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Alt 15.05.2008, 13:38   #1
fnalk
 
Dabei seit: 04/2008
Beiträge: 4


Standard Die Fürsten, das All.

DIE FÜRSTEN, DAS ALL.

Der Mann mit dem schattigen Mantel ging schaukelnd auf dem Bürgersteig und ein Haus, welches ihm entgegenkam, starrte ihn so seltsam an, dass er einfach ignorierte, dass er doch eigentlich zur Tankstelle wollte und ging durch die Porte.
Der kleine Vorgarten war mit gelbem Gras und aus den Beeten gewachsenen Blumen bestückt und hässlich anzusehn. Und die Fassade des ebenso hässlichen Betonhauses war ein wenig verwahrlost, aber man hätte meinen können, es lebten noch Menschen dort.
Und der Mann wusste noch nicht genau warum er überhaupt klingelte, da klingelte er schon, aber niemand öffnete in dem Haus aus Beton. Aber das war auch gar nicht nötig weil der Mann in seinem schattigen Mantel bemerkte, dass die Tür einen Spalt weit offen war. Und er war neugierig, wie man halt so neugierig ist, wenn man etwas nicht kennt, aber leicht kennenlernen könnte, und ging also hinein und durch und über den staubigen Teppich und vorbei an schäbbigen Tapeten in einen Raum der mit einer großen bis zum Fußboden reichenden Fensterfront an eine recht bescheidene Terrasse angrenzte, die ihre schiefen und moosbewachsenen Steine in der untergehenden Sonne nicht leuchten sondern einfach stinken ließ, wie der Mann feststellte, als er nach draußen schritt. Und dann setzte der Mann sich auf einen Stuhl und warf erstmal seine Seele ab und schlief irgendwann ein. Und wachte auf und es war schon wieder Tag, aber diesmal ein anderer. Und dann war er nicht mal peinlich berührt wegen des Sitzens auf Terassen von Menschen die er so nicht kannte, die aber auch nicht dort waren, sondern fand sich ein bisschen befallen von Kindertagserinnerungen, als ihm vieles noch egal war, und rüttete und rüttete an Denkmälern einer Zeit als kleiner Racker und sponn ein bisschen, aber viel kam ihm eigentlich doch nicht in den Sinn und er blieb ja immer noch sitzen und irgendwann war wieder Abend und er schlief wieder ein.
Und dann wachte er auf und er war nicht von sich selbst entsetzt, weil er Frau und Kind zu Hause sitzen gelassen hatte und immer noch ließ sondern fühlte sich geflutet von Unabhängigkeit gar zurückversetzt in einige unbestimmte Jugendmomente. Mit Fischfrikadellen und seiner ersten Freundin, dessen Namen er nicht mal mehr kannte. Aber mehr fiel ihm dazu auch nicht ein. Nur die Fischfrikadellen waren noch sehr klar, deutlich und in ihrer Dominanz äußerst abstoßend aber nicht zu vertreiben. Und Jammer um seine gute Mutter war dort noch. Ein Lastwagen hatte sie damals erfasst und tödlich verletzt, aber warum kam das gerade nun wieder hoch?
Das war zumindest die Jugend von dem Mann und da es wieder Abend wurde, hatte der Mann aber schrecklich Durst und trank erstmal den ganzen Kühlschrank leer. Er hatte bei all den Sachen, die ihn unverblümt zurückverspülten ja ganz vergessen zu essen und zu trinken. essen. und trinken. trinken. essen.
Also tat er das, aber ging nicht heim und schlief diesmal auf der Couch. er hatte sich nun dauerhaft hineingetraut und beim Erwachen am dritten Tag im Haus aus Beton war er schon fast heimisch, wie er dachte, und plötzlich kam ihm in den Sinn, dass er Sachen spürte, die er auch gespürt hatte, als er vor einer Pseudo-Ewigkeit einzog in das andere Haus, dessen Nummer er vergaß, an irgendeiner Straße, deren Name er verdrängte mit seiner Frau und dem Kind im Mutterleib. Es war das Gefühl von Passivität und Alltagsgehabe, das ihn und seinen Kopf damals wie nun der Ohnmacht verdächtig nahe kommen ließ und er atmete erstmal durch. Und dann nochmal. Als wollte er sich eines Zustandes erwehren dessen Opfer er zu sein vorgab.
Und auf einmal klingelte es an der Tür und der Mann schritt kaum erholt eben dort hin und öffnete den Nachbarn, die sich nur vorstellen wollten, und sagten dass man ja ruhig fragen könne, wenn man ein wenig Salz oder ähnliches benötige. Dafür seien Nachbarn ja da. Das dachte auch der Mann hastig und schloß die Tür und ließ sich mit dem Rücken an ihr heruntergleiten und setzte sich zitternd auf den Fußboden. Er war nicht im Stande sich oder das Haus zu Begreifen und des Fassens von klaren Gedanken zeitweise nicht mächtig, besann er sich denn auch erstmal ein Glas Wasser aus der Küche zu holen und erfreute sich sogleich schon wieder eines besseren Gemütszustandes und eine der wenigen Sachen die ihm dann einfielen, waren Heizung andrehen, der Kälte wegen, und eine Maus fangen, weil er nämlich eine Huschen sah.
Und etwa so wurde der Mann mit dem Mantel im Haus mit den Wänden aus Beton der neue Mann mit dem Mantel im Haus mit den Wänden aus Beton und mit der Zeit kümmerte er sich sogar ein wenig um den Vorgartenrasen und fällte ebenso einen Baum, der auf der Terasse mit seinen Wurzeln schon ein paar Steinplatten hievte und überdies sehr krumpelig war. Auch richtete er ein zunächst provisorisches Fotolabor im ausgebauten Dachstuhl ein und fotografierte gelegentlich in seiner Freizeit, entwickelte dort oben dann und verbrachte eigentlich recht viel Zeit unter dem bernsteinfarbenen Licht seiner Dunkelkammer, aber das war lediglich uneingeschränkt zutreffend bis er einst dann auf der Suche nach neuen photographisch verwertbaren Motiven im städtischen Park mit einem fremden Mann über Sinn und Unsinn von Brotkrumen für Enten zu debattieren begann, aber abseits dieser Banalität eine erregende Faszination dem Fremden gegenüber verspürte. Eine gewisse erotische Anziehung, die den Mann und den fremden Mann, schon genüsslich das nächste Zusammentreffen ersehnend, am späten Abend nur leidlich auseinandergehen ließ, führte im Folgenden zu einer zunächst heimlichen aber um so mehr lustvollen Liebelei, die letzten Endes, den gesellschaftlichen Umständen zum Trotz in einem gemeinsamen Ehebett mündete. Ehebett weil sie halt geheiratet hatten. Gemeinsam weil Johann und Gideon nun beide im Haus mit dem Beton wohnten, welches wiederum mittlerweile mehrheitlich das geranienbewachsene Haus geworden war, in einer Straße, in welcher der Mann mit dem Mantel und der andere Mann und Johann und Gideon eigentlich sehr glücklich waren.
Und so vergingen Tage und Jahre bis es irgendwann mal wieder Spätsommer war, aber ein schöner, und Johann ein Grillfeuer zu entfachen gedachte um seinen von der Arbeit sicherlich geschlauchten und vermutlich bald herannahenden Ehemann Gideon fürstlich zu empfangen, aber unter Ermangelung von Grillkohle beschloss, schnell noch zur Tankstelle zu eilen. Und der Mann mit dem schattigen Mantel ging also schaukelnd auf dem Bürgersteig und ein Haus, welches ihm entgegenkam, starrte ihn so seltsam an.
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