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Alt 04.08.2012, 16:21   #1
weiblich Ryosuke
 
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Standard Mein Dystopia

Mein Dystopia


Sein Blut lief mir den Arm hinunter. Es war warm und angenehm. Er lag in meinen Armen. Sein Gesicht war schmutzig und von Kratzern und Schnitten übersät. Dennoch lächelte er mich an, seine Augen geschlossen. Der Schmerz, der durch meine Brust sich zog, breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Ich verlor die Kontrolle. Mir wurde schwindelig, meine Glieder begannen zu zittern. Er war tot. So langsam begriff ich wohl, was geschehen war. Mir wurde schlecht. Ich musste mit mir kämpfen, um mich nicht zu übergeben. Ich spürte, wie meine Wangen feucht wurden, da tropfte schon die erste Träne auf dein Gesicht. Reflexartig griff ich zu jener Wange und befühlte sie. Nass, sie war nass. Und dann kam der Schmerz, auf den ich gewartet hatte. Er war wie eine Lawine, die mich unter sich begrub, wie ein Erdbeben, dass mich in seinen Schlund riss, wie eine Welle, die mich hinfortspülte.
Du bist tot. Nun hast du mich endgültig verlassen. Ich sehe wieder zu dir. Mir hängt ein Schleier vor dem Gesicht. Es ist, als ob du jeden Augenblick verschwindest, dich in Luft auflöst und bleiben wird nur die verbrannte Erde. Ich sehe mich um und stelle fest, dass du nichts hinterlassen hast. Der Ort hier ist wie vom Krieg zerfressen. Ja, ein Krieg, den du mit dir geführt hast. Nun hast du deine Ruhe und kannst glücklich werden. Ich blicke hinauf zum Himmel. Er ist so unendlich, so schön klar. Ob du mich hier sehen kannst, neben deinem Leichnam, noch immer in meinen Armen liegend?
Ich schaue neben dich. Dort liegt dein Bruder. Er ist bewusstlos, der Kampf hat ihn viel Kraft gekostet. Er hat dich auf dem Gewissen, aber ich kann es ihm nicht verübeln. Du hast ihn schließlich in diesen Glauben erzogen. Du, der böse Bruder und er, der kleine unschuldige Junge. Und ich habe immer auf ihn aufgepasst, ihn für dich gehütet, ihn für dich auf die richtige Bahn gelenkt. Die Bahn, die ihn dazu bringt, dich zu hassen und dich schlussends zu töten. Was hast du nur getan? Es fällt mir schwer, das alles zu akzeptieren, das fiel es mir schon damals, aber du ließest mir keine andere Wahl. Ich bin dir immer gefolgt, ich habe dir immer gehorcht. Nun bin ich frei. Ich weiß gar nicht, wie es ist, frei zu sein. Mein Leben war wie das Deinige immer vorbestimmt. Unser aller Leben war immer vorbestimmt. Du hast dich für den Staat geopfert, dein Bruder bringt dich aus Rache um und ich sorge dafür, dass alle deine Pläne Wirklichkeit werden. Wie absurd das doch alles jetzt klingt. So fernab jeglicher Logik.
Ich schüttel unbewusst den Kopf und schließe die Augen. Meine Tränen sind immernoch nicht versiegt. Ich wusste gar nicht, dass ich in der Lage bin, so lange zu weinen. Um dich zu weinen, mein Mann. Ich sehe auf meine Finger. Der Ring blitzt mich an und funkelt in der Sonne. Er strahlt, so wie du es einmal getan hast. Dein Lächeln war das schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Wie sehr du deinen Bruder geliebt haben musst. Ich blicke zu ihm. Sein Zustand ist instabil. Aus mehreren Wunden tritt immer noch das Blut, doch ich schaffe es nicht, mich von dir zu trennen, um ihm zu helfen. Meine Liebe zu dir blockiert jegliche Hilfe für ihn, deinen Mörder. Wie kann ich ihn je wieder ansehen?
Ich kannte den Plan von Anfang an, ich hatte sehr viele Jahre Zeit, um mich mit deinem Tod abzufinden und doch gelingt es mir jetzt nicht, das zu tun, was ich eigentlich tun müsste. Mein Herz blutet zu stark. Ich kralle mich an deinem Hemd fest und beginne zu weinen, nun jedoch lauter. Ich lasse alles heraus, was in mir schreit. Es interessiert mich nicht, ob mich nun jemand hören kann, ob ein Feind in der Nähe ist. Jetzt zähle nur ich.
Ich schreie so laut ich kann, bis ich heiser werde. Dann sacke ich neben dir zusammen, dein Körper rutscht von meinem Schoß und fällt auf die harte Erde. Ich rolle mich etwas zusammen und rücke dicht an dich heran. Vielleicht trägst du noch ein bisschen Wärme in dir, um mich zu wärmen. Mein Körper gibt meiner Müdigkeit nach und ich sinke in einen tiefen Schlaf.

Meine Augen sind verklebt, ich kann sie nur langsam öffnen. Sie sind geschwollen, das kann ich fühlen. Ich erhebe mich etwas und setze mich hin. Du liegst immernoch vor mir, tot. Ich nehme meinen Ring vom Finger und stecke ihn dir an. Du trägst unseren Ehering an einer Kette um den Hals. Jetzt trägst du auch einen Teil von mir mit dir. Dann stehe ich auf. Ich habe Abschied genommen. Es schmerzt, doch ich bin nun frei. Dein Bruder und ich sind nun frei. Wir werden unseren Weg gehen, egal in welche Richtung uns der Wind trägt. Ich sehe ihn an, er steht ebenso vor dir, hält sich eine Wunde an der Hüfte. Sein Blick ist leer, ich kann nicht sagen, was er fühlt. Er blickt zurück. Wir nicken uns zu, dann gehen wir getrennte Wege. Dort, wo unser Nemesis auf uns wartet.

© Ryosuke
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Alt 04.08.2012, 16:37   #2
weiblich Ilka-Maria
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Zugegeben: Ich habe nur die ersten sieben Sätze gelesen bis zu dem Wort "tot", denn ich war von dem mäßigen Stil ziemlich genervt. Um dem Text eine Chance zu geben, habe ich dann noch den letzten Absatz gelesen, der wesentlich besser ist als der Anfang, und damit war für mich bereits die gesamte Tragödie erfaßt.

Aus dem Mittelteil, den ich nur einige Sekunden lang überflogen habe, ließe sich eine fesselnde Geschichte zimmern, wenn Du sie aus den Andeutungen herausholen könntest, denn ich erkenne einige Spannungsfelder zwischen den Protagonisten, die nach mehr schreien.

Ich ordne diesen Text als Plot ein, aus dem sich eine gute Erzählung oder ein Drehbuch entwickeln ließe. Dabei kommt es nicht darauf an, die alte Story vom Dreiecksverhältnis mit Todesfolge neu zu erzählen, sondern neue Elemente einzubringen. Ich sehe hier einen Ansatz, nämlich den Zwiespalt der Frau, den einen Mann loswerden zu wollen, auf den anderen (widerwillig?) angesetzt zu sein, diesen anderen für ihre Zwecke umzufunktionieren (sie ist erst Opfer, dann die Handelnde), aber am Ende nichts gewonnen zu haben. Im Gegenteil: Sie hat eine Leiche am Hals, die sich partout nicht von selbst hinwegbegeben möchte, und den Komplizen kann oder will sie nicht halten. Hier ließe sich psychologisch eine Menge herausholen.
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Alt 04.08.2012, 16:47   #3
Thing
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Halli Hallo, Ryosuke -


das ist wahrlich eine Dystopie (Anti-Utopie)!
Ich gebe Ilka-Maria insofern recht, als daß der Mittelteil in meinen Augen etwas zerfasert zu sein scheint.
Auch strengt es mich an, einen BLOCKtext zu lesen. Da gehören m.E. Absätze hinein.

Der Schluß ist gut, lapidar.
Im Anfang hast Du einen logischen Holprer eingebaut, weil einmal von einem Er, dann von einem Du geschrieben wird. Das könnte verwirren.

Aber von der Rechtschreibung her:
Kaum etwas zu bemäkeln, das gäbe im Untericht eine 1- !


Guter Einstand!


Lieben Willkommensgruß
von
Thing
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Alt 04.08.2012, 17:08   #4
weiblich Ryosuke
 
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Danke erstmal an euch beide. Hätte nicht gedacht, so schnell eine konstruktive Kritik zu erhalten.
Ich muss zugeben, der Text ist schon etwas älter.
Absätze sind gemerkt, verwende ich eig auch oft und viel!

Die Idee mit dem Plot und alles als psychologischen Strang auszuarbeiten, war eig der Grundgedanke. Ich hatte vergessen hinzuschreiben, dass es nur eine Kurzgeschichte sein sollte.

An sich entstehen meine längeren Geschichten aus solchen Kurztexten, ich werde wohl darüber nachdenken, diesen Text mir nochmals vorzunehmen, um ihn auf der vorgeschlagenen Ebene auszuarbeiten.

Nochmals danke für die Begrüßung
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Alt 14.01.2017, 16:46   #5
männlich Ex-Ralfchen
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen

Aus dem Mittelteil, den ich nur einige Sekunden lang überflogen habe, ließe sich eine fesselnde Geschichte zimmern, wenn Du sie aus den Andeutungen herausholen könntest, denn ich erkenne einige Spannungsfelder zwischen den Protagonisten, die nach mehr schreien.

Ich ordne diesen Text als Plot ein, aus dem sich eine gute Erzählung oder ein Drehbuch entwickeln ließe.
absolut richtig. sie fadisiert den lese hier von Zeile zu zeile. liegt daran, dass sie kein talent zur formung spannender erzählung hat. das ist ein seltenes talen. daher ist das kein vorwurf sondern ein lapidarismus.
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Alt 14.01.2017, 17:11   #6
männlich dr.Frankenstein
 
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Mein Dystopia


Sein Blut läuft mir den Arm hinunter. Es ist warm und angenehm.

Er liegt in meinen Armen.

Sein Gesicht ist schmutzig und von Kratzern und Schnitten übersät.

Dennoch lächelt er mich an, seine Augen geschlossen.

Der Schmerz, der durch meine Brust zieht, breitet sich in meinem ganzen Körper aus.
Ich verliere die Kontrolle.

Mir wird schwindelig,
meine Glieder beginnen zu zittern.

Er ist tot.

So langsam begreife ich wohl, was geschehen war. Mir wird schlecht.

Ich muss mit mir kämpfen, um mich nicht zu übergeben.

Ich spüre, wie meine Wangen feucht werden, da tropft schon die erste Träne auf dein Gesicht.

Reflexartig greife ich zu jener Wange und befühlte sie.

Nass, sie ist nass.

Und jetzt kommt der Schmerz, auf den ich gewartet hab. Ich verkrampfe.
Er ist wie eine Lawine, die mich unter sich begräbt.
Die Schneemassen rasen mir entgegegen.

Wie ein Erdbeben, dass mich in seinen Schlund zieht. Ich sehe wie sich die Felswand über mir verschließt, ich verbrenne.
Und dann kommt eine Welle, die mich hinfortspült.*Fort in das dumpfe gewahr sein:

Du bist tot.

Du hast mich für immer verlassen.
Blass siehst du aus, so nah und doch so fern.

Mir hängt ein Schleier vor den Augen.

Es ist, als ob du jeden Augenblick verschwindest, dich in Luft auflöst und bleiben wird nur die verbrannte Erde.

Ich sehe mich um und stelle fest, dass du nichts hinterlassen hast. Der Ort hier ist wie vom Krieg zerfressen.

Ja, ein Krieg, den du mit dir geführt hast.

Nun hast du deine Ruhe und kannst glücklich werden. Ich blicke hinauf zum Himmel.

Er ist so unendlich, so schön klar. Ob du mich hier sehen kannst, neben deinem Leichnam, noch immer in meinen Armen liegend?*


Ich schaue neben dich. Dort liegt dein Bruder.
Er ist bewusstlos, der Kampf hat ihn viel Kraft gekostet.

Er hat dich auf dem Gewissen, aber ich kann es ihm nicht verübeln.

Du hast ihn schließlich in diesem Glauben erzogen.

Du, der böse Bruder und er, der kleine unschuldige Junge. Und ich habe immer auf ihn aufgepasst, ihn für dich gehütet, ihn für dich auf die richtige Bahn gelenkt.

Die Bahn, die ihn dazu bringt, dich zu hassen und dich schlussends zu töten.

Was hast du nur getan?
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
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