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Alt 05.03.2017, 23:38   #1
männlich Opal
 
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Standard Der Wesenstest

„Junge, nimm dir eine Frau, die nicht rechthaberisch ist. Leider sind die rar gesät.“
„Mama, ich werde schon aufpassen.“
Und tags darauf im Cafe; ganz alleine an einem der Tische saß SIE, die blonden seidigen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, das zarte Gesicht mit großen blauen Augen darin. Ich fragte, ob ich mich zu ihr setzen dürfe, auf einen der freien Stühle. Sie schien abwesend in einem Tagtraum. Erst als ich ein zweites Mal mit energischer Stimmlage zu ihr sprach, erwiderte sie mit etwas erschrockenem Blick:
„Ja, ja, klar, nehmen Sie ruhig Platz. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht gleich wahrgenommen habe. Ich war ganz in Gedanken versunken.“
„Etwas Bedrückendes?“, fragte ich, und wusste im selben Moment, dass ich mich mit meiner Frage weit vorgewagt hatte, und sie hätte gleich darauf antworten können, dass es mir nichts anginge. Aber wir plauderten gleich miteinander, als hätten wir uns schon ewig gekannt. Und sie erzählte bereitwillig:
„Ich tagträumte gerade eben, ich sei ein aufgescheuchtes Huhn gewesen.“
Ich dachte an die Warnung von Mama vor rechthaberischen Frauen, und wollte bei der Gelegenheit meine Traumfrau gleich auf die Probe stellen. Ich trat ihr kühn entgegen:
„Sie, die Träumende, fühlten sich NICHT wie ein aufgescheuchtes Huhn. Ich kann das eine wie das andere behaupten, es ist nicht auszuschließen.“
„Ich war aber ein aufgescheuchtes Huhn.“
Ich griff mir in meine Hosentasche und kramte eine Schraube hervor, die ich vor ihr auf den Tisch legte und sagte:
„Sehen Sie, hier ist eine Eisenschraube.“
„Nono“, warf sie sofort ein, „die Schraube ist NICHT aus Eisen; nur wenn Sie mir zugestehen, ich sei in meinem Traum ein aufgescheuchtes Huhn gewesen.“
„Ich denke nicht daran! Die Schraube kann nicht das eine und andere sein. Entweder sie ist aus Eisen, oder sie ist es nicht. Ihr Traumhuhn könnte aber einmal ein aufgescheuchtes gewesen sein, ein anderes Mal ein NICHT aufgescheuchtes. Im Falle der Schraube ist aber nur eine Wahrheit möglich.“

Die Dame erhob sich von ihrem Stuhl, schaute mich genervt an, verabschiedete sich und zischte:
„Meinefresse, ihr Männer wollt immer alles besser wissen. Aber meine Mutter hatte mich ja gewarnt gehabt.“
Opal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2017, 14:00   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
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Beiträge: 6.721


Den Anfang finde ich ganz gut, aber dann passt es irgendwie nicht zum Thema.

Wenn jemand sagt: "Ich bin in meinem Traum (was auch immer) gewesen", dann ist das sein Erleben, das man ihm oder ihr nicht absprechen darf.

Was würde mich eine solche Antwort auf die Palme bringen ("Sie sind das NICHT gewesen") - aber nicht aus Rechthaberei. Rechthaberisch ist hier der Protagonist.

(Mir ist schon bewusst, dass die Geschichte provozieren sollte )
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2017, 16:29   #3
männlich Opal
 
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Liebe Silbermöwe,

ja, eine Situation zwischen Mann und Frau. Der Leser als dritter im Bunde sollte sofort erkennen, dass der Mann hier methodisch agiert, Fragen stellt, infrage stellt mit Sätzen, die wir so ähnlich von Philosophen kennen. Und solchen Leuten geht es ja nicht darum, etwas besser wissen zu wollen, sondern um die Wahrheit. Nur hätte der Mann die Frau aufklären müssen, dass er meinetwegen momentan so drauf sei, und die Beiden hätten sich, wenn die Frau dafür Verständnis aufgebracht hätte, ein interessantes Gespräch führen können. Aber so eckt er natürlich an. Fand ich mal ganz lustig es so darzustellen. Der Mann hatte auf seine Weise recht, er unterwarf ja alles seines rationalen Vorgehens mit Tunnelblick. Die Frau ebenfalls, die natürlich Grund hatte, empört zu sein, dass einer behauptet, sie hätte NICHT den entsprechenden Tagtraum gehabt.

LG Opal
Opal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.03.2017, 10:41   #4
männlich mcblie
 
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Den Beginn, das Ende und vor allem die Idee finde ich sehr gut. Das Gespräch selbst erscheint mir etwas zu konstruiert und unglaubwürdig. Ich weiß nicht, ob sich jemand mit einer Person, die sich gerade als Fremder an den Tisch gesetzt hat, auf so eine Diskussion einlassen oder sie nicht sofort genervt abbrechen würde.
Liebe Grüße
mcblie
mcblie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.03.2017, 12:59   #5
männlich Opal
 
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Beiträge: 133


Danke, mcblie.

Dort unterhalten sich zwei, die sich offensichtlich nicht unsympathisch sind, plaudern miteinander, als kannten sich sich schon ewig. Nun haut unser Prot. solch einen „formalen“ Satz raus wie aus heiterem Himmel für die Frau und verblüfft sie doch zunächst. Etwas irritiert und kleinlaut antwortet sie dann, mehr ein Verlegenes. Genervt, so wie du hier meinst, wäre nicht realistisch, weil ein Genervtsein sich erst aufbauen muss. Die Frau wartet erstmal ab, ob er nicht nur mit ihr ein Scherzhaftes treiben will. Sie spielt auch noch mit, indem sie die Eisenschraube als nicht aus Eisen erklärt. Dann macht er aber ernst weiter mit sachlicher Argumentation, und die Frau weiß spätestens dann, es ist KEIN Scherzhaftes von ihm; und erst jetzt fühlt sie sich genervt, und so einen Partner will sie nicht.

(Das Konstruierte ist ja Absicht, Mittel, und ergibt sich ja aus seiner formalen Prüfung wie aus einem Test abgeschrieben.)

LG Opal
Opal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.03.2017, 17:29   #6
männlich mcblie
 
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Du hast schon recht, Literatur ist natürlich immer konstruiert und es gibt zum Glück viele Arten zu schreiben. Und auch viele Arten zu lesen. Auf dass uns diese Vielfalt bewahrt bleibe!
Liebe Grüße
mcblie
mcblie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.03.2017, 18:09   #7
männlich Opal
 
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Beiträge: 133


Naja, Mcblie, ob ich recht habe, weiß ich nicht. Ich hätte dann recht, wenn die Leser sich nicht dran stoßen würden. Aber wie du schon sagst, es gibt unterschiedliche Leser bzw. Lesarten und ich bin ein-anstelle-von-Sudoko-lösen-Schreiberling, der sich nicht danach richten muss.

LG Opal
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