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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 20.09.2012, 00:10   #1
Zitrönchen
 
Dabei seit: 09/2012
Alter: 38
Beiträge: 4

Standard Annemie I

Annemie I

Psst, schau mal, das ist Annemie,
die sich so gern versteckt
meist weiß Sie selbst nicht wann und wie
Sie was denn so erschreckt.

Sie fühlt sich schwach, in allzu vielen Dingen
fehlt es an festem Willen ihr, für ihr Wohl drum zu ringen.
Der Andere muss glücklich sein – ein weiteres Gebot,
und bringt beständig Sie in selbstauferlegte Not.
Alleine sein, das macht ihr Angst, Ablenkung sucht Sie wo Sie kann,
sich selbst ist Sie sonst ausgeliefert und nimmt sich knallhart ran.

Sie lebt so hart im Kampf mit sich, ihr Anspruch an Sie überfordert .
Sich selbst gerecht, wird Sie dabei wohl nie
– es ist ihr eisernes Gesetzt, dem Sie sich unterordnet –
so ist Sie, diese Annemie.

Doch dann aus heitrem Himmel wolkig zieht es über Sie
– und zwingt sie in die Knie –
Denn dieser unheimliche Sog kehrt schlingernd immer wieder,
zerrt alle ihre Glieder
und lässt sie nicht vergessen:
Ich will, ich muss allein nach Haus – und essen.

Einkaufen ist ein grausig Ritual,
der Überfluss Sie schier erschlägt,
denn mit der Wahl kommt auch die Qual,
lärmend ihr Hirn getrieben ständig frägt:
Was gibt es hier als Light-Produkt, wo sind die meisten Kalorien drin,
ist Zucker besser oder Fett, damit ich dünner bin?
Der einzig fassbare Gedanke, um den die Gier so unerbittlich fleht,
ist Essenessenessen, um das sich alles dreht.


Für Annemie ist das ein schlimmes Päckchen
Sie weiß genau, Sie kommt nicht davon los,
(der Drang eben noch flüsternd klein, wird schreiend riesengroß)
und sucht sich ein verstecktes Eckchen (Versteckchen).

Den Tag hindurch kasteit sie sich, benebelt wie im Traum,
es scheint sie is(s)t garnicht, nur kaum.

Doch fällt ins Schloss die Wohnungstür, dann ist kein Halten mehr,
die Sicherung ist durchgebrannt, bleibt keine Gegenwehr.
Sie stopft und drückt und schlingt und frisst,
bis randvoll überquollen Sie zum Überlaufen ist.

So voll aufs Äußerste gestopft, gelähmt, der Körper triumphiert,
erwacht allmahnend das Gewissen, das lauthals rebelliert:
Mit Strafen darf man nicht zu lange warten – der Finger kennt ja schon sein Ziel,
er steckt jetzt richtig tief im Hals, das ist die Regel in dem Spiel.
Annemie, dein Körper krümmt und schüttelt sich
Brocken für Brocken schwappt ins Klo,
die Tränen strömen über dein Gesicht.
Ja Annemie, du willst es so.

Keiner sieht hin, keiner hört her, keiner will es wissen.
Wie sollten sie denn auch, man soll Sie nicht vermissen.

Doch mit der Stille steigt Verzweiflung ob der Grausamkeit der Tat,
die Tränen hörn nicht auf,
der Körper verweichlicht schwach voll Rundungen, hat wieder mal versagt.
Zu viel Gewicht die Teufelswaage prophezeit,
Sie weiß es ohne hin zu sehen – es ist entschieden viel zu weit.

Der Schmerz verlangt Betäubung, ein dämpfendes Ventil
sich als normalen Mensch zu akzeptieren – das ist für Sie zu viel.

Ein Ritz, ein Schnitt, erlöst, durchtrennt und macht Sie frei,
- der Wut zollt sie Tribut –
Das Gummiband in ihr zerreißt, die Spannung bricht in tausend Scherbensplitter,
Und der Verstand taucht aus dem Nebelschwadenbrei
auf in ein erlösendes Gewitter.

So zieht der Teufelskreis beständig klebrig seinen Lauf.
Die Sucht kennt kaum entrinnen
Wann wird das Mädchen sich besinnen –
Oder gibt sich geschlagen auf?
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