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Alt 16.08.2019, 08:25   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Eine richtig schlimme Geschichte Teil 2

Randolph fühlte sich auf der Polizeiwache zunehmend unwohl. Er saß auf einem harten Stuhl und das Licht einer grellen Schreibtischlampe, die der Polizist in seine Richtung gedreht hatte, schien ihm in die Augen. Zunächst hatte er gedacht, dass sich alles schnell aufklären würde und der Polizist ihn unter tausend Entschuldigungen entlassen würde. Doch das war weit gefehlt. Der Polizist schien massenhaft Zeit zu haben.
„Bin ich verhaftet?" hatte Randolph gefragt, als man ihn in das Verhörzimmer führte.
„Nein. Sie helfen der Polizei bei ihren Ermittlungen", lautete die Antwort, die alles und nichts bedeuten konnte.
Danach hatte der Polizist erstmal geschwiegen und ein Formular ausgefüllt. Jetzt schob er einen Kassettenrecorder in die Mitte vom Tisch.
„So. Das Gespräch wird aufgezeichnet", sagte er und drückte einen Knopf.
„Dürfen Sie das überhaupt?" fuhr Randolph auf, doch als er den triumphierenden Blick des Polizisten sah, verließ ihn der Mut, hier eine große Lippe zu riskieren. Er wollte keineswegs das Ende des Tages in einer Zelle beschließen.
Da war doch noch was....
„Ich will meinen Anwalt sprechen."
„Aber sicher doch. Sie dürfen telefonieren." Der Polizist schien gelassen. Blöd nur, dass Randolph gar keinen Anwalt kannte. Und wen könnte er sonst anrufen? Seine Schwester, seinen alten Kumpel Hermann? Beiden schuldete er seit einiger Zeit noch je über 1000 Euro und er hatte es vorgezogen, sich weder hier noch dort im letzten Jahr blicken zu lassen. Beide würden aus allen Wolken fallen, wenn er nun aus heiterem Himmel anrufen und erzählen würde, dass im Knast ein Zimmer für ihn reserviert sei, wenn sie ihm nicht aus der Patsche helfen würden. Gut möglich, dass sie es ihm von Herzen gönnen und sich um nichts kümmern würden. Wen kannte er sonst noch? Ein paar kleinere Gauner, die sich gewiss nicht drum reißen würden, bei der Polizei aufzutauchen.
„Nun?" fragte der Polizist.
Randolph reckte sich. „Ich werde mich selber verteidigen."
„Sie sind hier nicht vor Gericht. Hier geht es nur darum, Ihre Aussage aufzunehmen."
„Kann ich dann gehen?"
Der Polizist verdrehte die Augen und schaute an die Decke. „Ich sagte doch, wir müssen Ihre Aussage aufnehmen. Sie beantworten mir jetzt erst einmal ein paar Fragen." Er blätterte in seinem Notizblock oder was auch immer dieses Ding war, was vor ihm auf dem Tisch lag.
„Sie kannten Agnes Stucker?"
„Ich kenne Sie", antwortete Randolph. Jetzt war sein Kampfgeist erwacht. Der Polizist glaubte wohl, ihn so reinlegen zu können. Aber dafür hätte er schon früher aufstehen müssen. Was für eine einfache Fangfrage. Darauf fiel er, Randolph, ganz bestimmt nicht herein.
„Wie war Ihr Verhältnis zu ihr?"
„Ich habe für Sie gearbeitet."
„Und was?"
„Ich habe ihr im Haushalt geholfen und sie in ihrem Rolli spazierengefahren."
„Rolli?"
„Rollstuhl." Dem Typ musste man auch alles erklären.
„Wieso?"
„Wieso was?"
„Wieso im Rollstuhl?"
„Weil sie darin gesessen hat. Warum denn sonst? Sagen Sie mal, ist das hier vielleicht versteckte Kamera oder sowas?"
Der Polizist warf ihm einen mitleidigen Blick zu. „Nein. Ich verstehe nur nicht, warum Sie eine Frau im Rollstuhl spazierenfahren, die ganz gut laufen konnte. Wollen Sie die Polizei auf den Arm nehmen? Könnte sich nicht allzu vorteilhaft für Sie auswirken."
Randolph schwieg verwirrt. „In der Anzeige stand, dass sie rollstuhlpflichtig ist", sagte er dann. „Und ich habe sie nur im Rollstuhl gesehen."
„Aha." Der Polizist kritzelte etwas in sein Notizbuch. „Also die unmittelbaren Nachbarn und auch die Nichte von Frau Stucker berichten, dass die Dame für ihr Alter recht fit war. Sie wurde oft gesehen, wenn sie einkaufen oder spazieren ging. Und ab und zu führte sie sogar den Hund der Nachbarin aus, wenn diese arbeiten musste. Klingt das nach einer Frau im Rollstuhl?"
„Nein", musste Randolph völlig verwirrt zugeben. „Aber warum setzt sie sich in den Rollstuhl, wenn sie doch laufen konnte?"
Der Polizist taxierte ihn. „Die Frage ist eher, warum wollen Sie mir einen Bären aufbinden? Obwohl.....", er machte eine Pause, um wieder in seinem Buch zu blättern, „das passt auch wiederum zu der Aussage der Nichte über Sie. Sie hat zu Protokoll gegeben, dass Sie ein Alkoholproblem haben. Da sieht man ja mal weiße Mäuse oder vielleicht auch eine Frau im Rollstuhl.... "
„Was?" Randolph sprang von seinem Stuhl auf. „Ich habe kein Alkoholproblem, das ist eine riesengroße Frechheit...."
„Setzen Sie sich auf der Stelle wieder hin!" blaffte der Polizist ihn an. „Sonst muss ich leider andere Maßnahmen ergreifen."
Andere Maßnahmen? Was meinte er? Hand- und Fußfesseln? Randolph fiel ein erotisches Spiel ein, dass er mal mit einer seiner Freundinnen - war es nicht Lucille gewesen? - gespielt hatte. Sie hatte ihn an einen Stuhl gefesselt und dann.... Aber ehe er sich in Erinnerungen verlieren konnte, die ihm im Moment sowieso nur den Kopf vernebeln würden, fiel sein Blick auf den Polizisten, das wirkte wie ein Anti-Aphrodiasaka und er setzte sich wieder hin. „Das mit dem Alkoholproblem ist völlig aus der Luft gegriffen.... "
„Nun, Frau Stucker hat ausgesagt...."
„Aber Frau Stucker ist doch tot?"
„Ach? Woher wissen Sie das denn?"
Randolph begriff, dass er die Falle diesmal nicht bemerkt hatte. „Sie haben gesagt, dass sie verschwunden ist."
„Verschwunden. Aber ich sagte nicht, dass sie tot ist."
Stimmt ja gar nicht, dachte Randolph. Er hatte sogar etwas von „ermordet" gesagt und sich dann korrigiert. Aber da er das dumme Gefühl hatte, wieder reingelegt zu werden, wenn er den Mund aufmachte, sagte er nichts mehr dazu.
„Die Nichte von Frau Stucker, Frau Judith Stucker, hat ausgesagt, Moment, ich lese es Ihnen vor", der Polizist blätterte wieder in seinem Buch, „Herr Richter war bereits sternhagelvoll, als wir ihn zu dem Bewerbungsgespräch im Café trafen. Kaum waren wir an seinem Tisch, als ihm auch schon wieder Nachschub gebracht wurde. Meine Tante fragte, ob er schon um 11.00 Uhr vormittags Hochprozentiges trinken würde. Er redete sich mit Magenschmerzen heraus und dass der Schnaps, den ihm der Kellner gerade gebracht habe, ein Magenbitter sei. Ich fand das so lächerlich, dass ich laut heraus lachte, aber meine Tante glaubte ihm diesen Unsinn offenbar. Ich habe schon da gemerkt, dass mit Herrn Richter etwas nicht stimmt..... "

Randolph war kreideweiß geworden.
Während der Polizist vorlas, war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen: Hier ging es nicht darum, ein Versehen aufzuklären, in das er zufällig hineingeschlittert war. Hier war er zu einem bestimmten Zweck ausgewählt worden. Und noch etwas anderes war ihm eingefallen: Nie hatte die Alte in den 5 Tagen, die er für sie gearbeitet hatte, das Haus verlassen, ohne ihren Schlapphut oder das Kopftuch und die riesige Sonnenbrille aufzuziehen. Nie hatte sie draußen mit Nachbarn oder Bekannten geschwatzt. Etwas Ungeheures ging hier vor.
Er saß völlig zusammengesunken in seinem Stuhl. Der Polizist stellte ihm noch ein paar Fragen im Sinne von „Wo waren Sie wann und was taten Sie" und Randolph bemühte sich, sie - wohl zum ersten Mal in seinem Leben - wahrheitsgemäß zu beantworten. Dann klappte der Polizist sein Notizbuch zu. „Sie können jetzt gehen. Halten Sie sich zur Verfügung."
„Was?" Randolph hatte gar nicht zugehört, so sehr flogen seine Gedanken.
„Verlassen Sie die Stadt nicht", sagte der Polizei gereizt. „Ist das klar?"
„Ja. Kann ich gehen?"
„Das sagte ich bereits."

Als Randolph vor dem Gebäude stand, sah er ein paar Meter vor sich eine Bushaltestelle. Nichts wie hin und weit weg von hier. Er bestieg den nächsten Bus, ließ sich aufatmend in einen Sitz sinken und beschloss, erst einmal ganz in Ruhe nachzudenken.
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Alt 16.08.2019, 09:38   #2
weiblich Ilka-Maria
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Über diesen Polizisten würde ich Beschwerde einlegen oder ihm empfehlen, seine Ausbildung nochmal zu machen. Abgesehen von der absurden Verhörtechnik: Seit wann kann ein Polizist einem Tatverdächtigen oder einem Zeugen ohne richterlichen Beschluss verbieten, die Stadt zu verlassen?
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Alt 16.08.2019, 09:55   #3
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Liebe Silbermöwe,
"bedenke wohl die erste Zeile" oder, um dieses weise Goethewort zu erweitern: Bedenke wohl die ersten Sätze!
"...fühlte sich ... zunehmend unwohl." - Sich "zunehmend" unwohl fühlen bringt mich auf Aussagen wie "ich werde zunehmend magerer" - da beißt sich irgend etwas. Noch ärger wird es meiner Meinung nach, wenn Du reichlich klischeehaft den Beginn eines polizeilichen Verhörs beschreibst ("Er saß auf einem harten Stuhl und das Licht einer grellen Schreibtischlampe, die der Polizist in seine Richtung gedreht hatte, schien ihm in die Augen"). So stellt sich Klein-Fritzchen vielleicht ein Verhör vor. Ilka-Maria kritisiert mit Recht ("Über diesen Polizisten würde ich Beschwerde einlegen oder ihm empfehlen, seine Ausbildung nochmal zu machen. Abgesehen von der absurden Verhörtechnik: Seit wann kann ein Polizist einem Tatverdächtigen oder einem Zeugen ohne richterlichen Beschluss verbieten, die Stadt zu verlassen?").
Ich versetze mich mal in die Lage des Randolphs. Harter Stuhl, grelles Licht, das ihm in die Augen scheint? Die Frage: "Bin ich verhaftet?" - das kann nur aus einem Groschenroman stammen und entspricht in keiner Weise der üblichen Praxis bei der - wahrscheinlich - Kriminalpolizei.
Also: Bitte noch einmal durchlesen und in den Details genauer bleiben.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 16.08.2019, 10:03   #4
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Noch ärger wird es meiner Meinung nach, wenn Du reichlich klischeehaft den Beginn eines polizeilichen Verhörs beschreibst ("Er saß auf einem harten Stuhl und das Licht einer grellen Schreibtischlampe, die der Polizist in seine Richtung gedreht hatte, schien ihm in die Augen"). So stellt sich Klein-Fritzchen vielleicht ein Verhör vor.
Diese Szenerie stammt aus den Edgar-Wallace-Krimis der 60er Jahre. Sie sollte einen reißerischen Effekt haben. Natürlich ist das Unfug, so darf ein Polizist nicht in einem Verhör vorgehen. Klar ist mir also schon, woher die meisten Klischees stammen, denn auch wenn es im Film heute keine blendenden Lampen im Verhörzimmer mehr gibt, strotzen die meisten TV-Krimis vor absurden Handlungen, und die Dialoge sind zum Davonlaufen. Wen wundert es, dass Zuschauer, die täglich mehrere Krimis im Fernsehen serviert bekommen, falsche Vorstellungen von der Arbeit eines Kripobeamten, Rechtsanwalts oder Richters haben?
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Alt 16.08.2019, 10:56   #5
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d'accord,
liebe Grüße,
Heinz
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Alt 16.08.2019, 13:43   #6
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Diese Szenerie stammt aus den Edgar-Wallace-Krimis der 60er Jahre. Sie sollte einen reißerischen Effekt haben. Natürlich ist das Unfug, so darf ein Polizist nicht in einem Verhör vorgehen. Klar ist mir also schon, woher die meisten Klischees stammen, denn auch wenn es im Film heute keine blendenden Lampen im Verhörzimmer mehr gibt, strotzen die meisten TV-Krimis vor absurden Handlungen, und die Dialoge sind zum Davonlaufen. Wen wundert es, dass Zuschauer, die täglich mehrere Krimis im Fernsehen serviert bekommen, falsche Vorstellungen von der Arbeit eines Kripobeamten, Rechtsanwalts oder Richters haben?
Genau. Und warum sollte ich mir die Mühe machen, die Polizeiarbeit exakt richtig darzustellen, wenn es sonst keiner tut? Noch nicht mal Leute, die z. B. fürs Schreiben bezahlt werden?
Ich will ja kein Sachbuch schreiben. Das mit der Lampe habe ich nicht von Edgar Wallace, sondern von einem chinesischen Film. Ist aber auch egal.

Warum muss "mein" Polizist denn völlig korrekt vorgehen? Er kann ja auch dunkle Geheimnisse haben... Ich habe einfach meine Fantasie ins Kraut schießen lassen und das hat Wahnsinnsspaß gemacht.

Ihr nehmt das alles viel zu ernst.

Wir schon gesagt: in jeder Hinsicht eine richtig schlimme Geschichte....

Lieber Heinz,

zum zunehmend unwohl: Ja, hast schon recht, aber "fühlte sich immer unwohler" wäre genau so schlecht gewesen. Und "fühlte sich unwohl" war mir zu schwach.

LG DieSilbermöwe
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Alt 16.08.2019, 14:48   #7
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Genau. Und warum sollte ich mir die Mühe machen, die Polizeiarbeit exakt richtig darzustellen, wenn es sonst keiner tut? Noch nicht mal Leute, die z. B. fürs Schreiben bezahlt werden?
Ich will ja kein Sachbuch schreiben. Das mit der Lampe habe ich nicht von Edgar Wallace, sondern von einem chinesischen Film.
Genau: Warum solltest du dir Mühe geben, wenn doch der Griff in die Berieselungskiste bei den Schreibern für die Fernsehsender so prima klappt ... nur dass das kaum noch jemand sehen will und zunehmend kritisiert wird. Die Sender kümmert es nicht, weil die meisten Krimis nur Eintagsfliegen sind und sie aus den Zuschauergebühren und der Werbung sowieso ihr Geld reinbekommen.

So einfach ist das aber für einen Autor nicht, der kassiert nämlich keine Zwangsgebühren, für sein Produkt wird nicht automatisch Werbung gemacht, und er verfügt über keine Serienstars, mit denen Kult getrieben wird und die von Talkshow zu Talkshow herumgereicht werden. Ohne sorgfältige Recherche geht es nun mal nicht, wenn man etwas Ordentliches auf die Beine stellen und seine Leser überzeugen will, aber das macht eben Mühe und kostet Zeit.

Chinesische Filme helfen bei einer solchen Diskussion überhaupt nicht weiter. Was in China erlaubt ist, geht bei unserer Kripo nämlich gar nicht, denn hier gibt es Dienstaufsichtsverfahren und im Ernstfall Suspendierungen.

Ein Autor, der seinen Leser nicht ernst nimmt, muss sich nicht wundern, wenn er umgekehrt auch nicht ernst genommen wird.
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Alt 16.08.2019, 17:52   #8
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
.Ein Autor, der seinen Leser nicht ernst nimmt, muss sich nicht wundern, wenn er umgekehrt auch nicht ernst genommen wird.I
Du nimmst es aber leider ernst...

Ich habe das Gefühl, ihr versteht nicht, was ich mit "eine in jeder Hinsicht richtig schlimme Geschichte" ausdrücken will... Sie stellt einfach alles auf den Kopf.

Allerdings habe ich nicht behauptet, dass ich die Leser nicht ernst nehme. Ich nehme sie sogar so ernst, dass ich eine Fortsetzung geschrieben habe, die gar nicht vorgesehen war.

Und jetzt mal ganz im Ernst: Was habe ich als Hobby-Autor - der ja bekanntlich noch nicht mal fürs Schreiben bezahlt wird (deswegen greift auch das Argument mit den Zwangsgebühren überhaupt nicht, ich kassiere ja nicht nur die nicht, sondern nullkommanull gar nichts) - davon, für eine lächerliche Geschichte (ja genau) wochenlang zu recherchieren? Damit ich ein einziges "gut gemacht" lese? Davon abgesehen, dass irgendeiner sowieso immer was zu meckern haben wird.

Ich weiß nicht, wieviel Geschichten ich hier eingestellt habe, die völlig unkommentiert untergegangen sind und für die ich immer recherchiert habe.... Ich habe es satt, so zu schreiben, wie andere denken, dass es richtig sein müsste.

Ich bin froh, mal ganz anders an eine Geschichte heran gegangen zu sein. Das war eine spielerische Erfahrung.

Zitat:
. Chinesische Filme helfen bei einer solchen Diskussion überhaupt nicht weiter. Was in China erlaubt ist, geht bei unserer Kripo nämlich gar nicht, denn hier gibt es Dienstaufsichtsverfahren und im Ernstfall Suspendierungen.
Warum verweist du dann auf Edgar Wallace-Filme? Die spielen auch nicht in Deutschland.
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Alt 16.08.2019, 19:12   #9
weiblich Ilka-Maria
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Vorausgeschickt, dass es sich bei meinen Kommentaren um meine Meinung und Erkenntnisse handelt, die niemand teilen muss, will ich zunächst auf diese Frage eingehen:

Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Warum verweist du dann auf Edgar Wallace-Filme? Die spielen auch nicht in Deutschland.
Bei den Edgar-Wallace-Filmen handelt es sich um deutsche Filme der Nachkriegszeit, also vorwiegend der 50er und 60er Jahre, die mehrheitlich von der Rialto Film produziert wurden. Sie bedienten ebenso wie die Heimatschnulzen und Komödien die damaligen Bedürfnisse, d.h., sie wollten ohne jeden künstlerischen Anspruch die Bewohner eines Landes unterhalten, das in Schutt und Asche lag und dessen Aufbau den Menschen genug abverlangte. Sie hatten keine Lust auf problematische Themen. Wer dennoch auf Anspruch nicht verzichten wollte, sah sich kritische Filme wie "Die Mörder sind unter uns" oder "In jenen Tagen" an.

Ähnlich sah es bei der Literatur aus: Junge Mädchen griffen zu Schnulzen von Marie-Louise Fischer oder zu Groschenheftchen vom Kiosk. Wer mehr wollte, las Böll, Lenz, Dürrenmatt und Hemingway.

Wo die Geschichten der Edgar-Wallace-Filme spielten, war nicht relevant. Sie waren deutsche Werke und spiegelten den deutschen Zeitgeist wider.

Hinzu kommt, dass man den Menschen damals alles verkaufen konnte. Das Kino war ein noch junges Medium, das vom Ende des 19. Jh. bis 1940 eine rasante Entwicklung genommen hatte und Kinobesucher mit jeder Entwicklungsstufe neu faszinierte. Das Publikum war weniger lebenserfahren, weniger gebildet und weniger informiert als heute.

Ein weiterer Grund war, dass viele Filme der Nachkriegszeit dermaßen anspruchslos und so zurechtgeschnitten waren, dass sie bereits für 12jährige zugelassen werden konnten - ein rein wirtschaftlicher Aspekt -, und Jugendlichen konnte man damals auch vieles auf die Augen drücken.

Das ist heute anders. Der Zuschauer ist besser informiert und von daher kritischer geworden. Ihm stehen Medien zur Verfügung, die ihm mit wenigen Klicks alles in die Stube holen, was er wissen und prüfen will. Für Drehbuchschreiber ist es zunehmend schwieriger geworden, Stoffe authentisch und glaubwürdig zu verarbeiten. In Amerika und Frankreich weiß man das, nur zu den von Fernsehgeldern (die Sendeanstalten produzieren inzwischen die Kinofilme mit) und der Filmförderung gespeisten deutschen Filmemachern ist das noch nicht durchgedrungen. Deshalb winken Zuschauer dankend ab, wenn sie wieder einmal einen Krimi sehen, in dem der Herr Kommissar ohne Schutzkleidung durch den Tatort trampelt oder in dem ein Gerichtsmediziner allein in einem grellerleuchteten Saal vor einer Leiche steht und zudem als Pathologe bezeichnet wird.

Soweit zu den Edgar-Wallace-Filmen der Nachkriegszeit.

Zu dem anderen Thema fasse ich mich kurz:

Wer schreibt, sollte dies aus Passion tun, aber nicht, um Kommentare zu erwarten. Er sollte auch aus Fehlern lernen und stets versuchen, es besser zu machen. Wenn das nicht das Ziel ist, braucht er auch keine Literatur über guten Stil und Schreibwerkzeuge zu lesen oder sich mit anderen Autoren auszutauschen, denn das ist dann unnütz investierte Zeit. Jeder Spaziergang oder Kinobesuch ist in diesem Fall sinnvoller.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Passion ist etwas anderes als Spaß.

Und zum Abschluss:
Zitat:
Du nimmst es aber leider ernst...
Wenn ich auf Wunsch in den Interessengemeinschaften einen Diskussionsbereich einrichte, der sich "ernsthaft" mit Fragen des kreativen Schreibens befassen soll, ich dann aber mit so einem Satz eins vor den Bug geschossen bekomme, ist das schon ziemlich heftiger Tobak. Ich nehme dich nicht ernst, sondern ich bin enttäuscht.
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Alt 16.08.2019, 19:21   #10
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Liebe Silbermöwe,
"Randolph fühlte sich auf der Polizeiwache zunehmend unwohl." Weshalb so suboptimal, wenn es auch einfacher geht?
"Randolph fühlte sich auf der Polizeiwache ziemlich mies/hilflos/schlecht" Oder:
Randolph war es auf der Polizeiwache zum Kotzen.
Was die Genauigkeit angeht, da drück ich gern ein Auge zu. Aber auch in Geschichten/Gedichten bevorzuge ich eine innere Stimmigkeit.
Ich wünschte, ich wäre Randolph gewesen - der Polizist hätte ganz neue Erfahrungen mit aufrecht gehenden Bürgern gemacht.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 17.08.2019, 10:28   #11
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@Ilka

Zitat:
. Ich nehme dich nicht ernst, sondern ich bin enttäuscht.
Du nimmst "es" leider ernst, damit hatte ich nicht dein Engagement gemeint - ich habe ja viel von deinen Kommentaren und Anmerkungen profitiert und habe mich auch immer darüber gefreut - sondern mit "Es" war lediglich diese Geschichte hier gemeint.

Einen Kommentar oben drüber hattest du geschrieben: "Ein Autor, der seine Leser nicht ernst nimmt, braucht sich umgekehrt auch nicht zu wundern, wenn er nicht ernst genommen wird." Daraus schlussfolgerte ich, dass du mich und die Geschichte hier - nur hier - nicht ernst nimmst, aber deine Kommentare hier unter der Geschichte klangen dann nach dem Gegenteil.

Zitat:
. Wer schreibt, sollte dies aus Passion tun, aber nicht, um Kommentare zu erwarten. Er sollte auch aus Fehlern lernen und stets versuchen, es besser zu machen. Wenn das nicht das Ziel ist, braucht er auch keine Literatur über guten Stil und Schreibwerkzeuge zu lesen oder sich mit anderen Autoren auszutauschen, denn das ist dann unnütz investierte Zeit. Jeder Spaziergang oder Kinobesuch ist in diesem Fall sinnvoller.
Das ist deine Meinung, ich habe eine andere.

Ich finde schon, dass man in einem Forum Kommentare erwarten darf/kann. Warum sollte man sonst Texte einstellen? Da kann man sie auch in der Schublade liegen lassen bzw. auf dem PC.

"Wer schreibt, sollte dies aus Passion tun" - ich finde, dass es jedem selbst überlassen bleiben sollte, aus welchem Grund er schreibt. Ich schreibe, weil es mir Spaß macht. Ich überlebe es auch, wenn ich mal ein paar Tage gar nicht zum Schreiben komme.

Bei "aus Fehlern lernen und versuchen, es besser zu machen" stimme ich dir zu, ich denke, dass ich das schon gemacht habe. Aber ich habe nicht vor, mal mit Schreiben Geld zu verdienen. Nun sehe ich aber auch nicht ein, dass ich mich für eine solche Geschichte wie diese hier NOCH mehr anstrengen soll als berufliche Drehbuchschreiber, die ja anscheinend auch nix auf die Reihe kriegen. Davon abgesehen, wo würde man schon authentisches Material dafür herbekommen, wie wirklich ein Verhör abläuft?
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Alt 17.08.2019, 11:05   #12
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Daraus schlussfolgerte ich, dass du mich und die Geschichte hier - nur hier - nicht ernst nimmst, aber deine Kommentare hier unter der Geschichte klangen dann nach dem Gegenteil.
Ich verstehe, was du meinst, auf die Geschichte insgesamt bezogen. Aber mein erster Kommentar bezog sich speziell auf die Polizeiarbeit, vor allem auf die Vernehmungstechnik, die höchst laienhaft geschildert ist. Diese Dialoge nimmt dir kein Leser ab. Fangfragen zwecks "Reinlegen" oder Irreführung, Unterstellungen durch Hörensagen anderer Zeugen ("Alkoholproblem"), fehlende Belehrung der Rechte zu Beginn der Vernehmung und Klarstellung, um welche Tat es sich handelt, geht überhaupt nicht, und Antworten darauf könnten gar nicht verwertet werden. Das einzig Richtige für den potentiellen Zeugen wäre bei derartigen Übertretungen, aufzustehen und das Dezernat zu verlassen.

Schon die Frage "Bin ich verhaftet?" ist absurd, denn das wäre das erste gewesen, was der Protagonist hätte erfahren müssen, und zwar ohne Nachfrage.
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Alt 17.08.2019, 11:41   #13
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Man findet im Internet zwar einige Artikel zu Verhörtechniken, hier z. B.

https://www.bdk.de/lv/sachsen/verans...gen/vernehmung

Aber bis jetzt habe ich nirgends eine richtige Vernehmung konkret beschrieben gefunden. Auf was soll man dann zurückgreifen außer den Dingen, die man aus dem Fernsehen und Krimis kennt...
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Alt 17.08.2019, 12:37   #14
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Aber bis jetzt habe ich nirgends eine richtige Vernehmung konkret beschrieben gefunden. Auf was soll man dann zurückgreifen außer den Dingen, die man aus dem Fernsehen und Krimis kennt...
Fachliteratur lesen, mit Anwälten für Strafrecht sprechen, bei der Kripo anrufen und nachfragen. Viele Anwaltsanzleien informieren über das Thema auf ihren Internetseiten.

https://www.arag.de/auf-ins-leben/ud...eugen-polizei/
https://de.wikibooks.org/wiki/Rechte...ei/_Vernehmung
https://www.just-und-partner.de/abc/vorladung/
http://www.rodorf.de/02_stpo/14.htm


Übrigens: Wenn die Polizei einen Überraschungseffekt nutzen will, lädt sie nicht zur Vernehmung ins Dezernat, sondern sucht den potentiellen Zeugen oder Verdächtigen unangemeldet zu Hause auf. Ist mir selbst schon passiert, als die Polizei aufgrund eines falschen Zeugenhinweises gegen mich wegen Fahrerflucht ermittelte. Ich hatte damals die Tür nicht geöffnet, weil ich nicht wusste, ob die Polizisten echt waren und ich mir keines Vergehens bewusst war. Die kamen immer wieder, bis es mir zu bunt wurde und ich im Dezernat anrief, was man von mir wolle. Auf eine schriftliche Vorladung hätte ich lange warten können.

Ich meine auch, irgendwo gelesen zu haben, dass bei einer Vernehmung immer zwei Polizisten anwesend sind - in meinem Fall standen auch zwei vor der Tür -, kann im Moment aber nirgends eine Bestätigung dafür finden, ob das stimmt. Es erscheint mir jedoch logisch, denn man weiß ja nie, in welche Gefahr man gerät. Außerdem sollen die beiden Kollegen wohl als gegenseitiges Korrektiv dienen, falls es bei der Vernehmung zu Überschreitungen des Rechts kommt.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.08.2019, 12:46   #15
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Liebe Silbermöwe,
"Aber bis jetzt habe ich nirgends eine richtige Vernehmung konkret beschrieben gefunden. Auf was soll man dann zurückgreifen außer den Dingen, die man aus dem Fernsehen und Krimis kennt..." - das macht mich ja richtig traurig.
In solchen Fällen: Nie verzagen - Heinzi fragen. Mein etwas angefülltes Leben bringt es mit sich, dass ich Dir sowohl aus erster Hand Vernehmungen unterschiedlichster Art (Stasi-Verhöre über mehrere Monate, Kripo-Verhöre aufgrund falscher Anschuldigungen) im Detail und wahrheitsgetreu schildern kann. (In keinem tauchten allerdings weder "harte Stühle" noch blendende Schreibtischlampen auf.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 17.08.2019, 13:33   #16
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Danke für die Links und eure Anregungen.

Lieber Heinz,

wenn du möchtest, kannst du gerne per PN aus dem Nähkästchen plaudern
Darf ich das dann für eine Geschichte verwenden?

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.08.2019, 14:21   #17
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Ich kann dir ein Interview mit dem Kriminalhauptkommissar Dieter Bindig (Verhörspezialist) zuschicken.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.08.2019, 15:03   #18
weiblich DieSilbermöwe
 
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Danke, gerne - ich habe mir vorhin schon ein Buch von ihm angeschaut und mir überlegt, ob ich es kaufe.
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Alt 17.08.2019, 15:57   #19
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Kannste ja entscheiden, wenn du das Interview gelesen hast. Interessant ist das Buch aber ganz bestimmt.
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Alt 18.08.2019, 01:07   #20
männlich Heinz
 
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Liebe Silbermöwe,
ich nutze die Gelegenheit und stelle den noch nicht überarbeiteten Text aus meiner "Trilogie" (hier "Liebesgrüße aus Bautzen" ein:

1. Kapitel

Der Spätsommertag des 8. Septembers 1979 mit seinen meterlangen Spinnenfäden, einem prächtigen Sonnenaufgang und dem Obst-Frühstück, der verheißungsvollen Aussicht auf einen Abend trauter Zweisamkeit mit Diana, meiner wohl noch schlafenden Gartennachbarin, hatte nur einen kleinen Nachteil: Ich war mit Hans und Kurt, den beiden Stasi-Offizieren, für zehn Uhr an der Papiermühle am Stadtausgang Jenas verabredet. Bevor ich losfuhr, kam mir Diana, eine Brötchentüte schwenkend, entgegen. Viel Zeit blieb nicht, ich stieg noch mal aus, ein Begrüßungsküsschen wollte ich mir nicht entgehen lassen.
"Du, ich muss die Anmeldeformalitäten erledigen, aber heute Nachmittag bin ich wieder hier."
"Kommste dann rüber in unseren Garten? Ich mach uns was zu essen. Lass nicht zu lange auf dich warten. Haste ein neues Auto?"
"Neu ist gut, den Mercedes hab ich in einen Graben gesetzt, der hellblaue Golf gehört jetzt mir."
"Na ja, schlüpperblau sieht ja auch ganz interessant aus."
Auf ging es mit dem "Schlüpperblauen" Richtung Weimar zur Endstation der Straßenbahn "Papiermühle". Da warteten Hans und Kurt und nach kurzer Begrüßung: "Los, komm, wir haben nicht viel Zeit. Lass dein Auto hier stehen, wir fahren mit unserem - der Meester wartet auf uns."
Der "Meester", so erklärte mir Hans, sei ihr Vorgesetzter in Berlin, der mich kennenlernen und mich mit meinem angekündigten Kontaktmann bekannt machen wollte. Der Kontaktmann sollte verhindern, dass meine mehr oder weniger regelmäßigen Flüge nach Berlin jemanden auffielen. Die künftigen Treffen, das kam meinen Wünschen sehr entgegen, sollten in der Schweiz, manchmal auch in Österreich stattfinden.
"Warte mal kurz, ich muss doch wenigstens meine Papiere mitnehmen." -
"Ja klar, was haste denn da auf dem Beifahrersitz liegen?" - "Du wolltest doch meine Urlaubsfotos aus Finnland sehen - die sind in den drei Fotoalben." "Bring die mal mit, dann guck ich mir die während der Fahrt an."
"Wo müssen wir denn hin?"
"Wir müssen fix nach Berlin, deswegen haben wir es ja so eilig."
Hans fläzte sich auf den Rücksitz, begann in den Alben zu blättern, Kurt übernahm das Steuer und ich saß qualmend auf dem Beifahrersitz und los ging die Fahrt nach Berlin.
Bei dem Tempo, was Kurt vorlegte konnte ich mir Hoffnung machen, dass wir nicht allzu spät wieder in Jena eintrafen. Zweieinhalb Stunden hin, dieselbe Zeit zurück, vielleicht eine Stunde beim "Meester", plus eine Stunde mögliche Verzögerung - gegen vier, fünf Uhr sollten wir wieder in Jena sein und Diana war für die beiden eine höchst angenehme Alternative.
Gegen zwölf waren wir in dem mir unbekannten Ostberlin, der Autoverkehr war mäßig und ich nahm mir vor, mir die jeweils letzte Straße, die wir befuhren, zu merken. In der Seestraße, wenn ich mich nicht irre, Nummer 78, hielt Kurt an und ich folgte den beiden zu einem villenartigen Gebäude, wir wurden hinein gebeten und betraten das Wohnzimmer, dessen großes Fenster einen Blick auf den "Langen See" gestatteten.
Ich sah Segelboote und wurde in meinen Betrachtungen durch zwei Männer unterbrochen - ein großgewachsener, dunkelhaariger, und ein kleinerer, aschblonder Mann kamen ins Zimmer, der Größere der beiden forderte Hans und Kurt recht unwirsch auf: "Ihr werdet hier nicht gebraucht, Sie, Herr Köhler, nehmen bitte Platz."
Auf dem Tisch vor mir stand ein Tonbandgerät mit einem Mikrophon auf einem kleinen Stativ und mir ging durch den Kopf: Aha! Jetzt setzen sie dich "auf den Stuhl" und werden dich mal durchleuchten. Kaffee und Kuchen wurden herein gebracht und mit dem Kaffee versuchte ich, meinen etwas trocken gewordenen Mund zu befeuchten.
Das Gespräch wurde von dem größeren, dunkelhaarigen Mann eröffnet. Sich vorzustellen hielten beide wohl nicht für nötig - der Große fragte, der Kleine beobachtete, hörte zu, das Tonband lief mit und die erste Frage war:
"Nun, sagen Sie uns mal - wie lange geht das schon?"
Das bisher gewohnte Du war dem Sie gewichen, auf meine Rückfrage, was er denn meinte mit "wie lange geht das schon" folgte, ich wisse schon, worum es ginge und ich sollte ihm sagen, wie lange ich ihnen schon "die Pfeife halte". Anlass genug, zu fragen, ob ich statt einer Pfeife eine Zigarette rauchen könne. Nach immer wieder gestellten Fragen, wie lange "das" schon ginge und ob ich eine Ahnung hätte, wie sorgfältig sie arbeiten, wurde es mir langsam langweilig und meine Antworten zunehmend patziger.
"Wissen Sie, ich arbeite für Sie und Sie haben nichts besseres zu tun, als mir komische Fragen zu stellen".
Ein Blick auf die Uhr ließ meine Hoffnung, zum geplanten Zeitpunkt in Dianas Armen den Spätsommernachmittag zu genießen, immer mehr schwinden. In unaufgeregter Art und Weise kamen immer wieder dieselben Fragen und von mir die immer gleichen Antworten. Es wurde zwei Uhr, drei Uhr, vier Uhr und ich hielt alles für einen Test meiner Standhaftigkeit, wurde frecher und drängte darauf, nun langsam wieder nach Jena gebracht zu werden.
"Kein Problem, sie brauchen mir doch nur zu sagen, wie lange das schon geht!"
"Das geht jetzt hier seit zwölf Uhr und ich weiß immer noch nicht, was Sie von mir wollen." Der Kleinere stellte das Tonband ab, diesmal nicht, um die Spule zu wechseln, der Größere stand auf:
"Dann gehen sie mal los."
Mein Griff zu meiner Handgelenktasche (lacht nicht! In den späten siebziger Jahren hatte man so etwas) entlockte dem Großen ein Lächeln:
"Nee, die lassen Sie mal hier, gehen Sie!".
"Aber da sind doch meine Papiere drin und..."
"Die werden Sie schon früh genug zurück bekommen, gehen Sie jetzt!"
Na schön, dann geh ich eben.
Ich stand auf, steuerte auf die Tür zu und:
"Nee, nehmen Sie diese (er zeigte auf die Tür, die auf die Terrasse führte, von der eine Freitreppe in den parkähnlichen Garten führte) und auf Wiedersehen."
Draußen war es schon ein bisschen dämmrig, die Anzahl der Segelboote war kleiner geworden, ich ging - ein bisschen ratlos - die Treppe hinunter und sah aus verschiedenen Richtungen vier recht athletische, bewaffnete Männer auf mich zukommen.
Wie viel man doch in Bruchteilen von Sekunden denken kann: Mit der Fragerei sind die nicht weiter gekommen - jetzt hauen dich die vier Kerle zusammen - hab ich eine Chance - die kommen immer näher - so schnell wie die kann ich gar nicht laufen und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst.
So ein bisschen Angst, wie vor einem Sprung vom Fünfmeterbrett oder bei der Verkündung der Schwangerschaft beim künftigen Schwiegervater oder vorm Balancieren auf einem hoch liegenden Balken oder vorm Zahnarzt, na ja, das kennt wohl jeder. Aber vier düster blickende Athleten mit Pistolen im Holster, keine Fluchtmöglichkeit, keine Chance gegen eine Überzahl von Stasi-Agenten - das trieb mir den Angstschweiß - nee, nicht auf die Stirn - das alles ließ mir den Angstschweiß in wahren Strömen unter den Achsel-höhlen triefen und erst die Aufforderung, die Hände vorzustrecken, das Klicken der Handschellen und: "Steigen Sie ein!" mit einer Geste zu einem viertürigen Auto brachte mein arg strapaziertes Gehirn wieder zur Ruhe.
Ich hatte mich in die Mitte des Rücksitzes zu setzen, die Handschellen wurden mit einem zusätzlichen Lederriemen hinter mir fixiert, eine Art Schweißer-brille (durch die man allerdings nichts sehen konnte) wurde mir aufgesetzt, links und rechts von mir platzierten sich zwei der Stasi-Leute, die beiden anderen saßen vorn und los ging eine wilde Fahrt durch die Straßen Ostberlins. Offenbar wollten sie mir zeigen, wie waghalsig man durch den Abendverkehr jagen kann.
Wenn ich nach rechts schielte, konnte ich hin und wieder etwas sehen. Und was sah ich zuerst? Ein Straßenschild mit der Aufschrift "Adlershof". Ach du Scheiße - jetzt liefern die dich bei den Russen ab!
Falsch gedacht, die Fahrt ging weiter. Erkennen konnte ich noch die Nummer einer Straßenbahn, es war die Linie 17 . Wem hilft das? Mir hat es nichts geholfen. Ein paar Minuten später hielt das Auto, inzwischen war es dunkel geworden, ein seltsames Geräusch war zu hören, kein Türeschlagen, sondern ein Geräusch, das ein großes Metalltor macht, wenn es auf Rollen bewegt wird. Das Auto setzte sich noch einmal für paar Meter in Bewegung: "Aussteigen!" Der Lederriemen wurde gelöst, die Handschellen und die Brille wurden mir abgenommen, ich befand mich in einer Garage, rechts neben dem Auto eine verglaste Holztür. Durch die hatte ich zu gehen, im Gang versperrte ein Gitter den Weg, der mich begleitende Mann schlug mit seinem Schlüsselbund an das Gitter und von der anderen Seite des Gitters kam ein Uniformierter, ein Unterleutnant, wie mein militärisches Wissen mir verriet: "Mitkommen!" Vor einer Zellentür mit der Nummer 120 : "Stehen bleiben!" Der Unterleutnant, seien Ärmelstreifen wiesen ihn als Angehörigen des Wachregiments "Feliks Dzierzynski" aus, öffnete die Zelle: "Ausziehen!"
Die folgende Prozedur ist entwürdigend, aber auch bei genauer Untersuchung konnte er in meinem After keine verborgenen Gegenstände finden. "Anziehen!" Er zeigte auf ein Häufchen Klamotten, die am Fußende einer Holzpritsche lagen und ich durfte mich unter seinen wachsamen Augen mit einer langen Unterhose, Wollsocken, einem hellblauen Hemd mit langen Ärmeln und ohne Kragen, sowie einem ausgeleierten Trainingsanzug aus NVA-Beständen anziehen. Am Fußende des Bettes zwei Pantoffeln, auf dem Bett drei Matratzen, ein Nachthemd und: Rummmms!
Die schwere Tür schlug zu, ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht, ich hörte zwei Riegel metallisch klackend einrasten, an der Decke sirrte eine Neonröhre und - Scheiße!


Ich hatte keine Uhr, ich hatte keine Zigaretten, ich hatte nur eine kahle Zelle, etwa vier Meter lang, vielleicht zwei Meter breit mit einem Holzbett, auf den drei einzelne Matratzen, ein Kopfkissen und zwei Wolldecken lagen, einen kleinen Tisch, einen Hocker, ein Waschbecken mit einem in die Wand eingelassenen kleinen Metallspiegel, ein Fenster aus Glasbausteinen und eine Toilette in der Ecke der Zelle, eine ständig sirrende Neonleuchte in dreieinhalb Meter Höhe, karierte Pantoffeln an den Füßen und sonst - nichts.
Nach etwa einer Stunde wurde eine Klappe an der Zellentür geöffnet, ein Plastikteller mit Brot, Butter, ein paar Scheiben Wurst und ein Kännchen Tee plus Tasse wurden wortlos herein gereicht. Klappe zu - und dann der Versuch, mit einem Plastiklöffel ein Brot zu schmieren. Messer und Gabel - was ist das denn? Löffel reicht (und damit kann man sich nicht umbringen).
Nach einer weiteren geschätzten Stunde: Zellentür auf:
"Heinz, mitkommen!"
Ein Unteroffizier wagte es, einen Hauptfeldwebel mit dem Vornamen anzuquatschen!
Da ich mich vom ersten Schock erholt hatte und in meiner Naivität immer noch davon ausging, dass ich hier "getestet" würde, war meine Reaktion nicht etwa mutig, sondern entsprach meiner normalen Verhaltensweise:
"Herr Unteroffizier, für Sie immer noch 'Herr Hauptfeldwebel'!"
"Eins, gehen Sie bis zum dem Strich und drehen Sie sich zur Wand, bis ich Sie zum Weitergehen auffordere!"
"Eins" - das war jetzt mein Name. Viel später habe ich, als ich zeitweise mit einem anderen Häftling die Zelle teilte, erfahren, dass der andere "Zwei" hieß.
Das Heraustreten aus der Zelle war immer mit ein paar Schritten zu einem Strich auf dem Boden verbunden. Da hatte man stehen zu bleiben, sich zur Wand zu drehen, um nach Aufforderung bis zum nächsten Strich zu gehen. Erst, wenn der begleitende (im übrigen unbewaffnete) Soldat sich überzeugt hatte, dass der Gang oder der Treppenabsatz menschenleer war, kam die Aufforderung zum Weitergehen.
Oft bin ich gefragt worden: "Konntest du denn nicht den Läufer (so wurden die Begleiter eines Häftlings genannt) umhauen, ihm den Schlüssel wegnehmen und abhauen?"
Kurze Antwort: Nein.
Das System, das man natürlich nur allmählich einigermaßen durchschaute, war perfekt. Von einem gelungenem Fluchtversuch aus diesem Gefängnis habe ich noch nie gehört.
Aus "diesem Gefängnis"? Ich wusste bis zu einem zeitweiligen Zusammen-schluss mit einem zweiten Häftling nicht, wo ich war. Die Orientierungslosigkeit - wie spät ist es? Wo bin ich? Was geschieht heute, morgen, übermorgen? Was wissen "die" ? Welche Verhörmethoden werden angewendet? Habe ich mit Folter oder Schlägen zu rechnen? - war Methode. Eine sinnreiche Methode, um den Eingesperrten weich zu kochen, die mit anderen psychologischen Finessen angereichert wurde.
Aber davon wusste ich erst einmal gar nichts und führte gezwungenermaßen die gegebenen Befehle aus.
Raus aus der Zelle, ein paar Schritte bis zum nächsten gelben Strich auf dem Fußboden, anhalten, Gesicht zur Wand, nach Aufforderung des Läufers weiter bis zum nächsten Strich, beobachtet von zahlreichen Überwachungskameras, Rasseln des Schlüssels an den Gittern der Gang- und Treppenabsperrungen (als Signal für den nächsten "Läufer"), Abstand zum Läufer einhalten und in einem Flur über dem Zellengang, in dem "meine" Zelle war, irgendwann das Kommando: "Stehen bleiben, Gesicht zur Wand!"
Links von mir eine schallgedämmte Tür. Die ging auf und im Vernehmungs-raum saß der bereits bekannte kleinere Stasi-Offizier, ein Hauptmann Pätz (dessen Namen ich natürlich erst nach Jahren bei Einsicht in meine Stasiakten erfuhr).
Immerhin - er händigte mir meine halbleere Zigarettenschachtel und ein Döschen Streichhölzer aus und - selbst Nichtraucher - gestattete mir das Rauchen.
Die Fragerei fing damit an, mit der sie in der Villa aufgehört hatte: "Wann fing 'das' an?"
Der Vernehmungsraum - büroähnlich: Links der Tür ein kleiner Tisch und ein gepolsteter Stuhl, der Hauptmann saß hinter einem Schreibtisch, auf dem neben dem Telefon ein Tonbandgerät stand, rechts der Tür ein Spind, auf dem oben ein Stahlhelm lag, links neben dem Schrank ein Bild mit dem Namensgeber des Wachregiments Feliks Dzierzynski.
Feliks Dzierżyński war ein russischer Berufsrevolutionär. D. war Organisator und erster Leiter des Allrussischen Außerordentlichen Komitees zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage (Tscheka), der ersten Geheimpolizei Sowjetrusslands. Nach ihm war das "Wachregiment" benannt.
Hinter dem Schreibtisch ein Fenster, vergittert natürlich, das einen Blick auf düster wirkende Gebäude zuließ und - wegen meiner Qualmerei - ständig geöffnet war.
Die Raumluft war von diesem typischen DDR-Odeur geschwängert - ein penetranter Geruch nach Bohnerwachs, Desinfektionsmitteln und - später - von den "Düften" der Braunkohle-Heizungsanlage.
Im Gedächtnis sind mir die immerzu wiederholten Fragen geblieben, seit wann "das" so gehe, ob ich nicht besser zur Kooperation bereit sei, weil dann das Verfahren bedeutend abgekürzt werden könnte und ich doch schließlich bald wieder bei meiner Familie sein wolle. Nach einiger Zeit meldete ich mein Bedürfnis nach einer Pinkelpause an.
Das lief dann so ab: Der Hauptmann griff zum Telefon und orderte einen Läufer zum Vernehmungsraum. Aus guten Gründen waren weder der Vernehmer noch die Wachsoldaten bewaffnet.
Über der Tür befand sich eine kleine Lampe, die aufleuchtete und damit bekannt gab, dass der Läufer vor der Tür stand. Auf einen Knopfdruck hin, wurde die Tür von innen geöffnet, der Hauptmann (Vernehmer) blieb sitzen, ich durfte aufstehen und auf den Flur bis an den nächsten gelben Strich gehen. Erst wenn die Tür wieder geschlossen war, kam das Kommando: "Eins, vorwärts!" Die Toilette befand sich eine Etage tiefer, ich durfte unter Bewachung Pipi machen, Hände waschen und bis - ihr wisst es jetzt schon - zum nächsten gelben Strich gehen.

Die erste Vernehmung dauerte geschätzte vier Stunden, der Läufer wurde telefonisch heran befohlen und ab ging es in mein "Appartement" im Parterre des Gebäudes.
Rummms! Tür zu, Schließgeräusche des Schlüssels, zweimal metallisches Klicken der Riegel, von der Raumdecke das nervtötende Sirren des defekten Starters der Neonleuchte und nach einiger Zeit Klopfgeräusche an der Wand. Das "Alphabet" habe ich erst viel später erkannt, aber das hat mir auch nicht weiter geholfen. Nach kurzer Zeit ging die Klappe der Zellentür auf:
"Eins, bettfertig machen, Schlafen in Rückenlage, Gesicht nicht bedecken, in zehn Minuten Licht aus."
Bettfertig machen - lacht euch ruhig eins weg: Ich musste mich der Gefängniskleidung entledigen und meinen noch vom Finnlandurlaub gebräunten Götterleib in ein knielanges Nachthemd hüllen, die drei Einzelmatratzen zurecht legen, mit einem Laken bedecken und mich unter eine wollene Decke legen. Waschen und Zähneputzen war zeitlich noch möglich. Wenn ich ein Stück von dem kleinen Spiegel zurücktrat, konnte ich mich selbst zwar nicht ganz, aber soweit sehen, dass mir die Erinnerung an die Reklame des "Darmolmännchens" kam - mir fehlte nur die Zipfelmütze auf dem Kopf.
Kaum lag ich auf der Holzpritsche mit den durchgelegenen Matratzen, ging das Licht aus. Das beste daran war, dass dieses dämliche Geräusch der Neonleuchte aufhörte. Dass ich hundemüde war, muss ich wohl nicht sagen. An Schlafen war erst mal nicht zu denken. Zu viele Gedanken gingen mir durch den Kopf und das Einschalten des Lichts im Abstand von etwa zwanzig Minuten, ein leises Geräusch, das ich mir mit dem Beiseiteschieben des Bleches vor dem Spion erklärte (tagsüber bestätigte sich diese Vermutung, weil dann ein wachsames Auge eines kontrollierenden Soldaten am Spion in die Zelle äugte), ließ einen ungestörten Schlaf sowieso nicht zu. Die Wachsoldaten kamen lautlos, ihre Knobelbecher machten auf einer Art Sisalläufer kaum Geräusche.
Dass die Nachtruhe, ich verwende mal dieses hochgestochene Wort, zu Ende war, so schloss ich messerscharf, war daran zu erkennen, dass die nervtötende Deckenleuchte nicht mehr ausgeschaltet wurde. Die flackernde Neonleuchte blieb eingeschaltet, das Sirren des defekten Starters setzte ein, die Klappe an der Zellentür ging klappernd auf: "Eins, kommen sie her!" Mir wurde ein Elektrorasierer älterer Bauart herein gereicht. "Waschen, rasieren, in zehn Minuten kommt das Frühstück." Ein "Guten Morgen" gab es nicht, es gab auch niemals Gespräche mit den Wachtposten, Fragen wurden nicht beantwortet, höchstens: "Tragen sie das Ihrem Vernehmer vor."
Die Morgentoilette war schnell erledigt und das kalte Wasser verführte auch nicht dazu, die eingeräumte Zeit durch ausgiebiges Waschen zu verlängern. Vor dem Rasierapparat ekelte ich mich und unterließ es, mich damit zu rasieren. Nach etwa zehn Minuten - Klappe auf: "Rasierapparat abgeben, Frühstück fassen - reicht das Brot?" Ich will niemanden langweilen: Die Verpflegung im Untersuchungsgefängnis des Stasi war ausreichend, vitaminarm und das einzige Besteckteil war ein Plastiklöffel. Verlangte ich statt der obligatorischen drei Scheiben Brot ein oder zwei Schnitten mehr, dann bekam ich sie auch.
Kaffee? Fehlanzeige. Es gab Muckefuck und die Roll- und Porzellangeschirr-Klappergeräusche, die ich in der Zelle hören konnte, waren mir anfangs ein Rätsel. Es sei gleich aufgeklärt: Ich beschwerte mich bei dem vernehmenden Hauptmann darüber, dass ich nicht mal eine ordentliche Tasse Kaffee bekäme.
"Ja, dann müssen sie die bestellen und bezahlen."
"Ich habe zwar 500 Mark, aber die haben sie mir ja abgenommen."
"Sie haben 535 Mark auf ihrem Konto, da werden die Kaffeekosten abgezogen."
Aha! Die 535 Mark waren meine Barbestände aus meinem Portemonnaie und die konnte ich also einsetzen, um den Kaffee zu bezahlen. Von den eintausend Mark der DDR, die sich in der Werkzeugtasche meines Autos befunden hatten, war keine Rede. Doch dazu später.
Ab dem nächsten Morgen bekam ich Bohnenkaffee, einen Bohnenkaffee, wie er so in der DDR üblich war - eine Plörre, die man einem schwer Herzkranken ohne Bedenken literweise hätte einfüllen können.
Nach dem ersten Besuch, der nach drei Monaten gestattet wurde, hatte ich ein Paket Jacobs Krönung, brauchte mir nur ein Kännchen heißes Wasser bestellen, was sogar nachmittags (wenn ich nicht gerade vernommen wurde) möglich war.
Das Mittagessen - na ja, die Tatsache, dass ich heute noch lebe, beweist, dass ich nicht verhungert bin. An einen Salat, an Obst (bis auf gelegentlich mal einen Apfel) kann ich mich nicht erinnern). Meine Spätsommerbräune wich ziemlich schnell einer vornehmen Blässe, die Fingernägel wurden von Monat zu Monat weicher, das ständige Sitzen führte zu sinnlosem Hin- und Hergehen in der Zelle. Nach stundenlangem Sitzen auf einem Holzschemel tut einem der Hintern weh, also latscht man die paar Schritte von einer Wand zur anderen; Sportfreaks, zu denen ich nie zählte, machen Liegestütze oder Kniebeugen, um den Bewegungsdrang ein wenig zu befriedigen oder - wie ich - statt eines schmerzenden Hinterns tausend Schritte zu gehen und sie dabei gewissenhaft zu zählen.

Nach dem Frühstück, ich konnte einen Blick auf die Armbanduhr des Schließers werfen, als er das Geschirr durch die Klappe entgegen nahm, ging die Zellentür auf: "Eins, raustreten."
Es war acht Uhr und der Läufer brachte mich zum Vernehmungszimmer.
In den ersten zweieinhalb Monaten wurde ich außer an den Samstagen und Sonntagen täglich von acht Uhr bis etwa 12.30 Uhr und nach einer anderthalbstündigen Mittagspause von vierzehn bis ungefähr siebzehn Uhr vernommen.
Die beschäftigungslosen Wochenenden, die Stunden nach Beendigung der täglichen Vernehmungen bis zur Schlafenszeit waren von gähnender Langeweile gefüllt.
Meine Frage an den Vernehmer, ob man mich mit Absicht verblöden lassen wolle, beantwortete er:
"Zeigen sie sich kooperativ, dann sind wir hier schnell fertig. Die Zeit in ihrem Verwahrraum (die Zelle wurde wirklich so genannt) könnten sie ja mit Lesen verbringen."
"Und wie soll ich was lesen, wenn ich nichts zum Lesen habe?"
Ich bekam täglich das "Neue Deutschland", aus dem manchmal Artikel ausgeschnitten waren und nach weiterer Nachfrage den Bescheid:
"Sie können pro Woche drei Bücher ausleihen."
"Und warum muss ich ihnen das alles aus der Nase leiern? Ich habe ja noch nicht einmal ihre Gefängnisordnung."
Ich kürze mal wieder ein bisschen ab: Ich bekam die Strafvollzugsordnung für drei Tage, las darin, dass der "Religionsausübung" nichts in den Weg gelegt werden soll, dass ich alle zehn Tage auf einer A-4-Seite einseitig einen Brief an meine Frau schreiben dürfe, dass mir ein Rechtsanwalt zustände und andere Vorschriften, an die ich mich nicht mehr genau erinnere.
Drei Bücher pro Woche! Man stelle sich die Stunden vor, die nicht durch Vernehmung oder Schlaf ausgefüllt waren. Das waren an jedem Wochenende zweimal sechzehn Stunden, an den Tagen der Vernehmung fünfmal fünf, insgesamt also pro Woche siebenundfünfzig Stunden des Nichtstuns.
Kein Wunder, dass ich mich auf die nächste Vernehmung freute und - klar, vom Stockholm-Syndrom hatte ich natürlich schon mal gelesen.
Die Religionsausübung - immerhin bekam ich auf meine Bitte hin eine dicke Lutherbibel als Dauerleihgabe. Heide war ich damals schon, aber ich wurde zu einem recht bibelfesten Atheisten.
Meine Beschwerde, drei Bücher pro Woche seien ja wohl ein Witz, schließlich sei ich ja Student mit dem Fach Deutsch, hatte Erfolg. Neben der Bibel standen nach vier Wochen mehrere Bände Goethe, Schiller, Dostojewski, Tolstoi, Heinrich Heine und andere auf meinem Fensterbrett und ich konnte lesen, lesen und nochmal lesen. Das kam mir bei längerer Dauer der Haft entgegen, denn die Vernehmungen fanden nach knapp drei Monaten unregelmäßiger statt und die Eintönigkeit wurde nur einmal am Tag für etwa eine Dreiviertelstunde durch eine "Freistunde" unterbrochen.
Freistunde - ein Euphemismus ganz besonderer Art - Klappe auf:
"Eins, fertig machen zur Freistunde."
Bei zunehmender herbstlicher Kühle wurde meine "Bekleidung" mit einer Jacke, einem Paar Arbeitsschuhe, einer Mütze und im Winter einem Mantel aufgerüstet. Zur "Freistunde" wurde ich in einen sogenannten Tigerkäfig geführt, ein etwa drei mal vier Meter großes Geviert mit mindestens vier Meter hohen, grauen Mauern. Dieser Tigerkäfig war mit Maschendraht überspannt und am Rand war ein Laufgang für bewaffnete Wachsoldaten.
Immerhin: Manchmal konnte ich ein Passagierflugzeug sehen, dem ich, wenn es in westliche Richtung flog, meine geflüsterten Grüße hinterher schicken konnte. Ein paar herabgefallene Birkenblätter habe ich mal eingesammelt, sie waren herbstlich braun verfärbt, ein Fleckchen Grün war noch zu sehen.

"Einer Birke braunes Herbstblatt,
hergeweht vor meinen Fuß,
bringt mit letztem Chlorophyll
Küsse und geheimen Gruß."

Sechzehn Wörter - im Kopf zusammen gehaspelt und im ersten Brief, den ich meiner Frau schreiben durfte, als kleines Gedicht geschickt. Sechzehn Wörter, weil mein Widerstand, mein Beharren auf sofortige Entlassung wegen unsinniger Anschuldigungen und rechtswidriger Haft, gebrochen war.
Sechzehn Tage habe ich durchgehalten, dem Vernehmer gegenüber keine Schwäche erkennen lassen, um dann, nahe einem Nervenzusammenbruch, als heulendes Elend zu gestehen, dass ich von Anbeginn versucht hatte, den Stasi an der Nase herum zu führen.
Der Vernehmer nahm das ungerührt zur Kenntnis, gab mir zehn Blatt Papier, wobei er jeden Bogen einzeln gegen das Licht hielt, um zu kontrollieren, dass da auch keine durchgedrückten Buchstaben zu erkennen sind, und einen Bleistift:
"Sie werden in ihren Verwahrraum gebracht, dort schreiben sie alles auf. Wir sehen uns morgen wieder."
In der Zelle schaute ich in den Blechspiegel, spuckte mir gewissermaßen selbst ins verheulte Gesicht: "Du Schwächling, du Drecksau! Wieso hast du schlapp gemacht?"
Mit dem "Gedicht" wollte ich nach Hause signalisieren: Sechzehn Wörter gleich sechzehn Tage und dann war Schluss mit lustig, "herab gefallen" - finito.
Und tatsächlich - mein Führungsoffizier, der ja, da nicht mehr der militärische Abschirmdienst für mich zuständig war, eigentlich ein Zivilbeamter des Verfassungsschutzes war, hat genau das aus dem Brief heraus gelesen und konnte Maßnahmen zur Schadensbegrenzung einleiten.
Wir haben uns Jahre später darüber unterhalten und zu meiner seelischen Erbauung trug sicherlich bei, als mir versichert wurde, dass ich mit sechzehn Tagen des Schweigens und Leugnens schon beinahe einen Rekord aufgestellt hätte.

(Bitte nicht vergessen: Das sind ansatzweise Verhörtechniken beim Stasi.)

Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 18.08.2019, 11:06   #21
weiblich DieSilbermöwe
 
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Lieber Heinz,

möchtest du diese ohne Zweifel interessante Geschichte nicht lieber in einem eigenen Thread einstellen? Denn mit meiner Geschichte, unter der sie jetzt steht, hat sie ja nichts zu tun und du würdest eine größere Leserschaft mit einem Extrathread erreichen. Du könntest dann hier einen Link zu deiner Geschichte einsetzen.

LG DieSilbermöwe
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Alt 18.08.2019, 11:11   #22
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
... möchtest du diese ohne Zweifel interessante Geschichte nicht lieber in einem eigenen Thread einstellen? Denn mit meiner Geschichte, unter der sie jetzt steht, hat sie ja nichts zu tun ...
Sehe ich genauso. Außerdem haben die Stasi-Methoden nichts mit heutigen Verhörtechniken zu tun. Silbermöwe geht es um eine ganz andere Geschichte.
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Alt 18.08.2019, 23:47   #23
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Ihr habt ja beide Recht. Ich wollte nur aufzeigen, dass es nur wenig Mühe kostet, sich über Verhörmethoden zu informieren und selbst der Stasi - bei aller Rechtstaatswidrigkeit - subtilere Möglichkeiten als "harte" Stühle und Büroleuchtenbestrahlung hatte.
H.
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Alt 20.08.2019, 15:37   #24
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hallo SM und ihr anderen lieben -

ich gehe nicht mehr kritisch auf die details des textes ein, weil dazu habt ihr genug getan. ich finde die ansätze eigentlich gut und das thema hat einen interessanten lauf. nur denke ich, dass du einfach noch viel mehr research machen müsstest - und dann habe ich ein frage: Ilka hatte richtig in ihrer kritik - zu einer kleinen lyrik von mir - bemerkt, dass die gegenwart den leser viel mehr in das geschehen eines textes hineinzieht. du hast den text hier in der vergangenheit verfasst und ich würde von Ilka gerne wissen, ob diese regel auch auf prosa und KG anwendbar ist? danke.

vlg
r
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Alt 20.08.2019, 16:54   #25
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Ralfchen Beitrag anzeigen
... und dann habe ich ein frage: Ilka hatte richtig in ihrer kritik - zu einer kleinen lyrik von mir - bemerkt, dass die gegenwart den leser viel mehr in das geschehen eines textes hineinzieht. du hast den text hier in der vergangenheit verfasst und ich würde von Ilka gerne wissen, ob diese regel auch auf prosa und KG anwendbar ist? danke.
Grundsätzlich kann man ziemlich alle Geschichten sowohl im Präsens als auch im Präteritum schreiben. Die meisten Autoren entscheiden sich jedoch für das Präteritum, besonders bei Langprosa (Novelle, Roman), und auch die Leserschaft fühlt sich damit bestens bedient. Vielleicht liegt es daran, dass der Mensch, seit er Sprache kennt und Informationen mündich weitergibt, an diese Zeitform gewöhnt ist. Wer von seinem letzten Urlaub erzählt, wird das in der Regel in der Vergangenheit tun.https://www.poetry.de/search.php?do=getnew

Weshalb kann es dennoch von Vorteil sein, auf die Gegenwart zurückzugreifen?

1. Um den Leser/Zuhörer stärker in das Geschehen hineinzuziehen.
2. Um das Tempo zu erhöhen (Action).
3. Um Rückblenden besser erkenbar zu machen.

Vielleicht gibt es noch mehr Gründe, aber diese drei sind mir spontan eingefallen.

Als Beispiele zwei Balladen (die im Gegensatz zur Gefühls- und Augenblickslyrik ja auch Geschichten erzählen): Goethes "Erlkönig" und Schillers "Bürgschaft".

Goethes Ballade "Erlkönig" ist (fast) durchweg im Präsens geschrieben. Das macht die Hast, mit der der Vater durch den unheimlichen Wald reitet, ebenso spürbar wie seine Angst um das todkranke Kind: Er hat keine Sekunde zu verlieren. Ebenso nahe werden dem Leser die Halluzinationen des Kindes gebracht, wesentlich näher, als wenn die Ballade im Präteritum geschrieben wäre.

Nur am Ende heißt es dann:
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.


Warum hat Goethe das gemacht?

Vielleicht will er damit sagen, dass die Hast vergeblich gewesen ist. Das Kind war schon tot, bevor der Vater seinen Hof erreichte. Auf jeden Fall bezeichnet der Wechsel ins Präteritum den abrupten Abfall von Hochspannung auf null, was dem Leser einen zusätzlichen Schauder einjagt, denn bis zum vorletzten Vers hat er Hoffnung, dass das Kind gerettet werden kann. Großmeister Goethe wusste also genau, was er tat, als er im letzten Vers die Zeitform wechselte: Kälter kann eine Dusche nicht sein.

Jetzt zur "Bürgschaft":

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande:
Ihn schlugen die Häscher in Bande,
»Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!«
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
»Die Stadt vom Tyrannen befreien!«
»Das sollst du am Kreuze bereuen.«

»Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit
Und bitte nicht um mein Leben:
Doch willst du Gnade mir geben, ...



Schiller beginn im Präteritum und wechselt dann zum Präsens. Was passiert hier?

Es handelt sich beim Anfang der Ballade um eine Rückblende: Der Attentatversuch ist vorbei, Vergangenheit, und jetzt steht Dionys vor dem Tyrannen, der über ihn Gericht hält. Für den Rest der Ballade bleibt Schiller beim Präsens, um die Gefahren und Hindernisse, die sich bei der Heldenreise ergeben, für den Leser unmittelbar zu machen. Diese Wirkung hätte er kaum erzielen können, wenn er die Ballade insgesamt im Präteritum geschrieben hätte. zumal er dann für die Rückblende auf das sperrige Plusquamperfekt hätte zurückgreifen müssen - eine wenig lyrische Angelegenheit.

Auch Schiller wusste also sehr genau, was er tat.

Was die beiden Balladen beispielhaft zeigen, geht auch mit jeder anderen literarischen Form. Gesetzt den Fall, "Der Bürgschaft" wäre in Prosa erzählt: Man könnte den Versuch des Attentats bis zur Festnahme des Täters als Vorgeschichte (Prolog) im Präsens schreiben, um den Leser in die Dramatik des Geschehens und in die Gefühlswelt des Attentäters einzubeziehen. Die Geschichte ab der Anhörung durch den Tyrannen könnte dann im Präteritum weitererzählt werden.
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Alt 20.08.2019, 22:06   #26
männlich Ex-Ralfchen
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sehr erklärend und eine klare antwort. dazu mehr an nfragen von mir morgen. war mit Mammi und Puzzi essen und muss zähne puzzen und ins bettchen.

gute nacht
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Alt 20.08.2019, 22:59   #27
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Darf man auch mal eine Antwort (die von Ilka-Maria an Ralphchen) loben?
Ob man darf oder nicht: Hier steht mal was Vernünftiges, Erklärendes und Richtiges!
H.

Geändert von Heinz (21.08.2019 um 10:13 Uhr)
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Alt 05.09.2019, 06:40   #28
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Vorgestern habe ich zufällig drei ältere Folgen einer (deutschen) Polizeiserie gesehen und, ob ihr es glaubt oder nicht, in einer dieser Folgen saß der Verdächtige in einer Szene auf dem Polizeirevier auf einem harten, zumindest unbequemen Stuhl, er konnte sich nicht mal zurücklehnen und das grelle Licht einer Stehlampe schien ihm genau in die Augen...
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Alt 05.09.2019, 06:53   #29
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
... ob ihr es glaubt oder nicht, ...
Warum soll es nicht glaubhaft sein? Ich nenne solche Filmszenen das "Joachim-Fuchsberger-Set". Man nehme dann noch die Schuhe, die hinter dem Fenstervorhang hervorstehen und die aufgerissenen Augen einer Karin Dor mit dem dazugehörigen Schreckensschrei - und fertig. Aber wer will solche Klischees heute noch sehen?
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Alt 05.09.2019, 06:59   #30
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Die Szene war aus einer Folge von 2005, also wahrscheinlich nicht mehr an den Wallace-Filmen orientiert (nehme ich an). Übrigens hat keiner der Fernsehpolizisten, die sich die ganze Zeit bemüht haben, ein recht grimmiges und sauertöpfisches Gesicht zu zeigen, dem Verdächtigen eine Belehrung zukommen zu lassen (weder in dieser noch in den anderen Folgen, die ich vorgestern gesehen habe). Angebrüllt wurde er auch. Der Verdächtige kam dann von selbst auf die Idee, seinen Anwalt anzurufen und vorher kein Wort mehr zu sagen.

Ich habe mich ziemlich amüsiert, denn in diesen Folgen war überhaupt nichts glaubhaft (nach dem, was ich jetzt weiß, inzwischen habe ich zwei Bücher gelesen, die sich mit Aufklärung von Verbrechen und Vernehmungen befassen).

Zitat:
Aber wer will solche Klischees heute noch sehen
Die Serie war damals ein Erfolg und wird jetzt wiederholt. Es scheint also einen Markt dafür zu geben.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.09.2019, 07:59   #31
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Ich habe mich ziemlich amüsiert, denn in diesen Folgen war überhaupt nichts glaubhaft (nach dem, was ich jetzt weiß, inzwischen habe ich zwei Bücher gelesen, die sich mit Aufklärung von Verbrechen und Vernehmungen befassen).

Die Serie war damals ein Erfolg und wird jetzt wiederholt. Es scheint also einen Markt dafür zu geben.
Manche Serien sind eben Kult.

Aber die Sehgewohnheiten haben sich geändert. Außerdem ist das Publikum heute besser informiert. Im Zeitalter des Internet steht Material ungebremst zur Verfügung. Auch wenn man Wikipedia kritisch sehen sollte, ist diese Website immer gut für einen Einstieg. Ich nutze auch viel youtube, dort findet man zu fast allen Themen Vorträge und Vorlesungen von Spezialisten und Professoren. Und dann natürlich Amazon, um entsprechende Literatur zu finden. Bestellungen gehen dann allerdings an meinen örtlichen Buchhändler .

Ich lese auch regelmäßig das "Kriminal-Magazin". Es erscheint jedes Vierteljahr. Im Gegensatz zur "Crime" (alle zwei Monate), die über internationale Verbrechen berichtet, beschränkt sich das "Kriminal-Magazin" hauptsächlich auf die Polizei- und Gerichtsarbeit im deutschsprachigen Raum. Es gibt auch oft kurze Berichte über Filmarbeiten an Krimis und über Krimi-Schriftsteller, im neuen Heft z.B. über den Gerichtsmediziner Prof. Dr. Michael Tsokos, der schon einige Krimis veröffentlicht hat.
https://www.youtube.com/watch?v=u9WmHX7GZ9k
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