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Alt 10.05.2020, 16:35   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Elenas Leben

Vor fünf Jahren hatte Elena den 20 Jahre älteren Gerhard geheiratet. Viele ihrer Verwandten und Bekannten hatten sich gewundert. "Einen so viel älteren Mann willst du heiraten?" Elena war damals 23 Jahre alt. Auch ihre Eltern waren nicht begeistert, fanden sich aber relativ schnell damit ab.
"Wenn du ihn liebst, soll es mir recht sein", sagte ihre Mutter.
"Wenn er dich liebt, soll es mir recht sein", sagte ihr Vater.
Dazu kam, dass sie kaum etwas gegen Gerhard einwenden konnten. Er war charmant und höflich, erinnerte Elena sogar an den Muttertag, den sie selbst so oft vergaß, lud ihre Eltern zum Essen ein und brachte Elenas Mutter Blumen mit. Schließlich waren sie von Gerhard regelrecht eingenommen.
Elena war glücklich. Wenn eine ihrer Freundinnen eine dumme Bemerkung machte à la: "Bringt es denn dein Mann beim Sex genauso wie ein junger Kerl?" lächelte Elena nur. "Ein junger Kerl könnte da gar nicht mithalten. Ein älterer hat doch viel mehr Erfahrung."
Elena war als Jungfrau in die Ehe gegangen und hatte keine Vergleichsmöglichkeiten kennengelernt. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, je besseren Sex zu haben als mit ihrem Mann.

Zwei Jahre nach der Hochzeit kam Oliver zur Welt und vier Jahre später Emmeline. Das Glück war perfekt und Elenas sowie Gerhards Eltern glückliche Großeltern. Als Oliver 17 und Emmeline 15 Jahre alt waren, starb Gerhards Vater im Alter von 84 Jahren. Er hatte seinen einzigen Sohn in jungen Jahren bekommen. Gerhards Mutter blieb mit 83 Jahren in ihrer Mietwohnung allein zurück.
"Du kannst zu uns ziehen", bot Gerhard ihr an. Seine Mutter sagte mit Freuden zu und übersiedelte schon im nächsten Monat. Die Kinder freuten sich und Elena störte die Schwiegermutter im Hause nicht.
Gerhard war mittlerweile 62 Jahre alt, seine Haare waren längst grau geworden und er war nicht mehr so schlank wie früher. Auch Sex fand zunächst nur noch sporadisch statt und dann monatelang gar nicht mehr. Elena war enttäuscht, zeigte es ihm aber nicht und hoffte, dass dies nur eine vorübergehende Unlust seinerseits sei.
Alarmiert war sie aber, als ihr andere Dinge auffielen: Gerhard verlegte immer öfter Auto- und Wohnungsschlüssel, vergaß Verabredungen und fragte einmal sogar seine Mutter, wie sie heiße und was sie in seinem Haus machen würde. Auch wurde er, der immer sanftmütig gewesen war, streitsüchtig und schimpfte mit ihr, den Kindern und seiner Mutter. Er stand mitten in der Nacht auf und wanderte in der Wohnung herum. Einmal verließ er sie sogar und tauchte erst am nächsten Morgen wieder auf. Wo er gewesen war und warum, sagte er nicht.
Schließlich war es nicht mehr zu übersehen: Gerhard litt an Demenz. Als er 65 Jahre alt war, ließ sich das Unvermeidliche nicht länger aufschieben. Elena brachte ihn ins Altenheim.
"Wie kannst du ihm das antun!" sagte seine 86-jährige Mutter, die sich mit ihren 86 Jahren einer guten körperlichen und geistigen Gesundheit erfreute.
"Wie kannst du ihm das antun!" sagten ihre eigenen Eltern.
"Warum kann Papa nicht bei uns bleiben?" fragten Oliver und Emmeline. Elena bemühte sich, es ihren Kindern zu erklären. Zu den Vorwürfen ihrer Schwiegermutter und ihrer Eltern sagte sie nichts.

Ein Jahr verging. Elena besuchte Gerhard einige Male in der Woche. Ab und zu durfte sie ihn auch zum Spazierengehen mitnehmen und freute sich, dass er noch gut laufen konnte. Auf einem dieser kurzen Ausflüge lernte sie Matthias kennen, der seinen Vater - ebenfalls ein Bewohner des Altenheims - im Rollstuhl schob. Anfangs nickten sie sich nur kurz zu. Dann sprach Matthias sie an. "NIcht schön, wenn man seinen Vater im Altenheim hat", sagte er zu ihr.
"Nein, das ist es nicht", stimmte Elena ihm zu. "Wielange ist Ihr Vater denn schon hier?"
"Ein halbes Jahr. Und Ihrer?"
"Das ist nicht mein Vater, das ist mein Mann", erklärte Elena und Matthias schwieg betroffen.
"Entschuldigen Sie bitte", nahm er das Gespräch wieder auf, "das wusste ich nicht."
"Natürlich nicht, woher denn." Elena lächelte ihn an.
"Ich bin Matthias. Matthias Montag." Er hielt ihr die Hand hin.
Elena lachte schallend auf und er sah sie verdutzt an. "Jetzt muss ich mich entschuldigen. Ich heiße Sonntag, Elena Sonntag. Deswegen musste ich so lachen", sie ergriff seine Hand und schüttelte sie.

Seit diesem Tag trafen sie sich öfters beim Spazierengehen vor dem Altenheim und eines Tages lud Matthias Elena zum Kaffeetrinken ein. Dabei blieb es nicht: einige Wochen später ging Elena mit in seine Wohnung und erlebte den berauschendsten Sex seit Jahren.
"Das muss aber unter uns bleiben", sagte sie danach.
Matthias lächelte zärtlich. "Natürlich."
Es blieb ein halbes Jahr unter ihnen, dann wurden sie bei einem Restaurantbesuch von einer Bekannten Elenas gesehen. Die Geschichte schlug hohe Wellen. Elenas Eltern und sogar ihre Kinder machten ihr Vorwürfe. Ihre Schwiegermutter zeigte offene Feindseligkeit.
„Wem nehme ich denn etwas weg?" fragte Elena. „Gerhard versteht das doch gar nicht mehr."
"Du solltest dich schämen", lautete die Antwort ihrer Eltern.
"Du bist ein undankbares Flittchen!" wetterte die Schwiegermutter.
"Hast du Papa gar nicht mehr lieb?" fragten die Kinder.

Doch als Elena sich daraufhin von Matthias trennen wollte, zog er sie nur in die Arme.
„Lass sie reden. Auch du hast ein Recht auf ein glückliches Leben. "

Elena sah ihn an und nickte.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.05.2020, 15:30   #2
männlich Beislhans
 
Benutzerbild von Beislhans
 
Dabei seit: 05/2020
Ort: Saarbrücken
Beiträge: 51


Hi SM, die kleine Geschichte spielt mit einigen Elementen. Der Altersunterschied, die Verantwortung im Falle von Krankheit, die gesellschaftlichen Resentiments und der "berauschende" Sex der älteren Generation. Eingedampft auf zwei Elemente, wäre die Problematik dichter aber es ist Elenas Geschichte. Gern gelesen. Gruß vom Hans
Beislhans ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.05.2020, 17:16   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.687


Hallo Beislhans,

freut mich, dass sie dir gefallen hat. Hauptsächlich ist es eine Geschichte, in der die Zeit verdichtet ist (eine lange Zeit wird in einer kurzen Sequenz beschrieben). Seit ich mehrere Bücher über das Schreiben gelesen habe, vor allen Dingen über Shortstorys schreiben (Roberta Allen, "Short-Shortstorys schreiben" z. B.), mag ich es sehr, in dieser Form zu schreiben.
Eigentlich sollte die Geschichte aber ganz anders werden, mit dem Schwerpunkt darauf, wie eine Frau in der Zwickmühle ist, wenn sie vom eigenen Partner aufgrund Krankheit kein normales Leben mehr erwarten kann, ihr die Umwelt den Ausbruch aber nicht verzeiht. Das war eigentlich meine Intention, aber dann haben die Figuren gemacht, was sie wollten aber vielleicht schreibe ich über die Problematik noch eine andere Geschichte.
Oder den zweiten Teil.

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
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