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Alt 21.11.2005, 03:33   #1
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253

Standard 051121 - Die eigenen vier Wände

Nun, ich wohne ja jetzt ganz offiziell nicht mehr bei Mutter und Vater, ich habe meine eigenen vier Wände. Bei mir sind es tatsächlich nur vier Wände, denn ich wohne in einer WG. Da muss man sich schon ganz schön einschränken, aber ich will nicht meckern. Ich habe alles, was ich brauche: Strom, warmes Wasser, ein Bett und sogar eine Heizung. Gut, eine Toilette wäre nicht schlecht, aber man kann ja nicht alles haben. Ich bin ja auch oft an der Uni oder irgendwo zum Essen eingeladen, da gibt's ja auch überall sanitäre Einrichtungen. Alles halb so wild also.
Eine Küche ist auch da. Die habe ich gleich mal ausprobiert, was mich zu sensationellen neuen Erkenntnissen gebracht hat. Ich habe ja schon öfters gekocht, aber in der WG bin ich gezwungen, meine Menüs auch selbst zu essen und da ist mir zum ersten Mal wirklich bewusst geworden: Ich kann nicht kochen. Ich muss es lernen, schon deshalb, weil keine greifbare Alternative vorhanden ist. Ich habe meinen Großvater mal gefragt, ob er in meinem Alter kochen konnte. Da er verneinte, fragte ich ihn, wie er das Problem ungangen hatte und er antwortete: "Ich habe geheiratet."
So weit muss ich es natürlich nicht kommen lassen, vor allem, da es vermutlich billiger wäre, jeden Tag woanders essen zu gehen. Außerdem gibt es ja noch die unter Studenten sehr beliebte Seite Frag-Mutti.de (da ich aber ein bisschen schwer von Begriff bin, bevorzuge ich die echte Variante "Frag Mutti" und das oft genutzte "Frag Mutti lieber nochmal, bevor du alle vergiftest"). Ansonsten habe ich auch kein Problem damit, mich hauptsächlich von Kokosflocken, Geleebananen und 5-Minuten-Terinen zu ernähren.
Generell glaube ich auch, dass uns das studentische Wohnen sehr stark an unsere Urinstinkte, an des Höhlenleben erinnert. Ich spreche nicht von den als Studentenparties getarnten Fruchtbarkeitsfesten, sondern von der Art, wie man seine Zeit in der WG verbringt. Es ist fast so, als würde man die wichtigsten Punkte der menschlichen Evolution in sechs Semestern nachspielen. Wie schwer es für den Menschenaffen gewesen sein muss, sich aufzurichten und auf zwei Beinen zu gehen, erfährt man jeden morgen und halb elf, wenn man versucht, das Bett zu verlassen und sich dann auf allen Vieren auf dem Zimmerboden wiederfindet. Ackerbau und Viehzucht waren wichtige Etappen, von Nutztierhaltung kann in einer WG zwar keine Rede sein, aber Milben, Kakerlaken und unter Umständen auch Ratten sind doch ein Anfang. Manch einer züchtet sich sogar Schimmelpilze. Ich bin im Moment beim Benutzen von Werkzeugen, wie gesagt, ich lerne Kochen. Irgendwann kommen wir dann zur Demokratie, wenn es darum geht, wichtige Entscheidungen zu treffen. Vorher geht es darum zu entscheiden, was "wichtige Entscheidungen" sind, aber das geschieht weit vorher, als noch das Recht des Stärkeren galt.
Ja, man kann viel lernen in einer WG und es ist jedes Mal ein Trip in die Vergangenheit, wenn ich von meinen Eltern zurück nach Hause fahre und weiß, was mich erwartet, wenn ich meine Zimmertür öffne: Mittelalter.
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