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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

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Alt 02.04.2022, 18:55   #1
männlich G.Neville
 
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Standard Der Kastrat

Eine Ratte biss mich in die Eier,
es war auf einer Weihnachtsfeier.
Bin nun nicht mehr zeugungsfähig
und auch nicht mehr aufbaufähig.

Das Eunuchendasein muss ich nun fristen,
darum singe ich jetzt für die Kapitalisten.
Ich parliere ich den höchsten Tönen,
will die Damen damit verwöhnen.

Das Schicksal hat es so gewollt,
habe deshalb nie geschmollt.
Will mich auch bedanken bei der Ratte,
weil sie verschmähte meine Latte.
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Alt 02.04.2022, 20:10   #2
männlich Heinz
 
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Lieber Neville,
ob Dein Gedicht sehr witzig ist, lass ich mal dahin gestellt.
Was die Form angeht: Da holperst Du recht ungeschickt durch die Verse.
Zu der Kastratenproblematik gäbe es einiges zu sagen. Sie mit dem Eunuchendasein zu vermischen, ist mindestens sehr gewagt und zeugt von suboptimalen Kenntnissen.
Ein Irrtum scheint sich bei Dir festgesetzt zu haben: Es ist keineswegs so, dass Kastraten oder Eunuchen grundsätzlich Probleme mit der "Latte" hatten oder haben.
Bei Kastraten denkt man unwillkürlich zunächst an jene Männer, denen durch Kastration vor Einsetzen der Pubertät die Hoden zerquetscht oder entfernt wurden. Zweck war die Erhaltung des Knabensoprans. Der berühmteste war der Kastrat Farinelli, bei dessen Gesang die Menschen auch schonmal in Ohnmacht fielen. In der "Hochzeit" der Kastratentenöre fielen allein in Italien eine halbe Million Knaben diesem Nervenkitzel zum Opfer (oft mit tödlichem Ausgang).
Erhalten hat sich für Musikhochschulen die Bezeichnung "Konservatorium" - eben, weil da in früheren Zeiten die Knabenstimmen konserviert wurden.
Bei den Eunuchen war die Kastration sehr oft noch brutaler und "einschneidender". Ihnen wurden nicht nur die Hoden, sondern gleich noch der Penis entfernt.
Für alle gilt (insofern der Penis nicht auch weg war), dass sie zwar zeugungsunfähig waren, aber durchaus mit ihrer "Latte" noch was anfangen konnten.
Mit anderen Worten: Dein gedicht ist nicht nur formal eine mittlere Katastrophe, sondern inhaltlich das Nachplappern eines Mythos (und zudem, bemessen am Schicksal der Kastraten oder Eunuchen) geschmacklos.
Nebenbei: Heutige "Countertenöre" sind keine Tenöre, denen die Hoden fehlen (im Gespräch hört man keinen Unterschied zu "männlichen" Stimmen). Sie verfügen nur über eine Gesangstechnik, die mich immer wieder zum Staunen bringt.
Gruß,
Heinz
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Alt 03.04.2022, 11:44   #3
männlich G.Neville
 
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Lieber Heinz,

da bin ich ja froh, dass mein Gedicht nur eine mittlere Katastrophe ist, hätte schlimmer kommen können.

Außerdem habe ich großes Glück gehabt angesichts der von Dir beschriebenen Praktiken die damals ihre Anwendung fanden. Denn als Kind war ich in einem Knabenchor, da aber alles immer sehr streng ablief – Zucht und Ordnung – hin und wieder mal ne Ohrfeige - der Meister zog uns z. B. immer am Haaransatz bis wir den richtigen Halbton trafen, so habe ich eines Tages bei der alljährlichen Überprüfung der Stimmen einen Stimmbruch vorgetäuscht. Hat geklappt. Ich war draußen.

Was das Gedichtlein angeht, ich holpere immer recht ungeschickt durch die Verse, das ist nichts Neues. Ich schreibe einfach aus dem Bauch wie es mir gefällt.


Hab grad mal gegoogelt wie ein Countertenor das eigentlich macht, dachte mir schon, dass er mit Kopfstimme arbeitet

Zitat:
„Als Countertenor, Kontratenor bzw. Kontertenor (lateinisch ‚Gegen-Tenor'), manchmal auch Altus (von lateinisch altus ‚hoch') wird ein männlicher Sänger bezeichnet, der mit Hilfe einer durch Brustresonanz verstärkten Kopfstimmen- bzw. Falsett-Technik in Alt- oder seltener in Sopranlage singt.“

Muss auf Dauer ganz schön anstrengend, mit dieser Technik zu singen, wenn da auf lange Sicht mal nichts kaputt geht

Gruß,
Georg

PS.: Bei den Indianern hätte ich vermutlich folgende Namen: „Holpernder Hirsch“ oder „Der der immer holpert, wenn er Gedichte dichtet“ Oder einfach: „Der ist nicht ganz dicht“

Farinelli, der Kastrat
https://www.youtube.com/watch?v=y3fzhMnGs5E
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Alt 03.04.2022, 12:24   #4
männlich Heinz
 
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Hallo Neville,
ich bin froh, dass Du meine Kritik mit Humor nimmst. Für die Aufklärung, was ein Altus oder Countertenor ist, werden viele Leser/innen dankbar sein. Ich selbst bin da vorgeschädigt: Mein bester Freund, ein Armenier, ist ein großartiger Heldentenor und durch ihn habe ich mehrere Countertenöre kennen gelernt. Der große Vorteil eines solchen Sängers ist, dass er fast in Sopranlage wesentlich mehr Atemvolumen hat als eine Sängerin. Kennst Du den Film "Farinelli"? Da hat man, um annähernd an die Stimme dieses Sängers heran zu kommen, digital mit der Stimme eines Soprans die eines Countertenors aufgehübscht.
Schönen Sonntag wünsch ich!
Heinz
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Alt 03.04.2022, 12:46   #5
männlich G.Neville
 
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Hallo Heinz,

ja ich kenne den Film, hab ja sogar unter meinen Kommentar noch einen You Tube-Schnipsel "Farinelli" drangehängt. Ich glaube Du meinst diesen Film...

Gruß,
Georg
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Alt 03.04.2022, 19:11   #6
männlich Heinz
 
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Lieber Georg,
ich bin nächste Woche bei einer guten Freundin in Berlin und habe ihr (das war vor Deinem Gedicht) versprochen, den Film als DVD mitzubringen, damit sie ihn auch kennen lernt.
Ciao!
Heinz
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Alt 04.04.2022, 19:01   #7
männlich G.Neville
 
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Hallo Heinz,

ich Stümper habe mir jetzt mal die Mühe gemacht und das "Gedicht" überarbeitet. Bilde mir ein, dass es sich um das Versmaß Trochäus handelt?
Also (betont - unbetont)


Eine Ratte biss mich in die Eier,
das geschah auf einer Weihnachtsfeier.
Bin nun nicht mehr zeugungsfähig
und auch nicht mehr aufbaufähig.

Das Eunuchendasein muss ich nun fristen,
drum sing ich jetzt für die Kapitalisten.
Ich parliere ich den höchsten Tönen,
will die Damenwelt damit verwöhnen.

Das Schicksal hat es so gewollt,
hab aber deshalb nie geschmollt.
Will mich bedanken bei der Ratte,
weil sie verschmähte meine Latte.
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Alt 04.04.2022, 20:36   #8
männlich Heinz
 
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Hallo Neville,
den Anspruch, das Gedicht in Trochäen geschrieben zu haben, kannst Du nicht aufrecht erhalten. Meine metrische "Analyse" sieht so aus:

Eine Ratte biss mich in die Eier,
XxXxXxXxXx (okay)
das geschah auf einer Weihnachtsfeier.
XxXxXxXxXx (okay)
Bin nun nicht mehr zeugungshig
XxXxXxXx (okay)
und auch nicht mehr aufbauhig.
XxXxXxXx (okay)
In der ersten Strophe hast Du Dich brav ans Versmaß gehalten.

Das Eunuchendasein muss ich nun fristen,
XxXxXxXxxXx (kleiner Ausrutscher)
drum sing ich jetzt für die Kapitalisten.
xXxXxxXxxXx (jambischer Start und zwei Ausrutscher)
Ich parliere in den höchstennen,
xxXxXxXxXx (zu Anfang ein Anapäst, ein Schreibfehler: 2 x "ich")
will die Damenwelt damit verwöhnen.
XxXxXxXxXx (okay)

Das Schicksal hat es so gewollt,
(xXxXxXxX = Jamben)
hab aber deshalb nie geschmollt.
(XxxXxXxX - ein Ausrutschen am Anfang)
Will mich bedanken bei der Ratte,
(XxxXxXxXx - ein Ausrutshcer am Anfang)
weil sie verschmähte meine Latte.
(xXxXxXxXx - Jamben)
Was tub? Am besten ist es, das Gedicht laut zu sprechen und bei den betonten Silben auf den Tisch zu klopfen.

Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 04.04.2022, 21:56   #9
männlich G.Neville
 
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Hallo Heinz,

ein großes Dankeschön für diese metrische Analyse, ich muss sagen, das hilft mir sehr. Wie auch immer, kann zukünftig eigentlich nur besser werden. Habe was gelernt und bin dabei weiter zu lernen. Fazit: Die erste Strophe ist perfekt, das freut mich.

Lieben Gruß
Georg


PS.: Und natürlich kann man das Versmaß auch nicht immer einhalten, das ist ja wie ein zu eng geschnürtes Korsett. Erstickungsgefahr! Notarzt!
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Alt 05.04.2022, 21:39   #10
männlich Heinz
 
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Mein Lieber,
Goethe hat seine "Iphigenie auf Tauris", die in Prosafassung vorlag, komplett (bis auf wenige Ausnahmen) in Jamben umgewandelt. In diesem Versmaß sind viele Dichtungen geschrieben worden (Shakespeare) imd ein Kenner der Szene, Friedrich Wilhelm Weber, hat mal formuliert:

Freiheit sei der Zweck des Zwanges,
Wie man eine Rebe bindet,
Daß sie, statt im Staub zu kriechen,
Froh sich in die Lüfte windet.

Der Zwang, ein gewähltes Versmaß einzuhalten - wobei Meister wie Heine schon mal die Form zerbrechen dürfen - ist ein gutes Disziplinierungsmittel und bringt den Poeten auch dazu, seinen Wortschatz zu erweitern.
Also:
Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp ?

Liebe Grüße,
Heinz
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eier, latte, ratte

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