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Alt 09.02.2007, 22:01   #1
leflo.
 
Dabei seit: 12/2006
Beiträge: 53


Standard Vom Sandkorn Und Dem Eiskristall

Man hat kein Recht, dieses Leben so zu leben, wie man es sich, einst vor Jahren in Phasen trübster Erinnerung, in sonnigsten Farben vorgestellt hat. Nicht allein, dass ein Beharren auf diesem Recht von Außen, gar von Oben und einer Allgemeinheit explizit verboten würde, nein. Aber doch wird es einem eine Zeit lang so vor kommen. Wie lange diese dauert, ist nicht abzusehen, und es wäre wohl besser, verginge sie nie, denn mit ihrem Verschwinden ist es, wie wenn ein Eiskristall alleine in der Wüste stünde, verachtet und verstoßen von allem, was ihn umgibt, und wissend, dass das Überleben eine Illusion war, deren Schwere und Schmerz er niemals hatte wahrhaben wollen, und die nun doch so unausweichlich ihn umgibt. Was sollte er jetzt wohl mit seinem Leben anfangen? Sollte er sich verwandeln, in etwas, das ihm das Überleben vielleicht leichter macht? Er könnte zum Beispiel zu einem Sandkorn werden, hätte eine schöne Zeit ohne Ausgrenzung, ohne Feinde, inmitten Gleichgesinnter würde er wohl mit Liebe empfangen und aufgenommen werden. Aber glücklich wäre er dennoch nicht, denn er ist nunmal ein Eiskristall und kein Sandkorn, hat nebenbei auch keinerlei Ähnlichkeit mit ihm, ist ihm in Wahrheit sogar in vielem überlegen. Das vorausgesetzt, verbleibt ihm nur noch die Wahl, weiterzuziehen, und sich seine Umwelt selbst zu suchen. Jedoch ist auch hier der Plan nicht ohne die Gefahr zu fällen.
Denn der Weg durch die Wüste ist lang, und die fehlende Orientierung wird ihm nicht gerade zum Vorteil sein. Sollte er es dennoch versuchen, so hat er kaum eine Chance rechtzeitig den Rand dieses feindseligen Landes zu erreichen, und sollte er es doch schaffen – weiß er denn was ihn dort erwartet? Sicherlich ist die Wahrscheinlichkeit, dort alsbald eine viel kühlere, und für ihn überlebenswichtige Landschaft anzufinden äußerst gering, und doch ist es seine einzige Chance. Wie kann aber ein Wesen zu einem Punkt hinstreben, von dem er weder seine genaue Position kennt, noch weiß ob es ihn überhaupt jemals zu Lebzeiten wird erreichen können? Die Situation scheint vertrakt, und es stellt sich die Frage, wie er überhaupt in diese missliche Lage hineingeraten konnte? Die Antwort ist simpel, denn umso erstaunlicher: in Wahrheit ist er gar kein Eiskristall, war es nie gewesen und wird es nie sein. Die Illusion und der Wunsch, der den tiefsten Tiefen seiner Seele entsprang, so zu sein, genügten um ihn in der Wüste wider seiner erwünschten Natur überleben zu lassen. Er war ein Sandkorn wie alle anderen auch, aber sie spürten seine Besonderheit, seine Abgeschiedenheit und die Abgrenzung, die er erfuhr und doch so oft bitterlich beklagte, war allein die seiner selbst. Und es ist die Frage, wie weit die Zeit fortgeschritten war, als er dies bemerkte. Denn war sie weit und groß, so würde er genug Kraft besitzen das Land zu verlassen, von der Erkenntnis, es gar nicht mehr zu müssen noch bestärkt und nicht geschwächt. War sie aber jung und nah, so würde er wider seiner eigentlichen Natur, entgegen allen Erwartungen, nur aufgrund seiner eigenen, jugendlichen Überzeugung und Liebe zu ihr, beginnen zu schmelzen, und schließlich traurig und unter Tränen verenden...

Einsamkeit hat seine Grenzen,
im Tod und Trübsal Deiner selbst.
Zweisamkeit hingegen,
in allem Übel dieser Welt.
leflo. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.02.2007, 18:01   #2
Hose
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 66


Ich habe deine Geschichte gerade aus Langeweile gelesen und ich muss sagen, es hat sich wirklich gelohnt, die Zeit war gut investiert.
Die Geschichte klingt wie eine Erzählung im Inneren von irgendjemand, vielleicht dem Eiskristall selbst, und beim Lesen wird die Stimme in meinem Kopf, die liest, traurig und schwer.
Das Ende ist ein wenig überraschend und ich habe es noch nicht ganz verstanden glaube ich.
Ich finde die Geschichte echt gut und werde sie wohl auch des öfteren noch einmal lesen, irgendwie bewegt sie mich.

MfG,

Hose
Hose ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.02.2007, 18:26   #3
männlich Roan Eck
 
Dabei seit: 01/2007
Ort: München
Beiträge: 168


Toller text.
ich ziehe den Hut vor dir *Hut heb* und aplaudiere dir. *Aplaus*
Den Text finde ich wirlich schön. Mehr kann ich dazu nicht sagen. einfach nur *Hut heb*
gruß roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.02.2007, 10:21   #4
leflo.
 
Dabei seit: 12/2006
Beiträge: 53


Hallo Hose, Hallo Roan,

vielen Dank fürs "Hut heben" 8) freut mich sehr, dass Euch der Text gefallen hat und Euch bewegt. Die Geschichte ist trotz des recht objektiv wirkenden Erzählers schon eher aus Sicht des Eiskristalls / Sandkorns erzählt. Das Ende heisst einfach: Er (sie/es) war nie ein Eiskristall, sondern immer ein Sandkorn. Aber die immense Vorstellungskraft, die es zeit seines Lebens hatte, reicht völlig aus, um ihn am Ende so sterben zu lassen, als wäre er das, was er immer dachte.

LG, leflo.
leflo. ist offline   Mit Zitat antworten
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