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Alt 03.11.2023, 03:52   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Schwarz auf Weiß

Marion saß vor dem weißen Blatt, das sie aus dem Bildschirm ihres Notebooks anstarrte, und glotzte zurück. Noch vor wenigen Minuten, bevor sie den Computer hochfuhr, hatte sie eine Fülle bunter Bilder für eine Geschichte im Kopf, inklusive einer Menge gewitzter Dialoge. Alles weg, verweht von einem kurzen, aber heftigen Wind, der sie vom Ende der Welt her auszulachen schien.

Sie zermarterte sich das Hirn, um Fetzen wiederzufinden, aus denen sie ihre Geschichte hätte rekonstruieren können. Vergebens. Der schillernde Kosmos, den sie gerade geschaffen hatte, war in null Komma nichts einem Ödland gewichen.

"Erst mal speichern", dachte sie und legte die blanke Seite säuberlich im digitalen Ordner "Geschichten" ab. "Wird schon alles wiederkommen." Aber es kam nichts wieder. Sie wurde wütend, haute auf die Tastatur, was das Notebook ohne Mucks wegsteckte, ging in die Küche und warf die Kaffeemaschine an. Doch statt sich Kaffee einzuschenken, öffnete sie die Kühlschranktür, nahm eine Flasche Weißwein heraus, drehte den Verschluss und nahm einen herzhaften Schluck. Dann erinnerte sie sich an ihre Blutdrucksenker, steckte sie in den Mund und spülte sie mit einem weiteren Schluck Weißwein runter. Den Stich in der Herzgegend hätte sie gerne ignoriert, und doch kam ihr die vage Idee, mal wieder einen Termin für ein Gespräch mit ihrem Hausarzt auszumachen.

Schon zweimal hatte er sie wegen der Alarmsignale in der Herzgegend zum Kardiologen überwiesen. Die Wartezeit war lang, die Untersuchung unangenehm, die Bloßlegung ihrer mittlerweile schlaffen Brüste peinlich. Das Belastungs-EKG brachte keine Erkenntnisse. Marions Herz erwies sich beide Male als kerngesund. Woran sie erhebliche Zweifel hatte. Denn die warnenden Stiche kamen immer öfter.

Und jetzt, nachdem die Flasche Weißwein fast leer war und der Stich von der Brust gelassen hatte, fiel ihr die Geschichte wieder ein:

Geh nicht weg. Nicht in den Krieg. Doch, ich muss. Ich kann meine Kameraden nicht im Stich lassen. Und was ist mit mir? Mich kannst du im Stich lassen? Das ist etwas anderes. Du kannst sterben, viel zu jung sterben. Der Tod fragt nicht nach dem Alter. Versprich mir, dass du zurückkommst. Ich komme wieder, versprochen. Und wenn nicht? Dann hast du noch unsere kleine Marika. Sorge für sie.

Ein Dialog. Der Aufhänger. Danach flogen Marions Finger über die Tastatur. Sie wusste nicht, ob ihre Geschichte gut war oder jemanden interessierte. Darauf kam es ihr nicht an. Es war ihre Geschichte, ihr Gedankengut und alles, was ihr Herz in diesem Moment bewegte. Schwarz auf Weiß.

03.11.2023
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Alt 03.11.2023, 10:07   #2
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Ich deine mal wieder hoch.

lg ev
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Alt 03.11.2023, 16:59   #3
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Hmmm…

Wenn das Schreiben und ein Glas Wein heilen könnten, dann wäre die Welt um einiges schöner.

Schön geschrieben. Ich hoffe nur, dass Marion noch lange kognitiv fit bleibt.
Wichtiges kommt in der Regel aber immer zurück.
Ich vergesse auch viel, vor allem nachdem ich COVID hatte.

Lg EV
Eisenvorhang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.11.2023, 11:12   #4
weiblich DieSilbermöwe
 
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Wenn man eine Idee hat, notiert man sie sich am besten direkt. Entweder in ein immer dafür bereit liegendes Notizbuch oder in eine App auf dem ebenfalls immer bereit liegenden Handy. Und falls doch mal beides nicht geht, sage ich mir die Idee im Kopf so lange vor, bis ich sie aufschreiben kann.

Aber auf die Idee, auch nur eine Minute lang ein leeres Blatt anzustarren, käme ich gar nicht.

Es ist für jemanden, der nicht sein Geld damit verdient, doch völlig egal, wann er seine Geschichte schreibt. Wenn ihm gerade nichts einfällt, schreibt er eben später eine.
DieSilbermöwe ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 04.11.2023, 14:54   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Es ist für jemanden, der nicht sein Geld damit verdient, doch völlig egal, wann er seine Geschichte schreibt. Wenn ihm gerade nichts einfällt, schreibt er eben später eine.
Geld, von dem man leben kann, verdient von der schreibenden Zunft, soweit es um Literatur geht, nicht mehr als 5 bis 6 Prozent, und selten wird man damit zum Millionär. Aber das Thema hatten wir schon öfter.

Wer schreibt, fühlt sich dazu getrieben. O-Ton meiner ehemaligen Tutorin: "Ich würde immer schreiben, auch wenn sich kein Verlag für meien Romane interessierte." Die sogenannte "Schreibblockade" ist ein Dauerthema. Wobei es nicht unbedingt um ein leeres Blatt Papier gehen muss, oft genug stockt ein Autor mitten im Roman, weil ihm seine Figuren entgleiten und er nicht weiß, wohin die Reise weiter gehen soll. Der Rat meiner Tutorin: "Spazierengehen oder im Garten arbeiten, dann wird der Kopf wieder frei."

Es geht also nicht ums Geld, sondern um das Schreiben an sich. Ein Brotberuf ist die Schreiberei allenfalls im Journalismus, aber da braucht man keine eigenen Ideen, sondern "nur" ein aktuelles Thema, etwas Recherche und Termine mit den Lieferanten der notwendigen Informationen. Der Rest ist Handwerk, und notfalls übernimmt man auch einach nur die Mitteilungen der Presseagenturen. Der Begriff "Handwerk" gilt mittlerweile auch für die "Schreibräume" der Verlage, in denen fünf bis zehn Autoren die Exposés für bestimmte Kapitel vorgegeben werden, die sie binnen einer Deadline abzuliefern haben, damit die Teile rechtzeitig für die geplante Veröffentlichung editiert und zusammengeklebt werden können. Wer fragt da noch nach eigenen Ideen?
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