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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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18.05.2011, 21:46 | #1 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Nänie
Fruchtverkündend schmücken Bäume sich mit Blütenschleiern ganz,
Aphrodite gibt den Namen, leiht dem Monat Götterglanz. Tochter links, den Sohn zur Rechten, hoch in Hoffnung, hin zum Born klaren Wassers eilt die Mutter, - düstre Wolken ziehn herauf. Fernes Grollen, fahle Blitze drängen sie zu schnellem Lauf. Ängstlich blökend flüchten Schafe vor des Himmels Zorn, Bäume biegen sich zum Boden, Regen peitscht die Kirschbaumblüten. Satans Flüche fernher gellen, übertönen Sturmes Wüten: Hekatomben schwarzer Stiere - spart sie euch, die Opferrinder! Höllenhundewerden hetzen Mann und Frau und Kinder! Bajonette schneiden fühlllos Leben aus der Mutter Leib, Kolbenhiebe löschen grausam dunkler Kinderaugen Glut: Waren nur Armenierschweine und ein Christenweib! Grause Mordlust aufgepeitschter Türkenwut - rot Fontänen sprudeln - tausendfach Armenierblut. Nichts Weißes mehr - dunkle Schatten hindern des Mondesvollen Silberglanz, Khatschkare oben in den Bergen- blutbesudelt - ganz. Tränen der Steine gerinnen zu hartem Obsidian, ein schwarzes Leichentuch bedeckt mein Hayastan. Stumme Trauer lähmt das Land, - nicht genügen vierzig Tage, Leid aus tief betrübten Augen zu verdrängen. Aprikosenhölzern weint die Duduk Wehmutsklage, ein Strom von tränen quillt aus Komitas Gesängen. Der Masis hüllt sein Haupt in dichte Wolken. Nänie - Totenklage Aphrodite - Aprilis - = April Hekatomben= 100 Opfertiere Im April fehlte 1/5 des Mondes zur volle sichtbaren Scheibe Khatschkare- Kreuzsteine in Armenien Duduk- Holzblasinstrument aus Aprikosenholz gefertigt Komitas - berühmter armenischer Komponist Ein Gedicht anlässlich des Genozids im April 1915 in Armenien durch die „Jungtürken“. Es war aufgrund meiner Bitte an die Moderation ein paar Monate heraus genommen. |
19.05.2011, 07:04 | #2 |
R.I.P.
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Noch bin ich zu betroffen, um schreiben zu können.
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19.05.2011, 07:48 | #3 |
Dabei seit: 10/2006
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Nänie
Lieber Thing,
Deine Sprachlosigkeit kann ich nachempfinden. Mir ging es auch so, als mein Freund mich zum Völkermorddenkmal in Yerevan mitnahm und mir ging es nochmal so, als ich Franz Werfels Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" gelesen habe. Leider wird dises Thema in Deutschland "niedergeschwiegen", wohl auch, weil uns ein gehöriges Maß an Mitschuld zufällt. Liebe Grüße, Heinz |
19.05.2011, 10:40 | #4 |
R.I.P.
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Es wird nicht nur niedergeschwiegen, es wird totgeschwiegen.
Und in diesem Falle schäme ich mich wirklich, dazuzugehören - wenn auch als sog. Nachgeborener. Es wollte wirklich mal deutlich werden, an wie vielen Genoziden wir Deutsche beteiligt waren. Bis heute sind die Zigeuner ebenso wie die Armenier oder (in jüngerer Zeit) die Kurden keine Zeile wert. Kein Aufschrei ging durchs Land. Daher mag es rühren, daß ich strikt gegen eine Türkei in der EU bin, gerade jetzt unter Erdogan, der Unrecht nicht bekennen will. Ich bin subjektiv, ich weiß es. Meine Wangen brennen vor Scham. Zum Gedicht "per se" später. Thing |
19.05.2011, 11:16 | #5 |
Dabei seit: 10/2006
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Nänie
Lieber Thing,
ich bin mit jedem Wort einverstanden. Eine Information am Rand: Im Berlin des damaligen Deutschen Reiches, in das sich ein Hauptverantwortlicher (der in der Türkei verurteilt worden war), nach meiner Erinnerung hieß er Talat ... - ich müsste noch einmal recherchieren -, wurde dieser Talat von einem armenischen Studenten auf offener Straße erschossen. Und - ich habe mich auch gewundert - dieser Student wurde frei gesprochen. Das Totschweigen, ja, da gibt es seltsame Begebenheiten: Dass Armenien als einer der ersten ehemaligen Sowjetstaaten wertvolle "Kriegsbeute" an Deutschland vor Jahren zurück gegeben hat, habe ich in einem Miniartikel einer Zeitung gelesen. Dass der damalige Papst mit einer Delegation zur 1700-Jahr-Feier der Christlich Apostolischen Kirche (seit 301 n.Chr. ist das Chrsitentum in Armenien Staatsreligion und damit ist die armenische Kirche die "älteste Schwester" innerhalb der chsistlichen Religionen (wie ich von mehreren hohen Kirchenvertretern bei der 1700-Jahr-Feier im Berliner Dom vernahm) in Yerevan weilte - auch nur eine Mini-Randnotiz in unseren Zeitungen. Dass Deutschland sich immer noch nicht dazu durchgerungen hat (wie viele andere Staaten es vorexerziert haben), den Genozid durch die Jungtürken öffentlich als Genozid zu bezeichnen, - dafür schäme ich mich immer aufs Neue. Du merkst - mein Herz schlägt für Hayastani. Liebe Grüße (und "gedse Hayastan"), Heinz |
23.05.2011, 12:13 | #6 |
gesperrt
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Also, obwohl ich nur Realschul-Abschluß habe, wurde in der 10. Klasse bei uns der Genozid an den Armeniern ausführlich durchgenommen. Und dass diese Jungtürken-Schweine heute noch in der Türkei verherrlicht werden, ist ein Skandal und ich lehne ebenso wie Thing einen EG-Beitritt der Türken ab. Unsere türkischen Bekannten kommen aus Kars, das ist an der Grenze zu Armenien, und die wissen ganz genau, was gelaufen ist. Die schämen sich echt für ihr Land, dürfen es aber leider nicht öffentlich kundtun. Dass der Talat, dieses Oberschwein, damals in Berlin umgelegt wurde, ist die einzige schöne Tatsache, zumal der Armenier, der ihn erschoß, auch noch freigesprochen wurde.
LG Babsi |
23.05.2011, 13:46 | #7 |
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Nänie
Liebe Babsi,
was heißt "nur" Realschulabschluss? Dass Du zwischen Türken und Türken differenzierst, freut mich sehr. Ein Türke, Vorsitzender des Vereins wider den Völkermord, hat anlässlich einer Gedenkveranstaltung zur 1700-Jahr-Feier des Bestands der Armenisch-Apostolischen Kirche in Dillingen an der Saar (ich war der "Conferencier" der Veranstaltung wahre und warmherzige Worte an die armenischen Gäste gerichtet. (Die Morddrohungen, die er alle naselang bekommt, zählt er schon gar nicht mehr). Ich stelle mir vor, Deutschland würde den Holocaust an den Juden leugnen, die wahre Bericherstattung unter Strafe stellen - wir wären nie wieder in die Völkerfamilie oder die EG aufgenommen worden. Der Genozid an 1,5 Mill. Armeniern ist eine historische, belegbare Tatsache, die Mitschuld des Deutschen Reiches (durch Schweigen und Nichtstun) unleugbar. Ein Kapitel, das der Aufarbeitung bedarf. Vorher, ganz klare Stellungnahme: Keine Aufnahme der Türkei in die EU. (Was den Schulunterricht angeht: Es liefen von der Türkei gestützte Bestrebungen in Brandenburg, den Völkermord an den Armeniern aus den Schulbüchern herauszunehmen. Ich müsste mal nachfragen, was da inzwischen draus geworden ist.) Vielen Dank für Deinen temperamentvollen Kommentar. Liebe Grüße, Heinz |
23.05.2011, 14:05 | #8 |
R.I.P.
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Halli Hallo, Heinz -
da bist Du aber sehr auf dem Holzweg, wenn Du glaubst, daß bei uns der Holocaust n i c h t geleugnet wird. Von den Leugnern gibt es Nester und Schwärme. Und in der Politik hat sich doch das noch unterschwellige "Jetzt laßts aber mal genug sein!" durchaus etabliert. Was mir bei jedem Genozid (egal wo, egal an wem, egal durch wen) immer so grausig bitter aufstößt: Der Mangel an Rechtsbewußtsein. Der Mangel an Schuldbekenntnis. Der Mangel an zumindest versuchter Wiedergutmachung. Die krampfhafte Bemühung, die Opfer als Täter hinzustellen. Und Vieles mehr. Thing |
23.05.2011, 14:48 | #9 |
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Nänie
Lieber Thing,
ich habe ziemlich leidenschaftslos geschrieben: "Ich stelle mir vor, Deutschland würde den Holocaust an den Juden leugnen, die wahre Bericherstattung unter Strafe stellen...". Dass es ewig Gestrige gibt (ich darf Dich in diesem Zusammenhang bitten, noch einmal Dein geschätztes Auge auf "Kraft durch Freud" und das Haiku zu werfen), ist mir doch völlig klar. Aber der Staat Deutschland leugnet den Holocaust nicht und so viel ich weiß, steht die Leugnung des Holocausts unter Strafe. Und da ist doch ein sehr signifikanter Unterschied zu der Handhabung der Türken, die den Genozid als Staat leugnen und dessen Aufarbeitung verhindern. Und es ist der Staat, der die Berichterstattung unter Strafe stellt. Ich denke, wir beide sind uns in der Sache sehr einig. Liebe Grüße, Heinz |
23.05.2011, 15:35 | #10 |
R.I.P.
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Aber ja!
Dagegen sind "die Deutschen" vorbildlich. Aber auch hier wird das entsprechende Gesetzeswerk zu oft lasch angewendet. Ich will keine üble Nachrede führen, aber der Humus i s t da. Zu Armenien kommen Gefühle auf: Trauer, Wut, Scham, Mitleid, nieendendes Mitleid. Wie zur Shoah auch. Thing |
23.05.2011, 16:36 | #11 |
Ein beeindruckendes Gedicht, lieber Heinz. Ein Gemälde des Grauens.
LG gummibaum |
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23.05.2011, 17:30 | #12 |
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Nänie
Lieber Gummibaum,
danke für Deinen lobenden Kommentar. Liebe Grüße, Heinz |
23.05.2011, 17:36 | #13 | |
abgemeldet
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Worin besteht die deutsche Mitschuld am Genozid an den Armeniern? Haben wir wieder die Waffen geliefert?
Ich hab's. Zitat:
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23.05.2011, 17:43 | #14 |
R.I.P.
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Wir waren damals mit der Türkei verbündet.
Es galten die Schienen Wikipedia darf man einstellen: http://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6..._den_Armeniern |
23.05.2011, 17:47 | #15 |
abgemeldet
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Da habe ich mir gerade das Zitat von Bethmann-Hollweg geholt. Mit WK1 kenne ich mich einigermaßen aus. Daß es deutsche logistische, technische und militärische Unterstützung gab, war mir in diesem Umfang allerdings nicht bewußt.
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23.05.2011, 18:01 | #16 |
R.I.P.
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Du bist auch jünger als ich.
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23.05.2011, 18:04 | #17 |
abgemeldet
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Im ersten Weltkrieg warst Du auch noch nicht dabei.
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23.05.2011, 18:05 | #18 |
R.I.P.
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Nein. Natürlich nicht.
Aber ich habe mir etliches Geschichtswissen angeeignet. |
23.05.2011, 18:08 | #19 |
abgemeldet
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Ich mir auch. Man lernt aber nie aus.
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23.05.2011, 20:02 | #20 |
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Nänie
Lieber Thing,
lieber Schamansky, Ihr habt ja beide recht. In den Archiven des deutschen Außenministeriums lagern noch so etliche Beweise. Ralph Giordano hat vor Jahren einen Fernsehfilm gedreht, ich glaube unter dem Titel "Wer spricht heute noch über die Armenier". Der damalige Intendant hat trotz des erheblichen Widerstands von türkischer Seite den Film zeigen lassen (ich glaube, es war Nowotny oder so), dadurch ist er nicht nur in meiner Achtung gestiegen. Die Armenier haben einen großen Nachteil: Sie haben kein Öl, bis auf ein seltenes Metall kaum Bodenschätze - und was zählt schon eine Jahrtausende alte Kultur? Einerseits freue ich mich ja, dass meine Nänie den Anstoß für solche Diskussionen, Informationen uns Statements gibt - aber vom gedciht selbst haben wir uns ganz schön entfernt. Dennoch: Danke für Eure Beiträge! Liebe Grüße, Heinz |
23.05.2011, 20:14 | #21 |
R.I.P.
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Dann laß mich, mein Lieber, noch etwas warten, bevor ich mich auf die schmerzende, herzzerreißende Schönheit des Gedichts beschränken kann - was wohl nicht möglich sein wird (Beschränkung).
Thing |
24.05.2011, 19:46 | #22 |
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NÄNIE
Lieber Thing,
dass ich gerade bei diesem Gedicht auf eine Betrachtung (was gäbe es zu interpretieren?) warte, kannst Du Dir sicher vorstellen. Du weißt, dass man als Autor manchmal betriebsblind ist und glaubt, das im Gedicht "transportiert" zu haben, was man vermitteln möchte. Deswegen ist mir sehr -auch - an Deiner Besprechung gelegen. Liebe Grüße, Heinz |