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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 18.03.2011, 16:43   #1
männlich Schmuddelkind
 
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Standard Bahnhofs-Narzissmus

Ich stehe am Gleis wie benommen.
Kein Zug will nun pünktlich noch kommen.

Ein leeres Gesicht schaut mich an.
Ich lege den Kopf in die Hände,
seufze, beweine das Ende
von etwas, das niemals begann,

jammernd, dass niemand mein Leiden versteht,
während in Japan die Welt untergeht.
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Alt 18.03.2011, 16:58   #2
männlich PeterB
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Ohne die erste und dritte Strophe wäre das ein sehr schönes Gedicht.

Die erste Strophe ist etwas arg "konstruiert" in "Reim" und Rhythmus.

Die dritte Strophe zwingt einem eine Moral auf, die man selbst suchen und finden sollte, aber nicht "um die Ohren gehauen bekommen" mag.

Aber wie gesagt: Zweite Strophe: In Aussage und in Technik gelungen.

P.
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Alt 18.03.2011, 17:11   #3
männlich Schmuddelkind
 
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Vielen Dank für deine ausgewogene Kritik!

Die letzte Strophe ist überhaupt nicht moralisierend gemeint. Es geht hier eigentlich gar nicht um die Japan-Katastrophe, sondern um das narzisstische Im-Selbstmitleid-Versinken, dass ich heilsam und verstörend zugleich empfinde. Das mit Japan kam nur ins Spiel, um den narzisstischen Charakter des Selbstmitleids zu verdeutlichen, keinesfalls um zu sagen: "in Japan geht die Welt unter, also kümmert euch nicht mehr um eure belanglosen Probleme!"

Über deine Kritik an der ersten Strofe muss ich noch mal nachdenken, aber spontan würde ich nicht sagen, dass es erzwungen klingt, auch wenn ich gestehen muss, dass ich ziemlich lange daran herumgedoktort habe.
Schmuddelkind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.03.2011, 17:20   #4
Ex-Odiumediae
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Ich stimme PeterB zu, dass die erste Strophe ein wenig erzwungen klingt, aber das lässt sich sicherlich ausbügeln. Die mittlere Strophe gefällt mir auch am besten, aber alleine stehend wäre sie meiner Meinung nach nicht so stark. Die letzte Strophe gefällt mir, denn der Kerngedanke zeugt nun einmal von der menschlichen Natur, sich immer nur um die eigenen Probleme zu kümmern, wenn auch um einen herum alles untergeht. Mir gefällt das ganze Gedicht.
Ex-Odiumediae ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.03.2011, 17:24   #5
männlich Schmuddelkind
 
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Danke!

So sehe ich das auch mit der egoistischen Natur des Menschen und eben deshalb ist es meiner Meinung nach nicht moralisierend.

Wenn das aber schon der Zweite meint, dass die erste Strophe etwas erzwungen ist, dann wird wohl was dran sein, auch wenn ich das im Moment noch nicht sehen kann.
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Alt 22.03.2011, 11:25   #6
männlich Schmuddelkind
 
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Heute kann ich es sehen: Wirkt tatsächlich n bisschen holprig, die erste Strophe, aber finde es jetzt nicht so schlimm.
Schmuddelkind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.03.2011, 10:13   #7
männlich Ayatollah
 
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Ich finde GERADE die letzte Strophe macht das Gedicht gelungen.

Ich habe auch nicht die Interpretation wie Schmuddelkind; dennoch haut der letzte Satz einem etwas rein; mir zumindest.
Ayatollah ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.04.2011, 17:18   #8
weiblich lilie
 
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Hey!

Also mir gehts da so wie Ayatollah.
Die letzte Strophe regt erst recht zum Nachdenken an!
Ein beeindruckendes Gedicht...

Lg lilie
lilie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.04.2011, 20:18   #9
männlich Schmuddelkind
 
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Oh, vielen Dank!

Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Wahrheit so beeindruckend sein kann
Schmuddelkind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.04.2011, 20:50   #10
Thing
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Halli Hallo, Schmuddelkind -

die zweite Strophe lese ich als selbsterlebt.
Deswegen finde ich sie sehr stark und authentisch.

Die erste kann ich auch fast nachvollziehen, aber zu meiner Zeit konnte man noch sagen
"Und der Zug kam pünktlich".

Die dritte Strophe ist nachvollziehbar, aber nach Tchernobyl sind mir meine Lieben und Nächsten näher als jede andere (Welt-)Bevölkerung, obwohl auch ihnen mein Restmitleid gilt.

Was die Lebensjahre halt noch so übrig lassen, komprimiere ich.

Aber - verzeih! - den Titel kapiere ich nicht. Wer ist wo und wann narzißtisch?


Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.04.2011, 21:07   #11
männlich Schmuddelkind
 
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Vielen Dank, Thing!

Freut mich, wenn es dir gefällt. Das mit den Zügen kann man selbst zu meiner Zeit noch sagen, aber ist klar, was gemeint ist.

Zum Titel: Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass Selbstmitleid einen Moment von Narzissmus in sich trägt. Leiden wir wirklich zu 100% authentisch oder steigern wir uns nicht manchmal in eine auf uns gerichtete Vorstellung von Leid hinein, um das eitle Bedürfnis nach Anerkennung zumindest vor uns selbst (wenn nicht auch in Bezug auf andere) zu legitimieren?

Ich hoffe, es wurde klar, auch wenn ich jetzt nicht gerade auf einer Welle der Eloquenz geritten bin.

LG
Schmuddelkind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.04.2011, 21:45   #12
Thing
R.I.P.
 
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Beiträge: 34.998

Ja, das mit dem abgefahrenen Zug hab ich verstanden.
Aber irgendwie bringe ich das Fremd- und Selbstmitleid nur insofern mit Narzßmus in Verbindung, als ich im Weltelend, der Tränen voll, unterschwellig dachte
"so edel bin ich, heule nicht nur meinetwegen allein" ....

und (möglichst unerkannt) Zuschauer liebte, sofern sie anonym blieben.
(Jetzt hab ich meine eitle, damals jungmännliche Seele, völlig bloßgelegt! )

was ich in Jugendjahren intensiv praktizierte, ohne mir dessen wirklich bewußt zu sein.

Also -
Deine zweite Strophe gefällt mir nach wie vor am besten.


Thing
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