Zeit kein Parkplatz mehr, er wurde zu einem breiten Bürgersteig zurückgeschnitten und die gewonnene Fläche als Straße angelegt, die zu einem zentralen Parkhaus führte.

Auch das ist lange her.

Heute holte mich mein Traum von damals ein.

Ich begleitete meine Familie bei einem Begräbnis, das auf dem Alten Friedhof stattfand. Nach der Trauerfeier mußten wir einen langen Weg zur Begräbnisstätte gehen. Ich lief neben meinem Patenonkel, einem waschechten Offenbacher Jung, der die Stadtgeschichte sehr viel besser kennt als ich. Spontan deutete er nach links und sagte: „Der Sockel dort ist das alte Kriegerdenkmal.“ Ich blickte in seine Richtung und sah einen breiten, niedrigen Sockel, auf den ein weiterer getürmt war, aber höher und schmäler.
„Und da oben stand eine Figur, die verlorengegangen ist.“

Die Verankerung war noch erkennbar, ja, da mußte noch etwas draufgestanden haben.

„Früher stand das Mahnmal auf dem Aliceplatz, aber als der umgebaut wurde, haben sie es hierher transportiert.“

In meinem Kopf begann es zu rasen: „Wenn er jetzt noch irgendwas mit Wasser erwähnt, werde ich verrückt!“

„Und außen herum, da war Wasser.“

16.02.2012
by Ilka-M.

[Thing]

Dann verfahre nach Goethes Rezept:

Block und Stift am Bett.
Sofort nach dem Aufwachen das letzte Fitzelchen Traum aufschreiben und sich dann daran zurückhangeln.
Bei intensiver Übung soll das vortrefflich "klappen".

LG!