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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 29.07.2010, 22:24   #1
männlich Bullet
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Dabei seit: 07/2009
Beiträge: 499

Standard vaterscham

DASS mein Vater MIR
manchmal peinlich war-ist
ein mittelmäßiger Gedanke ein Allerweltsgefühl
eine Durchschnittsmittelschichtneurose

MEIN Vater IST
ein herzensguter Mann-mit
zu viel Angst zu vielen Bedenken
mit einem nervösen Magen

ICH habe von ihm das VERLANGEN
nach Respekt geerbt-den wohl er,
mit Gewissheit aber ich nur selten
erhält weil man mir immer nur ein halbes Ohr leiht

Ich sitze mit Menschen an einem Tisch
stehe mit Leuten in einem Raum zusammen
und während ich erzähle und rede
stehen sie auf und gehen weg

Einer Nach Dem Anderen

dann steh oder sitze ich allein
ich-mein-vater redet an mir vorbei
zu den verschwundenen Leuten
und packt mich am Arm

um mich da zu behalten

aber ich höre ihm nicht gerne zu
weil er mir dann peinlich ist
und ich am liebsten weglaufen würde
wenn ich dann nicht so wäre wie die anderen Leute

ABER im Grund, im SIMPELSTEN
im Rückblick der Jahre ist er wohl
der beste und liebevollste Vater
den man sich wünschen kann
Bullet ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.08.2010, 14:56   #2
männlich Rehti
 
Dabei seit: 07/2010
Alter: 30
Beiträge: 324

Hallo Bullet,

ich wage mich jetzt auch mal ans Kommentieren und hab' mir nach einiger Bedenkzeit diesen Text von dir rausgegriffen, der mir schon beim ersten Lesen ins Auge stach.

Grundsätzlich gefällt mir der Versuch, ein Thema organisch wachsen zu lassen, also, ähm, ich meine, es zu spiegeln und seine Spuren aufzuzeigen.

Der Eingang gefällt mir besonders:

Zitat:
DASS mein Vater MIR
manchmal peinlich war-ist
ein mittelmäßiger Gedanke
Das finde ich gut. Ich würde hier stoppen, weil dieses hier

Zitat:
ein Allerweltsgefühl
eine Durchschnittsmittelschichtneurose
mir zu viel ist an Bewertung. Das erscheint mir leicht überflüssig, wirkt auf mich irgendwie nachgereicht. (Ich weiß, dass damit die Struktur der Vierzeiler aufgebrochen wäre, aber die sind ja, soweit ich das sehe, ohnehin ohne einheitliche Struktur, ließen sich also verändern).

Naja, weiter:

Zitat:
MEIN Vater IST
ein herzensguter Mann-mit
zu viel Angst zu vielen Bedenken
mit einem nervösen Magen
Hier mache ich einfach mal einen Vorschlag: Wie ware es mit "mit / zu viel Angst über / einem nervösen Magen" ?

"Zu viel Angst und zu viele Bedenken" empfinde ich einfach als zuviel.


Weiter:

Zitat:
ICH habe von ihm das VERLANGEN
nach Respekt geerbt-den wohl er,
mit Gewissheit aber ich nur selten
erhält weil man mir immer nur ein halbes Ohr
Das Komma würde ich streichen, weil du sonst ja auch auf Interpunktion verzichtest (- die Gedankenstriche nehme ich mal heraus, da sie ja etwas Spezielles kennzeichnen sollen).
Das Problem des Verbs "erhalten" würde ich an deiner Stelle irgenwie lösen (ich meine das Problem: ich erhalte vs. er erhält), ohne dass ich jetzt in den Text eingreifen möchte.


Den Einschub stelle ich erstmal zurück, davor das:



Zitat:
ABER im Grund, im SIMPELSTEN
im Rückblick der Jahre ist er wohl
der beste und liebevollste Vater
den man sich wünschen kann
Das ist mir ein bisschen zu simpel, also im Grunde, im Simpelsten , hat mich etwas enttäuscht. Das wirkt irgendwie so wie eine Gedenktafel. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ist mir zu einfach gestrickt.


zum Abschluss aber das, was mir außerordentlich gefällt:

Zitat:
Ich sitze mit Menschen an einem Tisch
stehe mit Leuten in einem Raum zusammen
und während ich erzähle und rede
stehen sie auf und gehen weg

Einer Nach Dem Anderen

dann steh oder sitze ich allein
ich-mein-vater redet an mir vorbei
zu den verschwundenen Leuten
und packt mich am Arm

um mich da zu behalten

aber ich höre ihm nicht gerne zu
weil er mir dann peinlich ist
und ich am liebsten weglaufen würde
wenn ich dann nicht so wäre wie die anderen Leute
Diesen Einschub, dieses Erinnern an eine Situation, in der sich gleichzeitig ein Verhlatensmuster der Protagonisten herauskristallisiert, hereingestellt in vom lyr. Ich gefasste Feststellungen bzw. (besser) Überlegungen, meinte ich, als ich von einem organischen Aufbau sprach.
Meiner Ansicht nach gelingt es dir hier, mit sehr einfachen Worten sehr melodisch Bilder zu entwerfen. Besonders die erste Strophe finde ich ganz toll.
Ich würde lediglich die letzte Zeile des Einschubs umformulieren. Die ist mir zu lang. Vorschlag: "wäre ich dann kein Verschwundener".


Soviel erstmal.

Noch was: Den Sinn der Kennzeichnungen konnte ich über die optische Anordnung hinaus nicht entdecken.

Grüße
Rehti
Rehti ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.08.2010, 22:50   #3
männlich Bullet
abgemeldet
 
Dabei seit: 07/2009
Beiträge: 499

Lieber Rehti,

erstmal vielen, vielen Dank für deine ausführliche Kritik, die ich größtenteils Kommentarlos übernehme und annehme. Ich denke der Test war ein bischen zur sehr mit heisser Nadel gestrickt.

Zitat:
Zitat von Rehti Beitrag anzeigen

Das ist mir ein bisschen zu simpel, also im Grunde, im Simpelsten , hat mich etwas enttäuscht. Das wirkt irgendwie so wie eine Gedenktafel. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ist mir zu einfach gestrickt.

Was das anbelangt, hast du ins schwarze getroffen. Es sollte schon so etwas wie eine Gedenktafel sein, ein Loblied, aber ohne den Vater auf ein allzuhohes Denkmal zu hiefen. Soetwas wie ein Dankeschöne ohne den peinlichen Pathos.

Gruß
Bullet
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