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Alt 11.01.2011, 12:23   #1
männlich huntablunt
 
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Standard Der Krawattenkäufer

Der Krawattenkäufer

Schön sah er aus! Und so gut angezogen! Er stand vor dem Spiegel, und geelte seine Kurzhaarfrisur. Ein kurzer Blick auf die Uhr, es war viertel vor sieben. Zeit für den Kaffee und die Zigarette. Heute würde ein erfolgreicher Tag sein. Ein letztes mal schaute er in den Spiegel, klopfte sich in Gedanken selber auf die Schulter, schloss den Hemdkragen, und band sich seine Lieblingskrawatte. Dann verließ er das Bad, und machte sich auf den Weg in die Küche. Der Kaffee war bereits fertig und er setzte sich um den Börsenteil der Zeitung zu studieren. Nebenbei schaute er im Internet nach den aktuellen Kursen. Wie er schon wusste, es würde ein äußerst erfolgreicher Tag werden.

„ Mensch, wenn ich so zurückdenke, habe ich doch den richtigen Weg eingeschlagen.“

Mit einem dicken Grinsen dachte er an all diejenigen, die ihn damals nicht ernst nahmen. Jeden Tag lief er an diesen armseeligen Geschöpfen vorbei. Und jedes mal wenn er sie sah, überkam ihn ein Gefühl der Selbstbestätigung. Er hatte keine Sorgen. Für Ihn war es nicht wichtig, wann und wie teuer die nächste Preiserhöhung werden würde. Es spielte außerdem keine Rolle, wo er essen ging. Und wenn er sich in die Stadt bewegte um einzukaufen, dann interessierte ihn nicht die Zeit, und auch nicht der Preis. Er kleidete sich gerne mit teuren Stoffen. Und was er am liebsten machte, ja, das war das Stöbern nach neuen, absolut originellen Krawatten. Seiner Meinung nach erkannte man den Geschmack und den Verstand eines Mannes an seinem besten Stück, der Krawatte. Und sein Traum war, so reich zu sein, dass er sich alle Krawatten der Welt kaufen könnte. Seit langer Zeit ging es ihm gut, und er konnte nicht verstehen, wieso manche Leute so wenig Wert auf ihr Äußeres
legten. Er empfand es nie als Zwang, sich seriös und chic zu kleiden, im Gegenteil. Seit er klein war, und zu seinem Vater aufsah, hatte er einen Traum. Er wollte erfolgreich sein, und sich all die schönen Krawatten kaufen die man sich nur vorstellen kann. Mit der Zeit änderte sich dieser Traum ein klein wenig. Er wollte die teuersten und chicsten Krawatten, um zu zeigen wer er war, denn mit dem erwachsen werden realisierte er, dass sein Vater dieses Ziel niemals erreichte.

Er schaute auf die Krawatte, die erste, seine erste, ein Geschenk von seinem Vater. Eine rote Krawatte von Biagio. Er hatte sie als Erinnerungsstück aufgehoben, aber wenn er sie so anschaute, und auf den Markennamen guckte, dachte er:“ Mein Vater war wirklich eine arme Sau! Alles probiert und nichts erreicht, niemals würde ich wieder so eine billige Krawatte kaufen, geschweige denn anziehen.“ Selbiges dachte er über seinen ersten Anzug, ebenfalls ein Geschenk seines Vaters, ein ehemaliger kleiner Bankangestellter. Und auch das stimmte ihn nicht traurig, sondern erfüllteihn mit Stolz und gab ihm die Überzeugung, dass er das Richtige tat. Sicherlich schaute ihm sein
Vater von oben zu und wäre stolz.

Am Nachmittag nach dem Deal ging er zufrieden in sein Hotelzimmer. Nach einem fürstlichen Menü traf er die Entscheidung noch einkaufen zu gehen. Er ging in sein Lieblingsgeschäft. Als er die Tür öffnete wurde er wie immer freundlich begrüßt. Er setzte sich in den bequemen Sessel und ließ sich die neuesten Krawatten präsentieren. Nebenbei lief im Radio eine Sendung. Wie so oft in diesen Tagen ging es um die vielen Arbeitslosen, die unwichtigen Nummern, wie er zu sagen pflegte. Nie hatte er ein schlechtes Gewissen. Als er den Katalog durchblätterte und die Modelle im Schaufenster betrachtete dachte er, diese nehme ich. Sie wurde ihm eingepackt. Auf dem Weg ins Hotelzimmer traf er einen alten Bekannten. Dieser war gerade arbeitslos geworden erzählte er. Sie
unterhielten sich ein wenig.

„ Schöne Krawatte hast du da. So eine hatte ich auch noch, vor einem Jahr“
„Ja?!“

Betroffen gab der Krawattenkäufer dem ehemaligen Gefährten ein wenig Geld. Endlich war er in seiner Suite angekommen. Als er den Fernseher einschaltete, hörte er dieselbe Hiobsbotschaft, wieder und wieder. Normalerweise hätte es ihn nicht interessiert, höchstens amüsiert und mit Bestätigung erfüllt, aber heute änderte sich etwas in seinem Denken. Die vorherige Begegnung hatte ihn nachdenklich gestimmt. Er gönnte sich seinen wohlverdienten Scotch. Er grübelte und grübelte, die Zeit verging, und er bekam immer wieder dieselbe Antwort auf diese Frage. Wieso hatte er das nie gesehen. So erfolgreich er auch war, sein Traum würde sich nicht erfüllen. Selbst wenn er alles Geld der Welt hätte, es gäbe sicherlich immer wieder schönere, bessere Krawatten. Was nun? So lange er auch nach einer angenehmeren Antwort suchte, er fand sie nicht. Solange schon lebte er dieses Leben und hatte den Blick für essentielles verloren. Am Morgen, als der Zimmerservice das Frühstück brachte, da hing er da. Ein blasser, steifer Körper, mit verzogenem Gesicht und heraushängender Zunge. Rosalia, das Zimmermädchen erschrak. Geistesgegenwärtig rief sie sofort den Hotelmanager. Dieser wollte seinen Augen nicht trauen.


„Ich verstehe das nicht. Er hatte doch alles was man sich wünscht, so schöne Krawatten!“ Als man den Krawattenkäufer, kurioserweise in einen alten braunen Anzug der Marke Biagio gekleidet aus seiner tödlichen Schlinge der selben Marke entfernte, war es schon zu spät. Rosalia
bat ihren Chef um ein persönliches Gespräch.

„Ich weiß, Herr Kunze, dass das ein wenig pietätlos klingen mag, aber ich arbeite schon so lange hier, und bald werde ich heiraten. Wir haben aber kaum Geld, und dieser Anzug da, der ist so schön, dieselbe Größe wie mein Geliebter hat er auch. Und der Krawattenkäufer braucht sie doch nun nicht
mehr oder?“
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