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Alt 27.04.2016, 19:23   #1
männlich Ariochata
 
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Standard Hauptbahnhof Teil 1: Milchschnitte

Als ich in dieser Nacht die Treppen zur Bahn herunterging, um mich erstmal zum längeren Warten niederzulassen, bemerkte ich, dass dort noch eine weitere Person zugegen war. Schnell konnte ich die Gefahrenlage einschätzen und hatte die Person als möglicherweise-nervig-werden-könnend-aber-hauptsächlich-verwirrd-und-drogen-oder-alkoholabhängig abgestempelt. So setzte ich mich also auf eine dieser Bänke, auf denen man das Gleis hinter sich hat, so dass ich den Kerl beobachten konnte. Sicherlich gierte es mir auch nach Unterhaltung in dieser langweiligen Dienstagnacht, nur lässt mich der Gedanke nicht los, dass ich ihn in erster Linie in der Hoffnung beobachtete mich besser zu fühlen als er. Um mich vielleicht überhaupt besser zu fühlen. Wahrscheinlich ging es im – auch wenn er grade im Müll wühlte – wesentlich besser als mir. Immerhin lächelte er. Vielleicht Drogen.
Nach ein paar Minuten fing er an sich lautstark zu freuen. Ich sah mich um, ob vielleicht doch noch andere Leute an der U-Bahn Station waren, die seine plötzliche Euphorie und Rededrang auffangen könnten, doch es war niemand da. Wir beide hatten die gesamte U-Bahn-Station des Hauptbahnhofs für uns alleine. Nicht einmal die Rolltreppe war eingeschaltet. Scheiße. Da hatte ich keinen Bock drauf.

Er rief dann freudig und mit breitem Grinsen in meine Richtung, dass er es kaum glauben könne was die Leute alles wegwerfen, und dass ich mal rüberkommen solle. Nach kurzer Überlegung entschloss ich mich drauf zu scheißen und mal zu gucken was er da zu zeigen hat: Einen vollen Zehnerpack „Milchschnitte“. Noch nicht einmal abgelaufen oder beschädigt. Hat bestimmt ein verwöhnter Bahnbediensteter in den Müll geworfen, nachdem jemand noch verwöhnteres die Packung auf der Bank vergessen hatte.
Der Typ meinte auf jeden Fall „ Geil ey, die Leute sind so doof schmeißen alles weg. Ich hol mir hier mein ganzes Abendbrot aus den Mülleimern. Willste was ab ham?“ So riss er daraufhin mit seinen dreckigen Fingern den Karton auf und bot mir die Milchschnitte, wie Andere wieder Anderen Zigaretten, an. Ich muss zugeben, dass ich einen kurzen Moment überlegt hatte, ob die Milchschnitte nicht doch durch ihn mit lebensgefährlichen Keimen, Viren oder Bazillen kontaminiert sein könnte. Ich hatte noch nicht genügend Erfahrungen mit Bahnhofsmülleimern machen können, hatte bisher aber nur ausgesprochen Schlechtes gehört. Meine Zweifel waren also auch ein bisschen angebracht. Allerding hätte ich, selbst wenn ich die Speisen als kontaminiert eingestuft hätte, wohl kaum die Möglichkeit gehabt noch einen Rückzieher zu machen.

Da standen wir nun. Mittwochmorgen um 02:34 und aßen Milchschnitte. Als die Bahn kam, hatten ich und der unbekannte Müllsucher bereits jeweils vier Stück verputzt, Sättigung setzte ein. Ich stieg in die Bahn, und der Typ zog ohne Worte, aber Kurz winkend mit den Übrigen zwei Milchschnitten von Dannen.
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bahnhof, milchschnitte, nacht



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