Verrat bei Poetry.de

Ayatollah · 13.06.2012, 04:11

Er steht vor mir, einen Kopf kuerzer, athletisch gebaut, Locken wie Lianen. Durch seinen Bart sieht er wohl aelter aus als er in Wahrheit ist. Er traegt ein enges Muskelshirt mit der Aufschrift „I love Bangkok“. Seine Art jemanden anzulaecheln und Waerme auszusenden ist wunderbar; sein Charisma ist nicht autoritaer, sondern gefuehlvoll. In all der Zeit hat er mich niemals belogen, niemals betrogen, niemals verlassen.

Und doch; jedes Mal, wenn ich in seiner Naehe bin, will ich einen Stein an seinem wuschigen Hinterkopf rubbeln, und ihn auf dem Boden strampeln sehen. Ich moechte, dass er von unten sehen kann, wer ich wirklich bin: Ein skrupelloser Usurpator und ein Egoist; ein Ausbeuter, Luegner und Menschenfeind.

Thing · 13.06.2012, 08:04

Das klingt sehr atavistisch.
Interessant, weil kein ursächlicher Zusammenhang erkennbar ist.
In meinem Kopf: Ein großes Fragezeichen.

ZychoyZ · 13.06.2012, 11:42

salam Ayat,

von der Stimmung gelungen und ein interessanter Inhalt.
mir kommen deine Textfragmente/Kurzgedanken immer wieder vor wie Romanauszüge, oder einer längeren Geschichte entnommen.

ich frage mich in welcher Beziehung die beiden Personen zueinander stehen.
sie kennen sich schon länger ("in all der Zeit"), wissen aber nicht all zu viel von eineder (nicht einmal das Alter.), und wenn sie etwas näheres voneinander wüssten, stünden sie vermutlich in keiner aktiven Beziehung mehr (wieso wird diese dennoch aufrechterhalten ... ).
sie ist nicht aufrecht dennoch eine aktive, innige Beziehung ("In all der Zeit hat er mich niemals belogen, niemals betrogen, niemals verlassen.") dieser Satz würde normalerweise auf eine Partnerschaft schließen lassen ... ist glaube ich hier aber nicht der fall, man wüsste nach all der zeit in der Regel wenigstens das alter des anderen. (diese Diskrepanz ist mir sowieso nicht ganz schlüssig.)

LI beschreibt detailgenau das Aussehen des anderen (Oberflächlichkeiten) und geht dann zu einem tieferen Gespür der menschlichen Seite des Gegenüber über ("shoshinmatische, nicht autoritäre Art aufzutreten, warme Ausstrahlung ...") diese genauen Beobachtung des menschlichen vom Anderen, lässt auf einen gebildeten Analytiker, einen Menschenkenner schließen, der sich aber dennoch beherrschen muss, die ihm entgegengebrachte Menschlichkeit auch in sich aufrecht zu halten um nicht den nächstbesten Stein zu nehmen und den hass in sich aufkochen zu lassen ... ein Misanthrop begegnet einem Philanthropen.

gefällt mir, sehr menschlich.
grüße Zy.

13.06.2012, 04:11	#1
Ayatollah Dabei seit: 12/2010 Ort: Vientianne Alter: 37 Beiträge: 735 Meine Favoriten	Verrat Er steht vor mir, einen Kopf kuerzer, athletisch gebaut, Locken wie Lianen. Durch seinen Bart sieht er wohl aelter aus als er in Wahrheit ist. Er traegt ein enges Muskelshirt mit der Aufschrift „I love Bangkok“. Seine Art jemanden anzulaecheln und Waerme auszusenden ist wunderbar; sein Charisma ist nicht autoritaer, sondern gefuehlvoll. In all der Zeit hat er mich niemals belogen, niemals betrogen, niemals verlassen. Und doch; jedes Mal, wenn ich in seiner Naehe bin, will ich einen Stein an seinem wuschigen Hinterkopf rubbeln, und ihn auf dem Boden strampeln sehen. Ich moechte, dass er von unten sehen kann, wer ich wirklich bin: Ein skrupelloser Usurpator und ein Egoist; ein Ausbeuter, Luegner und Menschenfeind.

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13.06.2012, 08:04	#2
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Favoriten	Das klingt sehr atavistisch. Interessant, weil kein ursächlicher Zusammenhang erkennbar ist. In meinem Kopf: Ein großes Fragezeichen.

13.06.2012, 11:42	#3
ZychoyZ Dabei seit: 02/2010 Alter: 37 Beiträge: 1.633 Meine Favoriten	salam Ayat, von der Stimmung gelungen und ein interessanter Inhalt. mir kommen deine Textfragmente/Kurzgedanken immer wieder vor wie Romanauszüge, oder einer längeren Geschichte entnommen. ich frage mich in welcher Beziehung die beiden Personen zueinander stehen. sie kennen sich schon länger ("in all der Zeit"), wissen aber nicht all zu viel von eineder (nicht einmal das Alter.), und wenn sie etwas näheres voneinander wüssten, stünden sie vermutlich in keiner aktiven Beziehung mehr (wieso wird diese dennoch aufrechterhalten ... ). sie ist nicht aufrecht dennoch eine aktive, innige Beziehung ("In all der Zeit hat er mich niemals belogen, niemals betrogen, niemals verlassen.") dieser Satz würde normalerweise auf eine Partnerschaft schließen lassen ... ist glaube ich hier aber nicht der fall, man wüsste nach all der zeit in der Regel wenigstens das alter des anderen. (diese Diskrepanz ist mir sowieso nicht ganz schlüssig.) LI beschreibt detailgenau das Aussehen des anderen (Oberflächlichkeiten) und geht dann zu einem tieferen Gespür der menschlichen Seite des Gegenüber über ("shoshinmatische, nicht autoritäre Art aufzutreten, warme Ausstrahlung ...") diese genauen Beobachtung des menschlichen vom Anderen, lässt auf einen gebildeten Analytiker, einen Menschenkenner schließen, der sich aber dennoch beherrschen muss, die ihm entgegengebrachte Menschlichkeit auch in sich aufrecht zu halten um nicht den nächstbesten Stein zu nehmen und den hass in sich aufkochen zu lassen ... ein Misanthrop begegnet einem Philanthropen. gefällt mir, sehr menschlich. grüße Zy.