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Alt 05.02.2022, 12:42   #1
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Standard Das E nde eines Sommermärchens

Katja sah auf ihre Armbanduhr. Wo Fabian nur blieb …

Sie hatte sich zu den anderen Leuten auf den Rand des Lucae-Brunnens gesetzt, die in ihrer Mittagspause die Juni-Sonne genießen wollten. Manchmal tollten Kinder im Wasser umher, aber nicht heute, denn holländische Schlachtenbummler hatten es mit Lebensmittelfarbe orange gefärbt, nachdem die Niederlande ihren zweiten Sieg eingefahren hatten. Quer über den Opernplatz waren junge Leute unterwegs, die fröhlich plauderten und dabei mit Papierfähnchen in den Farben ihres Landes wedelten.

Katja begann unruhig zu werden. Fabian war noch nie unpünktlich gewesen, und außerdem wusste er, dass sie spätestens um zwei wieder im Büro erscheinen musste. Sie sah nochmal auf ihre Armbanduhr: Noch zwanzig Minuten, und es gab so viel zu besprechen.

„Hallo, Katja.“ Sie hatte ihn nicht kommen sehen.

„Da bist du ja endlich. Ist was passiert?“

„Nein, nichts.“ Er wirkte verdruckst. Blieb stehen, statt sich zu ihr zu setzen. Sah an ihr vorbei, als suche er etwas am fernen Ende der Bockenheimer Landstraße. „Es ist nur so …“ Er stockte und vergrub die Fäuste in den Taschen seiner Jeans, als wolle er vermeiden, dass Katja ihn bei der Hand nahm und neben sich auf den Rand des Brunnens zerrte.

Sie spürte sein Unbehagen, aber statt Besorgnis stieg Ärger in ihr auf. „Jetzt sag schon, was los ist. Und schau mich gefälligst an.“

Er gehorchte, sah ihr in die dicht bewimperten, rehbraunen Augen, und dann sprudelte es aus ihm heraus wie etwas, das er dringend und schnell loswerden musste. „Ich kann das nicht. Du überforderst mich. Ich … ich bekomme bei dir keine Luft mehr.“

„Wieso? Was meinst du damit?“

„Wieso, wieso … Du nimmst mein Leben in die Hand und bestimmst, wo es langzugehen hat. Mietest eine Wohnung, bestellst Möbel, planst von morgens bis abends … Aber ich bin nicht dein Hund!“

„Aber wir waren uns doch einig.“

„Aber, aber, aber … Ich hatte mich geirrt. Was erwartest du von mir! Von einem pickeligen, hässlichen Jüngling, noch in der Ausbildung und unfähig, mit dir auf gleicher Höhe zu sein. Einer aus dem Slum, mit einer versoffenen Mutter und einem Alten, der die meiste Zeit seines Lebens im Knast verbracht hat.“

Katja war fassungslos. Am liebsten hätte sie Fabian angeschrien, was zum Teufel seine Eltern sie angingen, doch sie beherrschte sich. „Aber … ich … ich liebe dich doch.“

„Steck dir dein ‚Aber‘ an den Kragen. Ich weiß, wovon ich rede. Schau dich doch mal an. Groß, schlank, schön, blondes Haar bis zum Arsch … An jeder Ecke bekommst du einen, der besser ist als ich.“

„Aber …“

„Nix ‚aber‘. Katja. Es ist aus. Ich kann das nicht.“

„Du lässt mich sitzen? Mit der Wohnung und den Möbeln? Das kannst du doch nicht machen!“

„Doch Katja, ich kann. Es passt nicht zusammen. Irgendwann wirst du es begreifen.“ Abrupt drehte er sich um und ging zurück in Richtung Fressgasse, vorbei an einer Gruppe junger Engländer, die Bierflaschen schwenkten und sich einen Spaß daraus machten, lauthals zu grölen: „God shave the Queen …“.

Benommen, als hätte ihr jemand auf den Schädel geschlagen, ging Katja ins Büro. „Welcher Geist ist Ihnen denn erschienen?“, wollte Rückert, ihr Boss, wissen, nicht ahnend, dass seine Frage beinahe das Fass zum Überlaufen gebracht hätte und sie sich zusammennehmen musste, nicht wie ein Schlosshund loszuheulen und zu der Main-Brücke zu laufen, wo einst der „Brickegickel“ stand und der Fluss so tief ist, dass man dort die zum Tode Verurteilten ertränkte.

So sah sie also aus, die große Liebe, an die sie so fest und naiv geglaubt hatte wie kleine Kinder an den gütigen Vater im Himmel …

Allmählich wurde ihr das Ausmaß dessen klar, was Fabian ihr hinterlassen hatte. Er war ein Jahr jünger als sie, noch mitten in seiner Lehre zum Automechaniker, nachdem er sein Informatikstudium an der Goethe-Universität geschmissen hatte. Weil er noch kein „richtiges“ Geld verdiente, hatte sie die Wohnung, die im nächsten Monat frei wurde, auf ihren Namen gemietet. Dann sollten auch die Möbel nach und nach geliefert werden, die sie zusammen ausgesucht hatten. Katjas Vater hatte sich bereit erklärt, für den Mietvertrag und den Kredit bei der Bank die Bürgschaft zu übernehmen, für seine einzige Tochter eine Selbstverständlichkeit.

„Hauptsache, du bist nicht schwanger,“ konstatierte er nüchtern, als Katja sich bei ihm ausweinte. „Alles könnte schlimmer sein. Und wegen dem bisschen Geld … da mach dir mal keine Sorgen. Wer weiß, wozu es gut ist, dass der Fabian … Der fängt dauernd was an, bringst aber nichts zu Ende.“

„Aber du mochtest ihn doch auch.“

„Ja, schon … ein netter Junge,“ lenkte er ein, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Katjas Mutter stand in der Tür und schüttelte den Kopf. „Männer!“, schnaubte sie und ging in die Küche, um Kaffee zu machen.

„Wohin?“, fragten die beiden Packer, als sie die Möbel in die Wohnung wuchteten. Darüber hatte sich Katja keine Gedanken gemacht, zu sehr war sie in den vergangenen Wochen von ihrem Liebeskummer beherrscht gewesen. „Irgendwohin. Halt an die Wand.“

„Hm …,“ brummte der der Ältere der beiden, „eigentlich freuen sich die Leute darüber, wenn wir ihnen neue Möbel liefern.“

„Aber nicht Leute mit einem fünfstelligen Kredit“, schnappte Katja zurück, gab den Packern jedoch ein großzügiges Trinkgeld, für das sie sich artig bedankten. Dann nahm sie die Bohrmaschine aus ihrem Kasten, setzte einen 6-er-Bohrer drauf und trieb ein Loch in die Schlafzimmerwand, genau über der Mitte des Doppelbetts, drückte einen Dübel hinein und schraubte einen Haken drauf, um den Bruni aufzuhängen, den sie in der Galerie Hubert in Offenbach gekauft hatte.

Sie löste den Bohrer aus der Bohrmaschine, legte sie in den Kasten zurück und ließ sich auf das Doppelbett fallen. „Meins!“, schoss es ihr durch den Kopf, und plötzlich fühlte sie sich so gut wie nie zuvor in ihrem Leben.

05.02.2022
__________________

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